Aus: Armin Krenz/Klaus Schüttler-Janikulla (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Landsberg: mvg-verlag 2002
Margarete Blank-Mathieu
Einführung ins Thema
Integration von behinderten Kindern bedeutet - ja -, was bedeutet es denn? Was sind behinderte Kinder und worin unterscheiden sie sich von den anderen Kindern?
Behinderung meint z.B., in einer Gruppe von anderen nicht mithalten zu können. Das würde bedeuten, wenn sich eine Gruppe von Hörbehinderten in der Gebärdensprache unterhält, dass gerade der oder die Hörende, die dabeistehen, sich als behindert verstehen müsste.
Wenn ein Rollstuhlfahrer sich in einer Gruppe von Menschen befindet, die gehen können, gilt wiederum dieser als behindert.
Man kann an diesen kleinen Beispielen sehen, dass es situationsabhängig ist, ob jemand als behindert bezeichnet wird.
Noch schwieriger ist die Unterscheidung zwischen gesund und krank. Geistig Behinderte erleben weitgehend dieselben Entwicklungsschritte wie andere Kinder. Sie sind somit nur teilweise behindert, können gehen und sprechen, lachen und weinen und fühlen sich selbst nicht als behindert.
Sie werden behindert (definiert). Es gibt viele Gruppen, die sich in irgendeiner Weise unterscheiden, und doch wird nicht sofort von Behinderung gesprochen. Wer den Umgang mit dem Computer nicht beherrscht, wer nicht Auto fahren, kann wird deshalb nicht sogleich als behindert definiert, obwohl ihn das beruflich und in seiner Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen kann.
1. Was bedeutet verschieden sein?
Mit dieser kleinen Einführung wird uns rasch klar, dass es Behinderung immer nur im Zusammenhang gibt. Wir alle sind sehr verschieden, haben unterschiedliche körperliche und psychische Voraussetzungen, mit denen wir leben müssen.
Zum Problem wird dies erst dann, wenn wir in einer Gruppe leben, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie sich von uns wesentlich unterscheidet.
So werden geistig behinderte Menschen als behindert erlebt, weil sie den Ausführungen in einem Vortrag nicht folgen können oder Schwierigkeiten haben, sich im Alltagsleben zurechtzufinden. Sie können nicht oder nicht gut lesen und schreiben und benötigen häufiger Hilfestellung als andere.
Rollstuhlfahrer sind häufig mehrfach behindert, das heißt, sie haben außer der körperlichen Behinderung noch eine geistige Behinderung. Dies ist aber nicht in allen Fällen so. Vielfach sind sie auch lediglich nur nicht fähig zu gehen.
Blinde wiederum können alles, außer Sehen. Sie benötigen nur da Hilfe, wo es sich um visuelle Wahrnehmungen handelt, bei taktilen Wahrnehmungen sind sie uns allen weit voraus. Auch die Emotionen, die sich in einer Stimme ausdrücken, können von ihnen sehr leicht wahrgenommen werden.
Verschieden zu sein bedeutet deshalb, mit individuellen Einschränkungen leben zu müssen und dafür andere Fähigkeiten erwerben zu können. Ich habe erlebt, wie eine geistig behinderte Frau für Musik eine tiefe Wahrnehmungsfähigkeit hatte, so, dass ihr die Töne offensichtlich "zu Herzen" gingen.
Und wir so genannten "normalen" Menschen? Sind nicht auch wir total verschieden? Hat nicht einer einen besonderen "Sinn" für Schönes, für Ordnung, für die Stimmungen der Menschen um ihn herum? Andere sind dafür "blind und taub". In unserem Sprachgebrauch stellen wir die Unterschiede oft wie eine Behinderung dar. Das bedeutet aber doch, dass wir alle in irgendeiner Form behindert sind und dafür wieder andere Fähigkeiten beherrschen. Gerade diese Unterschiedlichkeit hilft dazu, dass Menschen ihr Leben besser organisieren können. Der eine kann besser mit Menschen umgehen, wird also lieber Kinder und Mitmenschen versorgen wollen, ein anderer hat einen "sechsten Sinn" für technische Zusammenhänge und arbeitet lieber an einem Computer oder einer Maschine. Wir alle brauchen einander, weil wir sehr unterschiedliche Begabungen und Interessen haben und uns unterschiedliche Fähigkeiten aneignen konnten.
2. Konzeption entwickeln
Jede Kindertageseinrichtung muss deshalb diese Unterschiedlichkeiten im Blick haben, wenn sie mit Kindern und Eltern zusammenarbeiten will. Auch die KollegInnen sind ja schon unterschiedlich, und nicht alles, was denkbar ist, kann auch in der Einrichtung umgesetzt werden. So gilt es, diese Unterschiedlichkeiten in einer Konzeption zu berücksichtigen.
2.1 Was ist im Stadtteil notwendig?
Unterschiedliche Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten oder Kulturen leben in unserem Stadtteil. Sie alle bringen besondere Bedürfnisse mit und haben unterschiedliche Kompetenzen. Dies wirkt sich auf die Arbeit mit den Kindern aus.
Diese Überlegungen sind heute fast selbstverständlich. Immer aber denken wir zuerst an Kinder ohne körperliche und seelische Behinderungen, obwohl diese, wie wir sehen, oft nur eine teilweise andere pädagogische Unterstützung bedeuten würden. Ein Kind, das die deutsche Sprache nicht beherrscht, stellt für die Arbeit unter Umständen größere Probleme dar als ein Kind, das nicht gut gehen kann. Es sollte für uns selbstverständlich werden, dass wir solche Kinder in unsere Überlegungen einbeziehen und das Anderssein dieser Kinder genauso ernst nehmen wie die Individualität jedes einzelnen anderen Kindes.
Alle Kinder im Stadtteil müssen deshalb zu Kindern unserer Einrichtung werden. Das bedeutet, dass wir von vornherein unsere Konzeption so anlegen, dass sie allen Kindern in unserem Stadtteil, seien es Kinder mit Behinderungen im sprachlichen Bereich (dauerhaft oder vorübergehend), im visuellen Bereich (sehbehinderte Kinder), im körperlichen Bereich (Rollstuhlfahrer) oder mit besonderen Entwicklungsverzögerungen oder -auffälligkeiten zugute kommt.
Unsere Einrichtung - eine Einrichtung für alle Kinder im Stadtteil, das muss die erste Grundlage der Konzeption sein.
2.2 Welche besonderen Bedürfnisse werden uns von Eltern gemeldet?
Eltern kommen in unsere Einrichtung, um ihr Kind anzumelden. In der Regel ist dies lediglich ein Problem, wenn wir nicht genügend Plätze zur Verfügung haben. Immer häufiger jedoch passiert es, dass Eltern schon beim Aufnahmegespräch besondere Bedürfnisse anmelden. Ob es sich hier um eine individuelle Betreuungszeit handelt oder ob besondere Bedürfnisse des Kindes vorhanden sind, ist zunächst nicht entscheidend. Wichtig ist, dass wir auch für alle Elternwünsche und Fragen zunächst offen sein sollten.
Unsere Einrichtung - eine Einrichtung für alle Eltern im Stadtteil, das sollte die zweite Grundlage unserer Konzeption sein.
Nur angemerkt soll hier werden, dass es unter Umständen auch "behinderte" Eltern gibt, deren Kinder einen besonderen Betreuungsaufwand benötigen, um Eltern in ihrer Erziehung Unterstützung bieten zu können. Dass diese Behinderungen nicht unbedingt sichtbar sein müssen, ist uns durch die vorausfolgenden Ausführungen inzwischen sicher klar geworden.
Eltern, deren Kind in irgendeiner Form unseren Kriterien von Behinderung entspricht, also einen erhöhten Förder- und Betreuungsaufwand hat, werden in unserer Einrichtung erscheinen. Sie möchten, dass ihr Kind ebenso wie die anderen Kinder ein Recht darauf hat, neben seiner Behinderung unter den anderen Kindern als ebenbürtig behandelt zu werden. Das stellt unser Team zunächst vor die Frage, ob dies in unserer Einrichtung geleistet werden kann.
2.3 Was kann unser Team leisten?
Unser Team besteht nun wiederum aus sehr unterschiedlichen Personen, mit unterschiedlichen Begabungen und erworbenen Fähigkeiten. Je größer das Team ist, desto eher kann man davon ausgehen, dass die eine oder der andere im Team eine besondere Aufgabe darin sieht, sich besonders um eine bestimmte Gruppe (z. B. in der Sprachförderung) oder für ein bestimmtes Kind zu kümmern. Da die personelle Besetzung in der Regel gerade für die Kinder ausreicht, die einen normalen Betreuungsbedarf haben, stellt die Anfrage von Eltern mit einem besonders förderungsbedürftigen Kind eine Herausforderung dar. Glücklicherweise gibt es für solche Kinder aber durch gesetzliche Vorgaben Hilfestellungen von außen. Wenn im Team grundsätzlich Einigung besteht, dass das Kind aufgenommen werden soll, muss noch einiges geschehen, bevor es zur Aufnahme kommen kann.
2.4. Welche Anforderungen werden an unsere Einrichtung gestellt?
Zunächst muss das Team sich überlegen, ob der besondere Betreuungsbedarf nicht auch mit einer veränderten Raumgestaltung oder der Veränderung im Außenbereich einhergeht. Nicht alle Kindergartenzugänge sind z.B. rollstuhlgerecht und nicht alle Außenbereiche sind von den Gruppenzimmern aus mit einem Rollstuhl zu erreichen. Ein blindes Kind benötigt Übergänge ohne Stolperschwellen; jede Behinderung setzt eigene Rahmenbedingungen, in denen die Betreuung optimal stattfinden kann.
In welcher Gruppe ist das aufzunehmende Kind wohl besonders gut aufgehoben? Welche Kinder und deren Eltern unterstützen die Integration dieses Kindes am besten, welche ErzieherIn stellt sich für diese besondere Herausforderung zur Verfügung? Wenn dies geklärt ist, müssen die Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten im Raum und zu den Nebenräumen untersucht werden und eventuell eine Umgestaltung des Raumes geplant werden.
2.5. Wie bekommen wir Unterstützung von unserem Träger?
Am besten ist es, wenn wir den Träger bereits bei der Erstellung der Konzeption in unsere Überlegungen einbeziehen und von vornherein klarstellen, dass wir auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen in unserem Haus mitbetreuen wollen.
Geht es jetzt um eine konkrete Anfrage und haben wir im Team geklärt, dass wir diese ernsthaft prüfen möchten, so müssen wir den Träger über unserem Vorhaben informieren. Nun gilt es, eventuelle Baumaßnahmen zu überprüfen und die Zustimmung einzuholen, dass wir uns der Unterstützung des Trägers bei der Integration dieses Kindes sicher sein können.
Dabei ist es wichtig, dass wir die betroffenen Eltern, so sie dies wünschen und der Träger einverstanden ist, nach Möglichkeit an diesen konkreten Gesprächen beteiligen und ihr Fachwissen (was die räumlichen Notwendigkeiten anlangt) abfragen. Sie haben das Kind ja schon die ersten Lebensjahre betreut und wissen um dessen spezielle Bedürfnisse.
2.6 Ist unser Konzept schlüssig und für die Eltern akzeptabel?
Hier geht es nun weniger um die betroffenen Eltern. Vielmehr muss die Elternschaft der Einrichtung spätestens jetzt in unsere Überlegungen einbezogen werden. Der Elternbeirat wird informiert; es kann ein Elternabend stattfinden, der Raum lässt für die Ängste und die Betroffenheit der anderen Eltern. Es müssen auch ganz konkrete Fragen gestellt werden können und Informationen über gerade die besondere Behinderung dieses Kindes gegeben werden. Dafür können wir Fachleute einladen. Je mehr man über eine Sache weiß, desto weniger Ängste bauen sich auf. Dies gilt hier ganz besonders.
3. Integration planen
Wenn die Elternschaft hinter unserem Vorhaben steht, der Träger bereit ist, die Integration mitzutragen und zu verantworten, unser Team sich über alle Möglichkeiten und Grenzen klar geworden ist, so kann die Integration in konkreten Planungsschritten erfolgen.
3.1 Gespräch mit den betroffenen Eltern
Da so weit alles geklärt ist, werden jetzt konkrete Gespräche mit den betroffenen Eltern geführt. Sie werden von den Möglichkeiten und Grenzen, die wir in vielen Teamsitzungen und mit anderen Eltern und dem Träger erörtert haben, unterrichtet. Sie haben das letzte Wort und können sich nun für oder gegen eine Integration in unserer Einrichtung entscheiden. Vielleicht geben sie ihr Kind lieber in eine Spezialbehandlung, wenn sie nicht überzeugt davon sind, dass es bei uns gut betreut werden wird. Auch das gilt es zu akzeptieren. Die Vorgespräche sind deshalb nicht umsonst - kann es doch bereits morgen dazu kommen, dass andere Eltern anfragen.
Es ist die alleinige Entscheidung der Eltern, wo sie ihr Kind betreuen lassen möchten.
Jetzt ist der Zeitpunkt, auch noch einmal alle speziellen Wünsche zu formulieren, z.B. eine zeitlich befristete Tagesaufnahme oder die zeitweise Anwesenheit eines Elternteils. Alles, was bereits in diesem Gespräch geklärt wurde, wird später nicht durch Missverständnisse zu Komplikationen führen. Es müssen unsere Zielvorstellungen genauso klar auf den Tisch kommen wie die Bedürfnisse und Wünsche der Eltern.
Dass wir auch das Kind kennen lernen möchten, bevor es aufgenommen wird, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Eine "Schnupperzeit" ist für dieses Kind genauso notwendig wie für alle anderen Kinder. Zusammen mit einem betreuenden Elternteil ist es möglich erste Ängste abzubauen.
3.2 Abklärung im Team und mit den Elternvertretern
Ein letztes klärendes Teamgespräch und eine Zusammenkunft mit den Elternvertretern der Einrichtung bereiten die Integration konkret vor. Es werden konkrete Überlegungen angestellt, in welcher Gruppe das Kind untergebracht wird, wie die Kinder auf es vorbereitet werden, welche baulichen Maßnahmen notwendig sind und welche zusätzlichen Fachkräfte eingestellt oder freigestellt werden. Alle Fragen und Zweifel werden hier noch einmal formuliert. und man muss sich einig sein, dass die Herausforderung von allen angenommen wird.
3.3 Zustimmung des Trägers
Der Träger ist die wichtigste Instanz bei unserem Vorhaben. Er muss die rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen und ist der Vertragspartner des Sozialhilfeträgers, der entsprechende Mittel bereitstellt. Die jährliche Überprüfung durch denselben ist ebenfalls von ihm zu verantworten. Eltern, der Kindergartenträger und der Sozialhilfeträger sind die Vertragspartner, wir führen letztendlich die Maßnahme nur durch.
Da unser Team, unsere Kinder und unsere Elternschaft die Hauptbetroffenen im täglichen Umgang mit dem zu integrierenden Kind sind, müssen wir zu unserem Träger ein gutes Einvernehmen haben und daran interessiert sein, dies auch zu behalten. Ein Team, das Probleme mit dem Träger der Einrichtung hat, sollte diese vorher klären, bevor es eine integrative Maßnahme ins Auge fasst.
3.4 Beteiligte am Hilfeplan
Durch die Elterninformation und Vorgespräche mit den betroffenen Eltern sind wir vielleicht schon mit Fachdiensten in Kontakt gekommen, die uns bei der Durchführung der Integration helfen werden. Es ist gut, wenn wir wissen, von wem wir Unterstützung erwarten und wo spezielle Fragen geklärt werden können. Nicht nur in solchen Fällen ist es gut, wenn wir Fachdienste kennen und mit ihnen im Gespräch sind. Es ist stets eine Bereicherung der unterschiedlichen Professionen, wenn sie voneinander wissen, einander helfen und sich gegenseitig beraten. Leider geschieht dies oft erst, wenn ein spezieller "Fall" uns dazu zwingt. Ein regelmäßiger Austausch von Fachwissen aller Art wäre für jede Einrichtung wünschenswert.
4. Integration vorbereiten
Es ist ein langer, mühsamer Weg, bis eine Integration durchgeführt werden kann. Die meisten ErzieherInnen finden diesen in ihrer Ausbildung wenig oder kaum beschriebenen Weg mühsam und sind unsicher, ob sie das leisten können. So werfen sie oft vorschnell das Handtuch und nehmen sich dadurch auch die Möglichkeit, andere Erfahrungen machen zu können, neue Kompetenzen zu erwerben und neue Kontakte zu knüpfen.
4.1 Alle Beteiligten einbeziehen und einen Hilfeplan entwickeln
Erst jetzt können die Eltern des betroffenen Kindes einen Antrag an den Sozialdienst des Gesundheitsamtes stellen und die Integration ihres Kindes nach § 39 BSHG (Bundessozialhilfegesetz) in unserer Einrichtung beantragen. Unter § 39 BSHG können auch solche Eltern Eingliederungshilfe beantragen, deren Kind von Behinderung bedroht ist, aber noch nicht als behindert eingestuft wird.
Der Antrag auf Eingliederungshilfe hat nur dann Sinn, wenn Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann - das bedeutet, dass das Kind in einem Regelkindergarten eine sinnvolle Integration in der Gemeinschaft erfährt. Eltern, die sich nicht sicher sind, wie die Chancen für eine Eingliederungshilfe stehen, setzen sich am besten mit der Frühförderstelle in Verbindung, die sie in ihrem Vorhaben zunächst berät.
Der Sozialdienst des Gesundheitsamtes prüft den Förderbedarf. Maßnahmen der Hilfe sind nach § 40 Abs. 2a heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind. Ein Hilfeplan wird erstellt, in dem alle Maßnahmen, die mit der Integration in einen Kindergarten verbunden sind, zusammengefasst werden. Dies umfasst z.B. eine zusätzliche heilpädagogische Betreuung während der Kindergartenzeit oder die Einstellung einer zusätzlichen Betreuungskraft. Diese sollte mindestens eine entsprechende Weiterbildung oder Zusatzausbildung bzw. sonder- oder heilpädagogische Erfahrungen vorweisen können.
4.2 Kostenfragen klären
Da bei der Integration eines Kindes zusätzliche Kosten entstehen, muss zunächst feststehen, welche Kosten dies im Einzelfall sind (dies wird bereits bei der Erstellung des Hilfeplans sichtbar), welche Dauer vorzusehen ist und ob bereits im Kindergarten dafür Ressourcen bestehen, beispielsweise Personal freigestellt werden kann. Inzwischen gibt es z.B. in Stuttgart Trägerverbünde, die einen Personal-Pool bilden, um Kindergärten bedarfsgerechte Integrationskräfte zur Verfügung zu stellen.
Die Förderung sollte 220 Wochentage im Jahr umfassen und sich nicht an den Anwesenheitstagen des Kindes mit Behinderung(en) orientieren.
Für bauliche Maßnahmen kann der Träger Mittel nach § 40 BSHG beantragen. Ein Träger in Baden-Württemberg erhält vom Land Baden-Württemberg, wenn sich mindestens zwei behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder in der Einrichtung befinden, eine Gruppenpauschale von jährlich 47.000,- DM. Dieser Betrag soll den höheren Personal- und Sachaufwand abdecken. In Baden-Württemberg erfolgt derzeit die Grundfinanzierung über Mittel der Sozialhilfe bzw. über das Land. Als so genannte Eingliederungshilfen können zusätzliche heilpädagogische Maßnahmen von monatlich 900,- DM, sowie begleitende Hilfen von monatlich 600,- DM beantragt werden.
In Unterfranken werden Eingliederungshilfen durch den Bezirk finanziert.
Die Finanzierung ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt, wird jedoch immer durch die entsprechenden Kindergartengesetze begründet und ist durch das BSHG abgedeckt.
4.3 Vertrag zwischen dem Träger, den Eltern und dem Kostenträger wird geschlossen
Wenn alle finanziellen und pädagogischen sowie pflegerische Maßnahmen abgeklärt sind, wird den Eltern der Zustimmungsbescheid der Behörde zugehen. Mit dem Träger wird gleichzeitig eine Vereinbarung getroffen, die ihn verpflichtet, bestimmte Vorleistungen zu erbringen (z.B. bauliche Maßnahmen) und die eine jährliche Überprüfung der Maßnahme vorsieht.
4.4 Zustimmung ergeht an die Eltern
Nun wird auch den Eltern mitgeteilt, dass die Integrationsmaßnahme genehmigt ist, die Kostenübernahme geregelt und der Eingliederung in die Kindertageseinrichtung nichts im Wege steht.
5 Integration durchführen
Mit der Anmeldung des Kindes in der Einrichtung kann die Integration beginnen. Da die Vorgespräche eine lange Zeit in Anspruch genommen haben, sind die ErzieherInnen, die Eltern und die Kinder in der Einrichtung schon gespannt auf das neue Kind.
Neben diesem kommen auch Fachkräfte aus anderen Bereichen in die Einrichtung. Damit ändert sich auch die Zusammensetzung im Team. Richtig verstanden bedeutet dies eine positive Veränderung. Der Austausch zwischen den Professionen entsteht zwangsläufig; jede und jeder in der Einrichtung kann seine eigene Position überdenken; es entstehen neue Gespräche über die pädagogische Arbeit.
Aber auch die Kinder erleben, dass Kinder mit einer Behinderung wie selbstverständlich in alle Bereiche des Tagesablaufes eingegliedert werden, wie sie sich vielleicht anders verhalten. Dies wird ihre eigene Wahrnehmung verändern, so dass sich die Kinder mit ihrer eigenen Körperlichkeit neu auseinandersetzen, indem sie vielleicht probieren, mit dem Rollstuhl zu fahren, oder versuchen, einmal mit der linken Hand zu essen.
Ich stelle es mir spannend vor, wie plötzlich neue Fragen auftauchen und diese auf vielerlei Weise thematisiert werden. Kinder sind von Natur aus neugierig; sie erleben dieses neue Kind nicht als fremd oder ungewohnt, sondern sind meistens voller Begeisterung. Und diese Begeisterung kann ansteckend wirken. Gemeinsam können wir kreativ mit unterschiedlichen Situationen umgehen lernen, um z.B. dem behinderten Kind das gemeinsame Spielen mit den anderen Kindern zu ermöglichen. Wie ist es, wenn alle beim Essen auf dem Boden sitzen? Kann man auch ohne zu laufen in die Puppenecke gelangen?
Und das Kindergartenteam wird unterstützt und begleitet, beraten und befähigt, neue Aufgaben zu übernehmen. Selbst die Zusammenarbeit mit den Eltern wird sich zwangsläufig verändern. Neue Menschen tauchen in unserer Einrichtung auf: Fachdienste, Selbsthilfegruppen, Zivildienstleistende. Unsere Einrichtung wird nicht nur innerhalb größer, sondern sie öffnet sich nach außen.
Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass auch Probleme auftauchen, Ängste laut werden, Abgrenzung sichtbar wird. Wichtig ist jetzt, dass das behinderte Kind nicht nebenbei betreut wird, sondern dass sowohl alle Kinder von der Betreuung des behinderten Kindes profitieren als auch das behinderte Kind bei möglichst allen Aktivitäten der Kinder mitmachen darf und kann.
Indem andere Kinder in die heilpädagogischen Maßnahmen spielerisch einbezogen werden können, wird man auch Kinder mit besonderen Schwierigkeiten z.B. bei grob- oder feinmotorischen Spielen Erfolgserlebnisse bieten können, die ihr Selbstbewusstsein stärken.
Viele Möglichkeiten, die das Zusammenleben von behinderten und nichtbehinderten Kindern bunter und vielfältiger machen und allen ermöglichen, sich selbst als kompetent und fähig zu erleben, können durch dieses Kind mit seinen speziellen Begabungen und Behinderungen ermöglicht werden. Denken Sie nur an ein sehbehindertes oder blindes Kind, das besser riechen, hören und schmecken kann als die anderen Kinder. Dass alle normal verschieden sind, macht jetzt kein Problem mehr, sondern hilft uns vielleicht, die Verschiedenartigkeiten besser zu akzeptieren und in jedem Kind individuelle Fähigkeiten zu entdecken.
5.1 Eingewöhnungsphase
Aber so weit sind wir noch lange nicht. Die Eingewöhnungsphase von dem behinderten Kind, das bisher vielleicht ständig im Mittelpunkt stand und jetzt nur noch eines unter vielen ist, muss bewältigt werden. Im Team gibt es neue Sympathien und Antipathien; neue Freundschaften bilden sich; neue KollegInnen müssen integriert werden. Die Eltern der anderen Kinder sind ängstlich, ob ihre Kinder auch nicht zu kurz kommen, wenn sich jetzt viele mit dem behinderten Kind beschäftigen. Da gilt es, das Ziel im Auge zu behalten, die Möglichkeiten und Chancen immer wieder zu bedenken und Geduld mit sich und den andern zu haben.
5.2 Reflektion mit Team, Elternvertretern und dem Träger
Und immer wieder heißt es, sich im Team auszutauschen, Probleme anzusprechen und auszudiskutieren. Ein Elternabend nach einer kurzen Eingewöhnungszeit von ca. vier Wochen wäre sinnvoll. Hier können alle Ängste angesprochen, die positiven Erlebnisse der Kinder erzählt werden. Aber auch die betroffenen Eltern müssen ihre Erfahrungen einbringen dürfen und Verbündete in der Elternschaft finden können. Nicht zuletzt soll auch der Träger informiert werden, wie die Maßnahme läuft.
5.3 Eventuelle Änderungen beantragen, zusätzlichen Betreuungsbedarf abdecken, Fachdienste einschalten
Und mit dem Träger müssen wir auch aushandeln, was noch fehlt, wo Personal notwendig ist, Sachkosten nicht einkalkuliert waren oder zusätzliche Fachleute eingeschaltet werden müssen. Eventuell bemerken wir, wie gut es dem einen oder anderen Kind, das von einer Behinderung bedroht ist, tut, wenn es bei bestimmten Spielen einbezogen wurde. Vielleicht müssen wir auch für solche Kinder, die schon immer am Rand standen, zusätzliche Hilfen beantragen. Wenn die Eltern dieser Kinder gesehen haben, dass es bei uns keine Kinder erster oder zweiter Klasse gibt, sondern dass alle ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert und anerkannt werden, so trauen sie sich vielleicht auch, für ihre Kinder einen zusätzlichen Förderbedarf zu beantragen.
5.4 Gewöhnungsphase von Kindern, Eltern und Team
Die Erweiterung des Spielmaterials, mit mehr Sinnes-, Natur- und Gestaltungsmöglichkeiten, ermöglichen allen Kindern mehr ganzheitliche Erfahrungen. Auch die Neugestaltung eines Raumes lässt für alle Kinder ein neues Raumgefühl und neue Spielmöglichkeiten zu. ErzieherInnen und sonderpädagogische Fachkräfte erleben eine Erweiterung ihrer Kompetenzen über den ständigen Austausch miteinander.
Die meisten Einrichtungen, die schon einige Zeit behinderte Kinder in ihrer Einrichtung mitbetreuen, möchten diese Erfahrungen nicht mehr missen. Obwohl, wie von vielen betont ist, der Zeitaufwand wesentlich größer als erwartet ist, weil viele informelle Gespräche geführt werden müssen und mehr Außenkontakte entstehen, wiegen die Vorteile dies auf. Das Kind mit einer Behinderung ist auch eine große Chance für das gemeinsame Miteinander, und die sozialen Bezüge der Kinder untereinander werden vertieft. Rücksicht zu nehmen auf andere, kleinere, unbeholfenere Kinder wird selbstverständlicher. Selbst die jüngeren Kinder haben es leichter, sich in die Gruppe zu integrieren, weil sie nicht mehr als zu klein oder zu dumm wahrgenommen werden, sondern alle Kinder erleben, wie vieles erlernt werden kann und wie alle Kinder auf ihre eigene Weise klug und kompetent sind.
Wenn die Ängste der Eltern abgebaut sind und das Team aufeinander eingespielt ist, wird es zu einer Selbstverständlichkeit, dass dieses "besondere" Kind im Kindergarten seinen Platz hat. Eine Erzieherin schreibt dazu: "Letztendlich haben bis jetzt alle Beteiligten, Kinder, Fachkräfte, Eltern, das behinderte Kind, durch diese noch besondere Situation in einem Regelkindergarten viel Neues erlebt, gesehen, gelernt, vieles anders, positiver zu betrachten. Ich empfehle diesen Integrationsversuch immer wieder auszuprobieren, damit es in Zukunft nicht bei 'besonderen Versuchen' bleiben muss!"
5.5 Feste Einbindung des Kindes in die Arbeit
Wenn eine Einrichtung ein behindertes Kind betreut hat und dieses in eine integrative Schulklasse entlassen kann, hat sie ein großes Stück Gesellschaftserziehung geleistet. Behinderte Menschen werden so nicht mehr zu Außenseitern der Gesellschaft, sondern gehören selbstverständlich dazu - wie alte Menschen, kleine Kinder, ausländische Mitbürger oder ganz normale Menschen mit ihren normalen Behinderungen. Verschieden zu sein heißt nun nicht mehr, anders, fremd, angstmachend zu wirken, sondern macht neugierig auf neue Erfahrungen, auf Fragen, auf einander Zugehen.
Damit dies gelingt, ist der erste Schritt erforderlich - wie es in einer Fachzeitschrift heißt: Neue Wege entstehen erst beim Gehen! Möchten sich doch viele Einrichtungen entschließen, diesen Schritt zu wagen.
Ausblick
Gelungene Integration in einer Tageseinrichtung ist sowohl für die betroffenen Eltern als auch für das behinderte Kind der erste Schritt in ein "normales" Leben. Leider ist diese "Straße" oft unvermittelt zu Ende, wenn das Kind in die Schule kommt. Die Schule mit ihrem Lehrplan, der für alle gilt, und in der man auch sitzen bleiben kann und Noten bekommt, verhindert die Integration stärker, als dies in den Kindertageseinrichtungen der Fall sein mag.
Glücklicherweise gibt es auch da gelungene Beispiele, die ermutigen können. Ein Kampf bleibt es dennoch für die Eltern behinderter Kinder, sich immer wieder mit Behörden, Institutionen und vielen ängstlichen Mitbürgern auseinandersetzen zu müssen, um ihrem Kind die bestmöglichen Chancen auf ein Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Wir, die Professionellen, müssen ihnen dabei zur Seite stehen, dass es nicht nur solchen Eltern möglich wird, ihr Kind in Integrationsmaßnahmen zu bringen, die sich auskennen, sich sprachlich artikulieren können, die über notwendige Informationen und Kontakte verfügen.
Die Ausbildung der ErzieherInnen ermöglicht teilweise solche Hilfestellungen. Man kann sie sich aber auch durch den Kontakt mit den entsprechenden Fachdiensten aneignen. Manche Veröffentlichungen helfen ErzieherInnen und Eltern dabei, Adressen ausfindig zu machen, Kontakte zwischen betroffenen Eltern zu knüpfen und sich so in der noch unsicheren Rechtslage zurechtzufinden - zugunsten des behinderten Kindes und aller so verschiedenen Menschenkinder.
6. Literatur
Biewer, G.: Vom Integrationsmodell für Behinderte zur Schule für alle Kinder, Luchterhand 2001, Neuwied
Ein Haus für alle Kinder, Integration in Evangelischen Tageseinrichtungen in Bayern, 2/95. Diakonisches Werk der Evang.-Luth. Kirche in Bayern e.V./ Landesverband Evangelischer Kindertagesstätten in Bayern e.V., Postfach 120320, Nürnberg
Fegert/Frühauf: Integration von Kindern mit Behinderungen, Deutsches Jugendinstitut München 1999
Flottmeyer, L./Fries, A.: Die Darstellung des Themenkreises "Körperbehinderung" in sechs ausgewählten Kinderbüchern - eine kritische Analyse. In: Rehabilitation 32 (1993), S. 107-116
Heilpädagogik im Kindergarten, Diakonisches Werk der Ev. Landeskirche in Baden e.V., Postfach 2169, Vorholzstr. 3, 76137 Karlsruhe, Tel. 0721/9349-0 , Fax 0721/9349-202
Hinz, A./Boban, I.: Integrative Berufsvorbereitung, Luchterhand 2001, Neuwied
Integration, Schriftenreihe der bayerischen GEW, Schwanthalerstraße 64, 80336 München, Tel. 089/54408-10, Fax 089-5389487
Kiebitz, Juli 2001, GEW Baden-Württemberg: Integration, Petra Kilian, S. 4-6, Lazarettstr. 10, 70182 Stuttgart
Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf. Süddeutscher Pädagogischer Verlag GmbH, Sudetenstraße, 71638 Ludwigsburg 1999
Kinder mit Behinderungen, Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) München, 5. Jahrgang, 2000, Heft 2, Prinzregentenstraße 24, 80538 München
Palmowski, W./Heuwinkel, M.: Normal bin ich nicht behindert, borgmann, Dortmund 2000
Stellungnahmen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf in Baden-Württemberg, LAG Baden-Württemberg, Postfach 45, 72584 Hülben, Paul Schiebel, Rappenberghalde 59, 72070 Tübingen, Tel./Fax 07071/41405
Tietze-Fritz, P.: Integrative Förderung in der Früherziehung, Verlag modernes Lernen 1999
Weil wir zueinander gehören! Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung im Kindergarten, Fachtagung der GEW zur Integration vom 20. April 1996, GEW, Lazarettstr. 10, 70182 Stuttgart
Weninger, B./Ginsbach, J.: Lauf, kleiner Spatz, pro juventute, Zürich 2001
In Bibliotheken und bei den angegebenen Adressen gibt es noch zahlreiche ältere Veröffentlichungen, die ich hier nicht angebe, weil sie unter Umständen nicht mehr zu erhalten sind.
Nach landeseigenen Veröffentlichungen kann bei den GEW-Geschäftsstellen oder bei den Landesverbänden der Kindertageseinrichtungen der Kirchen oder Kommunen nachgefragt werden.
Adressen
LAG, Burgstraße 61, 72764 Reutlingen, Tel. 07121/42723
Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg e.V. Eltern gegen Aussonderung von Kindern mit Behinderung, Postfach 45, 72584 Hülben, Paul Schiebel, Rappenberghalde 59, 72070 Tübingen, Tel./Fax 07071/41405
Frühförderstelle Baden-Württemberg beim Oberschulamt Stuttgart, Tel. 0711/6670-143
Arbeitskreis Kindergarten/Frühförderung, Maltesergasse 26, 69123 Heidelberg, Tel. 0621/834241
Heilpädagogischer Fachdienst für alle Ev. Kindergärten in Heidelberg: Susanne Schmidt, Karl-Ludwig-Str. 6, 69117 Heidelberg, Tel. 06221/9803-23 (Fax -033)
Gesundheitsamt Stuttgart, Abteilung Sozialdienst, Ansprechpartner für die Koordination des Integrationsverfahrens behinderter Kinder in Tageseinrichtungen, Kontakttelefon 0711/216-4772 oder 0711/216-6231
http://schule-am-weinweg.de (Medienberatungszentrum für Sehbehinderte und Blinde), info@schule-am-weinweg.de
Weitere Adressen bei den Sozialämtern, Gesundheitsämtern und Jugendämtern der jeweiligen Stadt/Kreis erfragen!