Ulrike Rebstock
In nahezu jeder Kita-Gruppe gibt es besonders gegabte chbegabte Kinder. Ihre kognitiven Fähigkeiten liegen über dem Durchschnitt, dadurch haben sie meist einen anderen Förder- und Forderbedarf als ihre Altersgenossen. In diesem Interview erklärt Ulrike Rebstock, Leiterin der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Kleine Füchse Raule-Stiftung in Wiesbaden, warum ein Augenmerk auf Hochbegabung schon in der Kita eine Rolle spielen muss.
Welche Ziele vertritt die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Stiftung Kleine Füchse für das hochbegabte Kind?
Seit der Gründung der Stiftung Kleine Füchse im Jahr 2003 ist es unser Ziel, begabte und hochbegabte Kinder früh zu erkennen und bestmöglich zu fördern. Anders als leider noch viel zu häufig angenommen, erkennen die Kinder oder ihre Eltern diese Fähigkeiten nicht von selbst. Im Gegenteil: Viele hochbegabte Jungen und Mädchen fühlen sich unter Gleichaltrigen „fehl am Platz“. Sie denken, sprechen und handeln anders – das kann dazu führen, dass sie sich abschotten, Aktivitäten in der Gruppe verweigern oder andere Verhaltensauffälligkeiten wie Vereinsamung, Trotz oder sogar Aggressionen entstehen. Aus jahrelanger Erfahrung wissen wir: Wenn eine Hochbegabung früh erkannt und schon in der Kita professionell begleitet wird, kann das ein Kind sowohl in seiner weiteren kognitiven als auch in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung immens stärken.
Welche Angebote macht die Begabungspsychologische Beratungsstelle für hochbegabte Kita-Kinder und ihre Eltern?
Die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Stiftung Kleine Füchse ist Anlaufstelle für Eltern, die bei ihrem Kind selbst eine höhere Begabung vermuten oder von außen, etwa der Kita, der Schule oder dem Kinderarzt, darauf angesprochen wurden. Das erste Beratungsgespräch findet ohne Kinder statt, hier besprechen unsere Psychologinnen mit den Eltern den bisherigen Entwicklungsverlauf seit Geburt des Kindes und aktuelle Fragen, die im Raum stehen. Eine altersgerechte Intelligenzdiagnostik kann diesem Gespräch folgen, muss aber nicht. Wir legen großen Wert darauf, einen Intelligenztest nie als Selbstzweck zu sehen! Vielmehr ist er ein Werkzeug, mit dem es besser gelingen kann, in Kooperation und Partnerschaft aller Bezugspersonen geeignete Fördermaßnahmen für ein Kind zu entwickeln. Wenn sich die Eltern für einen IQ-Test entscheiden, findet im Anschluss ein beratendes Auswertungsgespräch statt und die Familien erhalten ein ausführliches Gutachten mit Empfehlungen für geeignete Fördermaßnahmen.
Zu vielen Familien unserer „kleinen Füchse“ haben wir auch Jahre nach der Testung noch Kontakt. In unseren Eltern-Netzwerk-Treffen können sie sich mit anderen austauschen – auch die konkrete Möglichkeit für hochbegabte Jungen und Mädchen, sich mit „Gleichgesinnten“ zu treffen, ist nicht zu unterschätzen.
Darüber hinaus bieten wir als unmittelbare Reaktion auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie seit diesem Jahr auch Web-Dialoge an, zu denen wir alle interessierten Eltern einladen, etwas über die verschiedenen Aspekte frühkindlicher Hochbegabung zu erfahren. Die nächsten Termine finden am 10. November und am 9. Dezember 2020 zu den Themen „Wenn hochbegabte Kinder trauern“ und „Wohin mit der Wut? oder: Die Kunst, am Boden zu bleiben“ (Anmeldung unter: https://www.stiftung-kleine-fuechse.de/web-dialoge-fuer-eltern)
Welche Erfahrungen haben Eltern hochbegabter Kinder mit Kitas gemacht?
Das kommt ganz darauf an, welchen Stellenwert das Thema Hochbegabung im pädagogischen Konzept der jeweiligen Kita hat. In der Erzieher-Ausbildung wird ihm fatalerweise kaum Beachtung geschenkt. Haben sich die Erzieherinnen und Erzieher einer Einrichtung nicht an anderer Stelle mit kindlicher Hochbegabung beschäftigt, stoßen Eltern oftmals auf taube Ohren, wenn sie eine entsprechende Vermutung äußern. Die Kinder entwickeln dann möglicherweise die oben beschriebenen Verhaltensweisen, langweilen sich und stören. Darüber hinaus schadet es der Erziehungspartnerschaft, wenn eine vermutete Hochbegabung nicht professionell und mit den passenden Argumenten besprochen werden kann.
Genau aus diesem Grund haben wir als Stiftung zusammen mit unserem Wissenschaftlichen Beirat ein differenziertes Fortbildungsangebot entwickelt, das die Förderung begabter und hochbegabter Kinder fest in der frühkindlichen Pädagogik verankert. Hochbegabung muss in jeder Kita eine Rolle spielen! Mehr als 800 pädagogische Fachkräfte haben seit 2006 daran bereits teilgenommen.
Welche Konsequenzen für die pädagogische Arbeit in Kitas ergeben sich Ihres Erachtens aus diesen Erfahrungen?
Wie gesagt: Hochbegabung muss bereits in der Kita eine Rolle spielen. Kinder entwickeln sich am besten, wenn man ihnen von Anfang an mit einer stärkenorientierten Haltung begegnet. Gerade hochbegabte Kinder werden in der Kita leider viel zu oft „gebremst“ und können weder ihren Wissensdurst stillen noch ihre Fähigkeiten voll entfalten. Das Ziel der Stiftung Kleine Füchse ist es, möglichst viele Erzieherinnen und Erzieher so fortzubilden, dass sie die Bedürfnisse begabter Kinder sehen und integrativ fördern können. Dazu bieten wir aktuell zwei Formate an: berufsbegleitende Zertifikatskurse und Tages-Seminare. Beide richten sich an pädagogische Fachkräfte in ganz Deutschland und können sowohl vor Ort bei uns in Wiesbaden als auch online durchgeführt werden.
Der Zertifikatskurs setzt auf die starke Verbindung von Theorie und Praxis – wir wollen, dass die Teilnehmer unmittelbar im Arbeitsalltag von der Fortbildung profitieren und dass ihr Wissen direkt bei den Kindern ankommt.
Themen des Zertifikatskurses sind:
- Psychologische Grundlagen zum Thema Begabung und Hochbegabung – Definition und Merkmale
- Begabung im kindlichen Entwicklungsverlauf
- Besonderheiten bei hochbegabten Mädchen und Jungen
- Hochbegabte Kinder mit Migrationshintergrund
- Begabungen beobachten – mit umfangreicher Praxisaufgabe!
- Differentialdiagnostik bei hochbegabten Kindern
- Verwechslungsgefahren und Begleitsymptome bei Hochbegabung
- Fördermöglichkeiten, Lernumwelten und Projekte für begabte und hochbegabte Kinder – mit umfangreicher Praxisaufgabe!
- Denkspiele, Gedankenspiele, Lernspiele: hochbegabte Kinder spielen gerne anders
- Übergänge von der Krippe in den Kindergarten und vom Kindergarten in die Schule
- Erziehungspartnerschaft und Beratung – mit Eltern über Hochbegabung sprechen
Nach bestandener Prüfung erhalten die Teilnehmer das Zertifikat „Begabungspädagogische Fachkraft Stiftung Kleine Füchse“.
Unsere Tages-Seminare eignen sich als Einstieg in das Thema „frühkindliche Hochbegabung“ sowohl für Mitarbeiter pädagogischer Einrichtungen als auch für Führungskräfte und Kita-Leitungen. Die Weiterbildung umfasst folgende Themen:
- Psychologische Grundlagen – was ist Hochbegabung und wie äußert sie sich bei Kindern?
- Hochbegabte Kinder in der Kita – was brauchen sie?
- Integrative begabungsgerechte Förderung – wie gelingt sie?
- Die Rahmenbedingungen – wie schaffe ich passende Lern- und Spielumgebungen?
Wie müsste die Zusammenarbeit zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern verändert werden, um der besonderen Situation hochbegabter Kinder besser gerecht zu werden?
Die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern „kleiner Füchse“ ist intensiver und für beide Seiten meist auch anstrengender als üblich, das darf man nicht verleugnen. Es ist wichtig, dass Gespräche in kurzen Abständen stattfinden und die Kommunikation immer transparent ist. Auf keinen Fall sollten Pädagogen die Eltern „zwischen Tür und Angel“ auf eine mögliche Hochbegabung ansprechen. Ist ein passender Termin gefunden, gilt:
- Anschaulich und anhand konkreter Verhaltensbeispiele berichten, welche Besonderheiten bei dem Kind auffallen und warum diese aus pädagogischer Sicht Zeichen für eine Hochbegabung sein können
- Die Eltern ermutigen, selbst von Verhaltensweisen zuhause zu berichten, die ebenfalls in diese Richtung deuten
- Immer stärkenorientiert bleiben! Die Eltern sollen nicht das Gefühl bekommen, dass sie ein „Problemkind“ haben. Wenn die Eltern positiv aus dem Gespräch gehen, wird sich das auch positiv auf ihr Kind auswirken
- Erklären, welche Schritte nun folgen können: eine Beratung bei einem Psychologen, eine Intelligenzdiagnostik, die Sicherheit geben kann, und eine spezielle Förderung in der Kita, die das Kind dabei unterstützt, seine Stärken kennen und schätzen zu lernen
Können sich pädagogische Fachkräfte in Kitas grundsätzlich an die Begabungspsychologische Beratungsstelle wenden, wenn sie sich z.B. unsicher sind, ob ein Kind hochbegabt ist oder wie sie es besser fördern können?
Die Entscheidung für oder gegen eine psychologische Beratung bzw. eine Intelligenzdiagnostik bei einem Kind liegt immer bei den Eltern. Wir hören allerdings oft von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen unserer Fortbildung, dass sie hier das nötige Wissen erlangen konnten, um mit den Eltern besser über eine mögliche Hochbegabung zu sprechen. Oftmals begleiten die pädagogischen Fachkräfte die Familien durch den gesamten Prozess. Bei Unsicherheiten zur richtigen Förderung sind unsere vorher beschriebenen Fortbildungen die beste Grundlage. Darüber hinaus laden wir unsere Absolventinnen regelmäßig zu Pädagogischen Foren ein, bei denen sie ihr Wissen noch erweitern und sich mit anderen Erzieherinnen und Erziehern über ganz konkrete Situationen und Lösungswege austauschen können.
Weitere Informationen zur Arbeit der Stiftung Kleine Füchse, Kontaktdaten zur Begabungspsychologischen Beratungsstelle sowie Anmeldeformulare für unsere Fortbildungsreihen und Seminare finden Sie unter www.stiftung-kleine-fuechse.de.