Aus: BMW Group (Hrsg.): Kleine Kinder - Große Begabung. Hoch begabte Kinder erkennen und fördern. Möglichkeiten und Grenzen des Kindergartens. München: BMW Group 2000, S. 25-37
Franz J. Mönks
Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit der systematischen Erforschung von Veränderungs- und Umformungsprozessen in den Motiven und den Verhaltensweisen von Menschen. Sie will wissen, welche Verläufe kontinuierlich bzw. diskontinuierlich sind und unter welchen Bedingungen. Verhaltensveränderungen ereignen sich über die gesamte Lebensspanne. Die Entwicklungspsychologie will vor allem erforschen, welche Zusammenhänge zwischen Bedingungsfaktoren - genetischer oder sozialer Art - und dem tatsächlichen Verhalten eines Menschen bestehen. Veränderungsprozesse sind die Folge von Interaktionen des Individuums mit seiner Umgebung, d.h. dass Entwicklung immer zweiseitig bestimmt ist, von der Natur (Anlage) und der Umgebung. Die verhaltensgenetische Forschung (behavioral genetics) hat nachgewiesen (Thompson & Plomin, 2000), dass menschliche Entwicklung zwar in hohem Maße von der Umgebung mitgeprägt wird, dass aber das genetische Potential aktiv nach Umgebungen "sucht", die zu diesem Potential (Genotypus) passen. So suchen wir beispielsweise Freunde und Freizeitaktivitäten, die mit unseren eigenen Neigungen übereinstimmen. Unter Einbeziehung dieser Gesichtspunkte definieren wir psychische Entwicklung wie folgt:
"Psychische Entwicklung ist ein dynamischer und lebenslanger Prozess. Die Interaktionen (Wechselwirkungen) zwischen individuellen Anlagen und sozialer Umgebung bestimmen, welches Verhalten (Handeln) und welche Verhaltens- bzw. Handlungsmotive geweckt und manifestiert werden. Das Kalenderalter ist hierbei keine unabhängige Variable, sondern als Zeitdimension ein Rahmen für das Ordnen der Entwicklungsdaten" (Mönks & Knoers, 1996, S. 14).
Das Kalenderalter ist als soziale Richtschnur gerade für hoch begabte Kinder oft ein Entwicklungshindernis. Bereits 1936 kritisierte der niederländische Psychologe Luning Prak den normativen Gebrauch des Kalenderalters. Unter dem Stichwort "der Wahnsinn des Kalenderalters" prangert er die dogmatisierte Anwendung des Kalenderalters an. Gerade intellektuell hoch begabte Kinder seien auf Grund ihres Entwicklungsvorsprunges nicht nach chronologischem Alter einzuteilen. Seit eh und je ist das Kalenderalter oft das einzige Kriterium für die Einschulung in die Grundschule. Intellektuell frühreife Kinder "dürfen" erst ab sechs Jahren zur Grundschule zugelassen werden. Das ist eine Tatsache, die nahezu weltweit Gültigkeit hat. Warum sollen Schulgesetze, die sich am Durchschnitt orientieren, auch für Kinder gelten, die einen deutlichen Entwicklungsvorsprung haben?
Jedes Individuum lebt in einer je spezifischen Epoche, in einer bestimmten sozial-kulturellen Umgebung, in einer gegebenen Familienkonstellation. All diese und noch viele andere Umgebungsvariablen können die individuelle Entwicklung im positiven, aber auch im negativen Sinne beeinflussen. So ist im Grunde die Kreativität und Anstrengungsbereitschaft von Eltern und anderen Erziehern oft entscheidend dafür, ob sich beispielsweise ein musikalisch oder intellektuell hoch begabtes Kind so entwickelt, dass es entsprechende Leistungen (Leistungsexzellenz) zustande bringt. Eltern müssen gute Lehrer finden, geeignete Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung stellen, und sie müssen vor allem das Kind so erziehen, dass es motiviert bleibt, sich anzustrengen und Leistungen zu erbringen. Entscheidend ist nämlich, dass das Kind von sich aus keine Anstrengungen scheut und auch Entbehrungen nicht aus dem Wege geht. Hier liegt der Kern für die intrinsische Motivation: die Anstrengungsbereitschaft entsteht nicht aus Zwang, sondern aus Freude, d.h. ein Ziel wird nachgestrebt, weil man die Verwirklichung gerne erreichen will. Diese Zielerreichung muss dann oft gegen Widerstände oder entgegen ungünstigen Bedingungen durchgesetzt werden. Wenn das Motiv innerlich stark genug ist, sind Ziele auch erreichbar. Jede Begabung braucht fördernde und stimulierende Entwicklungshilfe! Diese allgemeine Feststellung stimmt natürlich immer und für alle Kinder. Die Frage, die hier jedoch im Hinblick auf begabte Kinder auftaucht ist: haben sie - verglichen mit durchschnittlich begabten Kindern - andere sozial-emotionale Bedürfnisse und wie können Erzieher diesen Entwicklungsbedürfnissen in befriedigender Weise entgegenkommen?
Einige Aspekte der kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern
In der Entwicklungspsychologie unterscheidet man im Allgemeinen zwischen Persönlichkeitsentwicklung, sowie kognitiver und sozialer Entwicklung. Die Persönlichkeit eines Menschen wird oft als das verbale, kognitive und emotionale Verhalten in einem sozialen Kontext betrachtet. Es ist möglich, einen Unterschied zwischen sozialer und kognitiver Entwicklung zu machen, aber es ist nicht möglich, sie voneinander zu trennen. Die kognitive Entwicklung hat in der kindlichen Entwicklung einen zentralen Stellenwert im Hinblick auf die soziale Entwicklung. Ein gutes Beispiel ist hier das erste Bindungsverhalten des Neugeborenen. Bindungsbeziehung und Bindungssicherheit (attachment) als erster sozialer Bezug im Kleinkindalter ist grundlegend für die weitere sozial-emotionale Entwicklung eines Menschen (s. Themenheft "Bindung", Psychologie in Erziehung und Unterricht, 3, 47. Jg., 2000). Für die Entwicklung des Bindungsverhaltens muss das Kind in der Lage sein, das Gesicht seiner Mutter (oder einer anderen Sorgeperson) von anderen Gesichtern zu unterscheiden (to discriminate) und gleichzeitig muss das Kind dazu fähig sein, die Mutter wieder zu erkennen (to recognise) als dieselbe Person, die sie gestern und an vielen anderen Tagen vorher gesehen hat.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass die kognitive Entwicklung im Bereich des Unterscheidens und Wiedererkennens (discrimination and recognition) nicht die Ursache der sozial-emotionalen Entwicklung bildet, sondern eine notwendige Voraussetzung ist. Es gibt viele direkte Verbindungen zwischen kognitiven Fähigkeiten und der sozialen und emotionalen Entwicklung des Kindes. Das bedeutet, dass der Sozialumgang eines Kindes durch seine kognitiven Fähigkeiten eingeengt oder erweitert wird. Hochbegabte Kinder mit einem kognitiven Entwicklungsvorsprung werden in ihrem sozialen und emotionalen Verhalten "anders" sein als Normalentwickler. Wissenschaftliche Forschungsdaten diesbezüglich gibt es kaum.
Die Forschungsliteratur belegt, dass Neugeborene sich von Anfang an in mindestens drei Verhaltensgebieten voneinander unterscheiden: Aktivitätsniveau, Reizbarkeit (Irritabilität) und Responsivität (Bee, 1995). Forschungsdaten belegen immer wieder, dass in diesen Verhaltensgebieten bereits früh Persönlichkeitsunterschiede bei Neugeborenen festgestellt werden können. Es gibt allerdings keine gesicherten Forschungsergebnisse, ob und inwiefern sich hoch begabte Neugeborene in dieser Hinsicht anders verhalten.
Viele Einzelfallstudien und Mitteilungen von Eltern im Hinblick auf das frühe Verhalten hoch begabter Kinder stimmen weitgehend darin überein, dass diese Kinder ein hohes Aktivitätsniveau zeigen und in erhöhtem Maße reizbar sind. Auffallend ist jedoch, dass Reizbarkeit nicht in allen Berichten über hoch begabte Neugeborene erwähnt wird. Unter erhöhter gegenüber geringer Reizbarkeit wird Folgendes verstanden: manche Neugeborene sind nervöse Schreihälse, andere wiederum nicht; manche Babys sind unruhige Schläfer und scheinen keine Zeit zum Schlafen zu haben, andere dagegen sind ausgezeichnete Schläfer; manche Babys sind fortwährend damit beschäftigt, die Umgebung zu "erkunden", andere verhalten sich so, als ob die Umgebung sie nicht interessiere.
Dieses wechselhafte Verhaltensbild macht deutlich, dass es schwierig ist, "gesicherte" und feststehende Verhaltensbilder von begabten Kleinkindern zu zeichnen. Als feststehende Tatsache gilt jedoch, dass es für die sozial-emotionale Entwicklung eines jeden Kindes äußerst wichtig ist, dass Erzieher und Eltern von früh an "richtig" eingehen auf die individuellen Persönlichkeitsmerkmale von Kindern. Insbesondere im Umgang mit begabten Kindern ist das keine leichte Aufgabe, weil sie oft Energiebündel sind, die nicht müde werden, eindringliche Fragen zu stellen. Die Frage, die sich hieraus ergibt lautet: wie können wir die charakteristischen (kognitiven) besonderen Fähigkeiten von hoch begabten Kindern erkennen und welche Erziehungs- oder Umgangsprobleme können hieraus entstehen. So kann ein hohes Energie- und Aktivitätsniveau beim Neugeborenen die größten Erziehungsschwierigkeiten erzeugen, wenn Eltern unfähig sind, mit dieser individuellen Eigenart umzugehen. Wenn Eltern unfähig oder unwillig sind, den spezifischen Entwicklungsbedürfnissen eines solchen Kindes entgegenzukommen, kann das Kind "erziehungsschwierig" werden oder es kann sich zu einem unsicheren und unselbständigen Individuum entwickeln.
Der amerikanische Psychologe Webb (1993) hat versucht, die charakteristischen Verhaltensmerkmale von hoch begabten Kindern und die sich möglich daraus ergebenden Verhaltensauffälligkeiten systematisch darzustellen (siehe Tabelle 1). Hier werden nur die Verhaltensmerkmale aufgeführt, sofern sie zutreffend sind für Kleinkinder.
Tabelle 1: Übersicht über charakteristische (kognitive) Verhaltensmerkmale bei hoch begabten Kindern und möglich daraus entstehenden Verhaltensauffälligkeiten (Bearbeitung nach Webb, 1993, S. 528)
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Verhaltensmerkmale |
Mögliche Verhaltensprobleme |
1 |
Schnelle Informationsaufnahme und -verarbeitung. |
Wird ungeduldig, wenn andere langsamer sind; Wiederholung wird abgelehnt. |
2 |
Forschendes Verhalten und intellektuelle Neugier; intrinsische Motivation; der Sache auf den Grund gehen. |
Dickköpfig; widersetzt sich Vorschriften; scheint unzählbare Interessen zu haben; erwartet Ähnliches von andern. |
3 |
Es macht Spaß, Probleme zu lösen und intellektuell aktiv zu sein. |
Details werden für unwichtig gehalten; sieht den Sinn von Übung und Wiederholung nicht ein. |
4 |
Ordnet und strukturiert gerne Menschen und Dinge: Neigung zum Systematisieren. |
Wird erfahren als dirigistisch, dominant oder unwirsch. |
5 |
Großer Wortschatz und kann gut formulieren; großes Wissen über verschiedene Sachgebiete. |
Gebraucht verbales Talent, um unangenehmen Situationen aus dem Wege zu gehen; Schule und Altersgenossen werden als langweilig erfahren; wird von anderen als "Besserwisser" gesehen. |
6 |
Kreativ und erfinderisch; liebt es, Dinge "ganz anders" zu tun. |
Was schon bekannt ist, braucht nicht aufs Neue getan zu werden; andere erfahren dies als unangepasstes und negatives Verhalten. |
7 |
Sehr intensive Konzentration; große Aufmerksamkeitsspanne für Gebiete, die als interessant erfahren werden; zielgerichtetes Verhalten und Ausdauer. |
Duldet keine Unterbrechung; in Perioden mit erhöhter Aufgabenzuwendung werden Pflichten und Menschen vernachlässigt; wird als dickköpfig erfahren. |
8 |
Empfindlich und großes Einfühlungsvermögen; verlangt danach, von anderen akzeptiert zu werden. |
Empfindlich gegenüber Kritik und Abweisung durch Altersgenossen; Verlangen nach Anerkennung; Gefühl der Verfremdung, "anders zu sein". |
9 |
Hohes Maß an Energie, Aufmerksamkeit und Aktivitätsdrang; Perioden mit extrem hoher Anspannung. |
Nichtstun, Inaktivität führt zu Frustration; Aktivitätsdrang kann andere stören; kann als hyperaktiv und dadurch störend erfahren werden, fortwährende Suche nach neuen Anregungen. |
10 |
Hohes Maß an Selbstständigkeit; bevorzugt individuelles Arbeiten; großes Selbstvertrauen. |
Kann Anregungen von Seiten der Eltern als "unnötig" abweisen; legt unkonventionelles Verhalten an den Tag. |
11 |
Viel Sinn für Humor. |
Erkennt die Absurditäten von Situationen; Humor wird oft nicht von Erwachsenen und anderen Kindern im Kindergarten als solcher erkannt; kann möglicherweise zum Klassenclown werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. |
Nochmals sei betont, dass bestimmte Verhaltensweisen hoch begabter Individuen zu problematischen Sozialbezügen führen können, es ist keine notwendige Folge. Da jedoch die genannten Verhaltensmerkmale in verstärktem Maße bei hoch begabten Kindern anwesend sind, ist die Wahrscheinlichkeit von Störverhalten auch eher gegeben.
Webb (1993) hat wie viele andere auch versucht, endogen bestimmte Kerneigenschaften von hoch begabten Kindern darzustellen. Nachfolgende fünf Merkmale werden immer wieder genannt.
- Lernbegierde: der innere Antrieb nach Wissen; ausgeprägtes Erkenntnisstreben.
- Perfektionismus: der Drang, alles genau und vollständig wissen zu wollen; eine Arbeit muss bis ins kleinste Detail stimmen.
- Kreativität: die Fähigkeit, neue und verschiedenartige Lösungswege zu entdecken und anzuwenden.
- Persönliches Engagement: emotionale Bezogenheit, starke Gefühle der Empathie; sich ganz für eine Sache einsetzen wollen.
- Idealismus: stark entwickeltes moralisches Empfinden; das Wohlergehen menschlichen Daseins verlangt persönlichen Einsatz. Dieses Verhaltensmerkmal tritt mehr im Jugendalter in den Vordergrund.
Die ersten vier genannten Kerneigenschaften sind schon bei Kleinkindern wahrnehmbar. Die dargestellten Kerneigenschaften sind inter- und intraindividuell verschieden stark ausgeprägt. Ein treffendes Beispiel für die 2. und 4. Verhaltenseigenschaft ist das Kindergartenkind Jutta. Mit vier Jahren war sie Zeuge, wie eine Katze im Straßenverkehr getötet wurde. Tagelang wollte sie alles über Tod und Leben wissen. Sie ließ nicht locker, bis dass sie zu dem Schluss kam: was ist der Sinn meines Lebens und als Folge davon hatte sie Todeswünsche (s. Mönks & Ypenburg, 2000, S. 61f.). Hochbegabte Kleinkinder haben oft ein sehr stark ausgeprägtes Mitempfinden und können auch so folgerichtig denken, dass Eltern - wie im Falle von Jutta - zutiefst erschrecken und Hilfe von Fachleuten suchen.
Viele Eltern machen auch die Erfahrung, dass das Merkmal Kreativität in Zusammenhang mit starkem persönlichem Engagement dazu führen kann, dass hoch begabte Kinder oft unrealistisch hohe Ansprüche an sich selber stellen. Ein zu hohes Anspruchsniveau kann für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung schädlich sein. Dennoch ist es wichtig, dass gerade im Kleinkind- und Kindergartenalter die Kreativität des Kindes nicht eingeengt wird. Eine gute Anleitung bietet in dieser Hinsicht das Buch Was in Kindern alles steckt (Becker-Textor, 1997).
Beobachtungen bei hoch begabten Kleinkindern
Wie mehrfach betont wurde, gibt es gerade für hoch begabte Kleinkinder kaum gesicherte entwicklungspsychologische Forschungsdaten. Im Nachfolgenden werden Beobachtungsdaten wiedergegeben, die wir im Laufe der Jahre sammeln konnten. Es handelt sich um neun Verhaltensgebiete. Sätze in Anführungszeichen, sind wörtliche Aussagen von Kindern.
1) Motorische Entwicklung:
- können oft schon im Alter von weniger als 10 Monaten laufen;
- frühzeitige Entwicklung der Feinmotorik: blättern bereits vor dem Alter von 10 Monaten vorsichtig die Seiten von einem Buch mit Daumen und Zeigefinger um (charakteristisch für das Alter von 18 Monaten);
- hohes Energieniveau;
- etwa 20% der hoch begabten Kleinkinder benötigen weniger Schlaf, während rund 20% Langschläfer sind und etwa 60% sind normale Schläfer.
2) Realistisches Selbstkonzept:
- Im Alter von ungefähr drei Jahren kennen sie schon die Stärken und Schwächen ihrer Leistungsfähigkeit.
- Sie setzen ihre eigenen Fähigkeiten in Beziehung zu anderen Kindern und erkennen die Unterschiede.
- Sie beschäftigen sich schon sehr früh mit ihrer eigenen Identität, setzen sich mit ihr auseinander, was normalerweise eine zentrale Frage im Jugendalter ist.
3) Produktives/unabhängiges Denken:
- Es sind schon sehr früh Indikatoren für unabhängiges Denken erkennbar (geradlinig, keine Wiederkäuer).
- Das Denken ist logisch-fortschreitend und intuitiv.
- Die personelle und physikalische Umgebung wird in Kategorien eingeteilt. Sie äußern spontan ihre Zuneigung und Abneigung: Sie fühlen sich zu bestimmten Menschen, die sie kaum kennen, hingezogen; andere hingegen mögen sie nicht. Schon im Alter von vier Monaten verfügen die Kinder über Kategorien von Farben und Formen, mit weniger als 1 Jahr haben sie eine Vorstellung von Tag, Nacht und Licht ("Lampen geben Licht").
- Sie reflektieren schnell über ihre Umgebung und habituieren sie. Sie verfügen über ein hohes Maß an aufgebautem Wissen über ihre personelle und physikalische Umwelt.
- Das Wissen um ursächliche Beziehungen ist schon in der präverbalen Periode vorhanden, z.B. die Beziehung zwischen Schalter und elektrischem Licht; mit 1 ½ Jahren ist die Beziehung zwischen Handschuhen und ihrer Funktion bekannt: Schutz vor Kälte.
- Oft können die Kinder sehr früh lesen und/oder zeigen eine frühe arithmetische (nicht immer) - intellektuelle Neugier.
4) Metakognition (Fähigkeit, über eigenes Denken zu reflektieren, Bewusstheit und Kontrolle kognitiver Prozesse):
- Im Alter von drei Jahren sind die Kinder fähig, über ihr eigenes Denken zu reflektieren (Kind: "Ich kann denken".).
- Im Alter zwischen drei und vier Jahren verfügen sie über Konzepte was "alt" und "jung" ist. Sie setzen das in Beziehung zu physischem Stärke und kommen zu dem Schluss, dass der Gipfel der physischen Stärke in der Mitte des Lebens (Erwachsenenalter) liegt.
- Sie erleben bewusst, dass Prozesse kontinuierlich ablaufen. (Konzept der Kontinuität).
5) Rollenübernahme/Empathie (Fähigkeit, sich in Motive, Gefühle und das Verhalten anderer Personen hineinzuversetzen):
- Es wird unterschieden zwischen perzeptiver, begrifflicher und emotional/ motivationaler Rollenübernahme.
- Sie sind schon im zweiten Lebensjahr dazu fähig, die Rolle anderer Personen/Tiere/Objekte zu übernehmen. ("Der Hund bellt, weil er nicht mag, an der Leine gehalten zu werden."; "Die Puppe träumt gerade von angsteinjagenden Tieren.")
6) Persönlichkeit:
- Hochbegabte Kinder sind selten übertrieben geschäftig und konfus.
- Sie haben Humor.
- Sie vertreten ihren eigenen Standpunkt, sind beharrlich und haben Mühe, sich der Meinung anderer anzuschließen.
- Von einem Moment zum anderen können sie sehr erwachsen wirken und plötzlich in eine typisch kindliche schlechte Laune verfallen.
7) Erforschen und Erkunden:
- verbunden mit Aufmerksamkeit und Wachheit: alles sehen wollen, Geräuschen folgen, Interesse an klassischer Musik, hoher Grad an Neugier.
- erforschen mehr und gründlicher als gewöhnlich.
- fähig, verschiedene Signale zur selben Zeit aufzunehmen.
8) Aufgabenkonzentration/Motivation:
- hohes Maß an Konzentration.
- sehr interessiert und konzentriert, wenn neues Spielzug angeboten wird (gutes Spielgut hat möglichst wenig Bestandteile und möglichst viele Möglichkeiten; modernes Spielzeug hat meistens ein Maximum an Bestandteilen und ein Minimum an Möglichkeiten).
9) Sprachliche Entwicklung:
- generell frühzeitiges Sprechen, reicher Wortschatz, richtiger Gebrach der Grammatik.
- verfügen oft schon im Alter von 10 Monaten über einen passiven Wortschatz von mehr als 100 Worten (normalerweise im Alter von 1 ½ - 2 Jahren).
- Die Entwicklung von Ein- zu Zwei-Wort-Sätzen beginnt früher (mit weniger als einem Jahr) und vollzieht sich schneller.
- zwei Varianten: 1. Der aktive Gebrach der Sprache beginnt früh und mit schnellem Fortschritt. 2. Der aktive Gebrauch der Sprache beginnt spät, aber dann mit vollständigen und richtigen Sätzen (Hinweis auf Perfektionismus)
10) Motorische Entwicklung:
- können oft schon im Alter von weniger als 10 Monaten laufen
- frühzeitige Entwicklung der Feinmotorik: blättern die Seiten von einem Buch mit Daumen und Zeigefinger bevor sei 10 Monaten alt sind (charakteristisch für das Alter von 18 Monaten).
- hohes Energieniveau.
- benötigt weniger Schlaf (über 20 % der begabten Kinder: 20 % schlafen lange und über 60 % sind normale Schläfer).
Zusammenfassend können wir sagen, dass im Kleinkindalter menschliches Verhalten oft grundlegend geprägt wird. Gesicherte entwicklungspsychologische Aussagen über die frühkindliche Entwicklung von hoch begabten Kindern können nur mit Einschränkung gemacht werden. Autoren, die über begabte Kinder schreiben, sind sich darin einig, dass ein hervorstechendes Merkmal dieser Kinder ein allgemeiner Entwicklungsvorsprung ist. Die bestehenden Lehrbücher der Entwicklungspsychologie vertreten allgemeine Entwicklungsverläufe, d.h. sie sind auf die "Normalentwicklung" gerichtet. Der amerikanische Entwicklungspsychologe David Feldman vertritt die Auffassung, dass für die Erforschung der Entwicklung begabter Kinder die universalen Theorien, auf die "Normalentwicklung" gerichtete, untauglich sind. Eben weil sich begabte Kinder nicht mit den "Normalmassstäben" beurteilen lassen, brauchen wir eine nicht-universale Theorie, eine Theorie, die sich auf die Einzigartigkeit eines Individuums richtet (Feldman, 2000). Deutlich ist, das gerade im Hinblick auf die Entwicklung begabter und talentierter Kinder ein großer Forschungsbedarf besteht. Die in diesem Artikel wiedergegebenen Beobachtungsdaten, können wichtige Ausgangshilfe leisten.
Literatur
Becker-Textor, I. (1997). Was in Kindern alles steckt. Freiburg i.Br.: Herder.
Bee, H. (1994). Lifespan Development. New York: Harper Collins.
Feldman, D.F. (2000). Developmental Theory and the Expression of Gifts and Talents. In C.F.M. van Lieshout & P.G. Heymans (Eds.), Developing Talent Across the Life Span: A Festschrift for Franz Mönks. Hove, UK: Psychology Press.
Mönks, F.J. & Knoers, A.M.P. (1996). Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. München: Reinhardt.
Mönks, F.J. & Ypenburg, I.H. (2000). Unser Kind ist hoch begabt. München: Reinhardt.
Thompson, L.A. & Plomin, R. (2000). Genetic Tools for Exploring Individual Differences in Intelligence. In K.A. Heller, F.J. Mönks, R.J. Sternberg & R.F. Subotnik (Eds.), International Handbook of Giftedness and Talent. Oxford: Pergamon Press.
Webb, J.T. (1993). Nurturing Social-Emotional Development of Gifted Children. In K.A. Heller, F.J. Mönks & A.H. Passow (Eds.), International Handbook of Research and Development of Giftedness and Talent. Oxford: Pergamon Press.