Gruppenbeobachtung und Soziogramm - Teil 5

Kerstin Paulussen

Im Gegensatz zu Einzelbeobachtungen richtet sich die Gruppenbeobachtung weniger auf das Verhalten und den Entwicklungsstand einzelner Personen als vielmehr auf das Agieren und Interagieren einzelner Personen innerhalb einer Gruppe und zu anderen Gruppen, als auch das der Gruppen zueinander.

Es geht hier weniger darum festzustellen, welchen Bedarf die einzelne Person für sich und ihre Entwicklung in den jeweiligen Entwicklungsbereichen hat, als vielmehr darum festzustellen, was in der Gesamtgruppe los. Wie viele und welche Gruppen gibt es? In welcher Gruppenphase befindet sich die jeweilige Gruppe? Welche Bedarfe haben die Sub-Gruppen? Welche Sub-Gruppen bilden sich gerade? Welche nehmen derzeit einen (un-)günstigen Verlauf.

Nachrangig ist es dann auch relevant, wer ist wann in welcher Gruppe aktiv oder in welchen Gruppen mit welcher Rolle und Position beobachtbar, akzeptiert oder weniger akzeptiert. Ist er oder sie in wenigen Gruppen aktiv bzw. möglicherweise keiner Gruppe zugehörig. Wer ist gut integriert und wer braucht ein anderes Angebot und/ oder Unterstützung.

Datenerhebung

Um zu darstellbaren Ergebnissen zu kommen, werden Daten gerne, so die einschlägige Empfehlung, durch Fragen danach, „Wer mit wem auf eine einsame Insel gehen würde?“ und „Wer auf wessen Geburtstag eingeladen werden soll?“, erhoben.

Die von Kindern gegebenen Antworten auf diese Fragen sind aufgrund der fehlenden Voraussicht und des fehlenden Abstraktionsvermögens[1] wenig aussagekräftig. Darüber hinaus stellen diese Fragen und die erhaltenen Antworten eine Einflussnahme auf die sozialen Beziehungen in der Gruppe dar und sind möglicherweise auch noch stigmatisierend.[2]

Aus diesem Grund sollte auf dieses vielfach propagierte Verfahren zur Datenerhebung verzichtet werden. Vielmehr können über erprobte Beobachtungsverfahren, Zählraster zum Beispiel, die sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegt sein können, Kontakte zu anderen Personen erfasst und dokumentiert werden.

Vorbereitend sollten zunächst die Kerndaten der Gesamtgruppenmitglieder in einer Übersichtstabelle erfasst werden, differenziert nach formellen und informellen Gruppen, Geschlecht, Alter. Weitere relevante und ggf. einer Fragestellung folgende Merkmale können ergänzend in die Tabelle eingetragen werden (z.B. Ankunftszeit in der Kita). 

Soziogramm

Klassischerweise werden Gruppenbeobachtungen mit einem Soziogramm[3] dargestellt. Das Soziogramm wurde von Jacob Levi Moreno entwickelt und dient zur übersichtlichen und schematischen Darstellung der Art und Qualität von sozialen Beziehungen einzelnen Personen in Gruppen.

Zur Darstellung von sozialen Beziehungen in Gruppen anhand eines Soziogramms haben sich verschiedene Symbole etabliert. So wird für jede Person eine Form verwendet, für Frauen ein anderes als für Männer, Dreieck und Viereck oder Kreis haben sich durchgesetzt.

Abb. 1 Gruppenbeoachtungen mit einem Soziogramm

Mit farbigen Rändern können die formalen Gruppen kenntlich gemacht werden. Zum Beispiel rote Linien für Vorschulkinder, grüne Linien für die Mittelkinder, gelbe Linien für die neuen Kinder.

Enge soziale Beziehungen werden durch eine räumlich nahe, weniger enge soziale Beziehungen, durch räumlich entferntere Anordnungen auf dem Papier widergespiegelt. Die Art der Beziehung, Häufigkeit und Qualität wird durch Strichverbindungen und Symbole dargestellt.

Abb. 2 Soziogramm: Art der Beziehung, Häufigkeit und Qualität durch Strichverbindungen und Symbole

Soziogramme sind nicht nur Erhebungs- und Dokumentationsinstrumente, sondern auch Analyseinstrumente. So kann ermittelt werden wie viele Sub-Gruppen zur Gesamtgruppe gehören, in welcher Phase der Gruppendynamik sie sich jeweils befinden, welcher gruppenpädagogische Handlungsbedarf jeweils dort besteht und wie diesem begegnet werden könnte und sollte.

Ferner wird festgestellt welche Kinder bzw. Jugendlichen wann zusammenspielen, bzw. agieren, wie sie zusammenspielen / agieren, ob Konflikte auftauchen und welche Konflikte mit wem, worüber, wann entstehen.

Rollen und Positionen einzelner Personen werden durch die Art und Anzahl der Linien und Symbolen, die zur Person hinweisen, deutlich.

Der Kreativität sind bei der Wahl der Darstellungsart keine Grenzen gesetzt. Um eine Nachvollziehbar- und Lesbarkeit sicher zu stellen, empfiehlt es sich zu jedem Soziogramm eine Legende anzufertigen.

Soziogramme können und sollten regelmäßig zu bestimmten Anlässen und bei verschiedene Bedarfslagen angefertigt werden. Eine vergleichende Betrachtung vorheriger und aktuellerer Soziogramme machen eine Veränderung, einen Prozess deutlich.

Soziogramme anfertigen

Zur Vereinfachung des Arbeitsverfahrens können Soziogramme digital erstellt, abgespeichert und bei Bedarf um Änderungen ergänzt werden. Je nach digitaler Kenntnis lässt sich ein normales Textverarbeitungsprogramm zur Erstellung eines Sozigramms verwenden. Es gibt aber auch spezielle Programme für die Erstellung.

Sie können aber auch analog, mit ausgeschnittenen Symbolen, erstellt und durch immer wieder neue Anordnungen aktualisiert werden. Durch das Abfotografieren der Ergebnisse lassen sich analoge Verfahren digital speichern und bei Bedarf jeweils neu bearbeiten, ausdrucken und vergleichen.

Soziogramme können und sollten zu verschiedenen Tagesabschnitten, während des Frühstücks, des Nachmittags, des Gesprächskreises angefertigt werden, um spezifische Situationen in unterschiedlichen Tagesabschnitten des Gruppengeschehens zu verdeutlichen. So kann sich die Gruppensituation zu Beginn des Tagesablaufs ganz anders darstellen als auf dem Höhepunkt und/ oder bei der Auflösung. Die Bedarfe in den Situationen sind jeweils andere.

Einflüsse äußerer Gegebenheiten auf die Gruppendynamik, wie zum Beispiel die Auswirkung der Pandemieregelungen auf das Gruppengeschehen oder ein verändertes Spiel-, bzw. Sozialverhalten kann anhand vergleichender Soziogramme veranschaulicht werden.

[1] Vgl. Oerter, R. / Montada, L. (Hg.) Entwicklungspsychologie. Geistige Entwicklung aus der Sicht Piagets, Seite 518-553

[2] Vgl. labeling approach Fuchs, W., u. a.: Lexikon der Soziologie und
           Vgl. Unschärferelation nach Werner Heisenberg

           Vgl. Goffman, E.: Stigma: Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität.  Berlin: Suhrkamp Verlag 1975

[3] Vgl. Moreno, J. L.: Die Grundlage der Soziometrie. Köln: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1974, 3. Auflage

Literaturverzeichnis

Fuchs, W., u. a.: Lexikon der Soziologie. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 5. Aufl. 2011

Krenz, A.: Beobachtung und Entwicklungsdokumentation im Elementarbereich. Oberfranken: Mediengruppe, 2019

Moreno, J. L.: „Die Grundlage der Soziometrie“. Köln: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1974, 3. Auflage

Oerter, R. / Montada, L. (Hg.) Entwicklungspsychologie. Geistige Entwicklung aus der Sicht Piagets. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1998

Strätz, R.: Die Kindergartengruppe. Soziales Verhalten drei-bis fünfjähriger Kinder, Köln: Kohlhammer Verlag, 1992

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