Der Übergang vom Kindergarten in die GrundschuleGrundlagen, Lösungsansätze und Strategien für eine systemische Neustrukturierung des Schulanfangs

Tassilo Knauf und Elke Schubert

Vorlauf

Die Ergebnisse der PISA-Studie 2000 haben erneut transparent gemacht, dass das Bildungssystem in der BRD gegenüber den Bildungssystemen der anderen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften durch einen besonders hohen Grad an horizontaler und vertikaler Zersplitterung geprägt und benachteiligt ist. Heranwachsende müssen während ihrer Schullaufbahn mehrfach Selektionsschwellen überwinden, werden in Teilgruppen aufgeteilt und an den Schnittstellen des Bildungssystems gezwungen, sich auf neue Orte, Zeitsysteme, Personen, Ziele, Bildungsgrundsätze und Methoden einzustellen. Darunter leiden Effektivität und Effizienz unseres Bildungssystems, nicht zuletzt auch im Bereich von Kindergarten und Grundschule.

Ausgehend von einer näheren Betrachtung und Analyse der bestehenden Problemfelder an der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich entwickelt der vorliegende Beitrag aus einer systemischen Perspektive Lösungsansätze und Strategien für eine Neustrukturierung des Schulanfangs und die Stärkung von Bildungsprozessen, Lernkompetenz und Entwicklungspotenzialen von Kindergarten- und Grundschulkindern. Abschließend wird das von den Autoren konzipierte Modellprojekt IBA (Integrierter Bildungsauftrag von Kindergarten und Grundschule) in seinen Grundzügen vorgestellt und skizziert.

Problemlage

Für die Schnittstelle zwischen Elementarerziehung und Grundschule ergeben sich aus der kritischen Auswertung der internationalen Vergleichsstudien PISA, TIMSS und IGLU sowie weiterer Untersuchungen vor allem folgende Problemsektoren:

  • eine unangemessen scharfe strukturelle, institutionelle und mentale Trennung zwischen Elementar- und Primarbereich,
  • ein Festhalten an einem traditionellen, stoffbezogenen Bildungsbegriff,
  • eine unterentwickelte, kaum Differenzierungs- und Individualisierungschancen nutzende Lernkultur,
  • ein Mangel an diagnostischer Kompetenz,
  • ein hohes Maß an Unsicherheit vieler Eltern in Hinblick auf die Möglichkeiten unterstützender Begleitung der Lern- und Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder.

Diese Problemaspekte prägen sich vor allem in der Schule aus, haben Entsprechungen aber auch im Elementarbereich.

Die strukturelle Trennung von Elementar- und Primarbereich

Als eine der zentralen Schnittstellen in der Biografie kann der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule betrachtet werden, der von den Kindern und in ihrem familialen Kontext als "Einschulung" erlebt wird. Unter Einschulung ist dabei heute weniger der Eintritt eines Kindes in den öffentlich verantworteten Bildungsbereich zu verstehen als der Wechsel vom elementarpädagogischen in den schulischen Bildungssektor (vgl. Fthenakis 2003; EKD 2004, S. 18 ff.).

Wie alle Lebensübergänge beinhaltet die Einschulung besondere Chancen, aber auch nicht zu unterschätzende Probleme und Risiken für die menschliche Entwicklung. Eine bis heute beachtete systemtheoretisch orientierte Studie aus den 1970er Jahren belegt für die Einschulung einen "strukturellen Sozialisationskonflikt" (vgl. Plake 1974; Knauf 1995, 2000, 2001, 2004b; Griebel/ Niesel 2002; Griebel 2004), dessen Effekte in der gesamten individuellen Bildungsbiografie negativ nachwirken können (vgl. u.a. Bellenberg 1999).

Ansätze zur Lösung dieses Konfliktes eröffnet der sozialökologische Systemansatz Bronfenbrenners, der auf das entwicklungsfördernde Potenzial "ökologischer Übergänge" fokussiert, das insbesondere dann gesteigert wird, "wenn die Rollenanforderungen in den verschiedenen Lebensbereichen miteinander vereinbar sind" (Bronfenbrenner 1981, S. 202) und "zwischen den Lebensbereichen indirekte Verbindungen bestehen, die gegenseitiges Vertrauen, positive Orientierung und Zielübereinstimmung fördern und Kräfteverhältnisse entstehen lassen, die durch Handlungen im Sinne der sich entwickelnden Person beeinflusst werden können" (ebd., S. 207).

Lösungen des Übergangsproblems Kindergarten-Grundschule sind schwierig, solange jede Bildungseinrichtung auf der Integrität ihres eigenen Bildungsauftrags beharrt. Ohne strukturelle Lösungen gibt es für die professionellen Akteure nur wenig Veranlassung, sich mit den Bildungszielen und pädagogischen Praktiken in Kindergarten und Grundschule so ernsthaft auseinander zu setzen, dass Anschlussfähigkeit zwischen beiden Einrichtungen für alle Kinder hergestellt wird. Für den Übergang vom Elementar- in den Primarbereich wird dies sichtbar in den bescheidenen Wirkungen der Anstöße zur Zusammenarbeit, die auf dem Erlasswege 1978/79 von den Bildungs- und Sozialverwaltungen der alten Bundesländer ausgingen. Zeitmangel, Statusprobleme, unklare Zielsetzungen und Unverbindlichkeit wurden für das Scheitern der damaligen Versuche zur Stiftung von Kooperationsbeziehungen zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschulen verantwortlich gemacht (vgl. zuletzt Knauf 2004b).

Festhalten an einem traditionellen, stoffbezogenen Bildungsbegriff

Die PISA-Studie geht davon aus, dass sich die Leistungsfähigkeit der Schule in der Entwicklung, Differenzierung und Stabilisierung von Kompetenzen dokumentiert (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001). Diese Kompetenzen konkretisieren sich als Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Sachkompetenz und Handlungskompetenz. Sie vermitteln Heranwachsenden die Voraussetzungen, um sich in einer sich verändernden Welt als Persönlichkeit weiter zu entwickeln, dabei ihre Bedürfnisse mit den Erwartungen von Gemeinschaften auszubalancieren, demokratische Teilhabe und die Gestaltung der eigenen Lebensumstände zu erproben.

Hintergrund und Auslöser für den hier zum Ausdruck kommenden Wandel vom traditionellen stoffbezogenen zum kompetenzorientierten Bildungsbegriff ist das bei der Auswertung der OECD-Studien offensichtlich gewordene pädagogische Problem des "trägen Wissens". Gemeint ist damit, das zahlreiche Lernende ihr erworbenes Wissen zwar in Prüfungen wiedergeben, jedoch nicht in neuartigen komplexen Alltags- und Lebenssituationen verwenden können. Die festgestellte ausgeprägte Dichotomie zwischen Wissen und Handeln, die auch bisherige kognitive Ansätze der Lehr-Lern-Forschung charakterisierte, erfährt bereits seit den späten 1980er Jahren im Forschungsbereich vermehrte Beachtung und wird von Vertretern des Situiertheitsansatzes aufgegeben zugunsten einer Auffassung, nach der sich Wissen "immer aus der Relation oder Interaktion zwischen einer Person und einer Situation konstituiert" (Renkl 2002, S. 596). Gefolgert wird daraus, dass "Lernen als kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren ist" (ebd.) und Lernaktivitäten neben fachlichen Aspekten insbesondere auch sozial-kulturelle Dimensionen und Prozesse der sozialen Partizipation umfassen sollten (vgl. ebd., S. 598).

Ein solcher kontext- und lebensweltbezogener Bildungsbegriff hat seine Wurzeln in der deutschen Tradition philosophischer Reflektion über Bildung, wie er sich vor zwei Jahrhunderten in Humboldts Denkmodell der Selbstbildung als Auseinandersetzung von Individuum und Welt manifestiert (vgl. Tenorth 2004, S. 110 ff.). Einen wichtigen zukunftsweisenden Beitrag zur Bildungsdiskussion hat in den letzten vier Jahrzehnten auch Wolfgang Klafki geleistet, indem er im Konzept kategorialer Bildung den materialen und formalen Bildungsbegriff miteinander verknüpfte und später (1999) folgerichtig eine wechselseitige Bezugnahme von generalisierbaren gesellschaftlichen Schlüsselproblemen und Schlüsselqualifikationen empfahl.

Ähnlich kam eine Expertenrunde zum Themenkomplex "Lernkompetenz und neue Lernkultur", die im "Netzwerk innovativer Schulen in Deutschland" von der Bertelsmann Stiftung 2002 eingesetzt wurde, zu dem Schluss: "Lernkompetenz... umfasst die Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Einstellungen, die für individuelle und kooperative Lernprozesse benötigt und zugleich beim Lernen entwickelt und optimiert werden. Lernkompetenz umfasst die miteinander verbundenen Dimensionen

  • Sach- und Methodenkompetenz,
  • soziale Kompetenz und
  • Selbstkompetenz (personale Kompetenz)" (Czerwanski u.a. 2003, S. 10).

Die mit dem Kompetenzbegriff kompatible Dimension der Schlüsselqualifikationen wurde in den 1970er Jahren von Dieter Mertens entwickelt (1974). Sie wurde mehrfach auf das Lernen in der Grundschule projiziert (Kriechbaum 1997; Knauf 1996, 2001) und inzwischen auch als Kategorie für die Kompetenzentwicklung von Kindern im Vorschulalter nutzbar gemacht (vgl. Murphy-Witt/ Stamer-Brandt 2004).

Der Kompetenzbegriff wurde bereits bei der Entwicklung des bayerischen Grundschullehrplans (2001) mit reflektiert. Inzwischen hat er auch bei der Lehrplanentwicklung für die Grundschulen in Berlin, Brandenburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern sowie - in Varianten - in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen einen zentralen Stellenwert erhalten. Seine Implementierung im (Grund-) Schulalltag ist bisher jedoch noch nicht deutlich erkennbar. Noch dominiert die Orientierung schulischer Lernprozesse an einem stoffbezogenen Bildungsbegriff, der Lerninhalte am überkommenen Kategoriensystem der Schulfächer festmacht.

Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen sind vor allem in den Bereichen des sozialen Lernens und der Förderung von Sprach- und Sprechentwicklung etabliert. Der relative Misserfolg der ("kompensatorischen") Vorschulerziehung, wie sie in den frühen 1970er Jahren im Anschluss an ein behavioristisches Lern- und Trainingsmodell in die Kindergärten eingeführt wurde, hat bei Erzieherinnen eher eine Distanz zu inhaltsbezogenen Lernprozessen hervorgerufen. Diese hält bis heute an, obwohl Eltern immer wieder die Rückkehr zum Arbeiten mit "Vorschulmappen" wünschen und oft auch fordern. Die Angst vor einer "Verschulung" pädagogischer Arbeit im Kindergarten ist bei Erzieherinnen außerordentlich verbreitet. Das bedeutet einerseits Zurückhaltung gegenüber strukturierten inhaltsbezogenen Vermittlungsprozessen, andererseits eine tendenzielle Aufgeschlossenheit gegenüber Bildungskonzepten, die eine ganzheitlichen Förderung basaler Kompetenzen insbesondere in den Bereichen Psychomotorik und Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellen.

Von Vertretern des Situationsansatzes wird in der letzten Zeit die Reintegration themenbezogener Bildungsprozesse im Anschluss an die Auseinandersetzung mit Lebenssituationen der Kinder vorgeschlagen. Nicht klar wird in diesem Zusammenhang jedoch, wie der Gefahr einer Verkürzung des Bildungsbegriffs entgangen werden kann. Denn der Vorschlag impliziert eine Konzentration auf materiale (inhaltsbezogene) Dimensionen von Bildung unter Vernachlässigung der gerade für jüngere Kinder lernmethodisch zentralen Aspekte der formalen Bildung (vgl. Gisbert 2003). Wolfgang Klafki hat bereits vor mehr als 40 Jahren dieses Problem thematisch-inhaltlicher Überlastung von Bildungsprozessen thematisiert und strukturelle Lösungen in Gestalt der kategorialen Bildung entwickelt.

Ingid Pramling Samuelsson hat in der Analyse jüngerer Forschungsergebnisse deutlich gemacht, dass Zulassen und Gestaltung von variationsreichen und vielfältigen Erfahrungen und Erfahrungsräumen, bei denen Wahrnehmung und Spielhandlungen eine große Rolle spielen, Kindern am ehesten Herausforderung für ihre Bildungsentwicklung geben (vgl. Pramling Samuelsson 2004).

Einen weitgehend entsprechenden Ansatzpunkt hat die Reggio-Pädagogik gewählt, indem sie die Kinder als Forscher und Entdecker bei der Bearbeitung selbst gewählter Themen versteht und ihnen Spielräume und Impulse für das genaue Beobachten, kognitive Verarbeiten, Versprachlichen, Hypothesen Aufstellen und Prüfen gibt (vgl. zuletzt Knauf 2004a).

Unterentwickelte Lernkultur und Differenzierungspraxis

Schon in den Video-Mitschnitten der TIMS-Studie wurde deutlich, dass deutsche Unterrichtspraxis - etwa im Vergleich zu typischen Unterrichtssituationen in japanischen oder US-amerikanischen Schulen -

  • den Schülern wenig Eigenaktivität zugesteht,
  • nach wenigen relativ starren Schemata abläuft,
  • dabei lehrerzentrierte und frontale Formen bevorzugt,
  • sich an einem imaginären Durchschnittsschüler orientiert und
  • dabei schwächere Schüler tendenziell überfordert, stärkere dagegen unterfordert.

Zwar hebt sich der Grundschulunterricht von der Unterrichtspraxis in den weiter führenden Schulen durch eine größere Differenzierungshäufigkeit insbesondere durch die Nutzung offener Unterrichtsformen ab (vgl. Knauf 2001), doch sind die Grade der Umsetzung offenen Unterrichts in der Grundschule eher zurückhaltend einzuschätzen (vgl. Peschel 2002).

Von der schulischen Konstellation hebt sich die Praxis der Organisation von Lernprozessen in Kindertageseinrichtungen deutlich ab. Hier dominieren informelle Praktiken des Lernens von Fertigkeiten, Regeln und Wissensbestandteilen. Dies kommt der Individualität von Lerntypen und Lernstilen entgegen. Die Stabilisierung lernmethodischer Kompetenz (vgl. Gisbert 2003) kommt dennoch vielfach zu kurz. Vielfach mischen sich auch tradierte Formen des Vormachens und Nachahmens oder der verbalisierenden Erklärung in die vorherrschend informellen Techniken des Lernens durch Experiment, also durch Versuch und Irrtum, ein.

Für den Übergang jüngerer Kinder vom Kindergarten in die Grundschule bedeutet dies vielfach einen Bruch in der alltäglichen Erfahrung organisierter Lernstrategien. Brüche sind im Rahmen der individuellen Entwicklung unvermeidlich und als Herausforderungen für die Bewältigung von Transitionssituationen notwendig (vgl. Fthenakis 2003); sie können aber gerade bei Kindern mit weniger entwickelter Flexibilität der Denkmuster Rückschläge in der intellektuellen Entwicklung provozieren.

Mangel an diagnostischer Kompetenz

Die Diskussion um die "PISA-Ergebnisse" beschäftigt sich u.a. auch mit den möglichen Gründen für die unzureichenden Voraussetzungen des deutschen Bildungssystems, frühzeitig (mangelhafte oder auch exzellente) Befähigung zu Lernleistungen zu erkennen, bezogen auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler, aber auch bezogen auf ganze Schülerjahrgänge und -generationen. Eine Ursache wird im Mangel an diagnostischer Kompetenz bei den Lehrenden und analog dazu in der mangelhaften Verfügbarkeit validierter diagnostischer Instrumente gesehen. In der Tat ist das deutsche Schulsystem geprägt durch eine hartnäckiges Festhalten an Formen der Leistungsfeststellung und Leistungsdokumentation, wie sie zum größten Teil während der NS-Zeit festgelegt wurden (vgl. Kraul 1995)!

Für den Elementarbereich sind diagnostische Instrumente vorrangig verfügbar für die Feststellung eines besonderen Förderbedarfs, insbesondere für den Bereich der sprachlichen Entwicklung sowie für die motorische Entwicklung. Für die Sprachstandserhebung hat sich im Zuge der PISA-Diskussion das Interesse an der Entwicklung und Erprobung diagnostischer Instrumente außerordentlich intensiviert. Auf dem Markt sind inzwischen zahlreiche Instrumente mit unterschiedlichen Ansätzen verfügbar, z.B. das Bielefelder Screening (BISC) (Jansen u.a. 1998), das Nürnberger Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit "Rundgang durch Hörhausen" (Martschinke u.a. 2001), der Beobachtungsbogen "Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen" (sismik) (Ulich 2001). Die Probleme bestehen nicht mehr im generell mangelnden diagnostischen Interesse innerhalb des Bildungssystems, sondern in der einseitigen Konzentration der Verfügbarkeit diagnostischer Instrumente auf wenige Sektoren, insbesondere auf die Defizit-Identifizierung im Vorschulbereich.

In zunehmendem Umfang werden derzeit im Bereich der Schuleingangsdiagnostik informelle Verfahren verwendet, die aufgrund der Unzufriedenheit mit formellen Testverfahren von Praktikern für Praktiker erstellt und auf informellem Wege weitergegeben werden. Sie bestehen in der Regel aus Aufgabensammlungen, die sich an standardisierten Testverfahren orientieren, oder Beobachtungen in strukturierten Lernsituationen und werden nicht nur zur Erfassung der Schulfähigkeit sogenannter "Problemkinder", sondern auch als Screening-Instrumente für alle Schulanfänger eingesetzt (vgl. Kammermeyer 2001a, 2001b).

Diagnostische Instrumente, die bereichsübergreifend in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen Verwendung finden, gibt es bislang nicht. In Skandinavien, insbesondere in Schweden, ist die Entwicklung dagegen weiter gegangen. Die Grundelemente der Diagnostik, eine regelmäßige methodisch kontrollierte Beobachtung und deren unmittelbare, von Selektionsprozessen möglichst störfrei gehaltene Dokumentation, werden hier sowohl in der Vorschule (förskola) wie in der Grundschule (grundskola) in Portfolios eingebracht, die zwischen den Einrichtungen ausgetauscht und mit den Kindern wie den Eltern kommuniziert, z.T. von ihnen mit gestaltet werden.

Grundlagen dieses Systems liegen in den schon seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Reggio Emilia entwickelten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren. Sie wurden von Margret Carr in Neuseeland und von Hans Rudolf Leu im Deutschen Jugendinstitut weiterentwickelt (vgl. Leu 2002). Derzeit wird eine Kombination der in der reggianischen Tradition stehenden Kurzzeitbeobachtungen mit einem teilstandardisierten Instrument ("Entwicklungs- und Kompetenzprofil") an den städtischen Kindertageseinrichtungen in Gütersloh und weiteren Kindertageseinrichtungen in Bayern, Hessen, Niedersachsen und NRW erprobt.

Elternunsicherheit bei der unterstützenden Begleitung der Lern- und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder

Die Langzeitstudie von Griebel und Niesel hat deutlich gemacht, dass Eltern die Zeit vor und nach der Einschulung ihrer Kinder mit Phasen von Ängstlichkeit in Hinblick auf Leistungserwartungen und Selektion begleiten (vgl. Griebel/ Niesel 2002, S. 116 u. 125 ff.).

Überlagert werden solche Tendenzen noch von tief greifenden Wandlungsprozessen der Struktur, Aufgaben, Interaktions-, Verantwortungs- und Erziehungsmuster familialer Konstellationen (vgl. Schneewind 2000, S. 188 ff.). Der Prozess der gesellschaftlichen Pluralisierung und Individualisierung (vgl. Beck 1986) macht sich hier unmittelbar bemerkbar (vgl. Bertram 2004, S. 436 ff.) und erschwert die Kommunikation und Kooperation der Erzieherinnen mit den Erziehungsberechtigten. Denn in jede Interaktion, vom Tür-und-Angel-Gespräch bis zum vereinbarten Entwicklungsgespräch über ein Kind, ragen unterschiedliche kulturelle und soziale Erwartungen, Interessen und Bewertungsmuster hinein, auf die sich die Erzieherin einstellen muss, ganz abgesehen von den Sprachproblemen bei Eltern mit Migrationshintergrund.

Zunehmend ist der Teil der Elternschaft, der verunsichert auf aktuelle ökonomische Entwicklungen reagiert und seine Befürchtungen hinsichtlich der wachsenden Instabilität des Arbeitsmarkts und der individuellen Berufsbiografien (vgl. Strünck 2004, S. 446 ff.) mit der Sorge um die Zukunft ihrer Kinder verbindet. Einerseits wünschen sich Eltern das Wohlbefinden ihrer Kinder hier und jetzt sowohl im Bereich der Familie als auch in Kindergarten und Grundschule; andererseits erhoffen sich viele Eltern eine frühzeitige Anpassung ihrer Kinder an die Regeln der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft. Gerade bei Eltern, in deren Familien soziale Aufstiegsbiografien erlebt wurden, macht sich dies in Forderungen nach strikter organisierten Lernprozessen und Trainingsprogrammen in Kindertageseinrichtung und Grundschule bemerkbar. Dabei spielen auch pädagogisch überholte Konstrukte von Schule als Maßstäbe eine wichtige Rolle. Sie werden gespeist aus selektiven Schulerinnerungen, Erzählungen und Medien (vgl. schon Hüttenmoser 1981) und beeinflussen negativ die Bereitschaft von Erzieherinnen und Lehrkräften, zeitgemäße Formen pädagogischen Handelns zu implementieren.

So entsteht ein Teufelskreis, gespeist aus Unsicherheit und dem Bedürfnis, Zukunftsängsten durch Individualstrategien präventiv zu begegnen, der die Bereitschaft der professionellen Akteure zu notwendigen Innovationen in Lernkultur und Struktur der Bildungseinrichtungen lähmt.

Strategien der Problemlösung

Die im folgenden vorgestellten Lösungsstrategien zu den angesprochenen Problembereichen orientieren sich zum einen an den acht Schlüsselelementen einer qualitätsorientierten Politik für die Weiterentwicklung von Frühförderung und vorschulischer Bildung, wie sie von der OECD zu Beginn des neuen Jahrhunderts formuliert wurden (vgl. OECD 2001). Eine weitere wichtige Grundlage bildet die Analyse der strukturellen Konzepte für den Übergang vom Elementar- in den Primarbereich in den benachbarten europäischen Bildungssystemen (vgl. Oberhuemer 2004, Knauf 2004b).

Schritte zur Problemlösung: Grenzen im Bildungswesen überwinden

Die für den individuellen Bildungserfolg negativen Effekte der Zersplitterung des Bildungswesens können am ehesten ausgeglichen werden, wenn an entscheidenden (Schnitt-) Stellen Grenzziehungen überwunden werden. Dafür reichen Appelle an die pädagogischen Handlungsträger, Brücken zwischen separaten Bildungsbereichen herzustellen, nicht aus. Dies belegen die konkreten Vorgaben in den gemeinsamen Erlassen von Kultus- und Sozialministerien der alten Bundesländer in den Jahren 1978/79, die weitgehend in entsprechenden Empfehlungen der Ständigen Kultusministerkonferenz von 1994 übernommen wurden. Es bedarf vielmehr einer systemischen Vernetzung auf der politisch-administrativen, institutionellen, professionsbezogenen, methodisch-lernkulturellen und familialen Ebene.

Eine solche Vernetzung kann nur gelingen, wenn auf den beteiligten Ebenen pass- und anschlussfähige "Entwicklungsaufgaben" (Havighurst) wahrgenommen werden:

  • auf der Politik- und administrativen Ebene die Entwicklung und Implementierung von wertorientierten Leitbildern,
  • auf der Institutionsebene die Ausprägung eines Selbstverständnisses als lernende Organisation, die sich in Prozessen der Organisationsentwicklung selber reflektiert und prüft (Selbstevaluation), sich Ziele setzt und Strategien der Zielerreichung erprobt,
  • auf der Ebene der professionellen Akteure (Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte) die Sensibilisierung für Störungen als Ausgangspunkt für das Aufgreifen von Impulsen, die den Rahmen gewohnter Berufsidentitäten in Verantwortung und Respekt gegenüber dem Kind erweitern und bereichern (Change-Management) (vgl. Mary/ Nordholt 2004),
  • auf der Ebene der Kinder die Gewissheit, dass sie als Träger von Potenzialen (Wissen, Können, Kompetenzmotivation, Energie, Kreativität) gesehen werden, dass ihre Unverwechselbarkeit und Würde geachtet und sie vor Ausgrenzung und Missachtung geschützt werden (vgl. Knauf 2000; Liebers/ Prengel 2004, S. 9),
  • auf der Ebene der Eltern die Herausforderung, im Dialog mit Pädagog/innen als Ko-Expert/innen ihrer Kinder ein differenziertes Bild ihres eigenen Kindes zu entwickeln und (darauf aufbauend, vor allem) an der Stärkung der Fähigkeiten und Potenziale dieses unverwechselbaren Individuums mitzuwirken. Dabei käme es darauf an, Balancen zu finden zwischen dem Bedürfnis, ihren Kindern Wohlbefinden (hier und jetzt) zu sichern, und der zukunftsorientierten Projektion von gesellschaftsfähigen Persönlichkeitsbildern auf ihre Kinder.

In den Bildungssystemen der "PISA-Staaten" Finnland, Norwegen, Schweden, England und Kanada, aber (außerhalb des PISA-Verbundes) auch der Niederlande, sind in Bezug auf Menschenbilder, Lernkonzepte, Kooperationsbereitschaft und Kooperationspraxis sowie hinsichtlich institutioneller Verknüpfungen große Teile der skizzierten "Entwicklungsaufgaben" in den letzten Jahrzehnten bearbeitet und zum Teil bewältigt worden. Die jeweils gefundenen Lösungen können nicht ohne Berücksichtigung der jeweiligen historischen und kulturellen Kontexte kopiert werden. Wie dies bei der Mehrzahl von Innovationen in den Bereichen Forschung, Technologie, Wirtschaft und Politik geläufige Praxis ist, sind Impulse von außen allerdings wichtig, oft auch entscheidend, um Problemlösungen oder Praxisoptimierungen zu realisieren.

Die nachfolgend genannten Schritte und Elemente einer Lösung des Schnittstellenproblems zwischen Elementar- und Primarbereich gehen dementsprechend von einer Reflektion internationaler Entwicklungen aus, dies aber streng bezogen auf die Erfordernisse einer Passfähigkeit in Hinblick auf Institutions-, Handlungs- und Mentalitätsstrukturen innerhalb von Tradition und aktueller Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland.

Schritte zur Problemlösung: Flexibilisierung der Einschulung

Bildungspolitisch hat sich in jüngster Zeit die Bereitschaft zur Flexibilisierung der Einschulung erheblich verbessert. Im bayerischen Modellversuch KIDZ sollen Kinder die Möglichkeit erhalten, auf Grund der Frühförderung im Kindergarten gleich in die 2. Klasse eingeschult zu werden. In NRW wird die flexible Eingangsphase eingeführt, die Kinder je nach Bedarf in bis zu drei Jahren durchlaufen können. Schulen in Baden-Württemberg können sich wie in Brandenburg und Thüringen (im Rahmen unterschiedlicher Versuchsmodalitäten) ebenfalls hierfür entscheiden, haben aber auch die Möglichkeit, variable Einschulungstermine zu wählen.

Um eine für alle Beteiligten zufrieden stellende Umsetzung der Flexibilisierung der Einschulung zu erreichen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass der Wechsel von der Bildungseinrichtung Kindergarten in die Bildungseinrichtung Grundschule ein niederschwelliger Übergang wird. Aus diesem Grunde sollten

  • Kinder mit Personen, Aktionsstrukturen und Räumen in der Grundschule, in die sie eingeschult werden, bereits im Vorfeld vertraut gemacht machen,
  • sich die Lernkulturen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen aneinander annähern,
  • aufeinander bezogene Verfahren der diagnostischen Erfassung von Entwicklungen und Fähigkeitsprofilen entwickelt, erprobt, evaluiert und implementiert werden.

Das bisher für die Einschulung zentrale Kriterium der Schulfähigkeit sollte verstanden werden als ein gesellschaftliches Konstrukt, das zwischen verschiedenen Akteuren (Schule, Kindertageseinrichtung, Eltern, Politik und interessierten Gruppen der Öffentlichkeit) ausgehandelt wird und historischen Wandlungen unterworfen ist (vgl. Nickel 1996; Kammermeyer 2000). So spielt die Kategorie Schulfähigkeit beispielsweise im niederländischen oder schwedischen Schulsystem praktisch keine Rolle, obwohl in beiden Ländern unterschiedliche Einschulungsmodalitäten (Früh- bzw. Späteinschulung) praktiziert werden.

Schulfähigkeit sollte entsprechend nicht mehr als personenbezogenes Einschulungskriterium, sondern als Ziel betrachtet werden, an dessen Erreichung alle an der Erziehung und Bildung des Kindes beteiligten Personen mitwirken. Damit die Einschulung den einschneidenden Charakter eines Initiationsritus verliert und zu einem persönlichen Übergangsritual wie der Geburtstag wird, sollten folgende Kriterien erfüllt sein:

  • die relative Vertrautheit des Kindes mit den personalen und sozialökologischen Bedingungen der neuen Situation als Grundlage individueller Schulbereitschaft,
  • die gemeinsame Auswertung der differenzierten Entwicklungsdokumente über das einzelne Kind durch Erzieher/innen, Grundschullehrer/innen und Eltern,
  • die gemeinsame Entscheidung aller Beteiligten, in der Regel auch des Kindes, nach Absprache mit dem örtlichen Gesundheitsamt (Schularzt) und der zuständigen Schulbehörde.

Schritte zur Problemlösung: Den Bildungsauftrag umsetzen

Ausgangspunkt kann nur der Paradigmenwechsel von einem stoff- zu einem kompetenzorientierten Bildungsbegriff sein. Es geht um

  • die Stärkung der Fähigkeit zur Selbstbildung und zum Aufbau von Ko-Konstruktionen zusammen mit anderen Kindern und Erwachsenen,
  • die Ausprägung lernmethodischer Kompetenz und die Erweiterung des Repertoires von Lernstrategien,
  • die Ausdifferenzierung und Stabilisierung von Schlüsselqualifikationen und
  • die Entwicklung der Fähigkeit, mit Krisen und Problemen umzugehen.

In den Bildungsplänen, -empfehlungen, -programmen und -vereinbarungen der Bundesländer aus den Jahren 2003/04 sind hierzu zahlreiche Ansatzpunkte enthalten, die nicht revidiert, sondern implementiert werden müssen. Besondere Beachtung verdient das Konzept der Schlüsselqualifikationen als Grundlage lebenslangen Lernens, das in der Grundschule für Heranwachsende eine wichtige Bewährungsprobe erhält. Norbert Landwehr hat 1996 folgende Schlüsselqualifikationen als Fähigkeiten zum gestaltenden Umgang mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen definiert:

  • Kreativität,
  • Problemlösefähigkeit,
  • Teamfähigkeit,
  • Selbstmotivierte Lernkompetenz,
  • Offenheit und Flexibilität,
  • Eigeninitiative.

Monika Murphy-Witt und Petra Stamer-Brandt haben 2004 speziell für Kinder im Kindergartenalter folgende Schlüsselqualifikationen beschrieben:

  • Flexibilität,
  • Kommunikationsfähigkeit,
  • Medienkompetenz,
  • Kreativität,
  • Teamgeist,
  • Konfliktfähigkeit,
  • Organisationstalent,
  • Stressresistenz.

Solche katalogisierten Schlüsselqualifikationen lassen sich zusammenfassend auch als Selbst-, Sozial-, Methoden- und Handlungskompetenz beschreiben. Sie konkretisieren sich in der Nutzung eines Repertoires sehr unterschiedlicher Lernstrategien, wie sie für die Grundschule in dem Sammelband von Marlies Hempel (1999) und teilweise von Dieter Baacke (1999) als Entwicklungsdimensionen für die Kinder vor der Einschulung beschrieben werden:

  • Bewegungsfähigkeit weiterentwickeln,
  • Wahrnehmungsfähigkeit ausdifferenzieren,
  • Erkunden und Informationen aufnehmen,
  • sich das Staunen bewahren,
  • eine Kultur des Fragens entwickeln,
  • Welt deuten,
  • sammeln, ordnen und präsentieren,
  • Kultivierung der Gefühle,
  • das Spiel als Möglichkeit des Lernens behalten,
  • Differenzierung von Sprache und Kommunikation,
  • Symbolsysteme (Piktogramme, Schriftsprache, Zahlen) identifizieren und zu nutzen beginnen,
  • Identität und Selbstkonzepte aufbauen,
  • Entwicklung von Leistungsbewusstsein.

Bildung, die diese Elemente vereinigt und in vielfältigen Querverbindungen vernetzt, lässt sich "als Konstruktion von Welt- und Selbstentwürfen" bezeichnen (Laewen 2004, S. 2).

Schritte zur Problemlösung: Eine neue Lernkultur

Die Komplexität eines so verstandenen Bildungsbegriffs lässt sich nur implementieren in vergleichbar komplexen Aktions- und Interaktionsstrukturen. Hierfür haben Kindertageseinrichtungen vielfältige Handlungsspielräume, die auch von Erzieherinnen oft und bereitwillig, vielfach jedoch zu wenig konsequent, genutzt werden. Das letztlich auf Aristoteles zurückgehende, in der Pädagogikgeschichte (z.B. bei Schleiermacher, Montessori, Petersen, Parkhurst) immer wieder reaktivierte Prinzip der Kultivierung von "Antinomien", von Gegensätzen und Spannungsbögen (vgl. Winkel 1986), bildet gerade für jüngere Kinder einen Rahmen, in den sie eigene Handlungsmotive, Aktionsenergien, vielfältige Emotionen, innere Bilder, aber auch sich entwickelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten einbringen können. Konkret sind dies beispielsweise Spannungsbögen zwischen

  • Ordnung und Unstrukturiertheit,
  • Regel und Experiment,
  • Anregungsvielfalt und Reizreduktion,
  • Bewegung und Ruhe,
  • Kommunikation und Stille,
  • Gemeinschaftlichkeit und Individualisierung,
  • zweckfreiem Spiel und zielorientierter Produktion.

Für diese Bildungsprozesse stimulierenden Antinomien gibt es in den klassischen reformpädagogischen Ansätzen nach Montessori, Freinet, Steiner und Petersen und in den neueren elementarpädagogischen Konzepten (Reggio-Pädagogik, Situationsansatz, Offene Kindergartenarbeit, Waldpädagogik) vielfältige Anknüpfungspunkte, die auch häufig - aber oft unsystematisch - in Kindertageseinrichtungen genutzt werden, z.B.

  • der Morgenkreis und die Kinderkonferenz als Orientierungsrahmen, als gebundene, zeitlich fixierte Rituale für die Förderung des Gemeinschaftsbewusstseins und der Kommunikation, die Regeleinhaltung verlangt, zugleich aber der Artikulation von persönlichen Erlebnissen, Erinnerungen, Empfindungen und von Handlungsplanungen dient;
  • das Bauspiel, das experimentelle, ästhetische, kreative und soziale Dimensionen aktiviert;
  • das darstellende Spiel, das Anlässe zur Rollenübernahme, aber auch zu Rollendistanz und zum Perspektivenwechsel bietet und damit Impulse für die Identitätsentwicklung bereit hält;
  • das experimentelle Spiel, das z.B. mit Hilfe von Mess- und Vergrößerungsinstrumenten das Registrieren und genaue Beobachten materialer Strukturen, von stofflichen Veränderungen und Ursache-Wirkungs-Systemen, aber auch das Aufstellen, Bezweifeln und Überprüfen von Hypothesen fördern kann.

Insbesondere Projekte können intensive Bildungserfahrungen ermöglichen, wobei die verschiedenen elementarpädagogischen Projektkonzepte einer Prüfung bedürfen, bevor sie als Modelle für die Praxis empfohlen werden (vgl. Knauf 1998, 2001, 2004a). Den Prinzipien der Selbstbildung und der Ko-Konstruktion von Bedeutungen, Wissen und Können entspricht vor allem die in der Reggio-Pädagogik in mehr als drei Jahrzehnten entwickelte Projektstruktur, die in Hinblick auf Dauer, Zahl der beteiligten Kinder, Intensitätsgrade der Steuerung und Intervention der Erzieherinnen sehr flexible Prozessverläufe impliziert. Elemente sind andererseits sehr strikt

  • die konsequente Orientierung an den Interessen der Kinder,
  • der Vorrang für Problemlösungen und das Finden von Erkenntnisstrategien durch die Kinder,
  • die enge Verbindung von genauer Wahrnehmung, Kommunikation, darstellender Dokumentation, Ansprechen von Emotionen und dem Erkenntnisinteresse der Kinder.

Die Projekte sind in der reggianischen Konzeption integrierte Handlungsfolgen, in die Forschungs-, Kommunikations- und Dokumentationsprozesse eingehen. Erzieherinnen verstehen sich in ihnen als Begleiterinnen, Forscherinnen und Krisenmanagerinnen. Ihre Hauptaufgaben sind das Beobachten, Bereitstellen von Ressourcen, Impulse Geben und Dokumentieren (vgl. Knauf 1998a).

Ein Aufgreifen dieser Projektkonzeption könnte auch für den Bereich der Grundschuldidaktik eine große Bereicherung darstellen, weil sie eine ausgezeichnete Möglichkeit der inneren Differenzierung und der Stabilisierung von Lernhaltungen bietet. Sie lässt sich durchaus kombinieren mit aktuellen (grund-) schulpädagogischen Projektansätzen (vgl. Frey 1998; Gudjons 2001; Hänsel 1999).

Schritte zur Problemlösung: Entwicklung diagnostischer Kompetenz

In Kindertageseinrichtungen wie in Grundschulen besteht ein gleichermaßen hoher Bedarf an systematischer Anwendung differenzierter diagnostischer Instrumente. Deren Anwendungsbereiche und Funktionen sind breiter, als dies in den ersten Reaktionen auf die PISA-Studie angenommen wurde. Vor allem folgende Aufgaben stehen im Vordergrund:

  • Präzisierung der Kenntnisse über individuelle Entwicklungsprozesse und die Ausprägung von Kompetenzprofilen (z.B. in Hinblick auf spezifische Begabungen und Hochbegabungen, aber auch auf "Teilleistungsstörungen", Entwicklungsverzögerungen, besondere Förderbedarfe),
  • Ermittlung differenzierter Grundlagen für eine individuelle Förderpraxis insbesondere in den Bereichen sprachlicher und anderer Basiskompetenzen,
  • Ermittlung von Grundlagen für die pädagogische Gestaltung der Kita- und der Grundschulpraxis in Hinblick auf die Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse der Kinder,
  • Ermittlung von Grundlagen für die Einrichtungskonzeption unter Einschluss der Entscheidungen über Raumgestaltung, Gestaltung des Außengeländes, Materialbeschaffung und -präsentation, Öffnungszeiten und Zeitstrukturierung sowie Arbeitsteilung im Team und Formen der Zusammenarbeit mit den Eltern,
  • Ermittlung von Grundlagen für eine differenzierte Elterninformation und -beratung,
  • Entwicklung gemeinsamer Konzepte und Formen der pädagogischen Diagnostik von Kindertageseinrichtung und Grundschule auf der Grundlage datenrechtlicher Sicherungen.

Die Mehrzahl der in den letzten Jahren neu entwickelten diagnostischen Instrumente konzentriert sich immer noch vorrangig auf die Erhebung von Entwicklungsverzögerungen und -störungen sowie von Fähigkeitsdefiziten, um Ansatzpunkte für ausgleichende Maßnahmen zu erhalten. Der funktionale Zusammenhang von Diagnostik und Förderung ist vom Grundsatz her richtig. Probleme ergeben sich allerdings,

  • wenn die eingesetzten diagnostischen Instrumente eine defizitorientierte Sicht auf das Kind verstärken und den Blick auf die Stärken des Individuums verstellen,
  • wenn diagnostische Verfahren und darauf aufbauende Fördermaßnahmen speziell für einzelne "Problemgruppen" den Zusammenhang der pädagogischen Gestaltung des gemeinsamen Kita-Tages fragmentieren,
  • wenn diagnostische Verfahren vorrangig von externen Experten realisiert werden und damit Professionalität und Verantwortung der Erzieherin in der Kindertageseinrichtung destabilisieren.

Diagnostische Verfahren in Kindertageseinrichtung und Grundschule sollten

  • sich an einem ganzheitlichen Bild vom Kind als Träger von Stärken und Schwächen und eines unverwechselbaren Persönlichkeitsprofils orientieren.
  • an den Erfahrungen von Erzieher/innen anknüpfen und deren Kompetenzen als Kennerinnen der einzelnen Kinder in der Einrichtung nutzen.
  • eine Überformung des Kindergartenalltags durch Tests und isolierte Problemgruppenförderung vermeiden.
  • als Ergebnis eine qualitative Persönlichkeits- und Kompetenzeinschätzung und kein quantitatives Kinder-Ranking anstreben.
  • die Stärkung von Selbstbildungskompetenz und die Stabilisierung von Schlüsselqualifikationen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft mit reflektieren.
  • die Probleme selektiver Wahrnehmung und der Subjektivität von Urteilsbildung reduzieren.

Diese Forderungen lassen sich am ehesten durch einen Methoden-Mix erfüllen, zu dem zumindest die drei Elemente Kurzzeitbeobachtung, Portfolio, Entwicklungs- und Kompetenzprofil gehören sollten.

Die 10-Minuten-Kurzzeitbeobachtung

Die Kurzzeitbeobachtung hält einen nach dem Zufallsprinzip Aktion und Interaktion eines oder mehrerer Kinder in einer unmittelbar protokollierten Prozessdokumentation fest. Sie bezieht sich damit auf die Mikrostrukturen des Verhaltens und reduziert das Überformen von Beobachtung durch implizite Persönlichkeitsmodelle oder typische Beurteilungsfehler (Halo-, Pygmalion- und andere Effekte).

Kurzzeitbeobachtungen werden seit mehr als 30 Jahren in den städtischen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia praktiziert. Sie wurden von Margret Carr in Neuseeland und Hans Rudolf Leu (DJI) als "Bildungs- und Lerngeschichten" theoretisch und praktisch weiterentwickelt (vgl.: Leu 2002). In Anlehnung an die "Leuvener Engagiertheitsskala" werden nach Leu die konkreten Beobachtungen nach den Kriterien

  • Interesse,
  • Engagiertheit der Interessenverfolgung,
  • Problemlösefähigkeit,
  • Kommunikationsfähigkeit,
  • Perspektivenwechsel, soziale Verantwortung

mit wenigen Stichworten interpretiert. Nachfragen bei dem beobachteten Kind können als zusätzliche Quellen für die Interpretation genutzt werden. Sie dienen der Einschätzung der kognitiven, motivationalen, kommunikativen und sozialen Kompetenzen und Bereitschaften zur Strukturierung von Lernprozessen. Da diese ihre Basis in den biopsychischen Voraussetzungen individueller Entwicklung haben, ist es zu empfehlen, auch die motorischen Fähigkeiten und die Wahrnehmungsfähigkeiten als Kriterien für die Interpretation der Beobachtung heran zu ziehen.

Das Portfolio

Die Idee des Portfolios stammt aus der Berufswelt. Es wurde schon im 19. Jahrhundert bei Bewerbungen von Journalisten als Vorstellungsmappe verwendet. In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fand es als Möglichkeit der Kombination von Schüler-Selbsteinschätzung und Lehrerurteil Eingang in den schulischen Bereich und bereicherte die Formen der schulischen Leistungsbeurteilung. Diese Entwicklung nahm ihren Ausgangspunkt in den Neuengland-Staaten der USA; innerhalb Europas wurde sie vor allem in Österreich (vgl. Vierlinger 1999) und flächendeckend in Schweden aufgegriffen, wo das Erstellen von Portfolios sowohl in der Vorschule als auch in der Grundschule zur gängigen Praxis gehört. In jüngster Zeit finden sich auch an deutschen Grundschulen erste viel versprechende Ansätze zur Nutzung des Portfolios als neue Form der Dokumentation und Analyse von Lernprozessen und wichtige Grundlage einer individualisierenden und differenzierenden Lernförderung und Leistungsbeurteilung (vgl. Hecker 2004). Das Portfolio kann im Bereich der Entwicklungs- und Kompetenzdokumentation von Kindern eine gewichtige Rolle bei der Verzahnung der pädagogischen Praxis des Elementar- und Primarbereichs spielen. Im IBA-Projekt (s.u.) soll dies erprobt werden.

Das Portfolio, eine kontinuierlich fortgeschriebene Sammlung verschiedenster Entwicklungsdokumente über und für jedes Kind, enthält die dokumentierten Kurzeitbeobachtungen, Kinderzeichnungen, Fotos des Kindes in verschiedenen Aktionen und sozialen Konstellationen, notierte Kinderäußerungen sowie Beobachtungsnotizen oder Bemerkungen der Erzieher/innen. Alle Entwicklungsdokumente werden datiert, so dass eine Art Mini-Archiv für das einzelne Kind entsteht. Die Entwicklung des Kindes lässt sich an Hand der archivierten Dokumente nachvollziehen und illustrieren, z.B. wenn alle Dokumente in einer Zeitleiste angeordnet werden. Innerhalb der im Kindergarten meist über drei Jahre geführten Entwicklungsdokumentation lassen sich mit der zunehmenden Fülle und Dichte der Materialien Entwicklungsschübe und Entwicklungsverlangsamungen ausmachen. Eltern erleben bei den "Entwicklungsgesprächen" mit den Erzieher/innen das Datenfundament des Portfolios als einen großen Gewinn, den die Erzieher/innen ihrerseits als Kompetenz-, Professionalitäts- und Statusgewinn verbuchen können.

Ein nicht nur aus datenrechtlichen Gründen in jeder Einrichtung zu lösendes Problem ist die Transparenz des Portfolios. Es ist in erster Linie ein Instrument für die professionelle pädagogische Arbeit der Erzieher/innen. Es dient in diesem Zusammenhang auch der Information und Beratung der Eltern. Je nach Vertrauensbasis zwischen Eltern und Erzieherinnen (insbesondere der Gruppenleiterin), je nach Interesse, Verständnis und Toleranz der Eltern kann der Grad der Öffnung des Portfolios ihnen gegenüber verantwortet werden.

Das Entwicklungs- und Kompetenzprofil (EKP)

Das von den Autoren entwickelte und aktuell überarbeitete Entwicklungs- und Kompetenzprofil wird seit 2004 an etwa 55 Kindertageseinrichtungen in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, demnächst auch in Einrichtungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, erprobt. Als standardisiertes Instrument wird es für jedes Kind innerhalb der in der Regel dreijährigen Kindergartenzeit zwei- bis dreimal eingesetzt, um horizontal (sozial) und vertikal vergleichende, also auf die individuelle Entwicklung bezogene Daten zu gewinnen. Das EKP enthält Entwicklungs- und Kompetenzkriterien, die sich auf die Bereiche Motorik, Wahrnehmung, Soziale Kompetenz und Wertorientierung, Selbstkompetenz, Methodenkompetenz und Sachkompetenz beziehen. Zum Ausprägungsgrad der jeweiligen Kriterien können in einer fünfteiligen Skala Aussagen gemacht werden. Dabei sind die Quellen der Einschätzung (konkrete Beobachtung oder Gesamteindruck) zu benennen. Zu allen Kriterien können Kommentare notiert werden.

Grundlage für die Erstellung des Profils sind die im Portfolio gesammelten Entwicklungsdokumente. Sie werden für jedes Kind alle zwölf bis 18 Monate für die Erarbeitung des Profils durch das Gruppenteam oder die Gruppenleiterin herangezogen. Erfahrungsgemäß dauert die Erarbeitung des Profils für jedes Kind zwischen 45 und 75 Minuten.

Mit Hilfe der im Rahmen des Entwicklungs- und Kompetenzprofils gesammelten Daten können sehr präzise Einschätzungen zur Information und Beratung der Eltern, zur Akzentuierung der pädagogischen Arbeit und zur Initiierung notwendiger Fördermaßnahmen getroffen werden. Das EKP vermeidet eine defizitorientierte Sicht auf das Kind, denn es veranlasst die Erzieherin, vorrangig die Fähigkeiten und geleisteten Entwicklungsschritte zu erfassen. Es ist nicht nur auf die gesellschaftlich als bedeutungsvoll eingeschätzten Qualifikationen des Individuums konzentriert, sondern orientiert sich an einem ganzheitlichen Bild vom Kind, das sich auf seine geistige, körperliche, emotionale und soziale Entwicklung bezieht.

Dieses Bild vom Kind beruft sich auf eine humanistische Denktradition, die letztlich auf Aristoteles zurückgeht (vgl. u.a. Vigo 1996), aber auch in den modernen Persönlichkeitsmodellen von Carl Rogers oder Erik Erikson wiederkehrt. Danach lässt sich die Persönlichkeit eines Menschen an einzelnen unverwechselbaren Merkmalen erfassen; sie drückt sich in seinen Handlungen aus, konkretisiert sich im Umgang mit den Dimensionen Raum und Zeit und wird von Werten und der Konstruktion von Sinn geleitet.

Schritte zur Problemlösung: Stärkung der Elternrolle

Im Zentrum dieser Lösungsstrategie steht das Vorhaben, die oft nur als Leerformel zitierte Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und professionellen Pädagoginnen und Pädagogen mit Leben zu erfüllen und zu kultivieren. "Aus der Sicht der pädagogischen Fachkräfte heißt dies, dass sie Kindern nur dann einen neuen Erfahrungshorizont eröffnen können, wenn sie die einzigartige Geschichte jedes einzelnen Kindes und die seiner Familie verstehen und anerkennen. Statt einer Bewertung und Einordnung des Kindes nach festgelegten Entwicklungskriterien sind seitens der Fachkräfte Anerkennung, Offenheit und auch eine pädagogische Neugier gefordert, die persönliche Geschichte des Kindes herauszufinden und auf dieser Basis..." Kindern Anregungen, Herausforderungen und Förderung zukommen zu lassen (Tremel 2004, S. 6).

"Umgekehrt ist es für das Kind und seine Familie wichtig, in der Tageseinrichtung einen sozialen Raum vorzufinden, der sich generell durch Akzeptanz und Interesse auszeichnet. Nur wenn die Familie in ihrer Einrichtung ein kommunikationsfreudiges Klima erlebt, in dem eigene Lebenserfahrungen anerkannt und eingebracht werden können, geben sie auch ihren Kindern die Chance, den Kontext der familiären Erfahrungen mit den Entwicklungsangeboten der Einrichtung zu verknüpfen" (ebd.; Hervorhebung durch Verf.). Dies kann in folgenden Handlungsfeldern konkretisiert werden:

  • Eltern als Experten ihrer Kinder ernst nehmen (Krieg/ Krieg 2004a, S. 9 f; Prott/ Hautumm 2004, S. 26 ff; Rothe 2004, S. 9 f.),
  • mit Eltern gemeinsam (ohne Scham und Beschönigung) ein differenziertes Bild ihres Kindes entwickeln, auf das sie stolz sein können und in dem die Kompetenzen und Ressourcen im Vordergrund stehen (vgl. Prott/ Hautumm 2004, S. 32 ff.),
  • die Handlungskompetenz von Eltern insbesondere in kritischen Alltagssituationen und krisenanfälligen Lebensphasen ihrer Kinder stärken (vgl. Textor 2004, S. 24 f.),
  • Eltern gegenüber die professionelle pädagogische Arbeit in ihren Zielen und Handlungsstrukturen transparent machen (Krieg/ Krieg 2004b, S. 40 ff.; Prott/ Hautumm 2004, S. 15 ff. u. 28 ff.),
  • verstärkt Gelegenheit suchen und nutzen, um Eltern Partizipationsspielräume im Rahmen professioneller Arbeit zu gewähren,
  • darüber hinaus Eltern frühzeitig für demokratische Mitwirkung im öffentlichern Bildungsbereich aktivieren (vgl. auch Hebenstreit-Müller 2004, S. 167 ff.).

Voraussetzung für Erfolge in diesen Handlungsfeldern ist die Schaffung eines Kommunikationsklimas, das Eltern mit heterogenem sozialen und kulturellen Hintergrund die Sicherheit gibt, dass sie mit ihren Fragen, Problemen, Vorstellungen und Unsicherheiten als Kommunikations- und Kooperationspartner willkommen sind. Dies drückt sich beispielsweise in der Bereitschaft aus, Zeit in ein Gespräch zu investieren und sich auf Sprache und Sprachcode des Gesprächspartners einzulassen.

Eine weitere Bedingung für die Aktivierung der Erziehungspartnerschaft mit Eltern ist die Schaffung und einladende Bekanntmachung von Gesprächs- und pädagogischen Planungssituationen. Hierfür muss ein breites Spektrum unterschiedlicher Angebote geschaffen werden, von regelmäßigen Sprechzeiten über Elterncafés bis zu themenspezifischen Gesprächsforen und Planungssitzungen, z.B. zur Entwicklung der pädagogischen Konzeption eines Kindergartens oder des Schulprogramms.

Die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Pädagogen-Eltern-Kommunikation und -Kooperation ist von den Eltern wahrnehmbares kompetentes Handeln, das sich vor allem in folgenden Feldern konkretisiert:

  • Systematik des Sammelns und Auswertens von Entwicklungsdokumenten über das einzelne Kind,
  • Klarheit und zugleich erkennbare Akzeptanz und Empathie beim Beschreiben des Kindes und beim Entwerfen von Ansätzen eines personenbezogenen pädagogischen Umgangs mit dem Kind sowohl in der Tageseinrichtung wie in der Familie,
  • Interesse am Dialog und Fähigkeit zum Gespräch mit Eltern über Entwicklungen und Potenziale ihres Kindes,
  • Einladung an Eltern zur Präsenz (Hospitation und eventuell Mitwirkung) in Interaktionssituationen innerhalb der Einrichtung,
  • dabei erkennbar Machen von Balancen zwischen Klarheit und Differenzierung in pädagogischen Handlungszusammenhängen.

Die Ausdifferenzierung von Kommunikations- und Kooperationsformen zwischen professionellen und nichtprofessionellen Erzieherinnen/ Erziehern wächst oft in stadtteil- bzw. gemeindebezogene Netzwerke hinein, in denen auch andere Organisationen, Institutionen und interessierte Einzelpersonen aktiv sind. Damit können niederschwellige Beratungsangebote geschaffen werden, deren Nutzung die Kompetenz von Eltern und Familien auch über den pädagogischen Bereich hinaus stärken kann.

Die hier skizzierten Entwicklungslinien sind gebunden an Prozesse der vorsichtigen Veränderung pädagogischer Professionalität. Kern einer solchen Professionsveränderung ist der Perspektivenwechsel von der pädagogischen Einzelarbeit des professionellen Akteurs am Kind hin zu vernetzten Arbeitsprozessen im Team. Besondere Berücksichtigung sollten systemische Aspekte des Lebenszusammenhangs von Kindern in Familie, sozialem Nahbereich und in einer veränderten Lebensumwelt mit Tendenzen zur Verinselung, Verhäuslichung, Mediatisierung und soziokulturell geprägten Biographisierung finden. Lebenslanges professionales Lernen in den pädagogischen Bereichen der Elementarerziehung und der Grundschule bedarf der immer wieder neuen Schärfung des Blicks für sozialökologische und kulturelle Veränderungen kindlicher Lebensumwelten und der immer wieder neuen Erprobung von Kooperationsbeziehungen in professionellen, semi-professionellen und nichtprofessionellen Netzwerken.

IBA - Ein Modellprojekt zur systemischen Neustrukturierung des Schulanfangs

Zum Abschluss unseres Beitrags geht es um die praktische Umsetzung und Erprobung der im vorangegangenen dargelegten Überlegungen und Lösungsstrategien zur systemischen Neustrukturierung des Schulanfangs. Kurz vorgestellt und in seinen Grundzügen skizziert wird das von den Autoren konzipierte Modellprojekt IBA (Integrierter Bildungsauftrag von Kindergarten und Grundschule), dessen Realisierung für den Zeitraum von 2006 bis 2009 im Bundesland Niedersachsen geplant ist. Kernidee ist eine die Lern-, Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern fördernde Intervention im Bereich der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich mit dem Ziel einer signifikanten Verbesserung der Anschlussfähigkeit von Lern-, Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung in beiden institutionellen Bereichen.

Qualitätsmerkmale einer veränderten Schnittstellenstruktur und -gestaltung

Im Einzelnen geht es im Rahmen des IBA-Projektes um folgende Kernpunkte und Lösungsschritte für eine qualitative Neugestaltung der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich:

  • Auf kommunaler Ebene werden durch die Schul- und Jugendhilfeträger Leitbilder für eine gemeinsame Entwicklungsförderung jüngerer Kinder durch Familie, Kindergarten und Schule formuliert.
  • Kindertageseinrichtungen, Grundschule und Elternvertreter gestalten Kontrakte für einen formalen Rahmen und eine inhaltliche Füllung von wechselseitiger Kommunikation und Kooperation.
  • In Kindertageseinrichtung und Grundschule werden regelmäßig Räume, personelle und sächliche Ressourcen entsprechend den getroffenen Vereinbarungen wechselseitig zur Verfügung gestellt, um ein differenziertes und zugleich verzahntes Erfahrungsspektrum für entwicklungsfördernde Aktivitäten der Kinder bereit zu stellen.
  • Durch gemeinsame Planung sowie durch gemeinsame oder aufeinander bezogene Gestaltung pädagogischer Situationen und Handlungsstrategien werden die pädagogisch dysfunktionalen Grenzen zwischen Überzeugungen, Haltungen und professionellen Praktiken von Erzieherinnen und Grundschullehrkräften abgebaut.
  • In Kindertageseinrichtung und Grundschule werden die Instrumente pädagogischer Diagnostik aufeinander abgestimmt. Die gewonnenen diagnostischen Daten werden partiell gemeinsam ausgewertet und dienen als Grundlage für die individuelle und gemeinsame Förderung der Kinder in der Schuleingangsphase.
  • Die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern, Erzieherinnen und Grundschullehrkräften wird durch Intensivierung informativer, beratender und partizipativer Elemente gestärkt.
  • Auf Grund der Stärkung der schulischen Lernvoraussetzungen und des Abbaus von Fremdheit gegenüber dem neuen System Schule auf Seiten der Kinder sowie in Zusammenhang mit einer verbesserten und aufeinander abgestimmten pädagogischen Diagnostik in Kindertageseinrichtung und Grundschule werden Kinder zu individuell geeigneten Zeiten eingeschult und können besser gefördert werden.

Die Leistungen des Modellversuchs zur Qualitätsentwicklung und -sicherung

Die Umsetzung des Konzepts findet an ausgewählten Projektstandorten statt, die unterschiedliche sozialgeografische und soziokulturelle Rahmenbedingungen repräsentieren. Gestützt durch Maßnahmen der Organisationsentwicklung und des Qualitätsmanagements wird in wissenschaftlich begleiteten Fallstudien erprobt und evaluiert, inwieweit die genannten Qualitätsmerkmale in pädagogischen Handlungsfeldern implementiert werden können.

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Autorenteam

Dr. Tassilo Knauf ist Professor für Elementarerziehung und Primarstufenpädagogik an der Universität Duisburg-Essen und lehrte außerdem an den Universitäten Bielefeld, Bremen, Magdeburg, Potsdam und Rostock. Er ist Mitbegründer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Dialog Reggio - Vereinigung zur Förderung der Reggio-Pädagogik in Deutschland e.V., Präsident der Gesellschaft für Jenaplan-Pädagogik in Deutschland sowie Leiter von QuicK-Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen in Verbindung mit der Universität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsschwerpunkte im Bereich Fortbildung, Beratung und Projektarbeit sind Reggio-Pädagogik, Konzeptions-, Team- und Qualitätsentwicklung sowie pädagogische Arbeit mit Kindern unter 3 Jahren und im Hort bzw. Ganztagesgrundschule.

Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, FB Bildungswissenschaften, Universitätsstr. 12, 45141 Essen, Tel.: 0201/183-2247, Email: tassiloknauf@aol.com, tassilo.knauf@uni-essen.de

Dr. Elke Schubert, Diplompädagogin und Sonderschullehrerin, seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Erziehungswissenschaft an den Universitäten Dortmund und Duisburg-Essen. Zur Zeit vertritt sie eine Professur für Primarstufenpädagogik und -didaktik an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Grundschulpädagogik und -didaktik, Förderdiagnostik, Lernwerkstätten/ Werkstattkonzepte, Theorie-Praxis-Projekte in Schule und Lehrerbildung; pädagogische Lehr-Lernforschung, Lehrerbildungsforschung.

Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, FB Bildungswissenschaften, Universitätsstr. 12, 45141 Essen, Tel.: 0201/183-2243, Email: elke.schubert@uni-essen.de

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