Der besondere Übergang vom Kindergarten in die Grundschule

Vanessa Klingen

Einleitung

Kinder erleben in ihrer frühen Kindheit mehrere bedeutende Übergänge auch Transitionen genannt. Das sind Umbrüche in ihrem Leben, die ihren Alltag deutlich verändern und umstrukturieren. Übergänge geschehen über einen Zeitraum, der meist vor der Veränderung beginnt und noch eine Weile nach der Veränderung anhält. Übergangsphasen sind oft von starken Emotionen begleitet: Sie sind mit vielen Erwartungen, Hoffnungen und mit Vorfreude auf das Kommende, aber auch mit Ängsten und dem Abschied von etwas Vertrautem verbunden. Diese Emotionen betreffen Kinder, ihre Eltern und damit im Zusammenhang auch pädagogische Fachkräfte, welche Familien in diesen Zeiten sensibel begleiten. Den ersten Übergang erleben Kinder von ihrem familiären Umfeld in die Krippe oder den Kindergärten. Ein weiterer besonderer Übergang ist der vom Kindergarten in die Grundschule. Die Kindergartenkinder gehören in ihrem letzten Jahr zu den „Großen“ und haben schon eine Menge gelernt, sie sind vorfreudig und gespannt auf die Schule, über die sie schon viel gehört und aufgrund dessen eigene Vorstellungen gebildet haben. Bei der Übergangsarbeit gilt es an den Kompetenzen, Gefühlen und Vorstellungen der Kinder anzusetzen und dies bei der Gestaltung des Alltags zu berücksichtigen.

Es ist ein wichtiges Ziel, Übergänge möglichst fließend zu gestalten, um den Kindern eine kontinuierliche Bildungsbiografie, d.h. einen fortlaufenden Lernweg zu ermöglichen. Das bedeutet an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder anzusetzen entsprechende Bildungsprojekte zu gestalten, ihren Lernweg zu dokumentieren, diesen den Kindern transparent sichtbar zu machen und regelmäßig zu reflektieren. Dadurch wird die Selbstwirksamkeit gefördert, die gerade bei neuen Lernsituationen wichtig für Kinder ist. Diese dokumentierten Lerngeschichten der Kinder und können mit dem Einverständnis der Eltern an die zukünftigen Lehrkräfte übergeben werden, so dass diese sich einen Überblick über die Kompetenzen ihrer zukünftigen Schulkinder verschaffen können und den Lernweg lückenlos fortführen können.

Den pädagogischen Fachkräften kommt besonders in den Übergangsphasen eine wichtige Rolle zu. Ihre Aufgabe ist es, Kinder und Eltern in ihren Übergängen einfühlsam zu begleiten und sich um den Aufbau einer stabilen Zusammenarbeit bzw. Erziehungspartnerschaft zu bemühen. Außerdem sind sie bei der altersgerechten Gestaltung der Bildungsthemen im letzten Kindergartenjahr gefragt, eine herausfordernde Aufgabe, die darauf abzielen soll, den Kindern die Kompetenzen zu vermitteln, die ihnen den aufregenden Übergang und das Ankommen in der Grundschule erleichtern.

So geht’s 

Wer?

Bezugspädagogin/Bezugspädagoge; Fachpädagogin/Fachpädagoge

Wie oft?

Zu Beginn des letzten Kindergartenjahres fortlaufend

Wann?

Bei geschlossenen und offenen Angeboten

Im Alltag durch passende Raum- und Materialgestaltung

Womit?

Beobachtungs-, Planungs- und Dokumentationsmethoden:

Vor allem Projektarbeit;

Ausflüge in den umliegenden Sozialraum; Besuch von Grundschulen und Einladung von Lehrkräften in den Kindergarten

Worauf achten?

-          Eltern und Kinder einbeziehen und sensibel begleiten

-          Den Kindern den Freiraum zum Spielen lassen (Spielen ist auch Lernen)

-          Vermeintliche Schulstrukturen nicht für den Kindergarten übernehmen: z.B. müssen Kinder nicht üben lange und ruhig zu sitzen oder Arbeitsblätter ausfüllen

Die Gestaltung des letzten Kindergartenjahres – Projektarbeit, die anregt und Kompetenzen für den Übergang fördert

Schulanfänger freuen sich meistens auf die Schule und sind in dieser Zeit sehr lernmotiviert. Es lohnt sich, diese positive Energie zu nutzen, um Projekte und Lernangebote zu initiieren, die jene Kompetenzen fördern, die Kinder für die Schule benötigen. Für den Übergang und das Lernen in einer neuen Situation benötigen Kinder soziale sowie kognitive Kompetenzen. Zu den sozialen Kompetenzen, die den Kindern den Umgang mit einer neuen Situation und ihre individuelle Entfaltung in ihr ermöglichen zählen:

  • Sozialkompetenzen: Mit anderen interagieren; abwechseln, zuhören, kooperieren
  • Ich-Kompetenzen: Wer bin ich, was kann ich
  • Lernkompetenzen: Wie erreiche ich ein Ziel und welche Strategien sind hilfreich
  • Medienkompetenzen: Wie kann ich sinnvoll digitale Medien bedienen und zu eigenen Zwecken einsetzen

Aber auch inhaltliche und kognitive Kompetenzen, sogenannte Vorläuferfähigkeiten sollten im Vorschuljahr gefördert werden. Zum einen, weil die Kinder großes Interesse an diesen Themen zeigen und zum anderen, damit sie einfacher an die Themen in der Schule anknüpfen können. Dazu gehören:

  • Sprache und Schrift
  • Zahlen und Mengen
  • Gesellschafts- und Weltwissen
  • Naturwissenschaftliche Phänomene
  • Motorik

Die Freude und Neugier der Kinder sollte in der Vorschularbeit genutzt werden, um den Übergang bzw. die Schule mit positiven Assoziationen zu verbinden und den Kindern ihr größer werden und ihren erfolgreichen Lernweg transparent zu machen, um ihnen ein Bewusstsein und Stolz in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit zu vermitteln.

Vorläuferfähigkeiten können die Kinder sich über Projekte, innerhalb derer sie beteiligt werden, durch ausprobieren, scheitern, neu denken, spielen und reflektieren aneignen. Damit die Kinder ihre Erwartungen an die Schule wie das Aussehen des Gebäudes, der Räumlichkeiten, des Schulhofes sowie der Ablauf und die Inhalte von Unterricht und Pausen mit der Realität abgleichen können, ist es eine gute Idee, eine oder wenn möglich mehrere Grundschulen aus dem Sozialraum des Kindergartens zu besuchen. So können die Kinder besser einschätzen, was sie zukünftig erwarten wird.

Nimmt man Eltern auf diesen Weg vom Kindergarten in die Grundschule mit, bindet sie ein in Projekte und macht die Bildungsarbeit im Kindergarten transparent, haben sie das Vertrauen, dass die Kinder alles Benötigte lernen und dem Schulbesuch freudig entgegenfiebern.

Hintergrund

Damit Kinder tiefreifende Entwicklungsschritte durchlaufen können müssen ihre Grundbedürfnisse abgedeckt werden, dazu zählen:  

  • beständige und liebevolle Beziehungen
  • körperliche Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation
    • Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind
    • entwicklungsgerechte Erfahrungen
    • Grenzen und Strukturen
    • stabile und unterstützende Gemeinschaften
  • eine sichere Zukunft für die Menschheit[1]

Dies gelingt durch eine gut Bindungs- und Beziehungsarbeit, geregelte Strukturen, sinnvolle gestaltete Räume und inhaltliche Arbeit, die sich an dem Entwicklungsstand der Kinder orientiert. Die Beziehungsarbeit von Eltern und Pädagogen sowie gleichbleibende Strukturen mit Regeln und Grenzen ermöglichen eine soziale Gemeinschaft im Kindergarten, die sich gegenseitig unterstützt und Sicherheit für das Zusammenleben und -lernen schafft. Grenzen und Strukturen sowie Sicherheit und Regulation können durch die Zusammenarbeit von Eltern, Kindern und pädagogischen Fachkräften und durch festgelegte Rahmenbedingungen wie dem strukturierten Tagesablauf mit Regeln für das Verhalten in den Räumlichkeiten und für das Zusammenleben im Kindergarten abgedeckt werden. Durch das Beobachten und das Aufgreifen von Fragen der Kinder werden individuelle und dem Entwicklungsstand der Kinder entsprechende Projekte und Bildungsangebote erstellt.

Für den Eintritt in die Schule sind Vorläuferfähigkeiten von Vorteil, die es den Kindern ermöglichen sich anknüpfend an den Kindergarten sozial-emotional, motorisch sowie kognitiv weiterzuentwickeln. Dabei gerät der Begriff Schulfähigkeit immer wieder in den Fokus. Doch was genau bedeutet dieser Begriff eigentlich? Schulfähigkeit ist keine fest definierte Eigenschaft, die abgehakt werden kann, sondern eine Gesamtheit von Verhaltensmerkmalen und Leistungseigenschaften die Kinder dazu befähigen Lernimpulse aufzunehmen und entwicklungsgerecht zu verarbeiten. Schulfähigkeit ist mehr als ein gemeinsames pädagogisches Ziel zu verstehen, welches einen Entwicklungsprozess bedeutet, der in der Vorschulzeit beginnt und nach einer ersten Zeit der Schulerfahrung abgeschlossen werden kann.[2]

Ein wichtiger Punkt bei dem Trubel um Schulfähigkeit und Kompetenzen, der nicht vergessen werden sollte, ist das Kinder individuelle Lernwege verfolgen und ihr eigenes Lerntempo haben und das sollten auch die Schulen stärker berücksichtigen. Manche Kinder möchten aus eigenem Antrieb Buchstaben und Zahlen erlernen und erste einfache Worte schreiben und lesen oder beschäftigen sich intensiv mit Mengen, Zahlen und ersten kleinen Rechenoperationen, andere Kinder widmen sich unermüdlich ihrer motorischen Entwicklung oder gesellschaftlichen Fragen. Das Erlernen dieser Vorläuferfähigkeiten soll gefördert aber keinesfalls unterbunden werden. Genau so wenig sollen Kinder, die noch kein Interesse am Schreiben oder Rechnen zeigen, vor allem nicht auf veraltetem und wenig den Bedürfnissen von jungen Kindern entsprechenden Weg, beispielsweise durch das Bearbeiten von Arbeitsblättern dazu gedrängt werden.

Denn Kinder müssen nicht schon vor Schuleintritt lesen oder rechnen können, ihnen sollte dies aber auch nicht verwehrt werden. Trotzdem fallen immer wieder Sätze wie „Kinder müssen stillsitzen können“ oder „Kinder müssen schon Buchstaben und Zahlen kennen sowie am besten schon lesen und einfache mathematische Operationen lösen können“. Können Kinder dies schon vor Schuleintritt hört man oft gegenteilige Sätze wie „dann langweilen die Kinder sich in der ersten Klasse“. Dieser Diskurs kann einfach aufgelöst werden, wenn man sich von den Lernergebnissen löst und den Lernweg in Fokus nimmt und sich vor Augen hält, dass jede Fähigkeit eine neue Lernmöglichkeit mit sich bringt. 

Kinder können im Kindergarten vieles lernen, aber der Weg dahin ist entscheidend! Es ist nicht förderlich, mit den Kindern im Kindergarten über einen längeren Zeitraum still am Tisch zu sitzen und sie Deutsch- oder Mathearbeitsblätter ausfüllen zu lassen und womöglich noch Hausaufgaben in dieser Form zu verteilen. Das wird den Bedürfnissen von jungen Kindern nicht gerecht und könnte sogar eine negative Assoziation in Bezug auf die Schule auslösen. Auch können das Selbstwertgefühl und die Selbstbestimmung leiden, wenn die Kinder sich nicht selbst als Forscher und Problemlöser wahrnehmen und sich dadurch Wissen aneignen können, sondern lediglich Erwachsene als Wissensträger und sich selbst als Wissensempfänger erleben. Wir wollen die Lernfreude und den Forscherdrang der Kinder wecken und begleiten und ihnen Herausforderungen bieten, die ihrem Entwicklungsstand entsprechend sind. All diese Dinge lassen sich durch Welterkundungsprojekte, bei denen Kinder vom Entstehungsprozess bis zur Reflexion des Gelernten beteiligt werden, im Kindergarten realisieren. Diese spielerische, kreative, lebenspraktische und wertschätzende Projektmethode sollte auch in der Grundschule fortgesetzt werden, denn dadurch können alle Kinder gleichermaßen an ihrem individuellen Lernfortschritt arbeiten und sich entwickeln, anstatt gleichzeitig auf dem gleichen Weg ein Thema abzuarbeiten und anhand von vergleichenden Noten und angepasstem Verhalten, welches sich in Stillsitzen und ordentlichem Schreiben äußert, gemessen zu werden.  

Checkliste zur Selbstevaluation

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Kennen wir wichtige Vorläuferfähigkeiten die Kinder für den Übergang in die Grundschule benötigen bzw. ihnen den Übergang erleichtern?

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Bieten wir entsprechende Projekte mit Bildungsangeboten und Ausflügen an, die diese Fähigkeiten fördern?

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Gestalten wir Raum und Material so das Kinder sich entwicklungsgemäß und selbstständig mit Inhalten beschäftigen können?

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Beteiligen wir die Kinder zunehmend an Entscheidungsprozessen und lassen sie durch verschiedene Dienste selbstständig und verantwortungsvoll in der sozialen Gemeinschaft tätig werden?

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Dokumentieren wir den Lernfortschritt der Kinder fortlaufend und reflektieren ihren Lernzuwachs mit ihnen?

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Achten wir darauf, dass die Eltern über Vorschulprogramm umfassend informiert sind und einbezogen werden?

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Führen wir mit den Vorschulkindern im letzten Kita-Halbjahr besondere Veranstaltungen durch wie: Portfolioausstellungen, Schultütenbasteln, Abschlussübernachtung, Besuch der Grundschule?

Laden wir dazu Eltern und Grundschullehrkräfte aus der Umgebung ein.

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Kooperieren wir im letzten Kitahalbjahr eng mit Grundschulen aus dem Sozialraum, um den Übergang der Kinder dorthin zu begleiten?

Endnoten

[1] Brazelton, T. B., & Greenspan, S. I. (2002). Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

[2] Witzlack, G. (2009). Was ist eigentlich Schulfähigkeit?, in: Krenz, A. Ist mein Kind schulfähig? (S. 63). München: Kösel-Verlag.

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