Jugend- und Familienministerkonferenz/Kultusministerkonferenz
(Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 05.06.2009/ Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.06.2009)
I. Vorbemerkungen
Für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern werden ergänzend und unterstützend zum Elternhaus im Elementarbereich und Primarbereich mit öffentlicher Verantwortung zentrale Grundlagen gelegt. Die Kindertageseinrichtungen und die Grundschulen nehmen in diesem Zusammenhang eine große Verantwortung wahr. Sie ergänzen die familiäre Bildung und Erziehung und sind für Kinder damit entscheidende Orte ihrer individuellen Bildungsförderung. Der Übergang in die Grundschule ist in seiner Bedeutung für das einzelne Kind in den letzten Jahren verstärkt in den Vordergrund bildungspolitischer Betrachtung und Gestaltung gerückt.
In ihren gemeinsamen Beschlüssen vom 13./14.05.2004 (Jugendministerkonferenz) und vom 03./04.06.2004 (Kultusministerkonferenz)
- zum "Gemeinsamen Rahmen der Länder für die Frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen" und
- zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe zur "Stärkung der Weiterentwicklung des Gesamtzusammenhangs von Bildung, Erziehung und Betreuung"
haben beide Ministerkonferenzen wesentliche Aussagen zur Bildungsförderung von Kindern, zum Übergang in die Grundschule und zum Zusammenwirken beider Bereiche getroffen. Diese Feststellungen gelten weiter und sollen eine Fortsetzung erfahren.
Die Jugend- und Familienministerkonferenz hat auch in ihrem Beschluss vom 29./30.05.2008 zur frühkindlichen Bildung und zur Qualitätssicherung der Arbeit der Kindertageseinrichtungen ausführlich zu zentralen fachlichen Herausforderungen im Übergang vom Kindergarten in die Grundschule Stellung genommen. Dabei hat sie auf die Bedeutung der Anschlussfähigkeit und der Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule besonders hingewiesen.
II. Kindertageseinrichtung und Grundschule vor neuen Herausforderungen
Angesichts der immer wieder diskutierten besonderen pädagogischen Herausforderung für diesen Übergang und vor dem Hintergrund neuer auch internationaler Forschungsergebnisse (Transitionsforschung) haben sich die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) erneut intensiv mit der Bildungsförderung von Kindern an der Schwelle von der Tageseinrichtung für Kinder und der Grundschule befasst. Sie sehen in einem positiv gestalteten Übergang zwischen den Bildungssystemen einen zentralen Beitrag für ein gelingendes Aufwachsen. Der Übergang bedeutet für Kinder und ihre Eltern eine besondere Herausforderung. Denn es ist vor allem ein Schritt in einen neuen Lebensabschnitt mit anderen Strukturen, erwachsenen Personen und Gleichaltrigen, Handlungsmustern, Anforderungen und Rahmenbedingungen. Besonders muss die Situation der Kinder mit Behinderung bzw. mit drohender Behinderung und sonderpädagogischem Förderbedarf gesehen werden. Gerade für sie ist der Wechsel in die Schule eine große Herausforderung. Daher sollen frühzeitig Fördermöglichkeiten zwischen den Institutionen erörtert werden.
KMK und die JFMK messen der Tatsache, dass - bei gegebenen Besuchsquoten der Kindertageseinrichtung - nahezu jedes Kind diesen Schritt zu meistern und sich den neuen Bildungsanforderungen zu stellen hat, eine hohe Bedeutung bei. Dabei heben beide Konferenzen noch einmal deutlich die Wertschätzung einer "Bildung von Anfang an" hervor und die sich daraus ergebenen fachlichen Konsequenzen für eine entwicklungsadäquate Bildung und Erziehung von Kindern bereits im Alter von unter drei Jahren. Sie weisen in diesem Zusammenhang vor allem auf die Ausführungen des Bildungsberichts 2008 und den Zwölften Kinder- und Jugendbericht (2005) zum erweiterten, ganzheitlichen Bildungsverständnis und zur Bedeutung der frühen Bildung hin.
III. Länder und Kommunen haben wichtige Akzente gesetzt
Die Länder und die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als verantwortliche Akteure haben in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die Rahmenbedingungen der beiden Institutionen zu verbessern, auszubauen und zu stabilisieren. KMK und JFMK sehen darin wichtige Schritte, die Voraussetzungen zu verbessern und weiterzuentwickeln, die für eine erfolgreiche Bildungsbiographie eines jeden Kindes förderlich sind. So sind in vielen Ländern zwischenzeitlich rechtlich verbindliche Regelungen für die Gestaltung des Übergangs sowohl in Schulgesetzen als auch in Ausführungsgesetzen zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) für den Bereich der frühen Bildung geschaffen worden.
So haben die Länder beispielsweise nachfolgende Maßnahmen getroffen:
- Verstärkte und systematischere Kooperation von Tageseinrichtungen und Grundschulen zur Verbesserung des Übergangs vom Elementarbereich in den Primarbereich;
- Entwicklung anschlussfähiger Bildungskonzepte;
- verbindliche Sprachstandsfeststellungen bereits in der Tageseinrichtung verbunden mit anschließender gezielter Sprachförderung im Elementar- und im schulischen Bereich;
- gezielte Unterstützung von Kindern mit besonderen Förderbedarfen;
- Konzeptionelle Weiterentwicklung und Ausbau von gemeinsamen Fortbildungsangeboten auch im Sinne von sogenannte Tandemfortbildungen für die Fachkräfte aus Kindertageseinrichtung und Grundschule.
IV. Gemeinsame Grundsätze für den Übergang umsetzen
In einer gemeinsamen Fachkonferenz der KMK und der JFMK mit Fachvertretern aus allen Bundesländern am 16./17.12.2008 wurden die Chancen und Möglichkeiten, aber auch die rechtlichen und entwicklungspädagogischen Profile des Übergangs herausgearbeitet und gemeinsam mit Experten aus ganz Deutschland erörtert. JFMK und KMK greifen die Ergebnisse dieser Konferenz auf und unterstreichen, dass es für die Kinder von zentraler Bedeutung ist, dass der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule ohne Brüche und Misslingenserfahrungen erfolgreich verläuft. Wenn der Übergang gelingt,
- erfahren Kinder sich als kompetente Lernende,
- wird ihr Leistungs-Selbstkonzept in positiver Weise stabilisiert,
- erfahren Kinder sich in ihrer sozialen Lernumgebung integriert.
Auch geht es um die Sicherung der Dynamik in einem Entwicklungsprozess: Eine fachliche Betrachtung gelingender Bildungsbiografien und die damit verbundenen Konsequenzen für die beteiligten Bildungsinstitutionen.
Die nachfolgenden Eckpunkte entsprechen einem Konzept gleicher Grundsätze und Prinzipien. Die JFMK und die KMK verfolgen damit den Weg einer gemeinsamen pädagogischen Konzeptualisierung des Elementar- und Primarbereichs.
Die JFMK und KMK sprechen sich für folgende gemeinsame Grundsätze aus:
- Frühe Bildungsprozesse legen den Grundstein für spätere Bildungschancen. Bildung beginnt mit der Geburt eines Kindes.
- Kinder eignen sich die Welt als aktiv handelnde Subjekte an und benötigen hierfür die Förderung und Begleitung durch die Familie und die Fachkräfte der jeweiligen Institutionen.
- Öffentlich verantwortete Angebote des Elementar- und Primarbereichs messen daher der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern eine besondere Bedeutung zu.
- Die Orientierung am einzelnen Kind, d.h. an seinen individuellen Ressourcen und Hintergründen, ist Maßstab pädagogischen Handelns im Elementar und Primarbereich. Eine individuelle Begleitung und Förderung der Bildungsprozesse trägt darüber hinaus maßgeblich zur Überwindung sozialer Segregation bei.
- Die Gestaltung von Übergängen (Eintritt in die Kindertageseinrichtung, Aufnahme in die Grundschule, Übergang in die Sekundarstufe, Wechsel von Institutionen) in der Bildungsbiografie eines Kindes erfolgt nach kind- und entwicklungsgerechten Aspekten. Dies gilt unabhängig von länderspezifischen Ausgestaltungen des Elementar- und Primarbereiches.
- Die Anschlussfähigkeit der pädagogischen Angebote erfordert die Zusammenarbeit zwischen Kita und Grundschule.
- Die Gestaltung des Übergangs berücksichtigt zwei für das jeweilige Kind unterschiedlich maßgebliche Prinzipien: Das Prinzip der Diskontinuität - der Übergang als neue Herausforderung, verbunden mit dem Bedürfnis des Größerwerdens und das Prinzip der Kontinuität - der Übergang als Fortführen begonnener Entwicklungs- und Lernprozesse, verbunden mit dem Bedürfnis, Bekanntes wiederzuerkennen und beizubehalten.
- Die grundgesetzlich unterschiedliche Verankerung der Systeme des Elementar- und Primarbereichs begründet verschiedene Traditionen der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Dies findet in der Orientierung an der Bildungsbiografie des einzelnen Kindes eine gemeinsame Ausrichtung.
- Elementar- und Primarpädagogik leisten jeweils einen spezifischen Beitrag zu Bildung und Erziehung, der den Entwicklungsphasen des Kindes entspricht. Dem Grundsatz nach sind deshalb Besonderheiten des jeweiligen pädagogischen Angebots (inhaltlich wie methodisch) angemessen und notwendig.
- Die Pluralität und Autonomie der Träger von Kindertageseinrichtungen sind zentrale Grundsätze des SGB VIII. Sie sind Ausdruck einer auf die Vermittlung von Werten und Orientierung abzielenden Bildung und Erziehung, die sich an den unterschiedlichen Auffassungen und Einstellungen der Eltern orientieren.
- Kindertageseinrichtungen und Schulen sollen gleichermaßen als Akteure in die Bildungsplanung vor Ort eingebunden sein.
V. Leitsätze und Handlungsempfehlungen erleichtern den Übergang
JFMK und KMK unterstreichen, dass die Kindertagesstätte und die Grundschule die Kinder in ihrer Neugierde, Lernbereitschaft und lernmethodischer Kompetenz durch die Ermöglichung vielfältiger Lernerfahrungen und die Förderung ihrer Fähigkeiten unterstützen. Dazu zählt auch eine zuverlässige Förderung der Fertigkeiten in der deutschen Sprache. Beide Einrichtungen fördern die Lernmotivation und das aktive Heranführen der Kinder an Themen aller Bildungsbereiche. Informationen über und Annäherungen an die Schule erfolgen bereits während der Kita-Zeit.
Aus den gemeinsamen Grundsätzen ergeben sich nach Auffassung der KMK und der JFMK daher gemeinsame Leitsätze und Handlungsempfehlungen für die Sicherung und Weiterentwicklung guter Praxis. Dies sind vor allem:
- Stärkung des Selbstvertrauens der Kinder und Wertschätzung ihrer jeweiligen speziellen Fähigkeiten erfolgt in beiden Systemen. Die Kinder sollen ihr Können und Wissen als nützlich für die jeweilige neue Situation erleben können.
- Einbeziehung und Begleitung der Eltern beim Übergang ihrer Kinder in die Schule und Eröffnung von Beteiligungsmöglichkeiten sowie Wertschätzung der Eltern als Bildungs- und Erziehungspartner.
- Soziale Integration der Kinder und Vermittlung einer positiven Haltung in der Rolle als zukünftige Schülerin/ Schüler.
- Unterstützung und Förderung der Kinder in ihrer individuellen Lebenssituation und bei der Bewältigung möglicher Konflikte.
- Altersgemäße und individuelle Betrachtung und Begleitung des Entwicklungs- und Bildungsprozesses eines jeden Kindes. Nicht die Institutionen mit ihren Zielen und Bedingungen stehen im Mittelpunkt, sondern der Blick auf das Kind mit seinen Bedürfnissen und Alltagserfahrungen.
- Gegenseitiges Kennenlernen und Wertschätzen der professionell tätigen Akteure beider Systeme, insbesondere durch gemeinsame Praxiserfahrungen.
- Berücksichtigung der im pädagogischen Handeln zu beteiligenden Akteure "Kind - Eltern - Institutionen" insbesondere bei der Weitergabe von Bildungsdokumentationen; Einbezug aller an der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft beteiligten Personen und Institutionen unter Beachtung des Datenschutzes.
- Abstimmung der jeweiligen frühpädagogischen und schulischen Bildungskonzepte auf lokaler Ebene zwischen den Trägern der freien Jugendhilfe und den Schulen.
- Herstellung von Verbindlichkeit durch konkrete Kooperationsvereinbarungen zwischen beiden Systemen vor Ort unter Berücksichtigung des organisatorischen Rahmens, der Methoden und Inhalte, der Planung und Umsetzung der Elternarbeit und gemeinsamer Fortbildungen der Fachkräfte.
- Nutzung der Erkenntnisse aus Schuleingangsuntersuchungen, - sofern sie gemeinsam durchgeführt werden können - zur gezielten Förderung und Kooperation bis zum Schuleintritt.
- Aufbau und Sicherung der Kooperationsprozesse durch Expertinnen und Experten und durch ein unterstützendes Coaching (Prozessbegleitung).
- Förderung der bildungsbiografischen Orientierung in den Kindertageseinrichtungen und den Grundschulen durch gemeinsame Projekte und Fortbildung.
VI. Schlussbemerkungen
KMK und JFMK sehen - trotz bereits erreichter wichtiger Fortschritte in dem Zusammenwirken von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen - die Notwendigkeit, dass die Länder durch Rechtssetzung oder Vereinbarung Ziele zur Gestaltung des Übergangs und der Kooperation von Kindertagesstätte und Grundschule verbindlich formulieren und durch geeignete Instrumentarien auf ihre Umsetzung achten. Sie bitten die Länder und die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zudem, das ihnen Mögliche zu tun, damit beide Partner der frühen Bildung und Erziehung systematisch zusammenwirken und so den Prozess des Übergangs im Interesse des Kindes entsprechend gestalten.