Antje Bostelmann
Die Kindergartenzeit ist eine wichtige und intensive Lernphase im Leben der Kinder. Kindergartenkinder lernen hochmotiviert. Sie erschließen sich die Welt voller Unbefangenheit und Neugier. Dabei sind Kinder hochtourige Lerner, wie es die Wissenschaftlerin Donata Elschenbroich in ihrem Klassiker "Das Weltwissen der Siebenjährigen" treffend beschreibt. Es macht also keinen Sinn, diese Zeit zu verkürzen.
Fakt ist: Jedes Kind entwickelt sich auf seinem individuell vorgegeben Weg. Dabei gibt es wichtige Entwicklungsstränge, die sich verzahnen und einander bedingen. Im Kindergartenalter lernt das Kind, die Welt zu verstehen und zu erkennen. Es versucht zu erkennen, wie Menschen zusammen leben. Dabei lernt es, die eigene Persönlichkeit von anderen abzugrenzen. Es lernt seine eigenen Bedürfnisse kennen und diese hin und wieder zurück zu stellen. Erst kurz vor dem Eintritt ins Schulalter stellt es überrascht fest, dass andere Menschen ganz andere Gedanken und Sichtweisen haben können. Zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr wird es von Fantasiewelten überrumpelt, die es in diesem Alter häufig nicht vom realen Leben unterscheiden kann. Es übt sich in seiner Umgebung zurechtzufinden. Den Weg nach Hause, zum Supermarkt oder zur Oma kann es beschreiben. Es versucht zu verstehen, was früher war und warum es den Opa nicht als Kind kennen konnte. Das Kind lernt, sich an Regeln zu halten und diese zu vereinbaren oder zu modifizieren. Nach dem fünften Geburtstag beginnt es zu verstehen, was es bedeutet zu lügen, und erprobt an anderen Personen - etwa in Gesellschaftsspielen - die neu erworbene Fähigkeit. Zwischen dem sechsten und siebten Geburtstag ist die kindliche Entwicklung so weit vorangeschritten, dass das Kind die Wettbewerbssituation in der Schule verstehen und mitgestalten kann. Dann ist es Zeit für die Schule.
Schulvorbereitung im Kindergarten?
Ist es aber die Aufgabe des Kindergartens, die ihm Anvertrauten als lernbereite und sozial kompetente Kinder auf die Schule vorzubereiten? Viele Eltern nehmen das an. Erzieher/innen hingegen glauben häufig, es sei die Aufgabe der Eltern. Da die Entwicklungsbegleitung von Kindern ein Prozess ist, der über viele Jahre andauert und aufmerksame Beobachtung, Einfühlungsvermögen, Ideen und vor allem Geduld erfordert, ist es keine gute Idee, diese Aufgabe allein einer Gruppe zuzuschreiben. Vielmehr muss es eine Kooperation geben. Denn das Kind entwickelt sich zuerst einmal selbst. Es braucht dabei eine sinnvoll und sicher gestaltete physische und soziale Umgebung sowie Menschen, die ihm vertraut und zugewandt sind. Und genau das gelingt am besten, wenn beide Seiten eng zusammenarbeiten und sich auf ähnliche Werthaltungen zur Erziehung von Kindern einigen können.
Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass der Kindergarten die typischen Entwicklungsphasen des Vorschulkindes für die Eltern auf Elternabenden oder in anderen Gesprächen transparent macht. Wenn die Eltern die monatlichen Lernvorhaben kennen, können sie sich auf die Aktivität im Kindergarten einstellen. Viele Eltern vertiefen parallel durch ähnliche Unternehmungen die Einblicke der Kinder in bestimmte Wissensbereiche. Aber es ist auch klar: Lernprozesse verlaufen - vor allem in freien Spielsituationen - ungeplant und spontan. Die Erzieher/innen beobachten, deuten und ordnen die Lernschritte ein und können sie den Eltern mitteilen. Dazu sollte im Kindergarten für jedes Kind eine Bildungsdokumentation geführt werden, Sprachlerntagebuch oder Kita-Portfolio genannt. Mit Hilfe von Fotos und kurzen Beschreibungen wird darin das Lernen der Kinder dokumentiert. Eine schöne Erinnerung für die Kinder und eine gute Gelegenheit für Gespräche mit den Erzieher/innen. Eltern sollten diese fragen, was das Kind im Kindergarten gerade gern und intensiv tut. Die Beobachtung der Eltern aus dem häuslichen Umfeld dagegen gesetzt, gibt beiden Parteien die Möglichkeit, den aktuellen Lernstand des Kindes im Austausch einzuordnen - eine ideale Form der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kindergarten.
Wissen allein ist nicht entscheidend
Und dennoch kommt es am Ende der Kitazeit immer wieder zu der gleichen Frage: Ist mein Kind wirklich schulreif? Entwicklung lässt sich weder aufhalten noch beschleunigen. Interessieren sich Kinder für Zahlen oder Mengen, beziehen sie diese in ihr Spiel ein. Wer Buchstaben entschlüsseln und selber aufzeichnen will, wird sich damit befassen. Der Kindergarten muss den Interessen und dem Lernbedürfnis der Kinder entsprechendes Material und Anreize zur Verfügung stellen. Spielerisch setzen sich die Kinder dann mit Themen auseinander, verstehen vielleicht auch schon erste Zahlen und Buchstaben. Sie entschlüsseln die Bedeutung von Verkehrsschildern und Raumbezeichnungen, erkennen ihr eigenes Fach in der Garderobe. Sie können ihren Namen erkennen, ohne lesen zu können. Ihr Wissen über die Welt ist schon umfangreich mit sechs Jahren, denn sie sind ihrer Neugier gefolgt und haben sich angeeignet, was sie interessiert. Aber selbst im Vorschulprogramm des letzten Kindergartenjahrs geht es nie direkt um Schreibübungen oder Rechenaufgaben. Und: Wissen allein macht noch keinen schulfähigen Menschen aus.
Der Übergang in die Schule stellt große Anforderungen an die gesamte kindliche Persönlichkeit, an seine soziale Reife. Ein Schulkind muss in der Lage sein, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Lernen wird nun nicht mehr als von Neugier getriebener Prozess gesehen. In der Schule wird nach Lehrplan gelernt. Für die Kinder ist das eine harte Umstellung, die nicht jedem auf Anhieb gelingt. Deshalb entscheidet vor allem die soziale Reife eines Kindes über die Einschulung und sollte von Eltern wie Pädagoginnen beachtet werden.
Entwicklungshürden während der Kindergartenzeit meistern
Kommt es in der Kindergartenzeit allerdings zu Entwicklungshürden, sollten sich Eltern und Erzieher/innen darüber austauschen. Nicht darüber sprechen ist keine Lösung, denn Entwicklungsprobleme müssen rechtzeitig erkannt werden. Dabei geht es nicht nur um die Tücken des Sprachlernens. Es geht vielmehr darum, die Verbindung zwischen den Entwicklungsthemen zu erkennen und im Zusammenhang zu behandeln. Vor allem sehr kluge Kinder haben häufig Probleme mit dem Zurechtfinden in sozialen Gemeinschaften. Kinder mit motorischen Defiziten hingegen können ernsthafte Probleme mit kognitiven Lernprozessen entwickeln. Auf einem Bein hüpfen, einen Ball fangen oder auf allen Vieren krabbeln müssen alle Erstklässler können. Ist das nicht der Fall, hilft häufig eine Ergotherapie während der Kindergartenjahre über Entwicklungsverzögerungen hinweg. Denn diese wie auch Entwicklungsschübe und Entwicklungssprünge sind kein Problem, solange die Kinder sie nicht in einem beurteilenden System wie der Schule durchleben müssen.
Kooperationen zwischen Kindergarten und Schulen
Als Vorbereitung auf die Schule sind Kindergärten auch gesetzlich gehalten, im Jahr vor der Einschulung mit der zukünftigen Schule der Kinder zu kooperieren. Leider findet das viel zu selten statt. Das kann zum einen am akuten Lehrermangel liegen, wodurch dem Kindergarten die Ansprechpartner fehlen. Aber auch die Vielzahl an Schulen in Großstädten erschwert es dem Kindergarten, eine "zukünftige" Schule zu finden.
Gelingt es aber, gehen Kindergartengruppen zu Besuch in die Schule und nehmen probeweise am Unterricht teil. Die Erstklässler wiederum können mancherorts Paten für die neuen Schüler werden. Sie besuchen dann ihr zukünftiges Patenkind in der Kita und schreiben ihm vor der Einschulung einen Brief. Sie kümmern sich um ihre Schützlinge, bis diese wieder selbst Paten sind. Die neue Lehrerin kann auch an der Abschlussfeier des Kindergartens teilnehmen und ist so mit den Eltern während der Zeit des Übergangs im Gespräch. Falls die Eltern einverstanden sind, übergibt die Kita die Lerndokumentation aus dem Kindergarten an die Schule, um sich bestmöglich auf die Lernentwicklung der neuen Kinder vorzubereiten.
Vielerorts bleibt all das aber nur ein Traum. Dann sind Eltern gut beraten, selbst intensiven Kontakt mit der neuen Schule zu suchen. Mindestens ein persönliches Elterngespräch zwischen der neuen Lehrerin und den Eltern sollte im Vorfeld stattfinden.
Den Weg ebnen
Jedes Kindergartenkind kommt irgendwann in die Schule. Eltern können die Schule nicht verändern und sie können ihrem Kind nicht jeden Stein aus dem Weg räumen. Wer sich dessen bewusst ist, kann seinem Kind Zuversicht und Unterstützung auf mit auf den Weg geben. Gehen wird ihn das Kind allein.