Antje Bostelmann
Es so eine Sache mit dem Wort "Trennung": Für viele Menschen ist es ein schreckliches Wort; es erinnert uns an Verluste, Verlassen werden oder Alleinsein. Aber wer groß werden will, muss sich trennen können. Schon Kinder müssen sich immer wieder trennen: vom Schoß der Mutter, vom Schnuller, vom Teddy, von der Kindergartengruppe, von der Schulklasse, von zu Hause. In der Entwicklungspsychologie wird die Fähigkeit, sich trennen zu können, als wichtig und positiv angesehen.
Das unsichtbare Band zwischen Eltern und Kindern
Wie lange das Kind sich in den einzelnen Entwicklungsetappen von Mutter oder Vater trennen kann, ist ein wichtiges Entwicklungszeichen. Vom Säugling bis zum Schulalter verlängert sich das unsichtbare Band zwischen Kind und vertrauten Bezugspersonen. Am Anfang sind es nur wenige Meter: Der Säugling lässt sich von fremden Personen auf den Arm nehmen, behält dabei aber den Blickkontakt zur Mutter bei. Spielende Babys vergewissern sich immer wieder mit Blicken, ob die Mutter oder eine andere vertraute Bezugsperson im Raum ist. Ein kurzer Blickkontakt genügt, und schon wird weitergespielt. Kaum auf den eigenen Beinen, testet das einjährige Kleinkind seine Selbständigkeit. Es entfernt sich jeden Tag ein Stück weiter von der vertrauten Bezugsperson.
Manche Kinder sind richtige Draufgänger und dehnen das imaginäre Band, das zwischen ihnen und ihren Bezugspersonen besteht, auch in einer unbekannten Umgebung so weit es nur geht. Eltern müssen dann umsichtig sein. Das Kind testet sein neu gewonnenes Selbständigkeitsgefühl, hat aber keine Erfahrungen mit der fremden Umgebung. Andere Kinder fühlen sich in der sicheren Nähe der Eltern wohler. Sie hängen am Hosenbein oder am Rockzipfel und brauchen Anregungen und Hilfestellungen bei der Entwicklung ihrer persönlichen Autonomie. Hier ist es an den Eltern, das Band zu dehnen und den Abstand zwischen sich und dem Kind zu vergrößern. In diesem Wechselspiel von kindlichen Trennungsschritten und elterlichem Loslassen entwickelt das Kind seine eigene Persönlichkeit mit eigenen Fähigkeiten und Stärken.
Rituale können helfen
Jede Trennung bringt erstmal Verunsicherung mit sich. Eine neue Situation kündigt sich an, Gewohnheiten werden aufgegeben, ein neues Verhalten wird eingeübt. Das braucht Geduld und Einfühlungsvermögen von Eltern und Pädagog/innen. Die Trennung vom Schnuller oder von der Windel wird mit Ritualen, Übungen und kleinen Tricks vollzogen. Wer hier vorankommen will, muss vor allem jeden kleinen Schritt des Kindes wahrnehmen und loben. Wichtig dabei ist, nicht inkonsequent zu sein und gleichzeitig das Kind weder zu beschämen noch bloßzustellen. So sehr jeder Fortschritt gesehen und gelobt wird, so wenig sollten die Rückschritte beachtet werden. Entwickelt sich das Kind insgesamt normal, sollten die kleinen Rückfälle in vorherige Kindheitsphasen liebevoll ignoriert werden.
Ein Übergang ist ein Prozess
Da jedes Kind anders ist, gibt es für die Trennungssituationen in der Kindheit kein allgemein gültiges Rezept. Aber es gibt Rituale wie die Einschulung, die in unserer Gesellschaft fest verankert sind, und den Kindern helfen sollen, Übergänge zu meistern. Mit dem Ritual allein ist es allerdings nicht getan. Ein Übergang ist ein längerer Prozess, der eine positive Einstellung der beteiligten Personen und ein diszipliniertes begleitendes Handeln erfordert.
Daher gibt es in jeder Kindereinrichtung die Phase der Eingewöhnung. Mit dem Eintritt in das Krippen- oder Kindergartenalter trennt sich ein Kind das erste Mal für einen längeren Zeitraum von den Eltern - und die Eltern trennen sich das erste Mal für einen längeren Zeitraum von ihrem Kind. Diese Situation ist für beide Seiten eine Herausforderung. Daher ist es sinnvoll, wenn Kita und Eltern sich den gesamten Prozess der Eingewöhnung anschauen und die wesentlichen Etappen darin besprechen.
Zuerst muss die neue Umgebung, müssen die Räume und die in der Kita geltenden Regeln und Routinen kennen gelernt werden. Dann leben Eltern und Kind eine Weile gemeinsam in der neuen Umgebung und erleben die Tagesstruktur und die dazugehörigen Rituale als Familie, die zu Gast in der Kindereinrichtung ist. Schon nach wenigen Tagen, wenn sich die Kinder mit den Gegebenheiten vertraut gemacht haben, beginnen die Pädagog/innen und die anderen Kinder, das Kind in ihren Bezugsraum einzuschließen. Dann folgt der nächste Schritt: Der Moment, in dem die Eltern die sich trennen können. Erst nur für ein paar Minuten - später dann für einige Stunden - verlassen die Eltern den Gruppenraum. Das Kind lernt, dass es auch ohne Mutter gut in der Kindergruppe aufgehoben ist. Es beginnt sich bei der Bezugserzieherin wohl zu fühlen und die wiederkehrenden Tagesphasen als Sicherheit gebende Routinen wahrzunehmen.
Trennungen machen Platz für Neuanfänge
Behutsam gestaltete Übergänge, die auf die Besonderheiten und das persönliche Zeitbedürfnis der Kinder abgestimmt sind, vermeiden Trennungsängste. Das ist wichtig, denn Angst ist ein lähmendes Gefühl. Durch Angst entstehen Blockaden, die Entwicklungsschritte verhindern können. Angst in Trennungssituationen kann vermieden werden. Gleichzeitig hat jede Trennung mindestens einen positiven Aspekt. Sie macht Platz für Neues: neue Freundschaften, neue Entwicklungsphasen, neues Wissen, neue Etappen im Leben.