Aus: Bayerischer Landesverband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hrsg.): Jahrbuch 2008 - Kompetenz in Sachen KiTa. 90 Jahre BayLVk TK. München: Selbstverlag 2008, S. 101-121
Ingeborg Becker-Textor
Liebe Leserinnen und Leser!
Es hat gewisse Vorzüge, wenn man älter wird. Beim Blick zurück kann man je nach Anzahl der Jahre eine längere oder kürzere Wegstrecke überblicken.
Gestern, Heute und Morgen sind untrennbar miteinander verbunden. So ist das Heute das Ergebnis des Gestern und weist vielleicht auch schon in die Richtung für das Morgen.
Frau Frank fragte mit folgenden Worten bei mir an, ob ich nicht einen Beitrag für das Jahrbuch 2008 des Bayerischen Landesverbandes Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. schreiben würde: "Wie ich Sie über einige Jahre kennen lernen konnte, nehme ich an, dass Sie sich dennoch nach wie vor mit Themen der Kinderbetreuung befassen?... Sie haben diesen Bereich über viele Berufsjahre begleitet, aus verschiedenen Perspektiven erlebt - kaum jemand kennt so wie Sie die bayerische Landschaft der Tageseinrichtungen für Kinder und ihre Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Möchten Sie diese Entwicklung aus Ihrer Sichtweise für unser Jahrbuch beschreiben?"
Und, da ich ja gesagt habe, da muss ich jetzt wohl auch ran.
Wie beginnt man so eine Rückschau? Ich sollte nachdenken, vielleicht etwas ins Grübeln kommen, oder, was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Besteht nicht die Gefahr, dass eine Rückschau langweilen könnte, ist doch sowieso schon alles vorbei???
Das Gründungsjahr Ihres Verbandes (also des Bayerischen Landesverbandes Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V.) liegt mitten in einer ersten Ausbauzeit der Kinderkrippen bzw. Einrichtungen für Kleinstkinder. Das ist schon verwunderlich. Die Wirtschaft brauchte die Frauen. Frauen an die Arbeit und Kinder in frühzeitige Fremdbetreuung. Dieser "Krippenboom" fiel just genau mitten in die Zeit des ersten Weltkrieges. Die Männer waren an der Front und die Frauen wurden dringend in den Munitionsfabriken gebraucht.
Braucht der Arbeitsmarkt die Frauen, dann ist Kinderbetreuung wichtig, gut, nötig... So schnell wie Krippen entstanden, waren sie auch wieder weg.
Das hat sich doch wiederholt? In der ehemaligen DDR existierte eine fast flächendeckende Krippenversorgung. Dann reduzierte man ihre Zahl. Und jetzt boomt der Krippenausbau - sogar mit Bundeszuschüssen. Und auch in Bayern entstehen immer mehr Krippen und weit altersgemischte Gruppen in Kindergärten.
Wie sich doch so manches wiederholt in unserer Gesellschaft!
Bei der Rückschau werden Sie bald merken, dass dies nicht die einzige Wiederholung sein wird. Nur glauben die jeweils Verantwortlichen, dass sie selbst das Rad neu erfunden hätten!
Ach beinahe hätte ich die Erntekindergärten vergessen. Sie waren oft nur während der Sommer- und Herbstmonate geöffnet, und dort konnten bereits die Kleinstkinder "abgegeben" werden, damit die Mütter zum Ernteeinsatz zur Verfügung standen.
Die Gründung Ihres Verbandes fällt auch in den Beginn des "Jahrhunderts des Kindes", ausgerufen von der schwedischen Frauenrechtlerin, Journalistin und Pädagogin Ellen Key. Ihr gleichnamiges Buch wirbelte damals viel Staub auf. Dann gerieten ihre Ausführungen in Vergessenheit, bis es 1992 zu einer Neuauflage des Buches kam.
Sollten Sie das Buch nicht kennen, so darf ich es Ihnen zur Lektüre empfehlen, als Impuls, Kinder und ihr Heranwachsen einmal mit anderen Augen zu sehen. Katja Mann schreibt in ihrer Inauguraldissertation an der Humboldt-Universität in Berlin 2003: "Ellen Key stand am Schnittpunkt bedeutender Kulturtraditionen Europas wie etwa des Darwinismus, der nietzscheschen Philosophie, des libertären Sozialismus eines Oscar Wilde, einer Pädagogik Rousseaus und des Menschen- wie auch Weltbildes Goethes. Daneben unterhielt sie intensive persönliche Kontakte zu bedeutenden Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern ihrer Zeit... All diese Einflüsse haben es Ellen Key ermöglicht, ein Werk zu schaffen, welches die Pädagogik in ihren vielschichtigen und komplexen Zusammenhängen mit anderen Kulturbereichen definiert - eine Art von Erziehungslehre, die durch ein hohes Maß von Integration vielfältiger wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnisse und Überlegungen besticht und damit auch zukünftig große Aktualität aufweist".
Was will ich Ihnen mit diesem Exkurs zu Ellen Key sagen? Kaum etwas ist so neu, dass es nicht schon einmal dagewesen wäre!
Und lassen sie mich Ellen Key selbst zu Wort kommen: "Bis jetzt erfährt man bloß in Schulreden und pädagogischen Abhandlungen, dass die Erziehung der Jugend die höchste Angelegenheit des Volkes ist; in Wirklichkeit werden sowohl in der Familie wie in den Schulen und im Staate ganz andere Werte in den Vordergrund gestellt" (siehe vorgenanntes Buch, S.12).
Wie wäre es, wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Ihren Verband zu seinem Jubiläum auffordern würden, mal wieder ein Jahrhundert des Kindes auszurufen? Unsere Nachkommen mögen dann überprüfen, ob wenigstens ansatzweise die angestrebten Ziele erreicht wurden. Ja, Ellen Key ist aktuell, bleibt aktuell, weil sie unseren Blick für das Wesentliche schärft.
Im Rückblick hat das Kindergartenwesen viele turbulente Zeiten erlebt. Es würde zu weit führen, hier vertieft einzusteigen. Stattdessem empfehle ich Ihnen die Lektüre der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung des Bayr. Sozialministeriums "Die Geschichte des Kindergartens in Bayern" (erschienen 2006).
Ich selbst habe nie einen Kindergarten besucht. Mit 15 Jahren jedoch stand mein Berufsziel fest: Kindergärtnerin. So verließ ich das Gymnasium mit der mittleren Reife und startete 1964 meine Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin. Dies hinderte mich aber nicht daran, später Sozialpädagogik und Pädagogik zu studieren. Die Durchlässigkeit bzw. der 2. Bildungsweg machten es möglich (Eine Sackgasse ist die Erzieherausbildung also nicht!)
So "überschaue" ich das Kindergartenwesen vier Jahrzehnte - aus der Praxis, der Theorie und der Verwaltung - und habe viele der Turbulenzen und Wellen in der Elementarpädagogik aus den verschiedensten Perspektiven durchlebt und durchlitten.
Viel hat sich in diesen vier Jahrzehnten verändert
Da ist einmal die Ausbildung. Aus dem Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnenseminar wurde die Fachschule für Sozialpädagogik und dann die heutige Fachakademie für Sozialpädagogik. Die Zugangsvoraussetzungen wurden angehoben. Erst reichten der Hauptschulabschluß und Erfahrungen in einer Familie mit mehreren Kindern oder ein Jahr Hauswirtschaftsschule. Dann wurde der mittlere Bildungsabschluß gefordert bzw. wurde die berufliche Bildung gleichwertig eingestuft.
Die 1970er Jahre und das BayKIG
60, 70 oder mehr Kinder in einer Gruppe mit einer Helferin oder im Idealfall einer Kinderpflegerin! Damals. Es folgte die Reduzierung der Gruppenstärke auf durchschnittlich 25 Kinder (allerdings heute schon wieder mit leicht steigender Tendenz).
Als in Bayern 1973 das erste Bayr. Kindergartengesetz in Kraft trat (die Versorgung mit Kindergartenplätzen lag zu diesem Zeitpunkt bei etwa 46%), kam das einer pädagogischen Revolution gleich. Allerdings wurden damit aber auch alle "Sünden" von Jahrzehnten aufgedeckt: bisher viel zu große Gruppen, Mitarbeiterinnen in den Kindergärten ohne pädagogische Ausbildung, keine klare Aufgabenbeschreibung des Kindergartens als Bildungseinrichtung, gravierende Unterschiede im Raumprogramm und in der Ausstattung, keine oder kaum Fachberatung, eine unterentwickelte Fortbildung, kaum wissenschaftliche Forschung. Dies brachte für das Bayerische Kindergartenwesen viele neue Aufgaben.
Wenige Jahre vor dem Inkrafttreten des BayKIG hatte der Dt. Bildungsrat 1970 den Strukturplan für das Bildungswesen verabschiedet. Ob dies die Entwicklungen in Bayern beeinflusst hat? Schließlich hatten wir auch damals die Bildungshohheit der Länder, und somit konnte der Bund nur "Empfehlungen" aussprechen. Und Empfehlungen, das wissen Sie ja selbst, die kann man annehmen, akzeptieren, umsetzen - aber natürlich auch nicht.
Dennoch ließen sich Parallelen aus dem "Strukturplan für das frühe Lernen und den Kindergarten" zur 4. Durchführungsverordnung zum BayKIG (4.DVBayKIG) aufzeigen.
Ein Jahr vor dem BayKIG, 1972, wurde bereits das Staatsinstitut für Frühpädagogik gegründet, mit der Zielsetzung, die Entwicklung des Bayr. Kindergartens als Bildungseinrichtung zu begleiten und den theoretischen Unterbau für das "Bildungsprogramm" der 4. Durchführungsverordnung zu entwickeln.
Diese Zeiten des großen Umbruchs im Bayr. Kindergartenwesen sind u.a. eng verbunden mit dem Namen Anna Maria Hagenbusch. Von 1949 bis 1970 war sie Geschäftsführerin des "Landesverbandes katholischer Kindertageseinrichtungen e.V.". Beim 50-jährigen Verbandsjubiläum zählte der Verband schon 1.700 Mitglieder. Mit ihrem Wissen um die frühkindliche Bildung und Erziehung sowie den Erfahrungen aus der Verbandsarbeit wandte sie sich 1970 einer neuen Aufgabe zu und wurde Ministerialbeauftragte für Kindergärten am Bayrischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus.
Sie fragen sich vielleicht, warum ich dies alles in meinem Beitrag erwähne? Nicht ohne Grund. Anna Maria Hagenbusch förderte nicht nur die aktive Zusammenarbeit des Staates mit den Spitzenverbänden der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege - und somit den Kindertagesstättenverbänden - sondern setzte Schwerpunkte im Bereich der frühen Bildung, die bis heute nichts an Bedeutung verloren haben. So tragen die ersten Bayr. Modellversuche im Kindergartenbereich ihre Handschrift, begleitete sie die Arbeit des IFP, ist die 4. Durchführungsverordnung geprägt von ihrem pädagogischen Verständnis, initiierte sie die Gleichwertigkeitskurse für Mitarbeiterinnen im KIGA ohne Ausbildung bzw. für Kinderpflegerinnen, die in der Verantwortung als Gruppenleiterinnen oder gar Kindergartenleiterinnen arbeiteten, zeichnete sie verantwortlich für Qualifizierungskurse für das Erziehungspersonal in Verbindung mit den Träger- und Berufsverbänden, leitete sie Kommissionen, die Empfehlungen für den Kitabereich erarbeiteten.
"Der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule: Hilfen und Anregungen in altersgemischten Gruppen", diese curricular orientierten Richtlinien für die Erziehung und Bildung der Kinder vor dem Schuleintritt waren richtungsweisend im ganzen deutschsprachigen Raum und führten zur Aufwertung des KiGa als Bildungs- und Erziehungsinstitution. Tja, so etwas kann man schnell vergessen. Wissen Sie, es gibt gar nicht so viel neu zu erfinden. Sicherlich müssen Neuentwicklungen aufgegriffen und Fortschreibungen veranlasst werden. Aber man spricht nicht erst seit PISA und der Erstellung der Bildungspläne von Bildung im Kindergarten!!!
In diese Zeit des Umbruchs fielen auch die Lehrgänge zur Qualifizierung in moderner Vorschulerziehung, die der Caritasverband im Auftrag des Kultusministeriums durchführte und bei denen der heutige Bayrische Wissenschaftsminister Thomas Goppel als junger Lehrer referierte.
In meinen Personalunterlagen findet sich noch das Abschlusszertifikat für meine Teilnahme an diesem einjährigen Kurs. Ich zitiere einige der Aussagen aus der Ausschreibung, Schreiben des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg, vom 11. Oktober 1972: "Die Maßnahme wird vom Bayr. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Institut für Frühpädagogik und Verbänden durchgeführt. In kontinuierlicher Folge werden praxisbezogene Themen entsprechend der heutigen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse aufgegriffen. Diese Fortbildung stellt eine notwendige Hilfe für die Praxis und eine wichtige Ergänzung zur Ausbildung dar... Dieses berufsbegleitende Fortbildungsprogramm umfasst 200 Stunden. Der Kurs wird alle 14 Tage am Samstag von 9 - 17.15 Uhr stattfinden plus eine Woche Vollzeitkurs... Dieses Fortbildungsprogramm verfolgt drei allgemeine Ziele:
- in erster Linie die Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen der frühpädagogischen Arbeit zu konfrontieren;
- die einzelnen pädagogischen Strategien und Erziehungstechniken unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse kritisch zu analysieren;
- und dort, wo es notwendig erscheint, auf Grund des erfolgten sozialen Wandels, auch eine bestimmte Einstellungsänderung zurErziehung bei den Praktikern bewirken...
Es wird darauf hingewiesen, dass hier Wissenschaftler mit Praktikern eng kooperieren und dass das Fortbildungsprogramm einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühpädagogik in hohem Maße Rechnung trägt.
Im ersten Teil des Programms überwiegt die Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse, wobei auch hier die für die Praxis resultierenden Konsequenzen gezogen und formuliert werden sollen. Im zweiten Teil des Programms stehen vorwiegend praktische Fragen im Vordergrund...
Bei der Einheit zwei steht der Kindergarten als Institution im Vordergrund. Nach einer übersichtlichen Darstellung der gegenwärtigen Richtungen in der Frühpädagogik wird auf den Stellenwert des Kindergartens in der Kultur der Gegenwart eingegangen. Fragen der Organisation und der ökologischen Gestaltung werden ausführlich erörtert...
Allgemeinpädagogische und didaktische Fragen des Kindergartens gestalten die 3. Einheit. Rahmenpläne der Vorschulerziehung werden kritisch analysiert. Die Situation in der Bundesrepublik und im Ausland wird dargestellt. Allgemeinpädagogische Fragenkomplexe werden behandelt:
- allgemeine Prinzipien der Erziehung und Förderung im Kindergarten
- Fragen des Vorschulcurriculums im besonderen
- und aktuelle Probleme der Vorschulerziehung...
Einheiten 7 und 8 werden durch Themen aus dem Bereich der pädagogischen Psychologie gekennzeichnet... insbesondere Ergebnisse der lernpsychologischen Forschung. Ferner Probleme um die kognitive und emotional-soziale Förderung des Kleinkindes, die psychologischen Voraussetzungen für die Erziehung von behinderten Kindern, Fragen der Kreativität, des produktiven Denkens etc. ...
In den beiden letzten Einheiten des ersten Teils erfolgt eine Verbindung zwischen Anthropologie, Medizin, Psychologie, Soziologie und Pädagogik...
Diskussion der sozialen Entwicklung des Kindes, Fragen nach der kulturellen bzw. subkulturellen Bedingtheit sozialen Verhaltens... Familie und Kindergarten als Sozialisationsträger in ihrer spezifischen Rolle als Vermittler zwischen Kultur und Individuum...
Bei der 13. Einheit stehen Aspekte der ästhetischen Elementarerziehung, der Musikerziehung und der Spracherziehung im Kindergarten und die logisch-begriffliche Erziehung zur Diskussion...
Inhalt der 14. Einheit: Naturwissenschaftliche Erziehung, körperliche Erziehung und sozial-emotionale Erziehung...
Die Themen des gesamten Lehrgangs gliedern sich wie folgt: (Hier gebe ich nur eine exemplarische Auswahl wieder)
- Wissenschaftstheoretische Grundlagen
- Aussagekraft eines wissenschaftlichen Modells
- Kindergarten und Vorschulerziehung zwischen Wissenschaft und Praxis
- Zur Situation der vorschulischen Erziehung
- Einführung in Literatur zur Vorschulerziehung
- Hilfsmittel, Lerntechniken
- Strömungen der Kindergartenpädagogik und Revision des Kindergartenwesens
- Modellvorstellungen über die Organisation eines Kindergartens
- Europäischer und außereuropäischer Vergleich
- Kindergarten und Schule
- Curriculum
- Rahmenpläne zur Vorschulerziehung
- Analyse der Vorschulerziehung
- Religiöse Erziehung
- Psychomotorische Entwicklung des Kleinkindes
- Entwicklung der Wahrnehmungsfunktionen
- Die Entwicklung der Sprache und Möglichkeiten der Sprachförderung
- Kognitive Entwicklung
- Moderne Sprachforschung und Bedeutung für die Frühpädagogik
- Bedeutung und Entwicklung der Emotionalität bei Kleinkindern
- Entwicklung der Motivation beim Kind
- Leistungsmotivation beim Kind
- Grundprinzipien des Lernens
- Lerntheorien
- Lernmechanismen und -prinzipien bei Kindern von 3-6
- Persönlichkeitsentwicklung als erzieherischer Prozess
- Entwicklung des Problemlösedenkens
- Produktives und kreatives Denken - Kreativität
- Spezielle Führungsformen im Kindergarten
- Formen der Bildungsarbeit im Bereich der Sprache
- Rollenverhalten im Kindergarten
- Konfliktbewältigung
- Methoden systematischer Beobachtung
- Einfluss der Familie auf die soziale Entwicklung
- Elternarbeit
- Die biologische Entwicklung des Kindes im Vorschulalter
- Formen und Ursachen aggressiven Verhaltens
- Auswirkungen von Spielverhalten
- Die Bedeutung der Sprache auf die soziale Entwicklung des Kindes
- Ästhetische Elementar- und Musikerziehung
- Sprach- und Sprecherziehung
- Naturwissenschaftliche Erziehung
- Bewegungserziehung
- etc. etc."
Ich hoffe, dass ich Sie mit diesen Ausführungen nicht gelangweilt habe. Es ging mir lediglich um die Beweisführung, dass der Kindergarten in den letzten Jahrzehnten schon immer als Bildungseinrichtung verstanden wurde und die entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen angeboten bzw. Rahmenbedingungen geschaffen wurden.
Ihr Verband und alle übrigen Verbände haben die Chance stets genutzt, ihre Mitwirkung sicherzustellen.
Wir waren bei den 1970er Jahren. Mit dem Bayrischen Kindergartengesetz war Bayern das erste Bundesland, das Vorgaben für die Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindergärten entwickelt, gesetzlich verankert und in der Durchführungsverordnung zu den Rahmenplänen mit entsprechenden Empfehlungen konkretisiert hat. Dieses Faktum geriet leider in Vergessenheit.
Die 1980er Jahre
Nach dem Inkrafttreten des BayKIG begann ein größerer Ausbau des Kindergartenwesens, zumal mit dem Gesetz - in Kombination mit dem FAG (Finanzausgleichsgesetz) - auch die Mitfinanzierung der Errichtung von Kindergärten durch Kommune und Staat sichergestellt war. Wer in den Bedarfsplan aufgenommen wurde, konnte mit finanzieller Unterstützung rechnen.
Dennoch verlief die Entwicklung in den einzelnen Regierungsbezirken ganz unterschiedlich, je nachdem, wie es auch den Regierungspräsidenten gelang, das Thema Kinder und Familie zu ihrem Schwerpunkt zu machen und Landräte und Bürgermeister mitzureißen. Auch den bischöflichen Bauämtern brachte der Ausbau des Kindergartenwesens viel Arbeit.
Gleichzeitig stellte man einen erhöhten Beratungsbedarf fest. Dies führte zum Auf- und Ausbau der Fachberatung auch in Ihrem Verband und bei den Regierungen. Dennoch entwickelte sich der Kindergartenbereich quantitativ und qualitativ nicht landeseinheitlich. Vielleicht hat es auch mit der Geschichte des Kindergartens zu tun. Nirgendwo gab es so viele Stiftungen zu Kinderbewahranstalten wie in Unterfranken und hier ist jetzt ein Überschuss an KIGA-Plätzen zu verzeichnen.
Stellvertretend für die vielen Fachberaterinnen, die ich Laufe meiner Arbeit kennenlernen durfte, möchte ich Frau Elisabeth Ruf vom Caritasverband für die Diözese Würzburg nennen. Obwohl ich selbst nie in einem Caritaskindergarten tätig war, arbeiteten wir über viele Jahre eng zusammen. In vielen der Fortbildungen, die sie initierte, konnte ich als Referentin mitarbeiten, und viele meiner Praktikantinnen und Schülerinnen wurden nach der Ausbildung in einem Caritaskindergarten tätig. Mit großer Weitsicht hat sie bereits vor vielen Jahrzehnten den Bildungsauftrag der Kindergärten unterstrichen. Ein Blick in die alten Fortbildungsprogramme bestätigt dies.
Aus der Spitze des Landescaritasverbandes möchte ich besonders Herrn Prälat Ertl hervorheben. Wie kaum ein anderer hatte er den Kindergarten zu seinem Thema gemacht. Mit ihm konstruktiv, der Sache der Kinder wegen zu "streiten", hat richtig Spaß gemacht.
Es ist nicht möglich in einem Beitrag über einen solch langen Zeitraum alle verdienten Vertreter und Vertreterinnen zu benennen, Sie mögen das entschuldigen.
Der Rückblick ist noch nicht zu Ende. Können Sie sich erinnern, wann die Kooperation Kindergarten und Grundschule startete? Bereits Friedrich Fröbel machte detaillierte Ausführungen über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und schrieb, was Aufgabe des Kindergartens und der Schule sei. Nur, wer schaut zurück, wenn er einer scheinbar neue Idee hat?
Auch die Bedeutung der mathematischen Förderung ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Auch hier haben u.a. bereits Fröbel und Montessori Grundsteine gelegt, die viel weitgehender sind als Zahlenteppiche, -treppen, -leitern... und wie sog. neue Programme heute heißen.
Der Bayrische Kindergarten hatte das große Glück, dass seine pädagogische Arbeit seit dem Inkraftreten des ersten Kindergartengesetzes durch das Staatsinstitut für Frühpädagogik begleitet wurde. Wie in keinem anderen Bundesland waren so die Übergänge von Forschung - Theorie - Praxis fließend. Posthum sei einer Mitarbeiterin ganz besonders gedankt, Frau Ute Hüffner. Sie hat den schweren Stein der Integration ins Rollen gebracht und unermüdlich, bis zu ihrem zu frühen Tod, für die gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung behinderter und nichtbehinderter Kinder und die Optimierung dieser Arbeit gekämpft. Mit ihren Visionen und Konzepten war sie ihrer Zeit weit voraus. Und leider werden ihre Gedanken bis heute noch nicht vollständig umgesetzt. Reformen brauchen sehr lange, oft wird erst die nächste Generation etwas davon haben! (Falls es gelingt, eine Finanzierung aus "einem Topf" sicherzustellen und die Rahmenbedingungen den besonderen Anforderungen anzupassen).
Dennoch können wir alle stolz sein, dass wir in Bayern einen verhältnismäßig rapiden Ausbau integrativer Einrichtungen erreichen konnten und damit führend in der Bundesrepublik sind. Sie alle in den Kindergärten, in der Fachberatung und bei den Verbänden haben Ihr Knowhow in die integrative Arbeit eingebracht und die gemeinsame Erziehung zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen.
Mit den vielen Modellversuchen im Kindergartenbereich war Bayern in der frühkindlichen Bildung und Forschung immer an der Spitze. Hier zeigte sich Ihr Verband stets offen für Innovationen, aber auch zu konstruktiver Kritik.
Über 30 Jahre leitete Herr Prof. Dr. Dr. Dr. Fthenakis das IFP und setzte gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hohe Maßstäbe für die frühe Bildung. Modellversuche wurden wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Ergebnisse mündeten in viele Publikationen, Handreichungen für die Praxis, die Ausbildung, die Fortbildung, die Elternarbeit, die Politik. Im Kindergartenbereich war Bayern immer in Bundesfachkommissionen und -modellprojekten vertreten. So beeinflussten das Bayrische Kindergartenwesen und die Forschungsarbeit des IFP die Entwicklung der Frühpädagogik in den letzten Jahrzehnten ganz entscheidend.
Mit der Umressortierung des Kindergartens vom Kultusbereich in die Zuständigkeit des Sozialministeriums kam es zu einem Aufschrei in den Kindergärten (die Kinderhorte und Kinderkrippen waren von jeher dem Sozialministerium zugeordnet). Groß war die Angst, dass die Bildung verloren ginge und der Schwerpunkt Familie die kognitive Förderung überlagern könnte.
Das Gegenteil war der Fall. Es kam schon nach wenigen Monaten zur Fortschreibung der Empfehlungen zur 4.DV BayKiG. Das Bayrische Kindergartencurriculum wurde den neuen Entwicklungen angepasst und Zukunftsperspektiven formuliert. Somit war bereits ein Grundstock für den heutigen Bildungs- und Erziehungsplan gelegt.
Heute "neue", aktuelle Themen haben schon viele Jahre Geschichte. So hatte ich selbst zu Beginn der 1980er Jahre Lehrgänge zur Kooperation von KIGA und GS gemeinsam mit den Kollegen der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen entwickelt und geleitet. Ich kann mich auch noch sehr gut an den allerersten Lehrgang zur Zusammenarbeit von Hort und Schule erinnern! Es war anfangs ein zähes Geschäft, aber bald gab es vielerorts Arbeitskreise mit Erziehern und Lehrern. Heute bin ich wieder in der Fortbildung KIGA und GS aktiv und muss feststellen: Wir waren schon einmal weiter!
Aber, Sie wissen ja sicher selbst, Kooperation lässt sich nicht verordnen. Sie gelingt dann, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten wollen. Und nur dann!!
Immer wieder referiere ich auch bei künftigen Grundschullehrern an der Universität, bei Fortbildungen für Seminarleiter... Leider existiert dort viel zu wenig Wissen über das methodische Arbeiten bzw. über die Didaktik des Kindergartens. Solange Forderungskataloge ausgetauscht und falsche Erwartungen an die jeweils andere Institution gestellt werden, kann und wird Kooperation nicht gelingen. Daran ändern auch Empfehlungen, Verordnungen oder Gesetze nichts!
Sie spüren ein bißchen meine Enttäuschung. Aber bedenken wir, wie sehr sich Kinder auf die Schule freuen, und wie schnell diese Freude dann umschlägt! Hier muß die Forschung ansetzen.
Der Komplex der Elternarbeit hat auch Geschichte. Die Intensivierung der Elternarbeit war und ist ein Thema. Bei der Diskussion um Hospitationen von Eltern oder Elternmitwirkung hielt sich die Begeisterung der Einrichtungen in Grenzen. Wie aber sonst sollen denn Eltern die Arbeit des KIGA kennen und verstehen lernen? So wird das Thema immer ein heißes Eisen bleiben.
Vor vielen Jahren wurden Forderungen nach einem neuen Gesetz laut, das die Bildung, Erziehung und Betreuung aller Kinder berücksichtigen sollte, gleich ob in Tagespflege, Krippe, Kindergarten oder Hort. Sie als Erzieherinnen, Träger und Verbände formulierten Ihre Erwartungen. Erstmalig wurde die Entwicklung eines Gesetzes und das gesamte Gesetzgegebungsverfahren öffentlich diskutiert. Foren eröffneten die Möglichkeit für Fragen und schriftliche Äußerungen. Vertreter der Politik und der Verwaltung stellten sich unermüdlich der Diskussion.
Und dennoch sind nicht alle zufrieden. Hören Sie auch die positiven Stimmen? In Bayern gibt es über 7.000 Kindertageseinrichtungen. Jede Einrichtung hat ihr eigenes Konzept, ihre individuellen Kinder, Eltern, Erzieher, Träger. Wenn man alle unter einen Hut bringen will, das gibt ein ziemliches Gedränge. So ist es nicht auszuschließen, dass es "Druckstellen" oder "Schatten" gibt! Ein Spagat auch für die Autoren des Gesetzes.
Dem BayKiBiG ist jedoch gelungen, alle Formen der Bildung, Erziehung und Betreuung unter einem gesetzlichen Dach zu vereinen.
Die Anforderungen an den Kindergarten stiegen in den letzten 10 Jahren ganz besonders. Wissen Sie weshalb? Da testet man 15-jährige Schulkinder hinsichtlich ihrer Leistungen in den verschiedenen Fächern - und wer bekommt die Schuld für die schlechten Leistungen? Der Kindergarten!
Auch hier ein kleiner Rückblick
- Die 1990er Jahre bescheren uns die Delphi-Studien - das Wissens- und das Bildungsdelphi (die Ergebnisse wurden von Erziehern, Lehrern und in der Aus- und Fortbildung kaum beachtet). Im Auftrag des Bundeswissenschaftsministeriums wurden über 1.000 Wissenschaftler und Bildungsexperten über die zukünftige Entwicklung des Wissens, des Einflusses auf die Gesellschaft sowie die Konsequenzen für das Bildungswesen befragt. Begriffe wie Wissensgesellschaft, Halbwertzeit des Wissens oder Dynamik der Wissensgebiete wurden diskutiert. Das Ergebnis, dass das derzeitige Bildungssystem mit seinem Reformstau den zukünftigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sei, wurde zwar erkannt, die Konsequenzen lassen aber auf sich warten! Wieder ein Bericht für die Bibliothek?
- Kurz vor dem Jahrtausendwechsel der "TIMSS- Schock!" Deutsche Schüler erbringen im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Ob ein Mathematik-Kindergartenprogramm hier Abhilfe schaffen könnte? Weg vom Spiel, dafür täglich Mathematikeinheiten. Schade, dass gerade die Erzieher das Fröbelmaterial mit seinen mathematischen Schwerpunkten vergessen haben! Oder, wie wäre es mit dem Mathematikmaterial Maria Montessoris?
- Und dann gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends der "PISA-Schock"! Dieses Mal geht es u.a. um Sprachdefizite. Und wieder sind die in Kindergarten und Elternhaus ungenügend geförderten Kinder schuld, dadd wir im schulischen Leistungsvergleich schlecht abschneiden. Sollten wir nicht Sprachförderstunden in den Kindergärten einführen?
- 2001/2002: Die "Empfehlungen des Forums Bildung" werden vorgelegt. Es wird in unserer Republik wirklich hart an Verbesserungsvorschlägen für das Bildungssystem gearbeitet - zumindest theoretisch! Gleich die erste Empfehlung bezieht sich auf die frühe Förderung: "Insbesondere die Motivation und die Fähigkeit zu kontinuierlichem und selbstgesteuertem Lernen sind früh zu wecken. Neben dem wichtigen Lernen in der Familie sind die Möglichkeiten der Kindertageseinrichtungen zur Unterstützung früher Bildungsprozesse deutlich besser zu nutzen". Es wird spannend. Ob die Ergebnisse in nächster Zeit wenigstens ansatzweise umgesetzt werden?
Wenn die schon so oft für notwendig erklärte Bildungsreform, die sich primär in den Köpfen der Erwachsenen vollziehen muss, nicht bald kommt, dann werden weitere Studien weitere Defizite unserer Kinder herausfinden. Der nächste Schock wird kommen. Die Kinder wird es treffen, und man wird sie mit einem neuen Trainingsprogramm traktieren.
Wir müssen die Kinder vor Auswirkungen einer solchen defizitär ausgerichteten Bildungseuphorie und vor "Schnellschüssen" bewahren!
Immer wichtiger wird es, der Unterforderung unserer Kinder im Kindergarten (und in der Schule!) entgegen zu wirken. Kinder wissen, was sie wissen wollen. Ihr "Weltwissen" ist viel weitgehender, als wir ihnen zutrauen. Kinder interessiert alles, sie erwarten Antworten auf ihre Fragen, eine Berücksichtigung ihrer Individualität und ihres Entwicklungsstandes.
Die Bildung unserer Kinder fordert uns täglich neu heraus. Wir müssen aber kritisch überprüfen, was dem Kinde schadet oder was ihm nützt.
Wenn man die Presseberichte kontinuierlich verfolgt, so könnte man meinen, dass die Lösung im Nürnberger Trichter liegen könnte. Ein Löffelchen Mathematik in das Kind füllen, und wir haben TIMSS aufgearbeitet. Ein Quäntchen Sprache, und schon sind die Sprachdefizite, die PISA festgestellt hat, beseitigt... So einfach ist es nicht!
Eines steht fest: Nicht die Kinder tragen die Schuld am Bildungsdebakel! Weitere Reformen sind angesagt - sind überfällig - zum Wohle und für die Zukunft unserer Kinder. Aber bitte keine Experimente auf dem Rücken der Kinder!
Warum nur lässt sich der Kindergarten so schnell verunsichern und jedes Förderprogramm aufs "Auge drücken"? Warum stehen wir nicht selbstsicher auf und "vermarkten" unsere Arbeit? Wer weiß denn schon außerhalb des Kindergartens, wie und was Kinder lernen? Welche Impulse Sie ihnen geben?
Vor wenigen Tagen hat mich der Vortrag eines Vertreters der Wirtschaft ganz schön in Rage gebracht. Er führte aus, dass es aufhören müsste, dass Kinder im Kindergarten nichts lernen und nur herumhängen. Er würde jetzt Experten finanzieren, damit die Erzieher mal sehen, wo die Zukunft liegt. Auch die Schulen bräuchten andere Lehrer. Er wolle Superlehrer auswählen und dann einzelnen Schulen zusätzlich kostenfrei zur Verfügung stellen... etc.
Im Raum saßen bestimmt 200 Erzieher und Lehrer. Mir ist der "Kragen geplatzt", und ich habe dem Vertreter der Wirtschaft empfohlen, doch in beiden Einrichtungen mal einige Tage zu verbringen. In der Pause wurde ich von Teilnehmern umringt, die sich bedankten, dass ich den Mund aufgemacht hätte...
Dürfen und sollen wir uns von der Wirtschaft bestimmen lassen? Wo bleibt der Stellenwert der Frühpädagogik? Solche Erlebnisse drängen mir und wahrscheinlich auch Ihnen Fragen auf: Wer interessiert sich denn noch für das Kind und was Kinder brauchen? Warum werden immer mehr Kinder "auffällig"? Wer ist Anwalt der Kinder?...
Wie leicht wird gesagt: Kinder sind unsere Zukunft. Wenn es um Interessensvertretung für Kinder geht, wo bleibt dann der Blick in die Zukunft?
Ich habe Ihnen einige Gedanken von Ellen Key vorgestellt. Jetzt verstehen Sie warum. Das Jahrhundert des Kindes, das sie einst ausgerufen hat, das ist vorbei. Wo sind die Ergebnisse, insbesondere für unsere Kinder? Welche Ziele wurden erreicht?
Mit diesen wenigen Blitzlichtern habe ich versucht, Ihnen die Entwicklungen einiger Jahrzehnte vor Augen zu führen. Gleichzeitig hoffe ich, dass es mir gelungen ist, Ihren Blick für das Wesentliche zu schärfen: Das Kind! Und das Wesentliche ist das Kind. Es muss Mittelpunkt all unserer Überlegungen sein. Wir dürfen es nicht als einen Menschen mit vielen Defiziten sehen. Nein, seine Ressourcen heißt es zu entdecken. Bei jedem einzelnen Kind müssen wir in der Förderung bei seinen Fähigkeiten ansetzen. Statt "Defizitlisten schreiben wir Fähigkeitslisten" und treten dem Kind mit Anerkennung entgegen. Es wird ein neuer Weg der Förderung, denn das Kind spürt, dass wir es "erkannt" haben. Das Kind wird dann auch sehr schnell begreifen, dass wir als Pädagogen seine Helfer und Begleiter sind, Menschen, an die man Fragen richten kann, Menschen, die an die Kinder Fragen stellen und die bereit sind, von Kindern zu lernen.
Kinder sind aus sich heraus Forscher, Entdecker, Fragende und Infragestellende. Sie als Erwachsene sind "Zuseher", "Zuhörer" und Förderer. Zuerst fördern Sie die Ressourcen beim Kind zu Tage wie Bodenschätze aus einem Bergwerk. Sie beobachten, stützen, begleiten den Fördervorgang. Sie kommen, wenn Sie gerufen werden. Sie drängen sich nicht auf. Sie bieten dem Kind Ihre Hilfe an, Zeit, Vertrauen, Wissen und Information und haben Geduld in der Beobachtung der Lernwege der Kinder. Kinder müssen mit allen Sinnen lernen, das ist in ihnen angelegt. Sie gelangen über das Greifen zum Begreifen, durch den Umgang mit dem Konkreten entwickeln sie die Fähigkeit zu Abstrahieren. Sie werden als Lernende geboren, sind hungrig nach Vorbildern und Modellen und beherrschen das Lernen. Ihre Neugier treibt sie voran.
So möchte ich Ihnen allen, liebe Leserinnen und Leser, meinen Dank aussprechen für Ihre Arbeit mit den Kindern, den Eltern, in der Fortbildung und in der Verbandsarbeit. Zehn Jahre noch, dann kann der Verband seinen 100. Geburtstag feiern. Ob bis dahin der Reformstau verringert wird und alle unsere Wünsche in Erfüllung gegangen sind?
P.S. oder AKTUELL: 14.11.2007 Abendprogramm des Bayr. Fernsehens. Ein kurzer Filmbericht über das KidZ - Projekt ("Kindergarten der Zukunft") - einen Modellversuch, Kindergarten und Grundschule konstruktiv miteinander zu verbinden. Und schon wieder die Diskussion zur (Um-) Ressortierung des Kindergartens, so, als könne Kooperation nur funktionieren, wenn sich KIGA und GS in der Zuständigkeit eines Ministeriums befänden! Tja, wenn das die Lösung wäre, dann stellt sich mir die Frage, warum dann vor der Umressortierung des KIGA in das StMAS die Zusammenarbeit beider Institutionen so gar nicht funktioniert hat? Ich leitete von 1970 bis 1980 einen Modell-Kindergarten in Bayern, direkt neben einer Grundschule. Eine Lehrerin arbeitete mit uns zusammen. Dieser Kooperation wurde durch Versetzung ein Ende bereitet. Ich glaube nicht, dass mich die Erinnerung trügt, die Zeiten waren nicht rosig! Im Auftrag des Schulamtes wirkte ich in jenen Jahren an Fortbildungen für Lehrer zum Thema mit... Ab 1980 war ich dann Fachberaterin... Ich erinnere mich...
Aber, ich hätte da eine Idee. Fröbel verglich den Kindergarten mit einem Garten und die Kinder mit Pflanzen. Letztere muss man hegen, pflegen und gießen, damit sie sich voll entfalten und wachsen können. Da das Landwirtschaftsministerium für Gärten und Pflanzen zuständig ist, so könnte man doch das Problem lösen und die ewige Diskussion um Ressortzuordnung beenden: Der Kindergarten kommt ins Landwirtschaftsministerium! (und die Schule gleich mit!). Eindeutige Zuständigkeit für das "Wachsen und Gedeihen".