"Die Geschichte der Erzieherin in größeren Zusammenhängen verstehen" - Zur Entwicklung der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit

Ralph Christian Amthor

Ein Berufsstand,
der seine eigene Geschichte wenig
oder nur in Fragmenten kennt,
der seine Vergangenheit
letztlich nicht in vollem Umfang erklären kann,
erscheint für den Außenstehenden
orientierungslos und ohne Fundament.

Der Kindergarten als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit

Unter den sozialen Berufen ist die Erzieherin - zumindest in quantitativer Hinsicht - der zentrale Beruf der Gegenwart: Nach der amtlichen Statistik waren im Jahr 2003 insgesamt 1.295.000 Personen in sozialen Berufen tätig; der Erzieherinnenberuf hatte in diesem Jahr mit 452.000 Erwerbstätigen einen Anteil von 34,9%; jeder dritte Erwerbstätige unter den sozialen Berufen hat damit eine Erzieherausbildung auf einer Fachschule oder Fachakademie absolviert. Dabei gilt auch festzuhalten, dass es sich hierbei um einen ausgeprägten Frauenberuf handelt: 92,3% aller Beschäftigen waren Frauen; die Teilzeiterwerbsquote lag bei 37,9% (1).

Neben der Erzieherin gibt es heute eine ganze Palette an weiteren sozialen Berufen: die Kinderpflegerin, die Familienpflegerin und Dorfhelferin, die Heilerziehungspfleger, die Heilpädagogen und die Altenpfleger, des Weiteren die Diplom-Sozialpädagogen und Diplom-Sozialarbeiter sowie die Diplom-Pädagogen. Neben diesen zentralen Ausbildungsberufen bestehen zusätzlich weitere berufliche Qualifizierungsmöglichkeiten, die jedoch nur in einzelnen Bundesländern oder bei bestimmten Anstellungsträgern angeboten werden (2).

Die Arbeitsfelder, in denen soziale Berufe heute ihre Tätigkeit verrichten, sind dementsprechend sehr vielfältig und reichen von der Vorschulerziehung und den anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe über Angebote für Mütter, Ehe und Familie, Hilfen für ältere Menschen und Dienste für geistig, körperlich und seelisch behinderten Mitbürger bis hin zu Angeboten im Gesundheitsbereich. Als Sammelbegriff für all diese Arbeitsbereiche hat sich seit dem Beginn der 1990er Jahre zunehmend der Begriff "Soziale Arbeit" eingebürgert.

Die Soziale Arbeit, und mit ihr der Kindergartenbereich und die gesamte Kinder- und Jugendhilfe, stellt zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur einen wichtigen gesellschaftlichen Teil in Deutschland dar, mit unzähligen Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen verschiedenster freier und öffentlicher Träger, mit einem riesigen Heer an Erwerbstätigen und einer enormen Wirtschaftskraft, sondern verfügt auch über eine Jahrhunderte lange, überaus vielschichtige und fesselnde Berufsgeschichte, auf die nachfolgend eingegangen werden soll.

Zur Entwicklung sozialer Berufe

Lange Zeit sahen sich Absolventen der Berufsfachschulen, Fachschulen, Fachhochschulen oder Universitäten wie schicksalhaft dem Risiko der Arbeitslosigkeit oder dem Verdacht mangelnder Qualifizierung ausgesetzt. So galten für Erzieherinnen insbesondere die Jahre zwischen 1977 und 1985 wegen der hohen Arbeitslosigkeit als Zeiten der "Ausbildung für die Arbeitslosigkeit" (Lademann 1985) und der "großen Depression" (Rauschenbach 1995, S. 40). Auch in der Gegenwart sind Erzieherinnen und mit ihr die Erwerbstätigen aus anderen sozialen Berufen aufgrund der finanziellen Probleme öffentlicher und freier Träger in der Sozialen Arbeit mit einer schwierig werdenden Beschäftigungslage konfrontiert.

Gleichwohl gilt festzuhalten, dass die Soziale Arbeit - insgesamt betrachtet - ein außergewöhnliches Erfolgsprojekt ist, eine Tatsache, die allzu oft überrascht, die sich aber am Beispiel der überaus positiven Entwicklungsgeschichte der Erwerbstätigkeit sehr leicht belegen lässt. Ein kurzer Blick auf einige einführende Zahlen mag dies verdeutlichen.

Erstmals überhaupt statistisch erfasst wurden soziale Berufe in der Volkszählung von 1925. Damals führte das Statistische Reichsamt insgesamt 31.351 erwerbstätige Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, Kinderpflegerinnen, Jugendleiterinnen und Wohlfahrtspflegerinnen als soziale Berufe der damaligen Zeit auf. Ausgegangen werden kann dabei, dass bereits zu jener Zeit die Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, als eine der wichtigsten Vorgängerberufe der heutigen Erzieherinnen, die größte Gruppe unter diesen Erwerbstätigen bildete. Die nachfolgende Übersicht spiegelt die weitere Entwicklung sozialer Berufstätigkeit in den darauf folgenden Jahrzehnten bis heute wieder:

Entwicklung der Erwerbstätigkeit in sozialen Berufen (3)

Jahr Volks- und Berufszählung Mikrozensus

1925

31.000

1933

40.000

1939

44.000

1950

67.000

1961

96.000

1970

151.000

1973

168.000

1976

227.000

1978

266.000

1980

293.000

1982

314.000

1985

361.000

1987

410.000

405.000

1989

473.000

1991

781.000

1993

866.000

1995

950.000

1996

1.011.000

1997

1.039.000

2000

1.176.000

2002

1.255.000

2003

1.295.000

Angesichts dieser überaus positiven Entwicklungen hat sich die Sichtweise bezüglich der Erwerbstätigkeit sozialer Berufe inzwischen nachhaltig geändert: So wird seit den 1990er Jahren denn auch von den "Spitzengruppen der Zukunfts-/ Wachstumsberufe" (Maier 1996) oder von "ausgeprägten Wachstumsfeldern" (Dietrich 1996) gesprochen. Da diese geschichtlichen Prozesse zwischen den Jahren 1900 und 2000 stattfanden, verwendet man in diesem Zusammenhang zudem auch den Begriff "Sozialpädagogisches Jahrhundert" (4).

Problemstellungen bei der Rekonstruktion der Geschichte sozialer Berufe

Die Erwerbstätigkeit sozialer Berufe war auch Gegenstand eines wissenschaftlichen Projektes, das zwischen den Jahren 1998 und 2001 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik durchgeführt wurde (vgl. Amthor 2003). Ausgangspunkt und Anlass für dieses Projekt bildete die Tatsache, dass zwar die Soziale Arbeit als wichtiger gesellschaftlicher Teilbereich und auch die beschriebene gewaltige quantitative Zunahme von Erwerbstätigen in diesem Arbeitsfeld von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, allerdings die Frage nach dem geschichtlichen Werden des heutigen sozialen Ausbildungssystems für soziale Berufe unbeantwortet oder nur vage beantwortet werden konnte.

Wie soziale Berufe entstanden und insbesondere auf welche historischen Prozesse und Traditionen deren Ausbildung beruhte, war nur bruchstückhaft bekannt und konnte angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher, sich allzu oft auch widersprechender Aussagen, Zielsetzungen und Weltanschauungen der unterschiedlichsten Träger und Wissenschaftler, sowie völlig offener Fragen zur Entwicklung sozialer Berufe, nicht angemessen beantwortet werden.

Diesbezüglich blieb nicht nur der Beginn sozialer Berufsausbildung und deren weitere Entwicklung nebelhaft; ungeklärt war in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Berufe zu den sozialen Berufen gehörten und welche Traditionsstränge entsprechend zurückverfolgt werden sollten. Für keinen sozialen Beruf lag bislang eine erschöpfende Geschichtsschreibung vor; eine fundierte Auskunft zur historischen Entwicklung des gesamten Ausbildungssystems konnte nicht gegeben werden.

Das wissenschaftliche Projekt versuchte, diesem Umstand Rechnung zu tragen und in einem historischen Rückblick die Ausbildungsgeschichte für soziale Berufe zu erforschen. Im Vordergrund stand dabei die Suche nach der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen Berufsausbildungen. Als zweite Fragestellung wurde untersucht, ob sich soziale Berufe unabhängig voneinander entwickelten oder ob sich Berührungspunkte und gemeinsame Entstehungstraditionen dokumentieren lassen.

Ab wann entwickelten sich nun die ersten sozialen Berufe? Wo liegen die Wurzeln der zentralen Berufe der Gegenwart? Welche Berufsbezeichnungen gab es in der Vergangenheit? Nachfolgend sollen diese Fragen mit einem groben, einführenden Abriss der Ausbildungsgeschichte beantwortet werden.

Der Beginn der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit (1800-1871)

Hinsichtlich der ersten in der Geschichte nachweisbaren Ausbildungsberufe kann man nach den Ergebnissen des durchgeführten Projektes zunächst davon ausgehen, dass es bis zum Jahr 1800 - zumindest in Deutschland - keine entsprechende berufliche Qualifizierung für eine Tätigkeit in der Armenpflege gab. Die ersten sozialen Berufe entstanden mit dem beginnenden 19. Jahrhundert.

Als erste historische Wurzeln der Berufsausbildung lassen sich zunächst mit der Kleinkindererziehung und der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in Rettungsanstalten und Waisenhäusern zwei große Arbeitsfelder festhalten. Die Wurzeln des heutigen Erzieherinnenberufes liegen gerade in diesen beiden Bereichen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es an vereinzelten Orten in der Betreuung von kleinen Kindern zu ersten Qualifizierungsbemühungen. Ab etwa Mitte der dreißiger Jahre richtete der evangelische Theologe Theodor Fliedner (1800-1864) in Kaiserswerth eine Ausbildung zur "Kleinkinderlehrerin" ein. Wenige Jahre später kam es durch den Pädagogen Friedrich Fröbel (1782-1852) mit dem Beruf der "Kindergärtnerin" zu einer weiteren Ausbildungskonzeption. Insbesondere aus diesen beiden Wurzeln entsprangen bereits bis zur Reichsgründung im Jahr 1871 andere Ausbildungsstätten für den Vorschulbereich in Deutschland.

Zur gleichen Zeit entwickelte der Pädagoge und Theologe Johann Hinrich Wichern (1808-1881) im Bereich der damaligen Heimerziehung mit dem "Hausvater" und "Gehilfen" zwei weitere soziale Berufe, für die er - auch nach heutigen Maßstäben - mit vier bzw. zwei Jahren eine äußerst umfangreiche Ausbildung durchzuführen begann. Wichern entwickelte zudem weitere soziale Berufausbildungen, die es allerdings nur wenige Jahrzehnte gab: den "Kolonistenprediger" für die Armenpflege für Auswanderer, den "Gefängnisaufseher" für eine Tätigkeit in den Gefängnissen, Armenhäusern und Arbeitshäuser sowie den "Pilgernden Bruder" für die Armenpflege von umherziehenden Handwerksgesellen. Neben Wicherns Rauhen Haus in Hamburg entwickelten sich weitere Ausbildungsstätten für evangelische Brüder und Diakone, die vor allem in der evangelischen Inneren Mission arbeiteten.

Von der Deutschen Reichsgründung bis zum Ende des I. Weltkrieges (1871-1918)

In der Zeit nach der Reichsgründung im Jahr 1871 weiteten sich die genannten sozialen Berufsausbildungen zunächst bis zur Jahrhundertwende aus, indem zahlreiche Ausbildungseinrichtungen gegründet wurden. Neben der evangelischen "Kleinkinderlehrerin" und der Fröbelschen "Kindergärtnerin" lassen sich weitere Qualifizierungsbemühungen von Einzelpersonen sowie Ausbildungsversuche von katholischen Ordensschwestern nachweisen, die als "Kinderbewahranstaltsschwestern" ebenfalls in diesem Arbeitsfeld tätig wurden.

Neben dem Vorschulbereich kam es insbesondere um die Jahrhundertwende zur Gründung von Kinderhorten, für die mit der "Hortnerin" eigens ein gesonderter sozialer Beruf geschaffen wurde, so zum Beispiel ab dem Jahr 1907 im Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus oder ab dem Jahr 1910 im Verein Jugendheim in Charlottenburg.

Das Ausbildungswesen in der Vorschulerziehung differenzierte sich im Kaiserreich aber auch insofern, als unter dem Ausbildungsniveau der Kindergärtnerin mit der "Kinderpflegerin" ein weiterer Ausbildungsberuf entstand. Bereits vereinzelt vor der Reichsgründung, im größeren Umfang dann aber nach 1871, war dieser soziale Beruf zwar in erster Linie für die Erziehung von Kleinkindern in Familienhaushalten konzipiert. Aufgrund der Anstellungswünsche der Kinderpflegerinnen sowie der Nachfrage bei den Einrichtungen fanden Angehörige dieses sozialen Berufes aber vielfach im Kindergartenbereich eine Anstellung.

In die Zeit des Kaiserreichs fällt zudem ein sehr wichtiges Ereignis in der Ausbildungsgeschichte sozialer Berufe: Im Jahr 1911 kam es mit dem Erlass der "Vorschriften für die an Frauenschulen angegliederten Kurse zur Ausbildung der Kindergärtnerinnen und Jugendleiterinnen" und der "Ordnung der Kindergärtnerinnenprüfung an den Lyzeen" in Preußen zu einer ersten staatlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnung, die in den nachfolgenden Jahren in ähnlicher Form in anderen Ländern des Reiches übernommen wurde. Diese umfassenden Bestimmungen waren die ersten ihrer Art in der gesamten Geschichte der Berufsausbildung der Sozialen Arbeit.

Neben dem Kindergärtnerinnenberuf regelten diese rechtlichen Bestimmungen auch einen anderen sozialen Beruf, nämlich den der "Jugendleiterin". Dieser hatte sich aus der Fröbelschen Tradition heraus und als Folge der Ausbreitung des Vorschulbereiches bereits ab etwa dem Jahr 1880 für leitende, später auch unterrichtende Tätigkeiten entwickelt. Hierbei handelte es sich aber nicht um eine eigenständige Berufsausbildung, sondern durchweg um eine Zusatzausbildung für bereits berufserfahrene Kindergärtnerinnen.

Neben der Berufsausbildung zum evangelischen Bruder bzw. Diakon, der allerdings in erster Linie in der Inneren Mission ein breites und vielfältiges Arbeitsfeld fand, entwickelte sich nunmehr auch für die öffentliche Armenpflege und -fürsorge ab dem Jahr 1893 durch die "Mädchen- und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit" in Berlin, und hier insbesondere durch das Wirken von Alice Salomon (1872-1948), eine entsprechende soziale Berufsausbildung.

Interessanterweise stand diese neue berufliche Qualifizierung zunächst in großer Nähe zu den Berufen der Kleinkindpädagogik. Beispielsweise begann Alice Salomon ihr berufliches Wirken in einem Kinderhort. Im weiteren Verlauf löste sich dieses Ausbildungsangebot von der Vorschulpädagogik und erhielt insbesondere durch die Ausdifferenzierung der Fürsorgeleistungen ein eigenes umfangreiches Arbeitsfeld, das eine angemessene Ausbildung unumgänglich machte.

Die Ausbildung für die Armenpflege durch die "Mädchen- und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit" und anderen Ausbildungseinrichtungen bildet zusammen mit der Berufsausbildung zur "Jugendleiterin" die historisch wichtigsten Wurzeln der heutigen Ausbildung von Diplom-Sozialpädagogen und Diplom-Sozialarbeitern an den Fachhochschulen.

Das weite Spektrum an sozialen Berufen der Weimarer Republik (1919-1932)

Als Folge der umfangreichen sozialpolitischen Reformen der Weimarer Republik festigte und vertiefte sich das bestehende Ausbildungssystem: Für alle sozialen Berufe jener Zeit - Kinderpflegerinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, Jugendleiterinnen und Wohlfahrtspflegerinnen - wurden nicht nur weitere Ausbildungsstätten errichtet, sondern zudem die berufliche Qualifizierung weiterentwickelt und neue Arbeitsfelder durch entsprechende Inhalte in der Ausbildung berücksichtigt. Darüber hinaus kam es zum Erlass weiterer Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, die den bereits seit dem Kaiserreich begonnenen Vereinheitlichungsprozess sozialer Berufsausbildung weiter vorantrieben. Diese Prozesse führten beispielsweise durch die Vereinigung der Ausbildung für den Vorschul- und Hortbereich zu dem sozialen Beruf der "Kindergärtnerin und Hortnerin".

Und noch einen weiteren Aspekt gilt es festzuhalten: War der Zugang zur Ausbildung für einen sozialen Beruf über Jahrzehnte hinweg fast ausschließlich nur Frauen gestattet, so wurde Männern während der Weimarer Zeit der Zugang zu den Wohlfahrtsschulen gestattet, um einen Abschluss als "Wohlfahrtspfleger" zu erwerben. Im Bereich der männlichen Diakonie kam es zu einer Anpassung an die staatlichen Vorgaben und Ausbildungsstandards.

Die Ergebnisse des durchgeführten wissenschaftlichen Projektes belegen aber auch, dass nicht nur Bewährtes fortgeführt, sondern auch Neues erdacht und in Gang gebracht wurde: So lassen sich neue Ausbildungsversuche in verschiedenen Arbeitsfeldern der immer umfangreicher gewordenen Wohlfahrtspflege, insbesondere in der Arbeit mit behinderten Menschen, in der Jugendpflege und in der Familienpflege, belegen. In der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in Heimen entwickelten sich nunmehr auch außerhalb der männlichen Diakonie berufliche Qualifizierungsversuche; zudem lassen sich bereits für jene Zeit umfangreichere heilpädagogische Zusatzausbildungen für soziale Berufe nachweisen.

Abgerundet wird das Bild dieser Epoche durch entsprechende Ausbildungskonzeptionen auf der Ebene der wissenschaftlichen Hochschulen, die bereits kurz vor dem Ende des Deutschen Kaiserreichs einsetzten und nun, wenn auch quer durch nahezu alle Fakultäten und auch außerhalb der Hochschule selbst, die Notwendigkeit von wissenschaftlicher Forschung und Lehre erkennen ließen.

Insgesamt betrachtet hatte sich damit bis zum Ende der Weimarer Republik ein auf unterschiedlichen Schulebenen gegliedertes, überaus vielfältiges Ausbildungssystem für soziale Berufe herausgebildet, das bereits damals große Ähnlichkeiten mit dem heutigen aufwies.

Soziale Berufsausbildung während der nationalsozialistischen Diktatur (1933-1945)

Auch wenn nationalsozialistisches Gedankengut bereits in der Weimarer Republik in die Berufsausbildung mit einflossen, bedeuteten die Jahre ab 1933 für die weitere Entwicklung der sozialen Berufsausbildung ohne jeden Zweifel einen radikalen Einschnitt mit weitreichenden Auswirkungen: Sowohl durch entsprechende Erlasse und Verfügungen als auch durch Zwang, Verfolgung und Ausgrenzung wurde die soziale Ausbildung rigoros den Zielen der Diktatur unterworfen und in jeder Hinsicht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Die soziale Berufsausbildung mutierte zur ideologisch ausgerichteten "Volkspflege" am arischen, erbgesunden, leistungsfähigen und politisch angepassten Volksgenossen und dessen Familie und qualifizierte gleichzeitig Schüler und Studenten zur Selektion und schließlich "Ausmerze" von so genannten "Staatsfeinden", "minderwertigen fremden Rassen" und "lebensunwertem Leben".

Alle während dieser Zeit erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen sowie die unterschiedlichen anderweitigen Erlasse und Verfügungen dienten allein den ideologischen Zielsetzungen und waren Teil des Krieges, den Adolf Hitler und der nationalsozialistische Machtapparat sowohl nach außen gegen andere Staaten als auch nach innen im Deutschen Reich führte.

Der Reichtum und die Vielfältigkeit an sozialer Berufsausbildung der Weimarer Republik wurde nicht nur in wesentlichen Grundzügen beschnitten und entstellt, sondern auch die Entwicklung sozialer Berufe und die entsprechenden Ausbildungsbestrebungen im Bereich der Heilpädagogik, die berufliche Qualifizierung für die Arbeit mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, für die Heimerziehung und Familienpflege, aber auch die damaligen Studienmöglichkeiten an wissenschaftlichen Hochschulen wurden eingeschränkt oder völlig unterbrochen.

Zwar gilt festzuhalten, dass sich der quantitative Ausbau der Ausbildungsstätten auch in dieser Zeit fortsetzte; für die Entwicklung sozialer Berufe brachte diese Zeit jedoch, insgesamt betrachtet, keine nennenswerten Errungenschaften. Der Nationalsozialismus war in jeder Hinsicht der völlige Tiefstand in der Entwicklung sozialer Berufsausbildung, wie auch in der Geschichte der Kindergartenpädagogik und der gesamten Sozialen Arbeit insgesamt.

Die Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland (1945 bis heute)

Nach dem Scheitern der nationalsozialistischen Barbarei orientierte sich der Neubeginn der Sozialen Arbeit an den Verhältnissen der Weimarer Republik. Auch im sozialen Ausbildungssystem wollte man nunmehr wieder an den Errungenschaften früherer Zeiten anknüpfen, was auch für die neuen, nach 1918 begründeten beruflichen Qualifizierungsbemühungen galt, die sich nun konzeptionell breit angelegt weiterentwickelten.

Zeitgleich zur Entwicklung des Kinderpflegerinnenberufs verbreiteten sich Heimerzieherschulen, die sich Ende der 1960er Jahre mit dem Beruf der "Kindergärtnerin und Hortnerin" zum neuen sozialen Beruf der/des "Erzieher(in)" vereinigten.

Zeitgleich mit dem Entstehen der Fachhochschulen Anfang der 1970er Jahre lässt sich eine weitere Verschmelzung zweier sozialer Ausbildungen festhalten: So wurde der "Sozialpädagoge", ein Beruf, der aus der "Jugendleiterin" hervor ging, und der sich seit dem Ende der 1950er Jahre aus den Wohlfahrtspflegeschulen heraus entwickelte Sozialarbeiterberuf ab den 1970er Jahren zunehmend und im weiteren Verlauf nach der deutschen Wiedervereinigung und der Rahmenvereinbarung der Kultusminister im Jahr 2001 bundesweit als ein einheitlicher Studiengang angeboten.

Als neuer sozialer Beruf entstand zeitgleich mit diesen Vereinheitlichungs- und Erneuerungsprozessen der Beruf des "Diplom-Pädagogen". Das Studium an wissenschaftlichen Hochschulen bereitet durch verschiedene Studienschwerpunkte, wie beispielsweise Sozialpädagogik, Vorschulpädagogik oder Heilpädagogik, auf eine Tätigkeit in der Sozialen Arbeit vor.

Bereits seit dem Ende der 1940er Jahre hatten sich darüber hinaus zahlreiche weitere soziale Berufe begründet, so die Ausbildung zur "Familienpflegerin" und "Dorfhelferin". Gab es bereits in der Weimarer Zeit verschiedene Weiterbildungsanbote für Angehörige der damaligen sozialen Berufe, so wurde nun für die Arbeit mit behinderten und verhaltensauffälligen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit dem "Heilerziehungspfleger" eine grundständige Ausbildung initiiert. Abgerundet wird die berufliche Qualifizierung in diesem Bereich durch den Beruf des "Heilpädagogen", der einerseits als Zusatzausbildung für andere soziale Berufe, anderseits als grundständiges Studium an Fachhochschulen realisiert wurde. Mit der "Altenpflegerin" konnte sich ab den 1950er Jahren ein von den Pflegeberufen unabhängiger neuer sozialer Beruf mit einem eigenen sozialpflegerischen Profil entwickeln.

Während mit der evangelischen Diakonenausbildung bereits von Anfang an eine entsprechende Ausbildung für Männer erfolgte, setzte erst mit der Weimarer Zeit und der Ausbildung zum Wohlfahrtspfleger, den Heimerzieherschulen und den Angeboten an Hochschulen eine langsame Öffnung für männliche Interessenten ein, die jedoch in quantitativer Hinsicht erst ab den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, insbesondere mit den Ausbildungsmöglichkeiten an Fachhochschulen und wissenschaftlichen Hochschulen, an Bedeutung gewann. Gleichwohl blieben andere soziale Berufe, beispielsweise der Erzieherberuf, bis heute zwar grundsätzlich für Männer geöffnet, stellen aber immer noch typische Frauenberufe dar.

Alle aufgeführten historischen Prozesse, Innovationen und Weiterentwicklungen, aber auch Rückschritte, führten letztendlich zum heutigen System sozialer Berufsausbildung an Berufsfachschulen, Fachschulen, Fachhochschulen und wissenschaftlichen Hochschulen, das auf eine Tätigkeit in den zahlreichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit vorbereiten will.

Anmerkungen

(1) Angaben aus dem Mikrozensus für das Jahr 2003 nach schriftlicher Auskunft des Statistischen Bundesamtes.

(2) Vgl. zu den zentralen Sozialberufen der Gegenwart Amthor 2003, S. 45ff.

(3) Alle Zahlenwerte sind auf- bzw. abgerundet. Vgl. zu den Daten Rauschenbach 1992 und 1999 sowie Amthor 2003. Die Angaben für das Jahr 2003 nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes. Volkszählungen fanden im Deutschland Reich in den Jahren 1882, 1895, 1907, 1925, 1933 und 1939 und in der BRD 1950, 1961, 1970 und zuletzt im Jahr 1987 statt. Besonders aussagekräftige Zahlen ergeben sich des Weiteren aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, der als laufende Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird.

(4) Vgl. zum Begriff des "Sozialpädagogischen Jahrhunderts" Thiersch 1992, Rauschenbach 1992 und 1999 sowie Hering/ Münchmeier 2000. Allgemein zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit siehe auch Rauschenbach/ Schilling 1997 und 2001 sowie Amthor 2003, S. 11ff.

Literatur

Amthor, R.C. (2003): Die Geschichte der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit. Auf der Suche nach Professionalisierung und Identität. Weinheim.

Dietrich, H. (1996): Aktuelle Befunde zur Arbeitsmarkt- und Berufssituation in der sozialen Arbeit. In: Nachrichtendienst, 76. Jg., H. 1, S. 11-16.

Hering, S./ Münchmeier, R. (2000): Geschichte der Sozialen Arbeit. Weinheim.

Lademann, B. G. (1985): Ausbildung für die Arbeitslosigkeit. In: Sozialpädagogische Blätter, 36. Jg., S. 10-13.

Maier, K. (1996): Mangel an sozialen Fachkräften bei steigenden Arbeitslosenzahlen? In: Nachrichtendienst, 76. Jg., H. 4, S. 131-137.

Rauschenbach, T. (1992): Sind nur Lehrer Pädagogen? In: Zeitschrift für Pädagogik, 38. Jg., H. 3, S. 385-417.

Rauschenbach, T. (1995): Die Erzieherin. Ausbildung und Arbeitsmarkt. Weinheim.

Rauschenbach, T. (1999): Das sozialpädagogische Jahrhundert. Weinheim.

Rauschenbach, T./ Schilling, M. (1997): Das Ende der Fachlichkeit? In: Neue Praxis, 27. Jg., H. 1, S. 22-54.

Rauschenbach, T./ Schilling, M. (2001): Soziale Dienste. In: Böttcher, W. u.a. (Hg.): Bildung in Zahlen. Weinheim, S. 207-270.

Thiersch, H. (1992): Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, T./ Gängler, H.: Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, S. 9-23.

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