Marie Wollmann und der erste Kindergarten in Halle/S.

Klaus Gebser

Der historische Hintergrund

Am 24. März 1863 war es, als Marie Wollmann (1829-1908) in Halle/S. mit ihrer Idee eines Kindergartens in die Öffentlichkeit ging und ihre Einrichtung bewarb: den ersten Kindergarten der Stadt nach dem Raumerschen Verbot, zugleich ein Kindergarten, der sich ausdrücklich auf die Lehre Fröbels bezog (Hallesches Tageblatt, 24.03.1863). Die folgenden sechzehn Jahre wurde Marie in ihrer erzieherischen Arbeit von ihrer Schwester Henriette Emma Wollmann (1830-1879) begleitet, die ebenfalls als Leiterin einer Kindereinrichtung aktiv gewesen war und mehrfach mit Marie gemeinsam in der Presse annoncierte. Über beide soll nachfolgend berichtet werden, mithilfe des biografischen Materials, das wir zusammentragen konnten. Zu Emma Wollmann haben wir sehr wenig Datensätze gefunden, dass sich aus der Durchsicht der damaligen Presseveröffentlichungen sowie aus den Vermerken im Stadtarchiv ergab. Zu ihrer Schwester Marie liegen bereits einige Aussagen vor (vgl. Münchow 1999), die sich auf ihre Ausbildung in Berlin beziehen. Gerade erst am 1. April 1863 hatte sie ihre Qualifikation erworben (vgl. ebd.) und schickt sich nun an, als Vorsteherin eines Kindergartens ihr erworbenes Wissen über die Arbeit mit Vorschulkindern anzuwenden. Zunächst wollen wir die Ausgangslage aus mitteldeutscher Sicht beschreiben.     

Trotz des Kindergartenverbotes in Preußen vom 7. August 1851 ließ sich die Verbreitung der pädagogischen Anschauung Fröbels aus dem thüringischen Oberweißbach nicht mehr aufhalten, allenthalben verzögern. Aus der Sicht des Betrachters stellte sich die Lage nach der fatalen Anweisung aus der preußischen Hauptstadt folgendermaßen dar. Auch wenn die Gründe zur Untersagung der Neugründung von Kindergärten in Preußen (Verfügung vom 7. August 1851 - betreffend die Schließung von Kindergärten nach Fröbelschen Grundsätzen) durch das preußische Kultusministerium vom 7. August 1851 (vgl. Lehnemann 1999, S. 29 f.) hier nicht einzeln aufgeführt werden können, löste die neue Verfügung weithin heftigen Unmut aus. Als Fröbel selbst in einem Brief an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) vom 31. Oktober 1851 (https://bbf.dipf.de/de/recherchieren-finden/online-editionen) protestierte, konnte er eine Unterschriftenliste namhafter Pädagogen und Geisteswissenschaftler beifügen, auf der sich auch die Namen zweier Hallenser Personen befanden. Den Fröbelschen Protest unterstützten damals u.a. Otto Ule (1820-1876) und Karl Müller (1818-1899). Beide stellten als Redakteure der Zeitschrift „Die Natur“ in Deutschland zumindest für das naturwissenschaftlich interessierte Publikum keine unbekannten Personen dar. Fröbel stand mit ihnen in Verbindung und hatte aus Marienthal am 27. Juni 1851 an Ule und am 25. und 27. Juli 1851 an Müller und Ule geschrieben. Sie nahmen auch an der Konferenz in Marienthal teil, auf der sich der Protest gegen das ministerielle Dekret formierte. Fröbel hatte ein Heft der Zeitschrift Ules gelesen und lud ihn daraufhin nach Marienthal ein. Seinen Brief an den preußischen König begann er mit den Zeilen:

„Im Namen der Kindheit – nicht in meinem Namen – wende ich mich an Ew. Majestät, als den Vater der Kindheit Ihres Reiches um Sie zum Schutz dessen aufzufordern was derem Heil, wie dem Heile der Kinder im Allgemeinen gewidmet ist“ (Fröbel 1851, o.S.).

Bleiben wir für diesen Moment gedanklich in der Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts, so müssen wir die Feststellung machen, dass seit der ersten Kindergartengründung 1840 in Blankenburg auch im mitteldeutschen Raum erstaunlich viel geschehen ist. Fröbel selbst fühlte sich seiner Thüringer und mitteldeutschen Heimat verbunden und versuchte zuerst hier seine Gedanken zur Kindererziehung umzusetzen. Zur Einweihung des Kindergartens in Quetz (heute zu Zörbig gehörend) am 25. Juli 1846 war er persönlich anwesend. An seiner Seite die Hallenserin Amalie Krüger (1816-1903), aber auch die nunmehrige Leiterin des neuen Kindergartens Ida Weiler (um 1820 Ronneburg geb.) und Pastor Ludwig Hildenhagen (1809-1893), Amalies Schwager und Pfarrer dieses Ortes, nahmen an der feierlichen Eröffnung teil. Vorher hatte Fröbel Halle besucht und in der 1. Bewahranstalt auf der Promenade, dem heutigen Universitätsring, vor einem ausgewählten Publikum gesprochen. Später bemerkte er, dass Direktor Niemeyer (gemeint ist Hermann Agathon Niemeyer, 1802-1851) sich ebenfalls von seinen Ausführungen beeindruckt gezeigt habe (Brief an Hagen). Am liebsten hätte es Fröbel gesehen, in den historischen Franckeschen Stiftungen selbst einen Kindergarten gründen zu dürfen, worauf Niemeyer jedoch nicht reagierte (ebd.). Bereits 1845 weilte Fröbel in Halle und fand bei dem noch recht jungen Domprediger Neuenhaus Verständnis und Gehör (Briefe an Woepke und Haerter). Später wollte Fröbel noch zum Schloss Ostrau reisen, das nur wenige Kilometer nördlich von Halle lag, was dann aber ausblieb. Doch zu einer Kindergartengründung – von Quetz jetzt abgesehen – kam es zu seinen Lebzeiten in oder bei Halle nicht mehr. Mit dem Hallenser Neuenhaus meinte Fröbel den Domprediger Andreas Samuel Neuenhaus (1806-1879), der mit Paulina Laura verheiratet war und der seit einigen Jahren zusätzlich der ehemaligen Vaterschen Töchterschule in Halle vorstand.         

Wie Fröbel den pädagogisch aufgeschlossenen und noch jungen Adligen Werner von Veltheim (1817-1855) aus Ostrau kennenlernte, wissen wir nicht. Auch nicht, über welche speziellen pädagogischen oder anderen Fragen zu diskutieren gewesen wäre. Jedoch gibt es einen Brief von Veltheim an Fröbel, der vom 15. Januar 1846 (Kalliope) datiert ist (Brief an Woepke vom 15./19.01.1846 [Fröbel schreibt Beltheim - KG]). Wenig bekannt ist die Studienfreundschaft zwischen dem Ostrauer und Karl Marx (1818-1895). Jenny von Westfahlen (1814-1881), seit 1843 mit Marx verheiratet, war mit dem Hause Krosigk verwandt gewesen. Letzteres wiederum pflegte mit den Veltheims freundschaftliche Kontakte und man stand auch miteinander in einer aktiven familiären Beziehung.

Doch zeitgleich gründeten sich in anderen mitteldeutschen Orten weitere in der Fröbelschen Idee stehende Kindergärten, zuerst in Thüringen und Sachsen, so 1841 in Rudolstadt und in Gera, es folgten 1846 Quetz, 1847 Dresden, Annaburg, Hildburghausen, Gotha, 1848 Erfurt (vgl. Poesche 1891, S. 176 f.). Nicht alle hatten Bestand, doch ständig entstanden weitere. Eine der großen Fröbel-Ideologinnen, Bertha von Marenholtz-Bülow (1810-1893), trat unermüdlich für die Etablierung weiterer Kindereinrichtungen ein. Im Oktober 1862 hielt sie in Halle einen vielbeachteten Vortrag (15.01.1864) und warb für ihre Überzeugung, den Kindern vor dem Schuleintritt eine pädagogische Heimstatt zu bieten. Ihre Worte fanden Gehör und so musste man sich nicht wundern, dass bald darauf auch in Halle der erste Kindergarten ins Leben gerufen wurde. Und zahlreiche sollten hier, aber auch in ganz Mitteldeutschland folgen. 1847, noch vor dem Raumerschen Verbot, listet Pösche bereits Kindergärten in den folgenden Orten, alle im heutigen Sachsen-Anhalt oder Thüringen gelegen, auf: Langensalza, Nordhausen, Kelbra, Bleicherode, Ellrich, Naumburg, Weißenfels, Lützen, Merseburg, Eisleben, Zeitz, Magdeburg, Schönebeck, Buckau, Halberstadt und Quedlinburg (Poesche 1891, S. 185). Es folgen Sondershausen (1853), Sangerhausen (1866 durch Ida Baumann [hierzu Gebser 2016, 4.6]), Halle (1863), Köthen (1864), Ballenstedt (1881) und weitere Orte können noch hinzugefügt werden (ebd.). Diese letzten – abgesehen von Sondershausen – wurden nach der Aufhebung des Verbots vom 17. April 1860 ins Leben gerufen.

Die Gründung

Im Halleschen Tageblatt findet sich zu dem genannten Vortrag von Marenholtz-Bülow die Nachricht:

„Die lebendigen und warmen Vorträge, welche im Oktober 1862 Frau von Marenholz [ohne t - KG] aus Berlin hier gehalten, sind nicht ohne Erfolg geblieben. Im Mai des letztvergangenen Jahres hat eine Kindergärtnerin, Fräulein Wollmann, Harz Nr. 30, einen Kindergarten eingerichtet. Wenn wir den Wunsch aussprechen, dass die geehrten Damen, welche jene Vorträge besuchten, sich immer mehr mit den Bestrebungen Fröbels vertraut machen mögen, so fügen wir den zweiten hinzu, dass Männer von Geist und Gemüth, denen das Erziehungswesen am Herzen liegt, dem Damenkreise, welcher sich zu diesem Behufe bildet, helfend und ratend zur Hand gehen ...“ (15.01.1864).

Bereits ein Vierteljahr vorher hatte die Erzieherin im Halleschen Tageblatt gemeldet: „Ich zeige den geehrten Eltern hiermit an, dass der Kindergarten nach dem Harz Nr. 30 verlegt ist und vom 5. Oct. an wieder eröffnet wird. 3-7jährige Kinder (Knaben und Mädchen) werden noch täglich in denselben aufgenommen. Die Beschäftigungszeit ist Vormittags von 8 ½-12 Uhr, das monatliche Honorar beträgt 1RT prän. auf Wunsch der Eltern wird auch Elementar-Unterricht ertheilt und Nachmittags für ältere Kinder Privatunterricht in Wissenschaften und in der Musik. Marie Wollmann, geprüfte Lehrerin und Vorsteherin d. Kindergartens“ (02.10.1863).

Ihre erste Anzeige, auf die sich die obige Pressemeldung des Halleschen Tageblatts auch bezieht, wurde am 24. März 1863 (s.o.) offeriert. Es hieß damals:

„Unterzeichnete erlaubt sich, den geehrten Eltern hiermit anzuzeigen, dass sie am Freitag den 1. Mai einen Kindergarten nach Fröbel`s Erziehungsmethode für 2-7jährige Kinder eröffnen wird Martinsberg Nr. 5 parterre. Die Beschäftigungszeit ist Vormittags von 8-12 Uhr. Das monatliche Honorar beträgt 1 RT  praenumerando. Geneigte Anmeldungen werden Vorm. von 9-11 Uhr und Nachm. von 2-4 Uhr Magdeburger Chaussee Nr. 11 im Haus des Herrn Zimmermeister Richter entgegengenommen, vom 1. Mai an im Kindergarten selbst. M. Wollmann“ (Hervorh., auch nachf. im Original).

In diesem Inserat verwies die zukünftige Kindergartenbetreiberin zwar auf das Fröbelsche Konzept, das sie verfolge, nicht jedoch auf ihre eigene Qualifikation. Hiervon erfahren wir erst 1864. Wahrscheinlich stand der Kindergarten auch auf einer relativ sicheren ökonomischen Basis, weshalb sich weitere Werbungen oder Erklärungen zunächst erübrigt haben. Im Verlaufe des Jahres 1864 machte Marie Wollmann im Halleschen Tageblatt dann doch noch viermal auf ihre Einrichtung aufmerksam (19.03. mit der Unterzeichnung „gepr. Lehrerin u. Vorst. des Kindergartens“, 04.06., 18.09., 22.12.).

Nun lässt sich die Beitragshöhe von einem Reichstaler (RT), der sogar im Voraus zu zahlen war, aus heutiger Sicht schwer einschätzen, jedoch lesen wir in der 1891, 30 Jahre nach der Installierung der Wollmannschen Anstalt, erschienen Festschrift im Beitrag über die Kinderbewahranstalten: „Das Kostgeld ist so niedrig bemessen, dass auch die ärmsten Arbeiter es bezahlen können, es übersteigt die Höhe von 40 Pf. für Kind und Woche auch heute noch nicht“ (S. 316). Denkt man an die ständig steigenden Preise, so erscheint der vor fast dreißig Jahre erhobene Beitrag von einem Taler so niedrig nicht gewesen zu sein, zumal der Kindergarten auch keinerlei Beköstigung oder andere materielle Unterstützungen im Gegensatz zur Bewahranstalt anbot. Zwischen 1871 und 1913 verdoppelten sich zudem die Löhne in Deutschland. 1871 hatte Jürgen Kuczynski (1904-1997) einen durchschnittlichen Jahresverdienst von 493 Mark errechnet, 1895 von 661 Mark (Kuczynski, zit. nach Wiegand 1981, S. 22). Wollmanns Kindergarten – und das mag für zahlreiche jetzt weitere noch zu gründende Einrichtungen gelten – richtete sich offenbar nicht an die Kinder der gering verdienenden Elternschaft. Die unteren Lohngruppen lagen noch deutlich unter dem Durchschnittseinkommen und konnten einen Reichstaler schwerlich für drei Vormittagsstunden aufbringen (ebd.).

1870 kam schließlich der Kindergarten von Maries Schwester Emma Wollmann hinzu. Beide schrieben im Halleschen Tageblatt:

„Kindergarten. Um mehrfachen Wünschen der Eltern zu genügen, welche von unserer Anstalt zu entfernt wohnen, haben wir uns entschlossen, einen zweiten Kindergarten nahe dem Franckeplatze, Taubengasse 7/8, zu errichten. Die Eröffnung desselben findet statt am Montag den 3. Octbr., und werden Anmeldungen 3 bis 6jähriger Knaben und Mädchen im Laufe dieses Monats alte Promenade Nr. 18 entgegengenommen. Marie und Emma Wollmann“  (04.09.1870).

In den Folgejahren baute Marie Wollmann gemeinsam mit ihrer Schwester die beiden Kindergärten in Halle weiter aus und beide warben für ihre Einrichtungen mehrfach im Halleschen Tageblatt. Ihre Anzeigen orientierten sich an dem durch Ferienzeiten bedingten Ablauf oder man wies auf vorgenommene örtliche Veränderungen hin. So schloss man in den Sommerferien, führte die Öffnung nach den Ferien an und verfuhr Weihnachten ebenso.

Wir erinnern: 1863 kam es durch die Schülerin von Amalie Krüger (1816-1903), durch Marie Wollmann (vgl. Berger 2015) zu der Gründung des ersten Fröbelkindergartens in Halle an der Saale. „Mont. 9 bis 12“ nahm sie sich Zeit für Privatunterricht, den sie zusätzlich zu ihrer erzieherischen Arbeit zu geben pflegte und auf dessen Ertrag sie angewiesen war. Diese Zeitangabe ließ sie in das Hallenser Adressbuch von 1866 eintragen. Damals wohnte sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Schwester, der Lehrerin bzw. Erzieherin Henriette Emma Wollmann, in der Promenade 18, später in der Sophienstraße 5.

Betrachtet man die soziale Geschichte Halles mit ihrer starken Ausrichtung auf Kleinkinder-Bewahranstalten, so konnte es trotz der Fröbelschen Insistierungen in den 1840er-Jahren erst zwanzig Jahre darauf zur Etablierung von Kindergärten in seinem Sinn kommen. Das Raumersche Verbot verzögerte die rechtzeitige Ausbildung von Erzieherinnen und die wenigen, die zur Verfügung standen, konnten allenfalls lokale Lösungen anbieten. Finanzielle Unsicherheiten und viel Unwissen unter der Elternschaft, besonders zum Stellenwert des kindlichen Spiels, kamen hinzu. Vorträge von Bertha von Marenholtz-Bülow, die, wie wir wissen, 1862 in Halle auftrat, Henriette Goldschmidt (1825-1920) aus Leipzig, Eleonore Heerwart (1835-1911), die Jahrzehnte in England und darauf in Thüringen gewirkt hatte, Angelika Hartmann (1829-1917) oder Henriette Schrader-Breymann (1827-1899) in Wolfenbüttel und Berlin trugen nun wesentlich dazu bei, die Pädagogik Fröbels weiter zu propagieren. Hartmann aus Köthen und seit 1877 Leiterin eines Erzieherinnen-Seminars in Leipzig, sprach am 4. Oktober des Jahres auf der 6. Lehrerversammlung der Provinz-Sachsen in Halle (11.10.1877). Sie suchte die Unterstützung der Lehrerschaft und drückte ihre Genugtuung dahingehend aus, dass auch jetzt Lehrer den Wunsch hätten, ein „eingehenderes Verständnis über die Wichtigkeit einer Erziehungsmethode zu gewinnen, der bisher noch nicht die nöthige Berücksichtigung und Theilnahme gezollt worden ist“ (ebd.). Am Ende ihres Vortrages in Halle war Hartmann überzeugt, bei den Lehrern Verständnis gefunden zu haben: „So werden Sie erkannt haben, dass die Meinungen, der Kindergarten sei nur Spielerei, er entbehre der wissenschaftlichen Grundlagen, sei der Volksschule und den Kindern sogar schädlich, auf Irrthum beruhen“ (ebd.).

Nun, in den 1860er-Jahren war die Zeit dafür gegeben, sich in Halle den ersten Kindergärten zu widmen. Marie Wollmann sollte es obliegen, diesen Schritt in Halle zu gehen (s.o.). Münchow schreibt von ihr: „Marie Wollmann hatte in Berlin einen Kurs zur Kindergärtnerin absolviert. Ihr Zeugnis stammt vom 1. April 1863. Ebenfalls besuchte sie den zweiten Kurs des ‚Frauenvereins zur Beförderung der Fröbelschen Kindergärten’, der von Oktober 1862 bis April 1863 elf Schülerinnen ausbildete. Unter den Ausbildnerinnen war Amalie Krüger“ (1999, S. 63-84). Erstaunlicherweise machte sie zunächst von ihrem Titel einer geprüften Kindergärtnerin nicht Gebrauch, sondern führte ihre Ausbildung als Lehrerin an. Auch im Halleschen Adressbuch verwies sie über die Jahre hinweg auf ihre Lehrerinnenausbildung. Im Adressbuch von 1904, schon als Insassin des Hallenser Paul-Riebeck-Stifts, ließ sie noch die Bezeichnung „Lehrerin a.D.“ eintragen. 

Diesen neuen Kindergarten in Halle leitete Marie in den nachfolgenden einunddreißig Jahren bis 1894, denn solange konnte er dank der zeitgemäßen Umstände wirtschaftlich existieren. Jetzt war überhaupt die Zeit der Gründungen von Kindereinrichtungen gekommen und in Halle und in anderen Orten folgten auch zahlreiche weitere (vgl. Gebser 2018). Die Vorsitzende des Fröbelverbandes, Martha Back (1866-1932), beschrieb die letzten Jahre und Jahrzehnte mit den Worten:

„Die Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse hat dazu geführt, [dass] sich die Sozialpolitik in einem wesentlichen Teil ihrer Bestrebungen vor Erziehungsfragen gestellt sieht. Kinderschutz, Jugendfürsorge, Jugendgerichtsverfahren, Besserungswesen und Strafrechtsverhältnisse sind Probleme geworden, mit deren Lösung sich der Staat selbst und berufene Kreise sehr ernsthaft beschäftigen“ (Back 1912, S. 11 f.).

In der am Ende des 19. Jahrhunderts sehr heftig und kontrovers geführten Debatte um den Kindergarten argumentierte der Fröbelverband mit den zeitlos geltenden Überzeugungen: „Einführung von Kindergärten nach Fröbels Methode, wo es immer nur möglich ist, weil es kein Mittel gibt, die Kinder im vorschulpflichtigen Alter geistig und gemüthlich besser anzuregen und physisch gesund zu entwickeln, als diese Spiele und Beschäftigungen unter der Leitung einer hierzu methodisch ausgebildeten Kinderfreundin. Die Kirchen sollten endlich einsehen, dass gut geleitete Kindergärten ihrem religiösen Zwecke nicht nachteilig sind …“ (Dt. Fröbelverb. 1878, S. 86). Eine gesellschaftlich-historisch begründete Analyse zur damaligen Kindergartendebatte und zur Vorschulerziehung findet sich in Barow-Bernstorff (1986, S. 278 ff.).

Der Lebensweg

Von den beiden Schwestern ist bisher nicht viel biografisches Material ermittelt worden, wie eingangs festgestellt wurde. Das Wenige fügen wir nachfolgend ein. Über Maries Herkunft verrät uns die Sterbeurkunde (Stadtarchiv Halle, Urkunden-Nummer 1133): Sie wurde 1829 in Stettin geboren, wo der Vater als Kanzleirat tätig gewesen war. Unsere Recherchen zu ihrem Lebensweg ergaben, dass sie zur Eröffnung ihrer Kindereinrichtung bei ihrem Vater, dem Kanzleirat zu Stettin (03.11.1861) Karl Wollmann (16. Mai 1792 bis 03. März 1878 Halle) und ihrer Mutter Amalie Wollmann in der Magdeburger Chaussee 6 wohnte. Über Maries Mutter Amalie Wollmann, geb. Wilke, finden sich keine näheren Anhaltspunkte. Ihre Lebensdaten gehen aus einer standesamtlichen Anzeige im Halleschen Tageblatt hervor. Danach kam sie am 9. Dezember 1798 auf die Welt (errechnet) und starb am 29. Oktober 1861 in Halle an einer Lungenlähmung (ebd.). Vermutlich ist die Familie erst in diesem Jahr nach Halle gezogen, denn eine frühere Eintragung im Halleschen Adressbuch als die von 1862 gibt es nicht. Amalie stand jetzt im 32. Lebensjahr, ihr Vater im 63. Wahrscheinlich ist er mit seiner Familie nach seiner Pensionierung nach Halle (zurück?) gezogen. Als Marie ihre erste Einrichtung in Halle vorstellte, war sie 33 oder 34 Jahre alt. Gerade erst hatte sie einen Abschluss als geprüfte Erzieherin in Berlin erwirkt (s.o.). Das genaue Geburtsdatum ist uns jedoch unbekannt geblieben. In den (nicht vollständig zugänglichen) Taufregistern Stettins konnten wir sie nicht auffinden.

Allerdings ließen sich drei Wohnadressen der Familie in Stettin festmachen: 1844, 1846 „Wollmann, Intend.-Sekretär, Grünhof 16“; 1847 bis 1854 „Wollmann, C., Intendantur-Sekretär und Registrator, bei der Kupfermühle“; 1856 „Wollmann, C., Kanzleirath, Grünhof [zentraler Stadtteil im NO von Stettin - KG], Pölitzerstraße 9“ (Allgemeiner Wohnungsanzeiger 1844 bis 1856). Es ist davon auszugehen, dass Marie und ihre Schwester Emma damals ebenfalls dort lebten. Als Marie von Halle aus nach Berlin ging, um am ‚Frauenverein zur Beförderung der Fröbelschen Kindergärten’ eine Ausbildung auf der Grundlage Fröbelscher Pädagogik in Angriff zu nehmen, könnte sie bei einer möglichen Verwandten bei I. Wollmann, geb. Louis in der Augustusstraße 8 in der Nähe der Oranienburger Straße gewohnt haben, Ehefrau des Kaufmanns L. Wollmann, die dort 1863/1864 eine Pensionsanstalt für Töchter betrieb. Jedoch ist diese Vermutung nicht bewiesen.

Vom Vater kennen wir die Dienstbezeichnung „Intendantur-Secr. u. Reg.“ 1862 war er bereits als „a.D.“ ausgewiesen und 1864 führt das Adressbuch seine Auszeichnung: „Eis.-Kreuz 4“ auf. Der Vermerk „KD 13/15“ verweist auf den Erhalt der Kriegsgedenkmünze von 1813/15 hin. Die Familienadresse ändert sich bereits 1864. Jetzt und im folgenden Jahr lebt Marie mit ihrem Vater im Harz 30. Zwischen 1865 und 1871 finden wir sie, immer noch bei ihrem Vater, wohnhaft auf der alten Promenade, dem heutigen Universitätsring, in der Nummer 18, dann 10, zuletzt auf dem Weidenplan 4. Seit 1863 wird sie in den Adressbüchern als Vorsteherin eines Kindergartens bezeichnet. Und noch einige Male wird sie ihre Wohnanschrift wechseln. Insgesamt haben wir für ihre Hallenser Zeit 18 verschiedene Adressen recherchiert. 1898 steht sie unter der Eintragung Kindergarten Frl. Wollmann, Mühlweg 29.

Nur kurze Zeit nach der Entstehung des Kindergartens von Marie Wollmann reichte seine Kapazität nicht mehr aus und ein weiterer musste beim Magistrat der Stadt Halle beantragt werden. Dieser am 3. Oktober 1870 in der Taubengasse 7/8 errichtete Kindergarten (04.09.1870) stand unter der Leitung von Maries Schwester Henriette Emma Wollmann (24. Februar 1830-14. Dezember 1879; vgl. auch Jugendamt Halle). Von ihrem bisherigen beruflichen Werdegang war nichts in Erfahrung zu bringen. Das Hallenser Adressbuch wies lediglich aus, dass sie die ersten Jahre bei ihrer Schwester und ihrem Vater in der alten Promenade 18, dann in der Nummer 10 wohnte, bevor sie sich 1872 eine eigene Wohnung in der Taubengasse im Gebäude des Kindergartens einrichtete. Bis 1878 wohnte sie hier und nach der Schließung ihrer Einrichtung lebte sie in der Karlstraße 3, wo sie vermutlich starb.

Der tägliche Ablauf

Noch öffneten die Kindereinrichtungen nur vormittags von 8 bis 12 Uhr. Im Archiv der Stadt Halle ist der Tagesplan der Einrichtung erhalten geblieben. Wir geben ihn nachfolgend wieder (siehe auch Jugendamt Halle, S. 9):

„8 – 9 Uhr

Freispiel unter Aufsicht

9 Uhr

Morgengebet und Gesang

9 – 9.45 Uhr

Auswendiglernen und Singen von Kinderliedchen oder Erzählen von Kindergedichten oder Denk- und Sprachübungen mit Anschauungsunterricht

9.45 – 10.15 Uhr

Frühstückspause

10.15 – 11 Uhr

Turnen und Bewegungsspiele, Ballspiele

11-12 Uhr

Je nach dem Alter und den Fähigkeiten der Kinder Beschäftigung mit Fröbels Spiel- und Beschäftigungsmitteln: Bauen, Legen mit Täfelchen und Stäbchen, Falten, Flechten, Ausschneiden, Tonformen usw.“ (Wobei die Eltern das Strickenlernen als das Nützlichere angesehen haben [Jugendamt Halle, ebd.].)

Maries guter Ruf drang bis zum Halleschen Magistrat vor und 1871 war dort offensichtlich die Überzeugung gereift, städtische Unterstützung zu gewähren.

„Aufgrund eines Antrags des Fräulein [Marie - KG] Wollmann beantragt der Magistrats, sich mit der Vermiethung des Petersberger Schulhauses an dieselbe zur Einrichtung eines Kindergartens gegen eine beiden Theilen freistehende vierteljährliche Kündigung und einen vierteljährlich pränumerando zahlbaren Miethzins von 100 Thalern jährlich einverstanden zu erklären. Die Vermiethung des Petersberger Schulhauses an Fräulein Wollmann wird in der beantragten Weise von der Versammlung genehmigt“, schrieb Glöckner (1812-1885), Vorsitzender des Magistrats der Stadt, im Hallesche Tageblatt vom 04.07.1871.

Diesen Entschluss würdigend, berichtete die Zeitung in dem Beitrag „Kindergärten betreffend. Erfreulich ist es, dass unsere städtischen Behörden durch pachtweise Ueberlassung der früheren Petersberger Schullocale (alte Promenade – KG) an die Kindergärtnerin Frl. Wollmann das System der Fröbel`schen Kindergärten nicht nur acceptieren, sondern auch unterstützen. Vielleicht wird hierdurch das Kinder habende Publikum zur größeren Theilnahme für das Institut angeregt. Ob unter den Augen der Kindermädchen auf den Straßen oder Promenaden – oder unter der fürsorglichen Aufsicht einer pädagogisch denkenden und handelnden Dame die lieben Kleinen besser aufgehoben sind, braucht wohl nicht untersucht zu werden. Wünschenswert wäre es, wenn in den behördlichen Kreisen auf Eröffnung eines städtischen Kindergartens Bedacht genommen würde“ (12.07.1871). Von weiteren Vergünstigungen haben wir nichts gelesen, jedoch hat das Hallesche Tageblatt mehrfach von Wollmanns Kindergarten berichtet, so von Ausstellungen (vgl. z.B. 28.09.1877) und Feiern. An die wirtschaftliche Rentabilität der Einrichtung denkend, kann man schnell errechnen, dass die Einnahmen von 8,5 Kinder-Beiträgen erforderlich waren, den Mietzins zu begleichen. Wie lange wird Marie Wollmann bei ihrer Forderung von 1 Taler oder analog, ab 1871, von 3 Reichsmark geblieben sein?

Der Fortgang

1883 bestanden bereits vierzehn Kindergärten in Halle, wenn auch nicht alle gleichzeitig nebeneinanderher, und bis zur Jahrhundertwende sollten allein in der Heimatstadt Wollmanns über dreißig Kindergärten eröffnet worden sein (Jugendamt Halle, ebd.). Am Ende des Jahrhunderts existierten in Halle parallel vier bis fünf Einrichtungen (vgl. Münchow 1999), im Adressbuch für 1900 sind sogar sieben Kindergärten eingetragen. Jetzt hatte auch Marie Wollmann schon das Alter erreicht und sie lebte vermutlich bis zu ihrem Tod in der Lutherstraße 1. Die letzte Eintragung stammt von 1909, wo sie als Stiftsinsassin, wohl für 1908, ausgewiesen ist. In diesem Jahr, am 19. Juni, verstarb sie auch: „Nachmittags um drei ein halb Uhr“ (Sterbeurkunde Stadtarchiv Halle, ebd.).

Unabhängig von den Kindergärten der Wollmann-Schwestern kam als zweiter 1867 eine von Pauline Koestler beim Magistrat beantragte Einrichtung in der Gottesackergasse – gleichzeitig ihre Wohnanschrift – hinzu, die 1881 sogar als Fröbelkindergarten beworben wurde. 1877 ergänzte Antoinette Kirchhoff dieses vorhandene Angebot durch einen weiteren Fröbelkindergarten im Steinweg 22, der jedoch, wie auch der erstere, nicht lange existierte (Jugendamt Halle, S. 10). Seit 1908 gab es wohl den ersten Volkskindergarten in einer Wohnung in der Reilstraße 133, der von dem Frauenbildungsverein getragen wurde. 1914 finden wir ihn in der Burgstraße 45, der Adresse der städtischen Frauenschule von Agnes Gosche (ebd.) unter der Trägerschaft des Frauenbildungsvereins. Er hatte von 8-12 und 14-16 Uhr geöffnet, also erstmalig nachmittags, und die monatlichen Gebühren beliefen sich auf 1,50 Mark (ebd.).

Literatur

Adressbuch Halle/S.: Hermann Berner, Halle 1862-1866; Otto Hendel, Halle 1867-1904, August Scherl, Halle 1906-1926

Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Stettin auf das Jahr 1844 (ebenso bis 1856). Stettin: Quinius bzw. Lemcke

Barow-Bernstorff, Edith, u.a.: Beiträge zur Vorschulerziehung. Berlin: Volk und Wissen 1986

Berger, Manfred: Amalie Krüger 1816-1903. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/geschichte-der-kinderbetreuung/manfred-berger-frauen-in-der-geschichte-des-kindergartens/478, 2015 (zuletzt 29.02.2020)

Deutscher Fröbelverband: Kinder-Garten, Bewahr-Anstalt und Elementar-Klasse. XIX, Nr. 6, Weimar 1878

Die Natur. Halle: Druckhaus H. W. Schmidt, z.B. 1851

Fröbel, Friedrich (1845): Brief an Woepke, 29.12.1845; an Hagen, 02.02.1847; an Haerter, 28.02./03.03.1847 (vgl. http://opac.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1845-12-29-01.html) (zuletzt 29.02.2020)

Fröbel, F. (1851): Brief an Friedrich Wilhelm IV., 31.10.1851 (edition.bbf.dipf.de), an Otto, 27.06.1851; an Ule und Karl Müller, 25.07. und 27.07.1851
(BN 600, Bl 1-2, undat. Entwurf 1 B fol. 4 S., BlM XXI,70, Bl 376-377, tw. dat. Entwurf / Schlußteil v. Marenholtz-Bülow sowie Reinschriftfragment [Briefanfang] 1 B fol. 4 S.; BlM XXI,70, Bl 379-381, Abschrift Luise F. 1½ B 8° 6 S.; ed. Ev. Kinderpflege 1952, 91-93 ohne Eröffnungs- und Schlussfloskel, Auszug /Schlußteil bei Prüfer 1920, 113.)

Gebser, Klaus: „Helm ab“ – zum Gebet. „So war unser Einzug in Halle“. Halle/Saale: Teichmann 2016

-Gebser, Klaus: „Sache erledigt“. Lina Sellheim und die ersten Kindereinrichtungen in Halle. Halle/Saale: Teichmann 2018

Hallesches Tageblatt: jeweils Datumsangabe (dd.mm.aaaa) ohne weitere Quellenangabe im Text (Hallesches Patriotisches Wochenblatt. Halle: Buchhandlung des Waisenhauses seit 1799, seit 1856 unter dem Titel: Hallesches Tageblatt, In: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/zd/ periodical/ titleinfo/ 9059307)

Jugendamt Halle (Hrsg.): 100 Jahre Jugendamt Halle. Redaktion und Inhalte bis 1910 Bernd Werner. https://m.halle.de/VeroeffentlichungenBinaries/636/1126/100_Jahre_Jugendamt_Halle_(Saale).pdf (zuletzt 29.02.2020)

Michaelis, Emilie; H. Keatley Moore: Froebel`s Letters on the Kindergarten. C.W. Bardeen, Publisher 1891 (Hermann Poesche: Propagation und Exegation: S. 175-214), deutsche Ausgabe: Friedrich Fröbel`s Kindergarten-Briefe. Pichler, Leipzig, Wien 1887

Lehnemann, Wingolf: Öffentliche Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert: Der erste Kindergarten in Westfahlen. 1999 (www.lwl.org.)

Münchow, Katja: Krüger, Amalie. „Ich will, ich muß mitarbeiten am herrlichen Neubau der Zukunft“. Amalie Krüger aus Halle – eine der ersten Kindergärtnerinnen. In: Aszakies, Ch.; Ch. Zarend; Katja Münchow (Hrsg.): „Wie hältst du’s mit der Rebellion?“ Frauen zwischen Aufbruch und Anpassung in Halle des 19. Jahrhunderts, Halle o J. (1999), S. 63-84

Preußisches Ministerialblatt 1851 (Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, Nr. 7, vom 27. September 1851, Kindergartenverbot vom 7. August 1851, S. 182)

Veltheim, Werner von: Brief an Friedrich Fröbel vom 15.01.1846 (http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ead?ead.id=DE-611-HS-1028408) (zuletzt 29.02.2020)

Wiegand, Erich: Zur historischen Entwicklung der Löhne und Lebenshaltungskosten in Deutschland. In: Historical Social Research 6 (1981), 3, S. 18-41

Wollmann, Marie: Sterbeurkunde. Stadtarchiv Halle, Urkunden-Nummer 1133

Autor

Dr. päd. habil. Klaus Gebser (Diplompädagoge, Diplompsychologe)

Halle/Saale

Der Autor hat zuletzt vor allem zur Geschichte der Vorschulerziehung in Mitteldeutschland gearbeitet.

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