Kindergarten und Kitas: Einführung in ein pädagogisches Arbeitsfeld

Josefin Barthold

Einleitung

Der Besuch des Kindergartens ist heute in Deutschland Teil der kindlichen Normalbiografie. Es gehört mittlerweile zur kulturellen Selbstverständlichkeit, dass Kinder bis zum Schuleintritt an mindestens zwei höchst unterschiedlichen Orten aufwachsen, der Familie als primärer Sozialisationsinstanz sowie in einer Form der institutionalisierten Kinderbetreuung, meist einem Kindergarten bzw. einer Tageseinrichtung für Kinder (Rabe-Kleberg 2020, S. 19). Dass für Kinder und ihre Familien der Kitabesuch inzwischen zur Normalität geworden ist, steht in enger Verknüpfung mit den umfassenden Transformationsprozessen von Kindheit und Familien in der Moderne. In deren Zuge erlebt die institutionelle Kinderbetreuung einen historisch bis dato einzigartigen, dynamischen Expansions- und Reformprozess. Im vorliegenden Text werden einige dieser Veränderungen angesprochen und in ihren Konsequenzen für die außerfamiliäre Kinderbetreuung diskutiert. Ziel ist es dabei, den Kindergarten als eine Institution der öffentlichen Kinderbetreuung anhand einiger zentraler Stichpunkte zu beleuchten.[1]   

Obwohl der Begriff Kindergarten internationalen Gebrauch findet, ist die deutsche Begriffsentwicklung doch belastet, sodass diese einleitend nachgezeichnet wird und zur komplizierten Geschichte der institutionellen Kinderbetreuung überleitet. Auch die juristischen Grundlagen reflektieren die differente Geschichte der öffentlichen Kinderbetreuung und verdeutlichen gleichzeitig, in welchem komplexen Spannungs- und Interessenfeld bewegt und mit welcher Dynamik sich diese entwickelt. Inzwischen gibt es eine kaum noch zu überschauende Vielfalt an Institutionalisierungsformen und -versuchen, an pädagogischen Konzepten und Programmatiken und eine steigende Differenzierung des Arbeitsmarktes für Erzieherinnen.[2]

Mit Blick auf die steigende Inanspruchnahme der Institutionen durch Kinder und ihre Eltern wird auf Anmerkungen zur Ausbildung und aktuellen Personalsituation übergeleitet. Dem bis dato herrschenden „Defizitdiskurs“ in Wissenschaft und Öffentlichkeit stehen verschiedene Reformbestrebungen, Qualitätsinitiativen und Professionalisierungsversuche gegenüber, die jedoch gleichzeitig durch einen anhaltenden Personalmangel ausgebremst werden. Eine kurze Einführung in die ‚junge‘ Disziplin der Kindheitspädagogik, die sich dezidiert mit Fragen der institutionellen Kinderbetreuung beschäftigt, aber mit ihrem Bezug zur Kindheit darüber hinausgeht, schließt den Beitrag ab.  

Zum Begriff: Kindergarten  

Die Bezeichnung Kindergarten ist international gebräuchlich, so z.B. in den USA, in der Schweiz, in Österreich oder Japan (vgl. Kuhn & Neumann 2016, S. 114, Freytag 2015, S. 231 f.) und bezeichnet heterogene Formen der öffentlichen Kinderbetreuung. In Deutschland wird zunehmend Abstand vom Kindergartenbegriff und der ‚Kindergärtnerin‘ genommen, bzw. dieser auf den historischen Ursprung und jene Institutionen fokussiert, die sich direkt auf Friedrich Fröbel und seine pädagogischen Ideen beziehen (vgl. Freytag 2015, S. 231 f.).

Stattdessen wird von Tageseinrichtungen für Kinder bzw. Kindertagesstätten (Kita) gesprochen (u.a. an prominenter Stelle: im SGB VIII bzw. dem KJHG in § 26 oder § 85 Abs. 4) und bezeichnet im Allgemeinen sozialpädagogische Einrichtungen für drei- bis sechsjährige (bis zum Erreichen der Schulfähigkeit). Insgesamt ist der Kitabegriff umfassender zu verstehen und schließt sowohl die Krippen für Kinder im Alter bis zu drei Jahren als auch die Betreuungsformen für Schulkinder (z.B. Horte) mit ein. Die Kinder besuchen die Einrichtungen regelmäßig und „freiwillig“ für mehrere Stunden. Eine Kindergartenpflicht besteht in Deutschland bis dato nicht. Für den Besuch müssen von den Eltern Beiträge entrichtet werden, die von den jeweiligen Trägern der Einrichtung festgelegt werden, die letztlich aber nur einen Teil der Gesamtkosten tragen.

Geschichte

Die institutionelle Kinderbetreuung in Deutschland hat eine komplizierte Geschichte, die vor verschiedenen Hintergründen gelesen werden kann:

  • der Sozialen Bewegungen (z.B. der Arbeiter- und Frauenbewegung),
  • der unterschiedlichen politischen Gesellschafts- oder Wirtschaftssysteme (BRD und DDR),
  • der institutionellen und sozialstaatlichen Zuordnungen (Bildungssystem versus Hilfesystem),
  • den sozialen Konstruktionsprozessen (Frauen oder Kindern) oder
  • von Partizipationsbewegungen (Frauen, Kinder oder Männer),
  • aber auch den verschiedenen pädagogischen Entwicklungen (z. B. Reformpädagogiken, Kinderladenbewegung, Natur- und Waldkindergärten, Schul- oder Hortentwicklung)
  • bis hin zu Qualitätsinitiativen, sozialstaatlichen Steuerungsbewegungen und Professionalisierungsentwicklungen der Sozialen Arbeit.

Die Entwicklungen und Veränderungsprozesse des Kindergartens können also nicht unabhängig von gesellschaftlichen Transformationsprozessen gedacht werden und repräsentieren jeweils unterschiedliche Fokussierungen.

Die zentrale Figur in der historischen Rekonstruktion der institutionellen Kinderbetreuung ist sicherlich Friedrich Fröbel, der den ersten Allgemeinen deutschen Kindergarten 1840 in Bad Blankenburg eröffnete. Die Frage der angeleiteten und fördernden Kinderbetreuung bzw. -erziehung geht allerdings weiter zurück bis zu Jan Amos Comenius, der im 17. Jahrhundert das Konzept der Mutterschule entwickelte. Mit seinem "Informatorium der Mutterschul" lag 1633 dieses erstmals in Buchform vor. Comenius stellt hier eine Fülle von Regeln für die Kinderpflege und -erziehung, Ernährung und Bekleidung, Spracherziehung und die religiös-sittliche Bildung auf. Allerdings beziehen sich seine Ausführungen auf den Erziehungsraum der Mutter, denen er letztlich eine Anleitung für eine bewusste, planvolle Erziehung ihrer Kinder vermitteln wollte (ausf. dazu Textor 1992, S. 31; Vogelsberger 2002, S. 44 f.).

Die ersten Einrichtungen zur Erziehung von Kindern außerhalb der Familie, die sogenannten Strickschulen, gründete Pfarrer Johann Friedrich Oberlin 1779 in seinem Pfarrbezirk im Elsass. Hier wurden die Kinder von Frauen beim Spielen, Singen und Zeichnen beaufsichtigt und zum Stricken, Spinnen und Nähen angeleitet. Ähnliche Einrichtungen waren sogenannte Spielschulen in Holland oder die englischen Infant Schools (vgl. Vogelsberger 2002, S. 44 f.). Die öffentliche Kleinkindererziehung in Deutschland gewann mit den Kleinkinderschulen und Kleinkinderbewahranstalten (Wirth 1832 in Augsburg und Fliedner 1835 in Kaisersesch) an Kontur. Die verschiedenen - zwischen 1800 und 1840 kirchlich oder bürgerlich initiierten - Kinderbewahranstalten waren sozial-präventiv oder sozial-integrativ motiviert und für die Kinder der armen Klassen eingerichtet. Didaktisch hauptsächlich auf religiöse Indoktrination zurückgreifend, stand die Disziplinierung der Kinder sowie ihrer Eltern und die Ausbildung von sogenannten ‚Fabriktugenden’ im Zentrum der Bemühungen (vgl. Rabe-Kleberg 2012, S. 124).

Der pädagogische Ansatz Fröbels war hier anders gelagert. Seine „Kindergarten“ genannte Institution richtete sich an Kinder aller Stände und beiderlei Geschlechts (auch wenn er zunächst nur die des aufgeklärten Bürgertums erreichte) und vertrat ein bürgerliches Bildungsideal. Das Kind wurde als handelndes und aktives – seiner Entwicklung gemäß spielendes – Subjekt verstanden.

Was sich in der Geschichte der Kinderbetreuung andeutet und mit Friedrich Fröbels Konzeption deutlich hervortritt, ist ein doppeltes Spannungsmotiv zwischen „sozial“ und „pädagogisch“ zum einen und „öffentlich“ und „privat“ auf der anderen Seite (verbunden mit den jeweils höchst unterschiedlichen Perspektiven auf die Subjekthaftigkeit des Kindes). Diese Spannungsmotive sind bis heute für die Entwicklung der institutionellen Kinderbetreuung konstitutiv. Jürgen Reyer (1987) spricht von einem „sozialpädagogischen Doppelmotiv“, welches sich durch die komplementäre Verschränkung eines haushaltsökonomischen mit einem pädagogischen Teilmotiv auszeichnet. Historisch zugrunde liegen einerseits die Wahrnehmungen der privat-familialen Unterschichthaushalte, die Notwendigkeit der mütterlichen Erwerbstätigkeit und die damit einhergehende, für die Gesellschaft bedrohliche Betreuungs- bzw. Verwahrlosungssituation der Kleinkinder, verknüpft mit der Möglichkeit der frühzeitigen „… Erziehung der Kleinkinder nach bürgerlichen Ordnungs- und Erziehungsvorstellungen“ (Reyer 1987, S. 252).

Im beginnenden 20. Jahrhundert wurden dann Versuche unternommen, die familienbezogenen mit den vorschulischen Aufgaben zu verknüpfen. Diese wurden jedoch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts u.a. im Zuge der Neuordnung nach den Weltkriegen wieder entflochten. Was in der Konsequenz dazu führte, dass der Kindergarten keinen eigenwertigen Bildungsauftrag gegenüber der Schule bekam, sondern das Angebot eher einem Betreuungsmodell folgte. Die Einrichtungen wurden so nur residual für bedürftige Kinder, familienergänzend sowie gebührenpflichtig konzipiert. Der Kindergarten wurde folglich in der BRD dem Wohlfahrts- und nicht – wie in vielen anderen europäischen Ländern unter anderem auch der DDR – dem Bildungssystem zugeordnet (vgl. Cloos 2015, S. 578; Vogelsberger 2002, S. 44; König 2008, S. 311).

Erst seit den 1970er-Jahren wird der Kindergarten als „Bildungseinrichtung“ bestimmt, das heißt, der Präventionsansatz des Kindergartens wurde formal durch einen eigenständigen Bildungsauftrag ergänzt und in Bezug auf das deutsche Bildungssystem als dessen Elementarstufe anerkannt.

Gesetzliche Grundlagen

Zwar wird der Kindergarten nun als erste Stufe des Bildungssystems verortet, ist aber historisch sowie juristisch in der Sozial- bzw. Kinder- und Jugendhilfe verankert. Die rechtlichen Grundlagen werden im VIII. Sozialgesetzbuch (SGB) bestimmt. Dort wird im § 22 Abs. 3 SGB VIII ein dreifacher Auftrag formuliert, nämlich: die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes. Das durch spezifische Träger bereitgestellte Leistungsangebot soll pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientiert sein. Es wird ein „sozialpädagogisches Bildungskonzept“ der Kitas (Viernickel et al. 2017, S. 13 f.) formuliert, dass durch folgende Punkte gekennzeichnet ist:

  • Kitas sollen die Infrastruktur zur Verfügung stellen, sodass Familien die Balance zwischen beruflichen und familiären Leistungen gelingt.
  • Weiterhin sollen diese durch die pädagogische Gestaltung der Umwelt und Interaktionen unmittelbar zur Bildungsförderung der Kinder beitragen und kompensatorisch als auch primär-präventiv wirksam werden.
  • Durch Beratung, Austausch und Übermittlung soll der Zugang zu Experten und Fachdiensten für Familien mit Problemlagen erleichtert werden.

Der angestoßene Funktionswandel wird auch durch die zu beobachtende Entwicklung von Kitas zu Familienzentren deutlich. Kritisch muss allerdings die in den letzten Jahren spezifische Deutung des Bildungsauftrages im Elementarbereich betrachtet werden, die fokussiert auf schulbezogene und curricular orientierten Kompetenzerwerb eine Reduktion des Bildungskonzeptes darstellt. Die weiteren, in den 2000er-Jahren eingebrachten gesetzlichen Vorgaben spiegeln die Veränderungen im Kitabereich wider u.a.:

  • das TAG – das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (2004),
  • das KICK - das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (2005)
  • sowie das KiföG – das Kinderförderungsgesetz (2008).

Im § 24 des SGB IIIV wird zudem der Rechtsanspruch auf einen Besuch einer Kindertageseinrichtung ab dem vollendeten dritten Lebensjahr eines Kindes geregelt, d.h. Kinder im Alter von über drei Jahren haben bis zum Schuleintritt uneingeschränkten Anspruch auf Förderung in einer Kita. Diese allgemeinen bundesgesetzlichen Grundlagen werden länderspezifisch konkretisiert und umgesetzt. Die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe sind daher aufgefordert, ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung zu stellen, wobei dies regional sowie trägerspezifisch höchst unterschiedlich erfolgreich umgesetzt wird. Für den Krippenbereich wurde 2007 zwischen der Bundesregierung und den Ländern der „Krippenkompromiss“ beschlossen. Dieser sieht den Ausbau der Betreuungsplätze für 35 % der unter Dreijährigen Kinder vor, sowie einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ab August 2013 (vgl. Gauß & Wollnitz 2013, S. 7).

In Deutschland zeichnet sich die Kinderbetreuungslandschaft durch ihre dezentrale Struktur, d.h. durch das Zusammenwirken von freien und öffentlichen Trägern, aus. Neben den öffentlichen Trägern, den Kommunen übernehmen verschiedene freie Träger (z.B. Kirchen oder Wohlfahrtsverbände, Eltern oder Stadtteilinitiativen) den Betrieb von Kitas und tragen durch ihre programmatisch-konzeptionelle und organisatorisch-institutionelle Vielfalt zur kaum noch zu überblickenden Vielgestaltigkeit der deutschen Kinderbetreuungslandschaft bei (vgl. Colberg-Schrader & Krug 1999, S. 26). So sind neben Kindergärten, Krippen und Horten auch Kinderhäuser, Integrationseinrichtungen, Häuser der Familie oder Familienzentren, Spielkreise, Mütterzentren, Orte für Kinder, Waldkindergärten, Kinder-Bauernhöfe etc. zu finden (vgl. ebd., S. 10). Mehr als die Hälfte der Kindertageseinrichtungen befindet sich im Verantwortungsbereich freier – meist konfessioneller – Träger, die von den Kommunen finanziell subventioniert werden.

Anhand dieser Situation lassen sich im Elementarbereich immer wieder Bestrebungen feststellen, die versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden, zu entwickeln und zu formulieren. So wurde 2004 von der Jugendministerkonferenz (JMK) und der Kultusministerkonferenz (KMK) der „Gemeinsame Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ verabschiedet, in dessen Konsequenz in allen 16 Bundesländern spezifische Bildungspläne – bzw. in differenzierender Bezeichnung Bildungsvereinbarungen, -empfehlungen, -leitlinien oder -programme – entwickelt wurden, mit dem Ziel, die frühkindliche Bildung stärker zu fördern und gemeinsame Perspektiven zu schaffen. Allerdings differieren auch hier die verschiedenen Bildungspläne der Länder in Umfang, Konkretisierung und Verbindlichkeit, Bildungsziel und Anforderungscharakter sowie dem zugrundliegenden kindheitspädagogischen Paradigma, z.B. einem Selbstbildungsansatz oder dem ko-konstruktivistischen bzw. einem lebensweltlich-situationsorientierten Ansatz (vgl. Viernickel et al. 2017, S. 13 ff.; Mienert 2015, Röhner 2014).

Mit der Einführung der Bildungs- und Orientierungspläne war die Hoffnung verbunden, dass deren Umsetzung vor Ort einen signifikanten sowie positiven Einfluss auf die Qualität des kindheitspädagogischen Handelns habe. Auch wenn bisher noch nicht ausreichend empirisch fundierte Erkenntnisse vorliegen (vgl. Röhner 2014, S. 610) lässt sich doch ein komplexes Bedingungs- und Wirkungsgefüge vermuten, und die Idee, der Bildungsplan selbst könne einen positiven und direkten Einfluss auf die Steigerung der pädagogischen Qualität haben, erscheint als starke Reduktion pädagogischer Komplexität (vgl. Rabe-Kleberg 2012).

Arbeitsfelder im Bereich der Kindheitspädagogik

Im Bereich der institutionalisierten Erziehung, Bildung und Betreuung ist ein zunehmender Ausdifferenzierungsprozess von kindheitsbezogenen Arbeits- und Handlungsfeldern festzustellen. Neben den klassischen kindheitspädagogischen Arbeitsfeldern (z.B. Kita, Krippe, Hort, Angeboten der Hilfen zur Erziehung, Kindertagespflege), erweitern neue Bereiche und Angebote die Tätigkeitsperspektiven im Feld der Kindheitspädagogik, z.B. die Familienzentren, Einrichtungen der Familienbildung oder Erziehungsberatung, auch Angebote der Spiel- und Freizeitpädagogik, Medien- und Kulturangebote, um nur einige zu nennen.

Inanspruchnahme und Klientel

In Deutschland besucht fast jedes Kind (die Quote liegt bei über 90%) im Alter zwischen 3 und 6 Jahren eine Kindertagesbetreuung. Das Statistische Bundesamt nennt zum 1. März 2020 die Zahl von ca. 3,7 Millionen Kindern, die eine Einrichtung besuchen (vgl. Destatis 2020). Abgesehen davon, dass hier noch die Altersgruppen differenziert werden müssen, sind auch große Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern sowie regional auszumachen, so liegt die Betreuungsquote in Ostdeutschland deutlich über der in Westdeutschland.

Die Frage, wer der Klient oder Kunde der Kita ist, ist nur auf den ersten Blick einfach zu beantworten. Kritisch bemerkt Martin R. Textor, dass der Kundenbegriff aus ökonomischer Perspektive denjenigen in den Fokus rückt, der eine Leistung bezahlt. Das sind aber keineswegs die Eltern, sondern weitaus mehr wird durch das Land, die Kommune oder die Träger finanziert (vgl. Textor 2012, o.A.). Dennoch entscheiden Eltern, welches Betreuungsangebot sie für ihre Kinder in Anspruch nehmen. So sind zwar Kinder diejenigen, auf die sich die Angebote beziehen, jedoch haben sie kaum Mitspracherechte bei der Auswahl der Kita, der Fachkraft, der Organisation des Tages etc. Die aktuellen Diskussionen, um die Umsetzung der Kinderrechte in pädagogischen Settings und der angemessenen Partizipation von Kindern an der Gestaltung pädagogischer Angebote greift diese Problematik auf.

Kitas als „zweite Lebenswelt“

In vielen europäischen Ländern ist es selbstverständlich, dass Kinder bereits vor dem Eintritt in die Regelschule von gut ausgebildeten Fachkräften in den vorschulischen Bildungseinrichtungen in ihrer Entwicklung gestützt und systematisch gefördert werden. Exemplarisch zu nennen wäre die école maternell in Frankreich oder die förskola in Schweden (vgl. Winkel, Petermann & Petermann 2006, S. 251) und auch in Deutschland hat sich die Auffassung von den Aufgaben der institutionalisierten Kinderbetreuung inzwischen deutlich gewandelt: „Von der einstigen Betreuungs- und Spielstätte wird zunehmend erwartet, dass sie vielfältige Lernmöglichkeiten bereitstellt“ (ebd.), auch um der besonderen Bedeutung der Kindheit z.B. als Phase der intensiven Lernfähigkeit und -bereitschaft gerecht zu werden.

Durch die umfassende Inanspruchnahme institutioneller Betreuungsangebote von Eltern und Kindern sowie der zeitlichen Ausdehnung der täglichen Betreuungsdauer auf mehrere Stunden pro Tag an mehreren Tagen der Woche sind Kitas neben dem familiären Umfeld zum „zweiten Lebensort […geworden, J.B.], an dem Kinder ihren Tagesrhythmus finden und Erfahrungen mit dem Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft und mit der Zugewandtheit und Verlässlichkeit ihnen wichtiger Beziehungspersonen machen“ (Viernickel et al. 2017, S. 16).

In der Konsequenz übernimmt die Kita auch die Verantwortung für das gesunde und förderliche Aufwachsen von Kindern, die Einführung in die sozialen und kulturellen Zusammenhänge, die Vorbereitung auf die anschließenden Bildungseinrichtungen und vieles andere mehr. Kitas haben sich zu „multifunktionalen Systemen“ (ebd., S. 9) entwickelt, deren Aufgaben und Tätigkeitsschwerpunkte sich zunehmend wandeln und die von verschiedenen gesellschaftlichen Interessenlagen flankiert und beansprucht werden. So steigen die Ansprüche und Erwartungen an die Tätigkeit im Elementarbereich. Die Fachkräfte werden als „… eine wichtige Sozialisationsinstanz und Begleiter der ersten Etappe des Bildungsweges – unabhängig davon, ob und wie stark sie selbst dies beabsichtigen“ (Dippelhofer-Stiem 2012, S. 129), als zentrale Bezugspersonen neben den Eltern bestimmt und damit in die Verantwortung genommen.

Ausbildung, Personal und Arbeitsmarktsituation

Der umfassende Ausbau der Betreuungsplätze in den letzten Jahren ist mit einer für den Kitabereich einzigartigen Personalexpansion verbunden. Einen aktuellen Einblick stellen die Autoren des Fachkräftebarometers zur Verfügung und führen aus, dass sich die Gesamtzahl der betreuten Kinder in Tageseinrichtungen sowie -pflege zwischen 2006 und 2018 um 730.500 (+24 %) von 3.014.800 auf zuletzt 3.745.200 erhöht hat (vgl. Fachkräftebarometer 2019, S. 19). So wurden zwischen 2006 und 2018 insgesamt 309.000 Arbeitsplätze neu geschaffen (vgl. Fachkräftebarometer 2019, S. 22) und erreicht dann 2018 mit 724.100 Personalstellen einen neuen Höchststand. Dabei ist das Personaltableau in Kitas recht heterogen bestimmt, auch wenn in überwiegender Mehrzahl (ca. 75 %) staatlich anerkannte Erzieherinnen – oft mit verschiedenen Zusatzqualifikationen – in den Einrichtungen arbeiten, gefolgt von Kinderpflegerinnen bzw. Sozialassistentinnen (ca. 15 %). Nur ein geringer Prozentsatz der Tätigen in Kitas hat keine Ausbildung. Aber auch Hochschulabsolventinnen sind eher marginal vertreten (vgl. Dippelhofer-Stiem 2012, S. 132), der Ausbau der kindheitspädagogischen BA-Studiengänge konnte diesen Anteil noch nicht merkbar erhöhen.

Trotz des beträchtlichen Ausbaus wählen immer noch fast ausschließlich Frauen Tätigkeiten im Elementarsektor. Dies wird u.a. auf die geringeren Karriere- und Verdienstchancen im Beruf zurückgeführt, sowie die unterschwellig wirkende Verknüpfung des Erzieherberufs mit dem Bild der „Mütterlichkeit“ (ebd.). Die dauerhafte Überrepräsentation von weiblichen Fachkräften bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Berufsfeld. So sind durch die weiblichen Berufsbiografien (z.B. durch die Inanspruchnahme von Eltern- und Erziehungszeit) einerseits längere Unterbrechungen der Berufstätigkeit üblich, zum anderen geht ein erheblicher Teil der Fachkräfte nur einer partiellen Beteiligung am Erwerbsleben nach, da sich mit einer Teilzeitbeschäftigung berufliche und private Verpflichtungen besser vereinbaren lassen.

Auch wenn die gesellschaftliche Reputation des Erzieherinnenberufs vergleichsweise hoch ist (laut Ergebnissen der Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2019 des dbb), schlägt sich diese nicht monetär nieder. Martin R. Textor (2012, o.A.) verweist auf einen eher durchschnittlichen Verdienst (ca. 38.000 Euro durchschnittliches Bruttoarbeitsentgelt im Jahr).

Wer sich für die Ausbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin entscheidet, wählt eine Breitbandausbildung, die nicht allein auf den Kitabereich fokussiert ist, sondern verschiedene Arbeitsplätze offeriert, z.B. in Horten, Jugendwohnheimen, Beratungsstellen, ambulanten sozialen Diensten, Sonderschulen u.a.m. So existiert in Deutschland kein allgemein verbindliches, einheitliches noch festgeschriebenes Berufsbild. Gleichwohl gibt es verschiedene Versuche, zentrale Kompetenzen von Fachkräften zu bestimmen (u.a. 2011 der Beschluss der Kultusministerkonferenz: „Kompetenzorientierung Qualifikationsprofil für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erzieher an Fachhochschulen/Fachakademien“). Wer in Deutschland die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin machen möchte, sieht sich zudem mit dem Problem konfrontiert, dass die Ausbildung nicht einheitlich geregelt und in Folge der institutionellen Komplexität des Kitabereiches maximal unübersichtlich ist.

Die Diversität der Ausbildungsmöglichkeiten wird durch die Vielzahl von länderspezifischen Regelungen hinsichtlich des Zugangs und der Voraussetzungen, Dauer und Ablauf, inhaltlicher Anforderungen, Prüfungsbestimmungen und praktischen Anteilen sowie durch trägerspezifische Ansprüche begründet. So ist nicht einmal die Bezeichnung der Qualifizierungsstätten einheitlich: Fachschule für Sozialpädagogik, Fachakademie oder Fachschule für Sozialwesen sind gängige Bezeichnungen und auch der Status der Fachschulen im deutschen Bildungssystem ist bislang ungeklärt (vgl. Dippelhofer-Stiem 2012, S. 133). Aber auch über die Dauer der Ausbildung zur Erzieherin ist keine verbindliche Aussage zu treffen. Sie kann je nach Modell zwischen 4, 5 oder 6 Jahren in Anspruch nehmen, teilweise muss sogar Schulgeld entrichtet werden. Als kleinster gemeinsamer Nenner kann die Empfehlung der Kultusministerkonferenz genannt werden, welche die verbindliche, staatliche Anerkennung der Abschlüsse sichert (ebd.).

Insgesamt wächst allerdings die Kritik am Ausbildungssystem. Mit den Veränderungen und den steigenden Ansprüchen im Handlungsfeld der Kindheitspädagogik ist dieses verstärkt mit Fragen der Qualitätssteigerung und Professionalisierung konfrontiert. So kann in der wissenschaftlichen Diskussion ein „Defizitdiskurs“ (vgl. Kuhn & Neumann 2016, S. 123) ausgemacht werden, in dem das Qualitätsniveau des Kindergartens als verbesserungswürdig eingeschätzt wird und der Beruf der Erzieherin als (noch) nicht professionalisiert bzw. als möglicherweise nicht professionalisierbar (vgl. Cloos 2001, S. 128) gilt. Gerade in politischen Debatten wird mit den Konstrukten der Professionalität und Profession argumentiert, so sehen die OECD (vgl. Oberhuemer 2009, S. 367) sowie die EU die Professionalisierung des Personals im frühkindlichen Bereich als internationale Aufgabe, die unverzichtbar sei, „… denn über die frühzeitige und umfassende Bildung und Erziehung der Kinder werde die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Industriestaaten langfristig gesichert“ (Dippelhofer-Stiem 2012, S. 140).

Dies kann wiederum nur durch eine fundierte Ausbildung des Fachpersonals sowie durch die Sicherung der Qualität der Handlungspraxis gewährleistet werden. Waren die Bemühungen um die Transformation des Elementarbereiches Anfang der 2000er-Jahre noch sehr ambitioniert, so sollte über eine partielle Akademisierung des Personals die Kluft zwischen Kitabetreuung und anderen pädagogischen Handlungsfeldern geschlossen werden, zudem wurden vielfältige Qualitätsinitiativen im Feld etabliert, sind diese inzwischen längst durch einen stetig wachsenden Personalmangel und die entsprechenden Steuerungsversuche (z.B. durch diverse „Quereinsteigerprogramme“) in den Hintergrund getreten, mit „fatalen“ Folgen, wie die Autoren des Fachkräftebarometers Frühe Bildung 2019 bemerken und weiter ausführen:

„Die Kindertageseinrichtung ist das größte Berufsfeld innerhalb der sozialen Berufe, das [sic!] sich weiterhin durch ein enormes Wachstum der Anzahl der Beschäftigten auszeichnet. Zwischen 2006 und 2018 wurden insgesamt gut 309.000 Arbeitsplätze neu geschaffen – das entspricht einem Personalzuwachs von 74 % in den letzten zwölf Jahren. Gleichzeitig sind die Arbeitslosenzahlen in diesem Beschäftigungssegment auf einen neuen Tiefststand gesunken. Für einen weiteren Ausbau bzw. notwendige Strukturveränderungen, wie etwa die Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels und die Ermöglichung von zusätzlichen Verfügungszeiten, stehen aktuell kaum noch Fachkräftereserven zur Verfügung.“ (Fachkräftebarometer 2019, S. 169)

Die bisherigen Ausführungen werden durch ein Zitat vom Portal für pädagogische Fachkräfte: erzieherin-ausbildung.de pointiert zusammenfasst:  

„Erzieher haben sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das liegt zum einen daran, dass die Branche generell sehr viele mögliche Einsatzbereiche bietet. Durch den hohen Anteil junger Frauen, die selbst ein Kind bekommen möchten, stehen außerdem sehr oft Jobs als Mutterschaftsvertretung zu Verfügung. Zum anderen werden Erzieher händeringend gesucht, weil es seit 2013 einen bundesweiten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind gibt, welches das erste Lebensjahr vollendet hat. Hinzu kommt, dass für die nächsten Jahre eine Verrentungswelle von pädagogischem Personal erwartet wird. Besonders männliche Erzieher werden sehr gerne eingestellt. Die Männerquote in Krippen und Kindergärten liegt momentan noch bei deutlich unter zehn Prozent. Es gibt bereits Kampagnen, die darauf abzielen diesen Zustand zu ändern und mehr Männer für den Beruf des Erziehers zu begeistern.“ (03/04/2021)

Zur Pädagogik der Kindergärten: Konzeptionen und Programme

Programmatisch und konzeptionell ist der Kitabereich sehr breit aufgestellt. Seit den 1970er-Jahren ist ein wahrer „Programmpluralismus“ zu verzeichnen (vgl. König 2008, S. 312). Neben den klassischen Ansätzen wie Fröbelpädagogik, reformpädagogischen Ansätzen (Montessori oder Waldorf) oder dem sich in den 70ern etablierenden Situationsansatz sind noch weitere hinzugekommen, z.B. offene Kindergartenkonzepte, Reggio-Pädagogik, das Infans-Konzept, Lernwerkstätten und Bildungsräume, das Lóczy-Modell nach Emmi Pikler, die vorurteilsbewusste Erziehung und Bildung, das Early-Excellent-Konzept oder die spielzeugfreien Kitas und weitere. Die zwischen 2002 bis 2006 von den Ländern entwickelten Bildungspläne und Programme können als Versuch gelesen werden, eine gewisse Einheitlichkeit in die konzeptionelle Vielfalt der Kitas zu bringen. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Bildungsplänen und -vorgaben, pädagogischen Programmatiken und Leitvorstellungen, trägerspezifischen Vorgaben und einrichtungsspezifischen Konzeptionen sowie den subjektiven Handlungsorientierungen, professionellem Wissen und Können von pädagogischen Fachkräften komplex und erst in den Anfängen empirisch reflektiert.

Jede Einrichtung hat nach § 22a des KifoeG (Kinderförderungsgesetz) eine pädagogische Konzeption zu entwickeln. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um eine schriftliche Fixierung der relevanten Aspekte einer Einrichtung für die Beteiligten (Eltern, Fachkräfte, Kinder, Träger) handelt, die verbindlich ist (vgl. Groot-Wilken 2009). Sie beinhaltet die reflektierte und fundierte Darlegung der Grundlagen der pädagogischen Arbeit. Dabei werden nicht nur die realen Gegebenheiten vor Ort einbezogen, sondern auch das theoretische und praktische Fachwissen der pädagogischen Fachkräfte. Die Konzeption soll Auskunft geben über die pädagogischen Prozesse, Aktivitäten und die Gestaltung des konkreten pädagogischen Handelns in der Einrichtung (u.a. der Tagesablauf) sowie über die Zielvorstellungen, die das pädagogische Handeln orientieren. Themen, die dezidiert in den Konzeptionen ausgeführt werden, sind:

  • Organisation,
  • Personalentwicklung,
  • Pädagogische Aspekte, u. a. pädagogisch-inhaltliche Grundgedanken, das Bild Kind, Methodik und Didaktik,
  • Kooperation mit Familien,
  • Qualitätssicherung,
  • Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation mit externen Partnern,
  • Zusammenarbeit mit dem Träger.

In die Konzeption fließen auch die grundsätzlichen pädagogischen Ansätze oder Programmatiken ein, die zum Beispiel vom Träger vorgegeben und in den Einrichtungen dann konkretisiert werden. Als aktuelle Programmatiken fungieren u.a.:

  • Situationsorientierter/Funktionsorientierter Ansatz,
  • Offene Gruppenarbeit,
  • Waldkindergarten bzw. Natur- und Erlebnispädagogik,
  • Montessoripädagogik,
  • Walddorfkindergarten,
  • Reggio-Emilia-Ansatz,
  • Fröbelpädagogik,
  • Bewegungs- und Sportpädagogik,
  • Sprachorientierte Ansätze,
  • Spielpädagogische Überlegungen.

Bernd Groot-Wilken (2009) bezeichnet die Konzeption als Visitenkarte der Einrichtung für die Innen- und Außendarstellung. Sie spiegelt das pädagogische Profil der Tageseinrichtungen wider. Dabei sollen die Einrichtungskonzeptionen einem stetigen Wandlungsprozess unterliegen und laufend angepasst werden, was nicht in allen Einrichtungen erfolgt. Wird dies umgesetzt, kann es dazu kommen, dass pädagogische Moden und Schwerpunktsetzungen recht schnell einfließen und zu Brüchen und Inkonsistenzen innerhalb der Konzeption führen. Die besondere Herausforderung der Konzeption liegt, wie bereits einleitend angesprochen, in dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Theorie und Praxis, zwischen den wirklichkeitsangemessenen, handlungsbezogenen und daher auch prozesshaften konzeptionellen Entwicklungen und den theoretisierten, voraussetzungsreichen idealisierten (Wunsch-)Vorstellungen und Konstruktionen der Fachkräfte, was Ingeborg Becker-Textor wir folgt ausdrückt:

„Nur wenn ein Konzept auch Anwendung finden kann, Hilfe bietet, entspricht es den Bedürfnissen der Praxis. Schöne Beschreibungen von Traumzielen helfen wenig, wenn der Realitätsbezug fehlt. Es braucht aber den Traum und die Vision, immer im Kontakt zur Wirklichkeit“ (Becker-Textor 2010, o.A.).

Kindheitspädagogik – Zur Entstehung einer Disziplin

Vor ca. 20 Jahren wurde das Verhältnis der Erziehungswissenschaft und der elementarpädagogischen Praxis von Ursula Rabe-Kleberg (2012) als „durchweg gespannt“ und durch gegenseitige „Nicht-Zur-Kenntnisnahme“ gekennzeichnet und wie folgt beschrieben:

„So haben wir es auf der einen Seite an den Universitäten […, J.B.] mit einer erziehungswissenschaftlichen Teildisziplin zu tun, die bislang keinen dauerhaft intensiven Zugang zur Praxis hat und auf der anderen Seite mit einer wissenschaftsfernen, in Teilen sogar theoriefeindlichen Praxis.“ (S. 127)

Dieses Verhältnis hat sich im letzten Jahrzehnt mit der Herausbildung und Etablierung der Kindheitspädagogik gewandelt und es konnte sich ein disziplinärer Zugriff als Kindheitsforschung etablieren. Die Kindheitspädagogik, als Disziplin, ist daher noch sehr jung und befindet sich aktuell in einem Etablierungs- und Konstitutionsprozess. Dies zeigt sich unter anderem auch daran, dass sich (noch) keine einheitliche Disziplinbezeichnung durchgesetzt hat: Die Begriffe Elementarpädagogik, Vorschulpädagogik, Kleinkindpädagogik, Kindheitspädagogik, Frühpädagogik, Pädagogik der (frühen) Kindheit und Frühe Bildung können zwar synonym genutzt werden, geben aber auch spezifische Schwerpunktsetzungen und Referenzbestimmungen wieder (vgl. Cloos 2015, S. 577).

Der Terminus: Kindheitspädagogik wurde erst in den letzten Jahren entwickelt und versucht als „neue Formel“, Sammelbezeichnung oder Klammerbegriff die aktuellen Entwicklungen in Wissenschaft und Praxis abzubilden (ebd, S. 578). Forciert wurde die Begriffsetablierung durch die seit 2004 in Deutschland entstehenden Bachelor- und Masterstudiengänge für Bildung und Erziehung im Kindesalter an den Hochschulen und der sich aus den Absolventinnen heraus formierenden neuen Berufsgruppe mit akademischem Abschluss. Durch den Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) 2011, wurde die Berufsbezeichnung „staatlich anerkannte Kindheitspädagogin/staatlich anerkannter Kindheitspädagoge“ für die Absolventen kindheitspädagogischer Bachelorstudiengänge eingeführt, womit die Differenzierung zwischen den Absolventinnen von Fachschulen und Hochschulen mittels Bezeichnung gelang (vgl. Cloos 2015, S. 577 f., Balluseck o.A.).

Gegenwärtig ist die Kindheitspädagogik als Teildisziplin der Sozialen Arbeit erfasst. Perspektivisch könnte sich diese zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin an den Schnittstellen von Pädagogik und Sozialer Arbeit entwickeln (vgl. Rißmann 2015, S. 260). Wesentlich für die Disziplin ist der Bezug auf die Lebensphase der Kindheit. Allerdings sind die Gegenstände sowie Perspektiven der Kindheitspädagogik vielfältig und breit angelegt. Sie gehen über das Handlungsfeld Kindergarten hinaus und schließen an inner- und interdisziplinäre Diskurse z.B. der Schulpädagogik, der Entwicklungspsychologie sowie der Kindheitsforschung an. Exemplarisch für den breiten thematischen Bezug, der innerhalb der Kindheitspädagogik Beachtung findet, seien exemplarisch einige Punkte genannt: 

  • Fragen des Aufwachsens z.B. in familiären oder weiteren institutionellen Kontexten,
  • der Strukturierung des Sozialraumes für Kinder sowie der Ermöglichung sozialer, politischer und kultureller Bildungsprozesse von Kindern,
  • des Kindheits- und Kinderschutzes,
  • der Konstruktion von Kind und Kindheit,
  • der pädagogischen Konzeptionen und Programmatiken, der Theorien und Praxis von Erziehung, Lernen, Bildung, Betreuung, Pflege, Didaktik u.a. in kindheitspädagogischen Settings,
  • der Professionsforschung u.a. zur Professionalität von kindheitspädagogischen Fachkräften oder zum Status als Profession,
  • der Performanz (kindheitspädagogischen Handelns), der Alltagspraxis und des Alltagswissens,
  • sowie der Disziplin- und Wissenschaftstheorie.

Viele Aspekte der Kindheitspädagogik sind bis dato empirisch ungeklärt und bedürfen vermehrter Forschungsanstrengungen. Auch die Reflexion und Rekonstruktion der Disziplinentwicklung ist ein noch kaum bearbeitetes Forschungsfeld.

Abschließend kann festgehalten werden, dass die Kindheitspädagogik ein sich dynamisch entwickelndes Professionsfeld erschließt, bei dem aktuell noch nicht abzusehen ist, wie es sich wissenschaftlich und praxisbezogen entwickelt. Unklar bleibt auch, ob der Begriff Kindheitspädagogik von Wissenschaft und Praxis als dauerhaft tragfähig angesehen wird, darüber u.a. auch die Entwicklung einer professionellen Identität gelingt und ob sich die heterogenen Handlungsfelder unter dem Begriff subsumieren lassen (vgl. Cloos 2015, S. 584).

[1] Der vorliegende Text entstand im Rahmen eines Universitätsseminares zur Einführung in die Arbeitsfelder pädagogischen Handelns im BA-Studiengang an der TU- Chemnitz und wurde als Steckbrief konzipiert. In überarbeiteter Form wird er hier zur Diskussion gestellt.

[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird folgend das generische Femininum genutzt. Männliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, wenn es inhaltlich angemessen ist.

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