Klaus Gebser
Noch zu Lebzeiten Fröbels, so im Januar 1851, musste in Nordhausen der durch Eduard Baltzer (1814-1887) und der Erzieherin Ernestine Storch ins Leben gerufene Kindergarten seine Arbeit bald wieder beenden (preußisches Kindergartenverbot von 1851, insbesondere die Order vom 07.08.1851, s. Ministerialblatt). Nach der Beendigung dieses Interdiktes gelang aber 1867 ein zweiter, von Thekla Naveau initiierte Versuch in der ehemaligen freien Reichsstadt in der Waisenstraße 502, später die Nummer 4, 1870 in der Ritterstraße 530. Und schließlich konnte Thekla Naveaus, Schülerin von Ida Baumann, 1866 in Sangerhausen den ersten auf den Füßen der Fröbelschen Anschauung stehenden Kindergarten in dieser mitteldeutschen Kleinstadt ins Leben rufen. Obwohl sie den Betrieb dieser Einrichtung recht bald wiedereinstellen musste, war die Kindergartenidee in Sangerhausen so gefestigt worden, dass bald weitere Initiativen folgten. Und andererseits begann die oben genannte junge Erzieherin nach diesem pädagogischen Versuch bald eine beispielhafte Karriere als Pädagogin und Frauenrechtlerin, so ab 1872 in Wien in enger Zusammenarbeit mit der später berühmt werdenden Auguste Fickert (1855-1910). In Deutschland hingegen ist Baumann recht unbekannt geblieben.
Jetzt, nur noch fünf Jahre bis zur Gründung des Kaiserreiches, entstanden nach der Rücknahme des Kindergartenverdikts im Zentrum des späteren Deutschlands weitere Kindergärten: Braunschweig 1862 durch Caroline Wiseneders (1807-1868) und ihren musikalischen Kindergarten, Halle 1863 durch Marie Wollmann (1829-1908), Köthen 1864 durch Angelika Hartmann (1829-1917), Sondershausen bekam durch Marianne (1825-1882) und Thekla Naveau (1822-1871) schon in den 1850er Jahren einen Kindergarten, der durch die Cousine Julie Bertram (1835-1882) fortgeführt wurde, und im sächsischen Leipzig hatte bereits Henriette Dahlenkamp (1821-1865), die aus Hagen stammte (http://heidermanns.net) und eine Nichte des Schriftstellers Gustav Kühne (1806-1888) war, am 01.06.1849 eine Einrichtung ins Leben gerufen, wie Fröbel in einem Brief an Richard Krell (1828-1880), Teilnehmer am Bildungskurs 1848/1849 in Dresden, am 9. Juni des Jahres schrieb. Auch Dahlenkamp hatte diesen Kurs absolviert. Doch jetzt, etwa ab 1863, als Ida Baumann in Sangerhausen ihren eigenen Kindergarten betrieb (vgl. Baumann 1913, S. 195), waren die politischen Weichen für weitere Initiativen gestellt, nachdem die nunmehrigen preußischen Minister Moritz August Bethmann-Hollweg (1795-1877) und Maximilian Graf von Schwerin (1804-1872) das Verbot von 1851 annulliert hatten (vgl. Zentralblatt 1860, S. 238).
Erster Kindergarten in Sangerhausen
Richten wir anschließend unseren Blick vom westlichen auf den östlichen Südharz. Um die Jahrhundertwende existierte bereits in Eisleben unter der Lehrertochter Johanna Köthe ein Erzieherinnenseminar und die bekannte Hedwig Aurin (1897-1989) wird hier ihre Ausbildung aufnehmen und beenden. Das geschah in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Doch bereits fünfzig Jahre früher, wiederum zeitnah nach der Aufhebung des preußischen Verbotes der Kindergärten, gründete Ida Baumann (1845-1913) aus Sondershausen, wie bereits mitgeteilt, 1866 den ersten Kindergarten im benachbarten Sangerhausen: „Es waren aber meist die Kinder der höheren Stände darin vertreten“, schreibt der Chronist Schmidt (1906, S. 91) hierzu. Und er vermerkt weiter, dass besagter Kindergarten bald wieder einging und 1867 von Fräulein Walther aus Sondershausen neu ins Leben gerufen wurde. Auch diese Einrichtung mit der Adresse des Sattlermeisters Trautmann fand recht wenig Anklang und überlebte nicht. 1873 schließlich unternahm Fräulein Therese Zeckel aus Nordhausen einen erneuten Versuch, den jetzt von Frau Nienstedt geführten Fröbelschen Kindergarten am Leben zu erhalten. Das Honorar je Kind betrug im Quartal 2 Taler, im Winter kamen 20 Groschen für die Heizung hinzu. Und Schmidt ergänzt: „Der Unterricht war von 9 bis 11 und 2 bis 4 Uhr“ (ebd.). Sangerhausen, wie auch Nordhausen, gehörten gemäß den Beschlüssen des Wiener Kongresses seit 1816 zu Preußen und innerhalb des Landes zur preußischen Provinz Sachsen. Somit lagen diese Städte im Verantwortungsbereich von Manteuffel und Raumer (s.o.), wobei für den Regierungsbezirk Erfurt, zu dem Nordhausen zählte, zunächst eine Sonderregelung getroffen worden war (vgl. Franke-Meyer 2011, S. 117). Zur Erinnerung: dieses Verbot war nun Geschichte.
Die seinerzeit kleine und unbedeutende Ackerbürgerstadt bot um die Jahrhundertmitte 6.300 Einwohnern (vgl. Landkreis Sangerhausen, S. 118) ihren Lebensraum. Doch die günstige Verkehrslage, insbesondere das durch die in den 1860er Jahren neu gebauten Eisenbahnlinien entstandene Eisenbahnkreuz Halle-Kassel sowie Magdeburg-Erfurt und der sich rasch entwickelnde Bergbau stellten günstige Bedingungen für eine sich jetzt prosperierende Stadt dar und das 1903 ins Leben gerufenen Rosarium machte sie auch touristisch interessant und über die Grenzen der preußischen Provinz Sachsen bekannt.
Mit dem bereits 1866 entstandenen Kindergarten hatte Ida Baumann den einst von Fröbel begründeten Nutzen der vorschulischen Erziehung und Bildung rechtzeitig erkannt und reihte sich und ihre Einrichtung würdig in die damals immer länger werdende Zahl von Erzieherinnen ein, die ebenso gehandelt hatten (s.o.). Dabei sind von den Sangerhäuser Kindergärten außer den Vermerken in der Chronik von Schmidt (ebd.) heute keine weiteren Details bekannt. Auch zu Ida Baumann selbst und zu ihren ersten Lebensstationen gibt es nur wenige Verweise. Ihre enge Beziehung zu der österreichischen Feministin, Lehrerin und Sozialpolitikerin Auguste Fickert erwies sich nachträglich für ihre biografischen Untersuchungen als Glücksfall. Hacker (1996, 2006) sowie Berner (1913) und Schmölzer (2009, 2015) ist es zu verdanken, dass wir heute einen besseren Überblick über die biografischen Stationen Baumanns angeben können. Hacker und Schmölzer arbeiteten jedoch nur zu ihrer Wiener Zeit.
Herkunft
Geboren wurde Ida Baumann 1845 in dem kleinen Dorf J… (wie sie 1913 schreibt) im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen als Tochter eines relativ mittellosen jüdischen Lehrers in einer Familie mit sieben Kindern. Eine Schwester hieß Judith. Leider bleibt der Name eines ihrer Brüder, der sie oft wirtschaftlich unterstützte, von ihr ungenannt. Hinter der Abkürzung „J.“ verbirgt sich einer der beiden Orte Jecha oder Jechaburg bei Sondershausen. Welches der beiden Dörfer gemeint ist, bleibt unbekannt. 1838, etwa zum Zeitpunkt Idas Geburt, beherbergte Jecha annähernd 600, Jechaburg 220 Einwohner (Hoffmann 1838, S. 164).
In keinem der später eingemeindeten Ortsteile der Kreisstadt erinnert heute noch etwas an Ida Baumann. Auch die Internetauftritte der Orte geben zu ihr keine Auskunft. Damals lebten annährend 150 jüdische Bürger in Sondershausen (wikipedia). Die jüdischen Kinder wurden seit 1840 in der christlichen Schule zusammen mit den anderen Kindern unterrichtet, hatten hingegen für die religiösen Belange einen eigenen jüdischen Lehrer zur Verfügung (vgl. Apfelstedt 1854, S. 70). Doch unverblasst blieben ihre Kindheitserinnerungen, so an den elterlichen Garten, an den sie jetzt zurückdachte: „Meine Schwester und ich saßen auf der Türschwelle und empfanden, obwohl noch Kinder im Alter von 12 und 10 Jahren (Ida war die jüngere der beiden Schwestern und hatte noch weitere fünf Geschwister – KG), unbewusst die herbe Schönheit des Abends“ (Baumann, 1913, S. 192).
Kindlich auch ihre ersten Erinnerungen an die bescheidene Existenzgrundlage, die der Vater der Familie bieten konnte: „Als wir so erwartungsvoll dasaßen, kam mir plötzlich der Gedanke, dass meine Eltern wohl recht arm sein müssten, und als ich diesen Gedanken in Form einer Frage an meine ältere Schwester Ausdruck gab, bejahte sie diese sehr energisch. Ja, wir waren arm, und zwar in hohem Grade, ich erfuhr es von Jahr zu Jahr deutlicher. Mein Vater hatte ein Gehalt von 11 Talern monatlich …“ (ebd.). Diese materielle Sorge sollte Idas Leben bis in ihre Lebensmitte dominieren, – eigentlich bis zu ihrem Wiener Lebensabschnitt mit Auguste Fickert (1855-1910). „Mit fremder Hilfe kämpfte sie sich durch und wurde Kindergärtnerin“, heißt es in ihrem Nachruf (Berner 1913, S. 99). Als spätere Volksschullehrerin wurde diese materielle Sorge genommen, denn Wien zahlte 1910 für die Arbeit an den Volksschulen zwischen 1.600 und 2.000 Kronen Gehalt. Ab 1906 wird sie zudem als Volksschullehrerin I. Klasse geführt, womit ihr wohl die höhere Summe zugestanden haben wird (vgl. Wiener Kommunal-Kalender).
Weiter lesen wir in Idas Erinnerungen, dass ihr ein älterer Bruder, der als Kaufmann sein Einkommen erwarb, ab 1858 den Besuch der Höheren Mädchenschule in Nordhausen ermöglicht hatte (vgl. Baumann 1913, S. 193). Bald folgte in Sondershausen der Besuch einer Haushaltsschule, wo sie das Weißnähen, Sticken, Schneidern, aber auch Französisch und Klavier spielen lernte (vgl. Baumann 1913, S. 194). Zu ihrer pädagogischen Bildung berichtete sie, dass ihre Lehrerin Thekla Naveau gewesen sei und die Ausbildung bei ihr durch die Vermittlung ihres Lehrers Bartel zustande gekommen sei. Somit hatte Ida bei ihr in Sondershausen in dem 1853 gegründeten Kindergarten mitgearbeitet und dort im selben Jahr den Beruf der Erzieherin erlernt.
Von der Leiterin der Einrichtung Naveau erhält sie ein Abschlusszeugnis, in dem es heißt: „Ihr Charakter und das aus demselben hervorgehende Betragen beruht aus den Grundzügen der strengsten Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit“ (ebd.). Erstmalig erfährt der Leser etwas von der psychischen Verfassung der Protagonistin, das in ihren Wiener Jahren nicht selten in Sturheit und Uneinsichtigkeit übergehen wird. „Ja, ja, diese Wahrhaftigkeit, verbunden mit meiner Schroffheit hat mit viel Unangenehmes im Leben bereitet, doch – wer kann aus seiner Haut?“, schreibt sie weiter (ebd.). Durch Naveau hatte Ida Baumann in Sonderhausen Zugang zu einer frei religiösen Gemeinde bekommen. Die Vorträge über Naturwissenschaften und Philosophie, die Lektüre zu dem Leben von Jesus und anderer Werke blieben nicht folgenlos. Im Nachhinein schrieb sie über die Auswirkungen dieser Kontakte mit der religiösen Gemeinde bezüglich ihrer geistigen Reife: „Allmählich kam ich mit der fortschreitenden Reife meines Denkens zur Klarheit und damit auch zur größeren geistigen Ruhe“ (ebd., S. 195). Kurzzeitig findet sie danach Anstellung in einem Kindergarten im benachbarten Nordhausen. Wegen ihrer Religionszugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft erhält sie bald darauf die Kündigung.
Thekla Naveau stammte aus Mühlhausen, einer nahe gelegenen Thüringer Kleinstadt, wo ihr Vater als Arzt praktizierte: Johann Ludwig Theophilus Naveau (10.10.1792 Landsberg, 30.11.1829 Mühlhausen). Ihre Mutter hieß Wilhelmine Auguste Louise Helmkampf (01.08.1798 Keula, 28.03.1869 Sondershausen). Nach dem Tod des Vaters zog die Familie zuerst in das nahe gelegene Groß-Keula und darauf nach Sondershausen, wo sie bei dem Bruder der Mutter, bei dem Seifenfabrikanten und Antiquar Gustav Bertram, dem Vater Julie Bertrams (s.o.), Unterstützung fand (Ziering 1941). Um 1863 geht Baumann zu ihrem Bruder nach Sangerhausen, der sich dort als Kaufmann eine Existenz geschaffen hatte (s.o.) und sie wieder wirtschaftlich unterstützte. Hier widersprechen sich die Aufenthaltsdaten mit denen von Schmidt, der für Sangerhausen 1866 angab (ebd.). 1864 finden wir sie als Erzieherin in Nürnberg („… ich war eben erst 19 Jahre alt …“ (Baumann 1913, S. 196), doch gelang es ihr nicht, den – ihren – Kindergarten zu halten und so musste sie ihn abgeben (vgl. Baumann 1913, S. 195).
In Bremen fand Ida eine hilfreiche Frau, dennoch konnte sie keine Anstellung finden. So folgte durch ihre Vermittlung etwa 1865 eine Arbeit in Frankfurt am Main, wo sie in einer Familie zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren erzog. Bald folgte wieder die Kündigung, der Familienvater eröffnete ihr: „… denn seine Mutter wolle das Haus nicht betreten, so lange eine Jüdin bei seinen Kindern als Erzieherin sei“ (Baumann 1913, S. 197). Sie findet Beschäftigung in einem jüdischen Waisenhaus und erhält bescheidene 8 fl. Monatslohn – etwa 16 Schillinge – KG (vgl. ebd.). Bald darauf, nach dem Tod ihres Vaters übersiedelt ihre Mutter nach Prag. Das war etwa 1867. Sie selbst bleibt zu dieser Zeit in Frankfurt. Nachdem die Mutter jedoch in Prag nicht wirtschaftlich Fuß fassen konnte, überredet sie Ida dort bei einem Kurzbesuch 1870, gemeinsam nach Wien zu gehen. 1872 ist sie hier bereits im Adressbuch erfasst: „Baumann, Lehrerin, II, Mayerg. 7“, ließ sie eintragen, womit ihr Aufenthalt in der österreichischen Hauptstadt seit 1971 gesichert wäre. Ein Kollege habe ihr mitgeteilt: „In Wien … seien die Kindergärten jetzt in großem Aufschwung begriffen“ (vgl. ebd., S. 198). Im Herbst 1870 gelang es Ida, in Österreichs Hauptstadt eine Kindereinrichtung ins Leben zu rufen. Ihre Mutter unterstützte sie hierbei in ihrer Arbeit.
Jedoch konnte sich die Einrichtung wiederum nicht halten, da die Eltern ihre Kinder, jetzt im Frühjahr 1871, lieber auf das Land schickten als denn in den Kindergarten (vgl. ebd.). Ein Nachweis dieser Einrichtung im Adressbuch der Stadt findet sich jedoch nicht. Es sei ergänzt: In Wien entstand bereits am 30.01.1863 durch den Lehrer Georg Hendel ein Kindergarten (Wien Wiki), der erste in Österreichs Hauptstadt. 1873 hatte er sich im Adressbuch als „Erziehungs-Anstalts-Vorsteher“ eingetragen, 1867 bereits als „Privat-Schul-Inh.“
Sogar 1884 wird Ida Hendel, wohl eine Verwandte, noch als Inhaberin der Ersten Österreichischen Kindergartens bezeichnet. Vorher leitete Anna Hendel die Einrichtung (vgl. ebd.). Als Ida 1870 in Wien eintraf, listete das Adressbuch des Jahres bereits zwei Kindergärten auf, die unter der Bezeichnung „Seidler`sche Kindergärten Central-Direction“ in der Währinger Straße 7 firmierten: Erster Kindergarten, Sterngasse 6; Zweiter Kindergarten, Währingerstraße 7 (vgl. ebd.). Allerdings kam es dann doch zu einem großen Aufschwung in der Kindergartenarbeit, denn 1876 verzeichnete das Adressbuch bereits zwölf Kindergärten, darunter zwei „Fröbelsche“: einen in der Spitalgasse 29, IX, unter Karl Schellner, den anderen in der Robertgasse, II, unter dem Direktor H. Stein (ebenda). Und 1880 waren es bereits 26, darunter ein Kindergarten bei St. Anna, dem Lehrerinnenbildungsinstitut, das Ida Baumann ab 1872 besuchen wird (s.u.).
Der oben genannte Aufschwung in Wien ist tatsächlich offiziell beabsichtigt gewesen: „Am 5. September 1871 sprach der Gemeinderath seine Geneigtheit aus, die Errichtung von Kindergärten nach Fröbels`s System durch Private oder Vereine nach Kräften zu unterstützen und zunächst im IV. Gemeindebezirke entweder im Phorus (eine ehemalige Holzverarbeitungsfirma im 5. Gemeindebezirk – KG) oder in einer anderen der Commune gehörigen Realität eine Platz für einen solchen Kindergarten zu reserviren“ (Wiener Kommunal-Kalender 1873, S. 234 [Schreibweise Original – KG]). Noch 1863 (S. 198), als Hendel bereits die Initiative ergriff, hatte sich die Stadt zurückhaltender geäußert: „Aus Anlass eines Gesuches um Bewilligung eines sogenannten Kindergartens in Wien für Kinder aus mittleren und höheren Ständen hat sich der Gemeinderath über Anfrage der k.k.n.ö. (n.ö. für Niederösterreich – KG) Statthalterei dahin ausgesprochen, daß eine solche Anstalt in Wien zwar kein Bedürfniß sei, das aber deßhalb kein Grund zur Verweigerung der Errichtung derselben vorliege.“
Man fügte an, dass die Einrichtung ein Programm besitzen müsse und unter „sanitätspolizeiliche und schuldistrictliche Aufsicht“ zu stellen sei (ebd. [Schreibweise Original – KG]). Kurze Zeit darauf findet sich die Aussage über den Arbeitsbeginn zur Herstellung des ersten Kindergartens der Stadt auf der Wieden (S. 217, Wieden: 4. Gemeindebezirk – KG). 1871 heißt es schließlich: Der Maschinenfabrikant Georg Sigl (1811-1887 – KG) habe der Stadt 10.000 fl. zum Zwecke der Errichtung eines ersten Kindergartens gewidmet (vgl. ebd. S. 165 und S. 195). Von nun an, ab 1872, sollte sich Ida Baumanns Leben hier abspielen.
In Deutschland dagegen begegneten ihr ständiger Judenhass und religiöse Voreingenommenheit. Auch in Sangerhausen sei sie aus judenfeindlichen Gründen gescheitert („… als mir von den weisen Stadtvätern der Bescheid kam: Eine Jüdin können wir nicht als Leiterin eines Kindergartens in unserer Stadt aufnehmen“, ebd., S. 195). Davon ist bei Schmidt (vgl. ebd.) allerdings nichts zu lesen, der zumindest von der Realität der Kindereinrichtung berichtet hatte. Nach Baumanns Aussage könnte es möglicherweise überhaupt nicht zu einer betrieblichen Existenz gekommen sein.
In Wien wird Ida Baumann ihr weiteres Leben bis zu ihrem Tod verbringen. Zu Wien schreibt Berner: „Als solche [als Kindergärtnerin – KG] kam sie nach Wien und entschloß sich, mit 27 Jahren (1872 – KG) in die Lehrerinnenbildungsanstalt einzutreten, wo sie Auguste Fickert kennenlernte. Beide wirkten in Währing, im 18. Wiener Gemeindebezirk, als Volksschullehrerinnen. Wie ein getreuer Eckart stand Ida der jüngeren Freundin zur Seite und war untröstlich zu sehen, wie deren unermüdliches öffentliches Wirken und Arbeiten ihre Gesundheit untergrub“ (ebd.). 1892 z.B. wird Baumann jedoch in Ottakring, 16. Gemeindebezirk, arbeiten (Adressbuch).
Drei Bildungsanstalten für Lehrer und Lehrerinnen wies die österreichische Hauptstadt 1872 auf. Bei St. Anna je eine an die Volksknaben und -mädchenschule gebunden. Dann existierte bereits das Lehrer-Pädagogium der Stadt unter der Leitung des reformpädagogischen Direktors Friedrich Dittes (1829-1896). Dieser deutsche Schulmann hatte vor seiner Berufung nach Wien in Gotha als Schulrat und Seminardirektor gearbeitet.
Von ihrem Thüringer Landsmann wird Ida Baumann gewusst haben, auch wenn sie in seinem Institut nicht studieren wird. Dittes wird seine Einrichtung einerseits für Frauen, andererseits für modernes pädagogisches Gedankengut öffnen. Otto Glöckel (1874-1935) selbst, ein ehemaliger Volksschullehrer und Anhänger des Individualpsychologen Alfred Adlers (1870-1937), wird der Schule in seiner Amtszeit den Hochschulstatus im Sinne einer Pädagogischen Hochschule verleihen. Adler hatte hier ab 1924 selbst gelehrt und als Professor für Heilpädagogik die individualpsychologisch-basierte Lehrerausbildung begründet.
Baumann studierte gleichwohl nicht bei Dittes, sondern bei St. Anna. Dieser Verweis findet sich bei Seebauer (2011), die angibt, dass Auguste Fickert dort 1872 eine vierjährige Ausbildung aufnahm. Während dieses Studiums lernte Ida, Auguste kennen (vgl. Baumann 1913, S. 199), womit der Nachweis der Ausbildung bei St. Anna für Ida gegeben ist. Weitere Aussagen zur Ausbildung erfährt der Leser nicht. Seit 1873 leitete der österreichische Pädagoge und Gymnasiallehrer Robert Niedergesäß (1829-1887) das Institut bei St. Anna in der Johannesgasse 3, I. 1877 – Baumann und Fickert haben bereits ihre Abschlussprüfungen absolviert – leitete Alois von Egger-Möllwald (1829-1904) die Einrichtung. Es sei schließlich angefügt, dass ab 1873 zusätzlich zu den hier genannten Ausbildungsstätten noch die Öffentliche Lehrerbildungs-Anstalt bei St. Ursula, I, Johannesgasse 8, unter der Leitung des Hauptlehrers Josef Hofer existierte.
Die weiteren Jahre
Über Baumanns Jahre als engagierte Mitarbeiterin der Wiener Frauenbewegung, als deren Oberhaupt Auguste Fickert von ihr niemals in Frage gestellt wurde, ist mehrfach berichtet worden (vgl. hierzu Hacker 1996, 2006; Schmölzer 2009). Beide Frauen blieben über Jahrzehnte zusammen und ergänzten sich durch ihre individuellen Eigenheiten, wobei Baumanns Blick zu den eigentlichen, zu den wesentlichen Faktoren einer Problematik führte. Ihr Spürsinn für Folgerungen und Ergebnisse, ihre Direktheit, Nüchternheit, ja Schonungslosigkeit in der Disputation wird so manche Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen zur Folge haben. Obwohl sie bald eine gemeinsame Wohnung bezogen (so 1881), trennte sich Baumann 1893 wieder von ihrer Gefährtin (Schmölzer, Kap. 5) und zog in eine eigene Wohnung in der Ottakringer Straße 7. In Fickerts Tagebuch finden wir Idas Spitznamen Hekuba (vgl. ebd.), womit auf Hectors Mutter Hekabe aus der griechischen Sage unter Anspielung auf deren Stolz und Leidensfähigkeit angespielt wurde. Wohl Merkmale für Idas Verhalten, die sich in der Öffentlichkeitsarbeit immer zurückhielt und selbst zum Frauenrecht nicht publizierte.
Die Namen ihrer Familienangehörigen nennt Baumann in ihren Erinnerungen (1913) nicht. Bei Schmölzer (2009) findet sich ein Hinweis auf eine Schwester Jenny, mit der Ida einen gemeinsamen Urlaub in Lunz verbracht hatte. Auch der Wiener Kommunal-Kalender nennt für die Jahre bis etwa 1910 eine Volksschullehrerin Jenny Baumann. Ob eine verwandtschaftliche Beziehung vorliegt, bleibt jedoch Spekulation. Die Wohnadresse wechselte mehrfach (Adressbücher). In den 1880er Jahren (bis 1893, s.o.) lebte sie bei Auguste Fickert in der Alserstraße, Gürtelstraße und schließlich in der Neuegasse 15. 1892 arbeitete Ida in der Schule in Ottakring, Lange Gasse 32. 769 Mädchen galt es in dieser Schule zu betreuen. Auguste lehrte in Währing in der Schulgasse 19. Dort lernten 750 Mädchen (vgl. Wiener Kommunal-Kalender).
Im Verlaufe der Jahre wechselten die Frauen ihren Arbeitsort, so findet sich ab 1905 Ida in der Friedrich Kaisergasse 32, Auguste arbeitete derweil in der Grüne Torgasse 7. Letztmalig ist Baumann in dem Kalender 1909 eingetragen, Fickert 1910. Somit wird Ida 1908 in einem Alter von 63 Jahren pensioniert worden sein. Im Adressbuch erscheint sie hingegen erstmalig 1912 als „i.P.“ Doch nach Idas Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, 1893, sind sie im Adressbuch von 1898 wieder zusammen in der Hainzingergasse 6 zu finden. Jetzt blieb man vereint, wenn auch die Wohnanschriften noch zweimal wechselten. Ida lebte zuletzt, 1913, in der Gentzgasse 32 im XVIII. Stadtbezirk.
Nach Fickerts Tod am 9. Juni 1910 trieben sie ihre Liebe und Treue in die Verzweiflung. Sie wählte bewusst den Freitod und ertränkte sich am 12. März 1913 in Greifenstein, nordwestlich von Wien, in der Donau. Ihre Leiche wurde abgetrieben. Nach deren Bergung einige Tage darauf überführte man ihre Leiche nach Zittau, wo nach deren Verbrennung die Urne wieder zurück nach Österreich überführt wurde. Was war Ida Baumann, von engen Freunden Baumännchen genannt (Hacker 1996), für eine bemerkenswerte Frau? In der Würdigung zu ihrem einhundertsten Todestag lesen wir:
„Ida Baumann war weder Schriftstellerin, noch Rednerin, noch Agitatorin. Trotzdem hatte sie Eigenschaften, durch die sie hervorstach und die sie gerade Auguste Fickert wert und teuer machen mussten. Das war vor allem eine strenge Wahrheitsliebe, die sie trieb, den Dingen, Verhältnissen und Charakteren auf den Grund zu schauen und, wenn es erforderlich war, ihre Meinung darüber zu äußern, ihren Erkenntnissen und Ueberzeugungen auch unter Gefahren und Opfern treu zu bleiben. Ida Baumann hatte einen scharfen Blick, ein nüchternes, durch schwere Existenzkämpfe geschultes, nicht leicht zu täuschendes Urteil. Selbstlos und opferwillig, wenn es am Platze war, war sie ebenso schwer zu gewinnen wie zu verlieren. Und wenn Frau Fickerts leicht entzündliches Streben vornehmlich auf das Große gerichtet war, wobei die Unvergessliche auch ihrer selbst vergaß, beschäftigte sich Frau Baumann lieber mit dem Nahen und Nächstliegenden, mit dem Beschränkten und Privaten, das auch bedacht sein will.“ (Berner 1913, S. 99)
Warum ausgerechnet das Krematorium Zittau ausgewählt wurde und wer die Entscheidung hierzu traf, war zunächst nicht bekannt. Eine Anfrage an das dortige Stadtarchiv ergab, dass die Einäscherung am 21. März 1913 in Zittau erfolgte, da im weiten Umkreis von Wien – auch in Österreich keine Krematorien vorhanden waren. Wien bekam das erste Krematorium erst 1922. So erfolgte die Verbrennung in der Oberlausitzer Stadt. Man überführte anschließend die Urne von dort aus nach Ohlsdorf (vgl. Stadtarchiv Zittau, 11.04.2016), einer Gemeinde in Oberösterreich zwischen Linz und Salzburg gelegen. Bleibt abschließend jedoch die Frage offen, warum Ohlsdorf als letzte Ruhestätte für Ida Baumann aus Sondershausen auserwählt worden war. Sowohl die Kirche als auch die Gemeindeverwaltung dieses Ortes blieben eine Antwort schuldig.
Von Sangerhausen, unserem Ausgangsort, ist noch zu berichten. Zu Ostern 1876 hatte die Tochter des dortigen Bahnhofinspektors, Fräulein Marie Dreybrodt, wiederum die Initiative ergriffen und rief einen Kindergarten ins Leben. Wie lange diese Einrichtung existierte, ist nicht eruiert. Doch 1902 gründete Fräulein Magdalene Wapler erneut einen Kindergarten in dieser Kleinstadt am Südharz. Friedrich Schmidt (vgl. ebd.), Autor der zweibändigen Chronik der Stadt Sangerhausen, hat diese Unternehmungen benannt und ihre Existenz für die Nachwelt festgehalten.
Literatur
Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger: nebst Handels- u. Gewerbe-Adressbuch für d. k.k. Reichshaupt- u. Residenzstadt Wien u. Umgebung, Wien: Friedrich Förster 1859-1942
Apfelstedt, H.F.Th.: Heimatkunde für die Bewohner des Fürstenthums Schwarzburg-Sondershausen. Erstes Heft. Sondershausen: F.A. Eupel 1854
Archiv Zittau: Auskunft zu Ida Baumanns Einäscherung. Mail an den Autor vom 11. April 2016
Baumann, Ida: Aus meinem Leben. In: Neues Frauenleben. XV. Jg., Wien, Juli-August 1913, Nummer 7/8, S. 192-200; vgl. auch: http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_baumann.htm (zuletzt 29.02.2020)
Berner, E.: Ida Baumann. Nachruf. In: Neues Frauenleben, XV. Jg., Wien, April 1913, Nummer 4, S. 99-100
Franke-Meyer, Diana: Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
Gebser, Klaus: „Helm ab“ – zum Gebet. „So war unser Einzug in Halle“. Halle/Saale: Teichmann 2016, Kap. 4.6
Hacker, Hanna: Wer gewinnt? Wer verliert? Wer tritt aus dem Schatten? L`Homme. Z.F.G., 1996, 7. Jg., H. 1, S. 98-100
Hacker, Hanna: Auguste Fickert. In: Francisca de Haan u.a.: A Biographicel Dictionary of Women`s Movements and Feminsm. Budapest, New York: CEUPRESS 2006, S. 131-134
Hoffmann, A.G.: Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste. Zweite Sektion. Fünfzehnter Teil. Leipzig: Brockhaus 1838, http://heidermanns.net/gen-pers.php?ID=32842 (zuletzt 29.02.2020)
Mathies, Regine: Die Professionalisierung kaufmännischer Berufsschullehrerinnen. Norderstedt: Demand, o.J.
Ministerialblatt für die gesammte innere Verwaltung 12, Berlin 1851, Nr. 7, S. 182
Schmidt, Friedrich: Geschichte der Stadt Sangerhausen. Zwei Bände. Sangerhausen: Druckerei August Schneider 1906
Schmölzer, Hilde: Frauenliebe: berühmte weibliche Liebespaare der Geschichte. Wien: Promedia Dr.- und Verl.-Ges., 2009 (vor allem die Beziehung Baumann - Fickert), Kap. 5
Schmölzer, Hilde: Mut und hohe Ideale. In: Wiener Zeitung vom 23./24.05.2015
Seebauer, Renate: Lehrerbildung in Porträts. Bd. 2. Wien: LitVerlag 2011
Sippenverband Ziering-Moritz-Alemann 1941, https://z-m-a.de/Dokumente_ZMA/Zieringer-Druckhefte/Druckheft5.pdf (zuletzt 29.02.2020)
Wiener Kommunal-Kalender und städtisches Jahrbuch. Wien: Gerlach & Wiedling 1863-1922
Wien. Wiki: www.wien.gv.at.wiki/ (zuletzt 29.02.2020)
Wikipedia Sondershausen: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdisches_Leben_in_Sondershausen (zuletzt 29.02.2020)
Zentralblatt für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Nr. 4/1860, Beschluss-Nummer 99, S. 238-240