Werner Eitle
"Mein Schulwerk und mein künstlerisches Schaffen beides entstammt der gleichen Wurzel, beides der Idee 'Musik', in Verbindung von Wort, Ton und Gedanke. Wie diese Idee ein Credo meines ganzen Bühnenwerks ist, so liegt sie auch meinem Schulwerk zugrunde" (Carl Orff) (1).
Carl Orff (1895 - 1982) wäre im Jahr 2015 120 Jahre alt geworden. Aus diesem aktuellen Anlass soll an Carl Orff und seinen Beitrag für die Heilpädagogik erinnert werden.
Carl Orff wurde am 10.07.1895 als Sohn eines Berufsoffiziers in München geboren. Schon im Alter von fünf Jahren erhielt er Klavier-, Cello- und Orgelunterricht. Über seine Kindheit vermerkte Orff: "Was ich im Laufe meines Lebens geschaffen habe, findet seinen Ursprung in Kindheitseindrücken. In meiner Jugend war alles schon in mir vorgeformt und verarbeitet" (2).
Bildnachweis: © Schott Music Promotion / Peter Andersen
Orff entwickelte sich im Laufe seines Lebens zu einem der bedeutendsten Komponisten (z.B. Carmina Burana) und Musikpädagogen (Orff-Schulwerk) des 20. Jahrhunderts (3). Vor allem in seinem Wirken als Musikpädagoge kann er als Impulsgeber für die Heilpädagogik angesehen werden. Nachdem 1961 das "Orff-Institut" in Salzburg gegründet wurde, schloss sich 1973 ein "Institut für musikalische Sozial- und Heilpädagogik" (maßgeblich geprägt durch den Universitätsprofessor und Musikpädagogen Wilhelm Keller 1920 - 2008) daran an. Aus dem Institut ging dann der Studienschwerpunkt "Musik und Tanz in der Sozial- und Heilpädagogik" (Teil der Studienrichtung Musik- und Bewegungserziehung) hervor. Heute heißt dieser Studienschwerpunkt "Musik und Tanz in der Sozialen Arbeit und Integrativen Pädagogik".
Zusammen mit der Komponistin und Musikpädagogin Gunild Keetman (1904 - 1990) entwickelte Carl Orff das Orff-Schulwerk als ein neues Modell der Musik- und Bewegungserziehung. Das Orff-Schulwerk steht in einem engen Zusammenhang mit den Orff-Instrumenten und der Musik für Kinder (Orff-Kompositionen). Mittels des Orffschen Schulwerks sollen die Kinder zu sich selbst finden, indem sie die Möglichkeit des kreativen Umgangs mit den Elementen Musik, Sprache und Instrumenten erhalten. "Das Echo war von Anfang an außerordentlich groß. Man verstand, dass es sich um eine Musik 'ausschließlich für Kinder handelte, die von Kindern gespielt, gesungen, getanzt, aber auch in ähnlicher Art von ihnen selbst erfunden werden konnte - eine eigne Welt'" (4). Als Instrumente werden im Orff-Schulwerk Glockenspiel, Metallophon, Xylophon, Klangstäbe, Klanghölzer, Trommeln aus Holz, Schellentrommeln, Holzblocktrommeln, Schellen, Rasseln, Triangeln, Kastagnetten, Maracas u.a.m. verwendet.
Orff hat schon in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erkannt, dass das Musizieren einen Menschen in seinen seelischen, geistigen und körperlichen Möglichkeiten unterstützt und diese Ausdrucksformen eine ganzheitliche Förderung beinhalten.
Von 1950 bis 1954 publizierte Carl Orff mit Gunild Keetmann die "Musik für Kinder". In diesem fünfbändigen Werk sind Texte, Lieder und Instrumentalstücke für Kinder enthalten. "Fünf Bände vermitteln die Grundlage des Schulwerks, eine Fülle unerschöpflichen Materials, Musik, die von Kindern gesungen, getanzt und gespielt werden kann. Es beginnt mit Spielreimen und Märchen, Balladen und Tänzen und führt bis zu Sprechstücken von Goethe, Schiller, Hölderlin und anderen Dichtern: Anregungen für die größeren Kinder, die Jugendlichen, zum Denken, Gestalten und Erfahren der deutschen Sprache" (5).
Der Grund für den erfolgreichen Einsatz in der Sozial- und Heilpädagogik, aber auch in der Musiktherapie liegt unter anderem sicher darin begründet, dass "Musik für Kinder" aus der Arbeit mit Kindern entstanden ist (6). Weitere Gründe liegen in der einfachen Spielweise des Orff-Instrumentariums. Kinder und Jugendliche mit z.B. einer Beeinträchtigung können problemlos ein solches Instrument spielen und sich an einer Orff-Komposition beteiligen. Bei einem anderen Instrument (z.B. Geige) muss man erst den "richtigen Ton" treffen, bei den Instrumenten nach Orff erklingt ein "fertiger Ton". Dies ist in der Regel mit einem ermutigenden Erfolgserlebnis verbunden. Somit wird der Spaß am Musizieren ohne große vorherige Übungsphase geweckt.
Mit einer Kinder-Orff-Komposition kann man auch, ohne ein Profimusiker zu sein, zu einem beachtlichen Ergebnis mit Laien gelangen. Carl Orff sagte in einem Vortrag hierzu folgendes: "Elementare Musik, Wort und Bewegung, Spiel, alles, was Seelenkräfte weckt und entwickelt, bildet den Humus der Seele, den Humus, ohne den wir einer seelischen Versteppung entgegengehen. Gleich wie der Humus in der Natur das Wachstum überhaupt erst ermöglicht, so entbindet elementare Musik im Kinde Kräfte, die sonst nicht zur Entfaltung kommen" (7).
Das Orff-Schulwerk eignet sich daher besonders für Kinder und Jugendliche, die im Selbstwert geschwächt sind und über das Musizieren im Selbstwert gestärkt werden können. Weiterhin bietet das Instrumentarium die Möglichkeit, über die Instrumente einen Kontakt zum Mitmenschen herzustellen und damit die Kommunikation in einer Gruppe von Menschen zu erleichtern.
Orff verstarb am 29.03.1982 in München. Er ist auf Bayerns "Heiligem Berg" (Andechs) in der Schmerzhaften Kapelle der Kloster- und Wallfahrtskirche beigesetzt. Auf der Grabplatte steht "Summus finis", was frei übersetzt nicht nur "Ende" sondern auch "das höchste Ziel" heißen kann.
Mit dem "Orff-Schulwerk" hat Orff die Musikalische Früherziehung, die Sozial- und Heilpädagogik sowie die Musiktherapie inspiriert und beeinflusst.
Anmerkungen
(1) abgeschrieben von einer Tafel im Carl Orff Museum in Diessen im August 2015
(2) abgeschrieben von einer Tafel im Carl Orff Museum in Diessen im August 2015
(3) Carl Orff: Prof. (1950); "Pour le mérite" für Wissenschaft und Künste (1956); Dr. h.c. (Tübingen 1959, München 1972); Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband (1972); Romano Guardini-Preis der Katholischen Akademie in Bayern (1974); Mitglied der Staatlichen Akademie der Tonkunst in München (1950-60), der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1981), der Accademia Nazionale di Santa Cecilia und der Koniglichen Svenska Musicaliska Academien
(4) Walter Panofsky: Orff-Schulwerk im Rundfunk. In: Orff-Institut, Jahrbuch 1962, Mainz 1962, S. 212, zitiert in: Lilo Gersdorf: Orff. rororo 1981, S. 67
(5) Godela Orff: Mein Vater Carl Orff und ich. Henschel 2008, S. 95
(6) Vorwort zu "Musik für Kinder" (1950-1954), zitiert in Lilo Gersdorf: Orff. rororo 1981, S. 70
(7) Godela Orff: Mein Vater Carl Orff und ich. Henschel 2008, S. 97, 98