Theresia Gräfin Brunsvik von Korompa (1775-1861)Frauen in der Geschichte des Kindergartens

Manfred Berger

Ein Fakt ist, dass in der heutigen einschlägigen Fachliteratur zur Kindergartenpädagogik die ungarische Gräfin so gut wie nicht gewürdigt, ja nicht einmal genannt wird. Dabei hatte sie sich für die Errichtung von sog. Kleinkinderschulen (Bewahranstalten), vehement eingesetzt. Sie war maßgebend beteiligt an der Gründung von Kleinkinderschulen in ihrer Heimat, als auch im Ausland, insbesondere im Königreich Bayern, hier vor allem in München und Augsburg.

Demgegenüber ging Theresia Gräfin Brunsvik von Korompa in die Musikgeschichte ein. Sie war für kurze Zeit heimlich mit Ludwig van Beethoven verlobt und galt lange als vermeintlich "unsterbliche Geliebte" des großen Musikers. Aber nicht sie war die Adressantin der geheimnisvollen Liebesbriefe Beethovens, sondern ihre jüngere verheiratete Schwester Josephine.

Comtesse Theresia Josefa Anna Johanna Aloysia wurde am 27. Juli 1775 in Preßburg als älteste von vier Kindern des Anton Graf Brunsvik von Korompa und seiner Gattin Anna, geb. Freiin Wankel von Seeberg geboren. Entsprechend ihrer vornehmen Herkunft erhielt das Mädchen eine gute Bildung, insbesondere den "schöngeistigen" Bereich betreffend:

"Das Lernen wurde ihr unendlich leicht. Sie beherrschte fünf Sprachen vollständig, mündlich wie schriftlich ... Auch den schönen Künsten wandte sie ihre volle Aufmerksamkeit zu. Mit Geschick versuchte sie sich im Malen; ihr wohlklingendes Organ und die gutbegabte Stimme machte auf jeden Zuhörer den wohltuendsten Eindruck. Besonders scheint sich ihr musikalisches Talent auf dem Piano entfaltet zu haben" (Hübener 1888, S. 53).

Zusammen mit ihren Geschwistern verlebte Theresia eine unbeschwerte und glückliche Kinder- und Jugendzeit:

"Solange der Vater lebte (er starb 1792; M. B.), wuchsen seine vier Kinder in einer geregelten, aber frei lassenden Erziehung auf, eingebunden in die Jahreszeit. In den Wintermonaten lebte die Familie mit der Dienerschaft zumeist in ihrem großen Stadthaus, oben am Königsberg in Ofen (heute Budapest; M. B.) ... Dort erhielten die Kinder geregelten Unterricht. In den Sommermonaten aber genossen die Geschwister mehr Freiheit im Schloss und Gut Martonvasar, sie durften sich dort ihre Lektüre selbst auswählen, musizierten, ritten auf ihren Pferden aus oder genossen im Kahn die Stille des kleinen Sees. Oft gab es auch mit zunehmenden Alter der Kinder Feste und gegenseitige Einladungen" (Beichler1993, S. 21).

Spätestens seit 1808 interessierte sich die Gräfin für Erziehungsfragen. In jenem Jahr lernte sie Pestalozzi und seine berühmte Erziehungsanstalt in Yverdun kennen.

Doch erst 20 Jahre später, nun befreit von der aufreibenden Krankenpflege der Mutter und Schwester, trat die Gräfin an die Öffentlichkeit. In ihrem sozialen Wirken wurde sie materiell und mit Rat und Tat unterstützt von der Palatinissa des ungarischen Königreichs, der Erzherzogin Maria Dorothea von Österreich (1797-1855). Auf Initiative der Gräfin Brunsvik hin wurde am 1. Juni 1828 in Ofen die erste "Kleinkinderbewahranstalt" in Ungarn eröffnet. Sie gab der Anstalt den Namen "Angyalkert", d.h. "Engelsgarten". Bald folgten weitere Gründungen in Buda, Pest sowie in Wien. In einer Flugschrift mit dem Titel "Aufruf zur Errichtung und Erhaltung von Kleinkinderschulen" konstatierte die Gräfin:

"Der Zweck dieser Anstalten geht dahin, Kinder, vorzüglich armer Eltern, von zwei bis drei Jahren darin aufzunehmen und sie daselbst bis zu ihrem zurückgelegten sechsten oder siebenten Lebensjahre, nach einem auf der Grundlage der Frömmigkeit und Sittlichkeit beruhenden Plane zu erziehen, sie auf eine angenehme, abwechselnde, nicht ermüdende Weise zu belehren und ihnen auf einem zweckmäßig dazu eingerichteten Spielplatze Gelegenheit zu geben, sich auf eine heitre, anständige Weise zu unterhalten" (zit. n. Vág 1962, S. 125).

Der Erfolg der Gräfin wurde auch schnell im Ausland bekannt. Anfang des Jahres 1833 wandte sich Amélie Gräfin Montgelas an die ungarische Adelige und erbat ihre Mithilfe bei der Gründung "eines Asyls für die unschuldige Kindheit" in München. Bereits November1833 übersiedelte Gräfin Brunsvik nach München. Sie setzte sich sofort für die Errichtung von Kleinkinderschulen ein, unterstützt von seiner Majestät König Ludwig I. und dessen Gemahlin Königin Therese, geb. Prinzessin von Sachsen-Hildburghausen.

Ab 1834 wirkte die ungarische Adelige in Augsburg. Dort engagierte sie sich ebenfalls erfolgreich für die Kleinkinderschulbewegung. Drei Jahre später kehrte sie erneut, nach mehreren Auslandsaufenthalten, in die Residenzstadt Bayerns zurück. Sie beteiligte sich aktiv an den Vorbereitungsmaßnahmen zur Gründung von zwei Kleinkinderschulen.

Für ihre Anstalten hatte Gräfin Brunsvik, wie wir heute mit Betroffenheit feststellen, vordergründig die Vermittlung von Schulkenntnissen gefordert. Hier eine Auswahl von "vorkommenden Lehrgegenständen":

"Religion: Jene Gegenstände, die der Fassungskraft der noch sehr kleinen Kinder angemessen sind, werden teils durch Denksprüche, teils durch Beispiele und Bilder aus der biblischen Geschichte entwickelt. So wird ihnen auch sehr fasslich der Inhalt des Vaterunsers und der Zehn Gebote beigebracht.

Buchstaben: Die Kenntnisse der Buchstaben beginnt durch Vorzeichnen ihrer Bestandteile oder durch Auseinandersetzung derselben in logischen Fortsetzungen.

Lautieren: Das Lautieren geschieht mittels unterhaltender Übung der Sprechwerkzeuge.

Formlehre: Sie ist eine vorläufige Erleichterung und zugleich Einleitung zum Schreiben und der geometrischen Verhältnisse. Der Lehrer lehrt die Kinder, wie sie gerade, krumme, schiefe, halb oder ganz runde Striche machen sollen, lässt solche auch zusammensetzen und Figuren. Alles für das tägliche Leben beobachten.

Rechnen: Die Anfänger zählen bloß auf den Fingern bis 10, dann bis 20, endlich auf den Maschinenkugeln von 50 bis 100. Die Vorwärtsgekommenen fangen dann auch an zu addieren, subtrahieren usw. ...

Sitten- und Denksprüche: Diese werden von Kindern auswendig erlernt und vom Lehrer mit Anwendung auf das sittliche Betragen erklärt. So zwar, dass die Monitoren (das waren ältere Kinder, meist 5-jährige, die als Gehilfen eingesetzt wurden; M. B.) jeder Klasse (10 Kinder) solche 14 Tage im Privatunterricht es den übrigen einlernen. Im Chor sprechen, deutlich und korrekt" (zit. n. Benes 1932, S. 67 ff.).

Noch im gleichen Jahr verließ die Ungarin München und ging nach Genf. Dort gelangte sie zu der Anschauung, dass die übliche "schulmäßige Unterrichtung der kleinen Kinder mehr ein Fehler als ein Verdienst sei". Zu dieser neuen pädagogischen Einsicht kam die Gräfin durch die Auseinandersetzung mit den zwei führenden Pädagogen der Genfer Kleinkinderschulen, welche die Pädagogik des großen Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi vorbildlich vertraten: Louis Marc Francois Naville und Jean Baptist Girad. Von ihren neu gewonnenen Erkenntnissen unterrichtete Gräfin Brunsvik die Verantwortlichen der von ihr im In- und Ausland gegründeten Kleinkinderschulen. Sie forderte, sich von der "mechanischen Lehrart zu befreien" und mehr die "fröhliche Selbstbetätigung der Kinder in den Mittelpunkt" der pädagogischen Arbeit zu stellen.

In ihre ungarische Heimat zurückgekehrt, nahm die Gräfin über ihre Mitarbeiterin Nanette Pivany Kontakt zu Friedrich Fröbel auf. Sie wollte mehr über seine "Gaben" und "Beschäftigungsmittel" erfahren. Warum sie letztlich Fröbels "Spielsystematik" nicht weiter empfahl, konnte noch nicht - wissenschaftlich abgesichert - eruiert werden.

Bis ins hohe Alter war die Gräfin "die nie ermüdende Beraterin und Helferin in den bereits bestehenden wie in den neuerrichteten Kleinkinderschulen" (Hübener 1888, S. 57), in ihrer eigenen Heimat ebenso auch im Ausland.

Gräfin Theresia Brunsvik von Korompa starb am 21. September 1861. In der Literatur werden äußerst unterschiedliche Todesorte genannt (u.a. Dresden, Duka und Pest).

Literatur

Beichler, Ch.: Therese von Brunsvik und ihr Lebensauftrag zwischen Beethoven und Pestalozzi, Marburg 1993

Benes, P.: Gräfin Therese Brunsvik und die Kleinkindererziehung ihrer Zeit, Szeged 1932

Hübener, J.: Die christliche Kleinkinderschule, ihre Geschichte und ihr gegenwärtiger Stand, Gotha 1888

La Mara: Beethovens unsterbliche Geliebte. Das Geheimnis der Gräfin Brunsvik und ihre Memoiren, Leipzig 1909

Vág, O.: Zum 100. Geburtstag von Therese Brunsvik, in: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte, Berlin 1962

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