Therese Focking (1828-1913)Frauen in der Geschichte des Kindergartens

Manfred Berger

Therese Antoinette erblickte am 8. Juni 1828 als zweitältestes von zwölf Kindern des Kaufmanns Georg Focking und seiner Ehefrau Antoinette in Danzig das Licht der Welt. Hineingeboren in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie verlebte sie ihre Kinder- und Jugendzeit überwiegend auf dem väterlichen Gut Georgenthal bei Dirschau. Schon früh traf das Mädchen ein schwerer Schicksalsschlag. Eine Augenentzündung raubte ihm das rechte Auge und schwächte die Sehkraft des linken. Therese erhielt Privatunterricht und besuchte drei Jahre lang die höhere Töchterschule in ihrer Geburtsstadt. Die vorgeschlagene Unterbringung in einer Blindenanstalt wies die junge Therese entschieden zurück.

Bereits im Alter von 14 Jahren, so ihre Biographien, erwachte in "ihr ein eigentümlicher Schaffenstrieb, der zunächst in kleinen literarisch-dramatischen Arbeiten seinen Ausdruck fand. Sie verfaßte kleinere Theaterstücke, die sie im Vereine mit ihren jüngeren Geschwistern zur Aufführung brachte. Als ihr Vater ihre Vorliebe für diese Arbeiten sah, schüttelte er bedenklich den Kopf. Er wollte keinen Blaustrumpf zur Tochter haben und hieß die schaffensfreudige Therese statt Komödien schreiben in die Küche gehen und ihm mit eigener Hand ein gutes Abendbrot bereiten. Das kränkte die kleine Literatin dermaßen, daß sie im ersten Ausbruch ihrer Verzweiflung in die Küche lief und - mit all' ihren poetischen Jugendwerken ein schreckliches Auto-da-fé bereitete" (zit. n. Brief von Focking an Lina Morgenstern vom 15. Oktober 1890, archiviert im Ida-Seele-Archiv).

Therese Focking interessierte sich aber auch schon sehr früh für Erziehungsprobleme, hervorgerufen durch ihre jüngere Schwester Emilie, die das Sorgenkind der Familie war. Mehrere Jahre betätigte sie sich als Gouvernante und Privatlehrerin in vornehmen Familien und gründete dann, nachdem sie sich intensiv mit den Schriften Friedrich Fröbels auseinander gesetzt hatte, auf dem Gut der Familie einen Kindergarten. Großen Wert legte sie auf den Umgang der Kinder mit den Fröbelschen Spielgaben und Beschäftigungsmitteln, die, wie Fröbel einst vermerkte, "das Leben der Kinder nährt und erstarkt, entwickelt und bildet" (zit. n. Brief von Focking an Marenholtz-Bülow vom 28. September 1878, archiviert im Ida-Seele-Archiv).

Die Einrichtung fand bald nicht nur den Beifall von Eltern, Lehrern und Ärzten, sondern lenkte auch die Aufmerksamkeit bedeutender Pädagogen auf sich. 1877 schloss Therese Focking den Kindergarten und übersiedelte nach Leipzig. Dort besuchte sie die von Henriette Goldschmidt veranstalteten wissenschaftlichen Lehr- und Unterrichtskurse. Es folgte ein Aufenthalt in Dresden bei Bertha von Marenholtz-Bülow, um die Vorträge der Adeligen zu hören und ebenfalls in dem unter ihrer Leitung stehenden Kindergärtnerinnenseminar zu hospitieren.

Die Baronin regte Focking an, die Fröbelschen Mutter- und Koselieder in leichterer, den Müttern zugänglicher Form herauszugeben. "Fröbel's Mutter- und Kose-Lieder", mit 58 Illustrationen von Fedor Filzner (1832-1911), widmete die Herausgeberin "Ihrer Hochwohlgeborenen der Frau Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow in dankbarer Verehrung". Mit ihrem "frei nach Fröbel" bearbeiteten Werkes akzeptierte Focking den Ansatz des "Kindergartenstifters", "schon dem allerkleinsten Kind eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken und es spielerisch zu neuen Erkenntnissen und Tätigkeiten zu führen. Die Mutter ist in diesem Erziehungsgeschehen die Hauptperson und muß entsprechend angeleitet werden... Gelingen kann die Unterweisung aber nur, wenn die Mutter bereit ist, sich eigenständig in die Gedankenwelt Fröbels hineinzuversetzen. Da aber nicht jede Mutter dazu in der Lage ist, entschied sich Focking dazu, die Lieder zu bearbeiten, um den Zugang zu ihnen zu erleichtern. Denn für jede Mutter sei es die größte Freude und gleichzeitig der Lohn für ihre Mühe, die Entwicklungsschritte des eigenen Kindes mitzuerleben" (Konrad 2066, S. 148).

Über die Bedeutung der Mutter- und Koselieder für die Mutter sowie für die frühkindliche kognitive, körperliche und seelische Entwicklung konstatierte Focking: "Wie sehr wichtig schon die ersten Lebensmonate für die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes sind, wie viel gerade in diesem Lebensalter versäumt, vernachlässigt und verdorben werden kann, wird hinlänglich von Physiologen und Psychologen, die mit aufmerksamem Auge und liebendem Herzen diesen Entwicklungsgang beobachten, anerkannt. Die physische Entwicklung des Kindes giebt sich dem sehenden Auge sofort kund, die seelische verbirgt sich mehr unsern Blicken, es gehört ein scharfes geistiges Auge dazu, um sie wahrzunehmen. Niemand besaß diesen Blick mehr als Fröbel, er hatte ein seltenes Verständnis für die seelischen Bedürfnisse des sich entwickelnden Kindes. Die erste Erziehung desselben in die Hand der Mutter legend, verlangt er von ihr mehr Aufmerksamkeit und Pflichttreue für ihren erziehlichen Beruf, als jeder andere Pädagoge. Sie soll sich klar bewußt werden, welch ein hoher Sinn in diesen Spieln mit dem Kinde liegt, hineingelegt werden kann, wie segensvoll, aber auch wie verderblich dieselben auf die Entwicklung des Kindes wirken können" (Focking 1879, S. IX).

Ein Beispiel für ein von Focking verfasstes Fingerspiel, ein "in den hiesigen Kindergärten sehr beliebtes Spiel" (Focking 1879, S. XI) ist:

"Das Schifflein.

...
Die beiden Hände sind mein Kahn,
Der Tisch der blaue See,
Da legt mein kleines Fahrzeug an,
Ich steig hinein, ade!
Mein Schifflein schwanket hin und her,
Ich segle weit in's blaue Meer,
Woge hin und Woge her,
Woge Schifflein über's Meer!

Und durch die welligen Wogen,
Da kommen die Fischlein gezogen,
Ich werfe rasch mein Netz ins Meer,
O Fischlein lieb, o kommt doch her!

Sie kommen
Geschwommen.

Doch Keines will in's Netz herein,
Sie schwimmen weit in's Meer hinein,
Schwimme hin, schwimme her,
Schwimme, Fischlein durch das Meer!" (Focking 1879, S. 37).

Ausführung: "Die beiden Hände werden mit der äußeren Seite (der kleinen Fingerseite) zum Kahn gestaltet, der die schwankende Bewegung nachahmt, die beiden Daumen werden in die Höhe gerichtet, sie stellen die Segel dar. 'Woge hin, woge her' und 'Schwimme hin, schwimme her, schwimme Fischlein durch das Meer' wird nach der bekannten Melodie gesungen. Die 'wellige Wogen' werden von den sich bewegenden Händen dargestellt, ebenso das Auswerfen des Netzes, wobei die hohle rechte Hand über die auf die Seite gestellte linke Hand geworfen wird. Die sich schnell bewegenden 'Fischlein' werden ebenfalls durch die Hände dargestellt" (Focking 1879, S. XI).

Die von Focking herausgegebenen Mutter- und Kose-Lieder

Ferner publizierte Focking eine beachtliche Anzahl pädagogischer Aufsätze, die meist in Schulblättern, Hausfrauenzeitungen, in "Über Land und Meer" oder "Die Erziehung der Gegenwart. Neue Folge" etc. veröffentlicht wurden. Die im Jahre 1884 erschienene Fröbel-Fibel, eine auf Fröbelschen Grundsätzen beruhende Schreib-Lese-Methode, wurde von der antifröbelschen Fachwelt äußerst kritisch aufgenommen und als "verunglücktes Machwerk" desavouiert. So schrieb beispielsweise ein gewisser Herr Schumann, Erster Lehrer an der 5. Bürgerschule in Leipzig äußerst scharfzügig bis beleidigend:

Quelle: Ida-Seele-Archiv

Enttäuscht von den unsachlichen Angriffen und um weiteren zu entgehen, übersiedelte Focking nach London, wo sie im Hause eines Fabrikanten als Privaterzieherin wirkte. Während dieser Zeit mied sie weitere Veröffentlichungen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland verfasste Focking noch verschiedene kleinere Jugendschriften, teilweise mit biografischen Hintergrund, sowie "pädagogische Winke" für Haus und Kindergarten.

Therese Focking, die mit zunehmendem Alter immer mehr erblindete, war zeitlebens unverheiratet und lebte viele Jahre im "Frauenheim" in Gross-Lichterfelde. Sie starb 1913 in Dresden.

Quelle: Ida-Seele-Archiv

Literatur

Focking, Th.: Mutter- Kose-Lieder. Leipzig, Wien

Dies.: Fröbel-Fibel. Neubrandenburg 1884

Konrad, Ch.: Die "Mutter- und Koselieder" von Friedrich Wilhelm Fröbel. Untersuchung zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte - Textband. Würzburg 2006 (Dissertation), S. 148-154

Pataky, S.: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Berlin 2014, S. 172

Archiv

Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen: Briefverkehr zwischen Therese Focking, Lina Morgenstern und Bertha von Marenholtz-Bülow

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