Manfred Berger
Im Jahre 1927 wurde Auguste Mohrmann zur Leiterin des neu errichteten Referats "Kinderpflege und Fürsorge" in die Berliner Geschäftsstelle des "Kaiserwerther Verbandes", einer der größten evangelischen Schwesternverbände und Träger zahlreicher sozialer Institutionen, berufen:
"Sie sollte für 'Fragen der Ausbildung, der Versorgung, der Anlehnung der Kindergärtnerinnen an die Mutterhäuser und ihres Zusammenschlusses untereinander' zuständig sein und Beziehungen zu den verschiedenen evangelischen Kinderpflegeeinrichtungen und Verbänden aufnehmen, um 'die jetzt nebeneinanderlaufenden Linien zusammenzuführen'. Außerdem sollte sie auch die gesetzgeberische Tätigkeit auf ministerieller Ebene auf dem Gebiet des Erziehungswesens verfolgen und mit den Organisationen der freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeiten" (Lauterer 1994, S. 32 f).
Mit Beginn der Nazi-Diktatur erwies sich die Referatsleiterin, die 1933 der NSDAP beitrat, als geschickte Taktikerin. Als die Nazis bereits im Oktober 1933 versuchten, die einzelnen Diakonissenhäuser gleichzuschalten, gründete Schwester Auguste Mohrmann kurzerhand die "Diakoniegemeinschaft" als Zusammenschluss aller evangelischen Schwesterngemeinschaften. Sie wurde zur "Führerin" der über 50 000 Schwestern der "Diakoniegemeinschaft" gewählt:
"Mohrmann übertraf alle Oberinnen des Kaiserwerther Verbandes hinsichtlich ihres Einflusses auf überregionale organisatorische Fragen des Schwesternwesens. Die 'Gleichschaltung' hatte das Mitspracherecht der Oberinnen im Verband eingeschränkt, aber Auguste Mohrmanns Aufgabenbereich war überproportional gewachsen. Bei ihr liefen sämtliche Informationen aus staatlichen und parteiamtlichen Stellen, soweit sie das konfessionelle Schwesternwesen betrafen, zusammen; außerdem arbeitete sie in Ausschüssen des Reichsministeriums des Inneren mit" (Lauterer 1994, S. 64).
Der damalige Vorsteher des "Kaiserwerther Verbandes", Graf Siegfried von Lüttichau, ernannte Schwester Auguste Mohrmann 1939 zur Oberin des Verbandes, obwohl diese weder Schwester noch Oberin im Sinne der Kaiserwerther Ordnung war. Bedingt durch ihre Machtfülle, konnte Schwester Auguste Mohrmann die Gleichschaltung vieler sozialer Einrichtungen verhindern, wenngleich unter dem Deckmantel stabilisierender Elemente der nationalsozialistischen Herrschaft.
Auguste Luise erblickte als jüngstes von drei Kindern des Taglöhners August Mohrmann und dessen Ehefrau Wilhelmine, geb. Zimmigkeit, am 1. März 1891 in Essen das Licht der Welt. Sie hatte eine schwere Kindheit, konnte wegen finanzieller Mängel, obwohl intellektuell begabt, keine höhere Schule besuchen, und musste schon frühzeitig durch Tätigkeiten in Fremdhaushalten zum Unterhalt der Familie beitragen. Doch Auguste Mohrmann war mit dieser Situation unzufrieden. Darum ging sie 1910 nach Kaiserswerth, um sich dort zuerst zur Kleinkind-, anschließend zur Volksschullehrerin auszubilden. Für kurze Zeit arbeitete sie als "Wohlfahrtspflegerin" in Elberfeld, kehrte jedoch 1914 nach Essen zurück, um die inzwischen verwitwete Mutter besser unterstützen zu können. In ihrer Geburtsstadt übernahm sie die Geschäftsführung der evangelischen Kinderhilfe. Schnell erkannte sie die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses aller in der evangelischen Kinderpflege tätigen Frauen. Unter Auguste Mohrmanns Ägide wurde 1925 der "Reichsverband evangelischer Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugendleiterinnen Deutschlands e.V." gegründet, den sie bis 1953 leitete, und der noch heute unter dem Namen "Bundesverband Evangelischer Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen e.V." existiert.
Schwester Auguste Mohrmann vertrat in Übereinstimmung mit der damaligen Fröbel-Rezeption das Konzept der "geistigen Mütterlichkeit", als wichtigste Grundlage für den Beruf der Kindergärtnerin (und Jugendleiterin):
"Wie jedes Frauenleben, so soll besonders das Leben der Kindergärtnerin durchdrungen sein von dem Gedanken, daß Mütterlichkeit die Kulturmission der Frau sein muß. Wie kommt doch die Arbeit der Kindergärtnerin und Jugendleiterin dieser Veranlagung entgegen, die Gott uns Frauen als besondere Gabe in das Herz legte! Ob sie nun in der Familie, im Kindergarten oder Hort die Mutter zeitweise vertreten oder im Heim und Waisenhaus sie ersetzen soll, immer kann sie nur ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie ein mütterliches Herz besitzt, das die tausend kleinen Nöte eines Kindes liebend und verstehend mitträgt. Darum ist 'geistige Mütterlichkeit', wie Henriette Schrader es nennt, eine der wichtigsten Grundlagen für den Beruf einer Volkserzieherin. Diese Fähigkeit muß in der Ausbildung besonders gepflegt werden" (Mohrmann 1929, S. 279).
1932 übernahm Schwester Auguste Mohrmann die Redaktion der Zeitschrift "Die Christliche Kinderpflege" (heute: "Theorie und Praxis der Sozialpädagogik"). Bis zum erfolgten Verbot durch die Nazis im Jahre 1941 zeichnete sie als Schriftleiterin, getragen von der Begeisterung für den Nationalsozialismus und von der freudigen Bereitschaft mitzutun, für die Fachzeitschrift des evangelischen Verbandes für Kinderpflege verantwortlich (vgl. Berger 1986, S. 206 ff; Haug-Zapp 1992, S. 20 ff.; Lauterer 1994, S. 77).
Als der "Reichsverband evangelischer Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugendleiterinnen Deutschlands e.V." gleichgeschaltet wurde, teilte dessen Vorsitzende, Schwester Auguste Mohrmann, den LeserInnen der Fachzeitschrift euphorisch mit:
"Die Eingliederung unseres Verbandes in die berufsständische Ordnung ist erfolgt. Vom 1. Juli an gehört jedes Mitglied in die große deutsche Angestelltenfront ... Unser ganzer Verband hat sich freudig und dankbar bekannt zu dem neuen Deutschland und seinem ihm geschenkten Führer. Nun dürfen wir an unserem Teil noch stärker mitarbeiten an dem Aufbau unseres Volkslebens. Wir haben zwar nie unter anderen Gesichtspunkten unsere Arbeit geleistet, aber jetzt hat uns Gott eine besondere Aufgabe gegeben" (zit. n. Haug-Zapp 1992, S. 21).
Aber auch in anderen Zeitschriften nahm Auguste Mohrmann fleißig Stellung zu den Aufgaben des Kindergartens im Nazi-Deutschland:
"Der sichere Instinkt der Volksseele muß auch im Hinblick auf die Erziehung wieder zurückgewonnen werden, indem wir die verschütteten Brunnen ureigensten Volksempfindens neu ausgraben und von dem klaren Quellwasser trinken, das unser Blut wieder reinigt und auffrischt. Auch die Erziehungsarbeit im deutschen Kindergarten muß diese Grundsätze befolgen ... Der Kindergarten im neuen Deutschland hat als eine der wichtigsten Aufgaben die Mitarbeit an der Volksgesundung übernommen" (Mohrmann 1933, S. 115).
Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur konnte Schwester Auguste Mohrmann unbeschadet weiter arbeiten, genauso erfolgreich wie die Jahre davor. Sie blieb weiterhin "Oberin" des "Kaiserwerther Verbandes" und kümmerte sich insbesondere um die Diakonissenhäuser und ihre sozialen Einrichtungen in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR. Geschickt überging sie die Jahre des "Tausendjährigen Reiches". So schrieb sie lapidar in der "Festschrift zur 175-Jahr-Feier der Evangelischen Kinderpflege" über die von ihr damals begrüßte Gleichschaltung des evangelischen Berufsverbandes:
"In zäher und oft schwieriger Arbeit gelang es, den Anschluß an den NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund; M.B.) zu verhindern. Ein Einzelanschluß an die DAF (Deutsche Arbeitsfront; M.B.) musste den Mitgliedern freigestellt werden, aber es war nicht zu verhindern, daß das geringe Vermögen und ein schönes Grundstück in Bad Liebenstein beschlagnahmt ... wurde. Aber trotz allem blieben wir als Gesinnungsgemeinschaft zusammen" (Mohrmann 1954, S. 62).
Schwester Auguste Mohrmann starb am 4. April 1967 in Berlin.
Literatur
Berger, M.: Vorschulerziehung im Nationalsozialismus. Recherchen zur Situation des Kindergartenwesens 1933- 1945, Weinheim 1986
ders.: Zwischen Angleichung und Widerstand. Zum 100. Geburtstag von Auguste Mohrmann, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 1991/H. 2
ders.: Mohrmann, Auguste Luise, in: Maier, H. (Hrsg.): Who ist who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1997
Haug-Zapp, E.: Von bestürzender Aktualität. Gedanken beim Lesen des Jahrgangs 1933 von TPS, in: Haug-Zapp, E. (Hrsg.): Historisches zu gegenwärtigen Aufgaben der Sozialpädagogik. 100 Jahre evangelische Fachzeitschrift TPS, Bielefeld 1992
Lauterer, H.-M.: Liebestätigkeit für die Volksgemeinschaft. Der Kaiserwerther Verband deutscher Diakonissenmutterhäuser in den ersten Jahren des NS-Regimes, Göttingen 1994
Mohrmann, A.: Der Beruf der evangelischen Kindergärtnerin, Hortnerin und Jugendleiterin, in: Gehring, J. (Hrsg.): Die evangelische Kinderpflege. Denkschrift zu ihrem 150jährigen Jubiläum, Langensalza 1929
dies.: Kindergärten im neuen Deutschland, in: Nationalsozialistischer Volksdienst 1933/H. 4
dies.: Verband evangelischer Kindergärtnerinnen, Hortgerinnen und Jugendleiterinnen Deutschlands e.V., in: Pszcolla, E. (Hrsg.): Festschrift zur 175-Jahr-Feier der Evangelischen Kinderpflege, Witten 1954