Manfred Berger
Am 8. November 1970 starb Mechthild Gfrörer in Stuttgart. Im Namen des "Pestalozzi-Fröbel-Verbandes", für dessen Neugründung nach 1945 sich die Verstorbene maßgebend einsetzte, schrieb Margarete Erpelt (1971, S. 62 f):
"Über die schwäbischen Lande hinaus bekannt und verehrt, hat Mechthild Gfrörer wesentlich das Bild der Kindergärtnerin und ihrer Arbeit im Kindergarten geprägt. Es kam ihr immer darauf an, Weite, Großzügigkeit und Fröhlichkeit in der Kleinkinderpädagogik lebendig sein zu lassen und nicht der Verplanung oder Verschulung zu verfallen. 'Kommt, lasst uns unseren Kindern leben' war für sie nicht bloß ein wohlklingendes Zitat Fröbels, mit dessen pädagogischen Anschauungen sie ganz übereinstimmte, sondern es war mehr: ein Anruf, ein Aufruf zum wirklichen Leben mit den Kindern. Sie hat den Kindergarten von jeher als 'Bildungsstätte des Kindes' vertreten, aber als eine Bildungsstätte, die das ganze Kind einbezieht mit 'Kopf, Herz und Hand'.
'Kommt, lasst uns unseren Kindern leben!' ist ihr Vermächtnis an uns: weniger in der Wortwahl der Romantik, als vielmehr im Sinne der Verantwortung für die Kindergeneration einer jeden Zeit gegenüber."
Ihrem pädagogisches Vorbild Fröbel entsprechend, erschien ihr dessen Spieltheorie besonders beachtenswert, um das Kind in seinem ureigensten Lebensbereich, dem Spiel, mehr und besser zu verstehen. Für Mechthild Gfrörer ist die Bedeutung des Spieles für die Entwicklung des Kindes, für die Prägung seiner Persönlichkeit und somit für seinen ferneren Lebensweg überragend. Dazu führte sie näher aus:
"Freitätiges Spiel ist nicht Spielerei, sondern trägt hohen Ernst in sich. Es ist organisches Wachstum in göttlichen Gesetzen wirkend. Vom Spielkind und einem Spielalter spricht die Entwicklungspsychologie beim drei- bis sechsjährigen Kinde und benennt die so bedeutungsvolle Entwicklungsphase im Leben des Kindes nach der in ihr bemerkenswertesten Erscheinung. Friedrich Fröbel sagt uns hiezu: 'Das Spiel ist des Kindes Lebenselement schon in der frühen Kindheit. Und wie noch das ganze Kinderleben dieser Stufe innig mit der Natur vereint und geeint ist, so ist auch das Spiel anfänglich nur Naturleben, freitätige Darstellung des Inneren, die Darstellung des Inneren selbst, ist Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens, des inneren geheimen Naturlebens im Menschen und in allen Dingen. Es gebiert darum Freude, Freiheit, Zufriedenheit, Ruhe in sich und außer sich, Frieden mit der Welt'... 'Die Spiele dieses Alters sind die Herzblätter des ganzen künftigen Lebens.' Friedrich Fröbel sieht im Spiel des Kindes etwas wahrhaft Göttliches, einen Spiegel des Lebens... Ja, es ist so! Ein spielendes Kind ist wie in göttliches Licht getaucht, von göttlichem Atem umweht und von Frieden umgeben, geborgen in der unsichtbaren Macht und Güte Gottes; der Herzschlag, der Rhythmus alles Lebens pulst ihn ihm. Indem es ungehemmt dem natürlichen, in ihm glücklich wirkenden Baugesetze Gottes der organischen Entwicklung lebt und schafft, ruht es in Gott. Stören wir nicht diesen göttlichen Frieden! Erhalten wir dem Kinde in der richtigen Erkennung der Bedeutung des Spieles, der in ihm wirkenden organischen Gesetze und der darauf bauenden Spielpflege dieser Gottesnähe, Gotteskindschaft!" (Gfrörer 1951, S. 32).
Da das Spiel etwas ist, das normalerweise gesetzmäßig vor sich geht, forderte Friedrich Fröbel zur Spielpflege auf, "will aber durchaus keinen Zwang für das Kind hineinlegen, sondern spricht immer wieder von freier Darstellung des Spieles. Da das Kind im Spiele sich offenbart und so sein Inneres äußerlich darstellt in inniger Gemeinsamkeit von Körper und Seele, soll es freitätig und anlagenmäßig spielen" (Gfrörer 1951, S. 33).
Mechthild Gfrörer wurde am 7. Oktober 1888 in Ellwangen geboren. Sie war das jüngste von vier Kindern des Präceptor am Ellwanger Gymnasium Franz Joseph Gfrörer und dessen Ehefrau Rosine, geb. Ritter. Sie wuchs in einem gesicherten, kunst- und musikliebenden und religiös geprägten Elternhaus auf. Nach dem Besuch der Volkschule und "Höheren Töchterschule" absolvierte sie 1908 in Stuttgart, wohin die Familie 1906 übersiedelte, die halbjährliche Ausbildung zur Kindergärtnerin an der "Kindergärtnerinnenschule des Schwäbischen Frauenvereins". Nach bestandener Prüfung übernahm Mechthild Gfrörer die Verantwortung für den Kindergarten des "Schwäbischen Frauenvereins" und bald darauf die Leitung der Kindergärtnerinnenschule, die 1910 zum "Fröbel-Kindergärtnerinnenseminar" erweitert wurde.
Um dieser verantwortlichen Aufgabe gewachsen zu sein, besuchte die Pädagogin zuvor am renommierten Berliner "Pestalozzi-Fröbel-Haus" einen speziellen Kurs zur Ausbildung von "Lehrerinnen an Kindergärtnerinnenseminaren". Die Stuttgarter Bildungsinstitution hatte 1910/11 insgesamt 54 Seminaristinnen, die einen differenzierten Unterricht erhielten. Zu Ethik, Pädagogik, Psychologie, Literatur, Theorie der Fröbelschen Spiele und Beschäftigungen, Turnen, Singen, Methodik des Elementarunterrichts, Einführung in die soziale Arbeit, um nur einige der vielen Unterrichtsfächer zu nennen, kamen noch "besondere Kurse in Gartenbau, Bürgerkunde, Krankenpflege, Servieren..., Säuglingspflege..., Nähen..., Handwerken..., Kinderkrankenpflege,... sowie Unterricht in englischer Sprache" (Hähner-Rombach 1998, S. 192) hinzu.
Über 47 Jahre zeichnete Mechthild Gfrörer, von allen liebe- und ehrfurchtsvoll "Tante Mechthild" genannt, für die Stuttgarter Bildungsstätte verantwortlich. Ab 1913 leitete sie noch zusätzlich den dem "Fröbelseminar" angeschlossenen einjährigen Jugendleiterinnenkurs, der entsprechend den Einrichtungen an norddeutschen Seminaren die Schülerinnen "nicht bloß zur Arbeit an vorschulpflichtigen Kindern, sondern auch an solchen schulpflichtigen Alters und zur Leitung von Wohlfahrtsanstalten wie Horten, Kinder- und Erholungsheimen befähigen" (Hähner-Rombach 1998, S. 193) sollte. Aus dem Jugendleiterinnenkurs entstand schließlich 1930 ein eigenständiges Jugendleiterinnenseminar, das einzige dieser Art in Württemberg, welches ebenfalls von Mechthild Gfrörer geleitet wurde.
Entscheidend und innovativ wirkte sie in verschiedenen Gremien zur Erarbeitung von Lehrplänen für die Kindergärtnerinnenseminare in Deutschland mit. Ihr für das "Fröbelseminar" erstellte Lehrplan hatte wegweisende und zielsetzende Funktionen für die gesamte deutsche Ausbildungssituation. Damit verbunden war u.a. die Ausdehnung der Ausbildungszeit auf zwei Jahre, aber auch "die Befähigung der Schülerinnen zur Ausübung des Berufs der Kindergärtnerin sowohl in öffentlichen und privaten Kindergärten, als auch in Familien". Diesbezüglich konstatierte Mechthild Gfrörer:
"Es ist ein Bedürfnis der Zeit, dass auch solche jungen Mädchen, denen es nicht um die sofortige Ausübung des Berufs zu tun ist, sich mit Fragen der Kinderpflege und der Kindererziehung beschäftigen, damit immer mehr Frauen befähigt werden, an Fragen der Volkserziehung und Jugendfürsorge auf Grund vertiefter Fachkenntnisse mitzuarbeiten" (zit. n. Ida-Seele-Archiv: Akte Mechthild Gfrörer; Nr. 1/2).
Mit viel Engagement kämpfte die Stuttgarter Schulleiterin um eine staatliche Anerkennung der Kindergärtnerinnenseminare, wofür sie sich in ungezählten Vorträgen und Petitionen an entsprechenden ministeriellen Stellen Deutschlands einsetzte. Für "ihre" Ausbildungsstätte konnte sie 1921 die staatliche Anerkennung erwirken. Die Arbeit des "Fröbelseminars" unter Mechthild Gfrörers Leitung wurde maßgebend für Württemberg und weit darüber hinaus.
Literatur
Erpelt, M.: Nachruf, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1971/H. 2
Gfrörer, M.: Der erziehliche Wert des Spiels für die Entwicklung des Kleinkindes, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1951/H. 2
Hähner-Rombach, S.: "Erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts". Die Geschichte des Schwäbischen Frauenvereins, Stuttgart 1998
Hölder, A.: Festschrift zur Neunzigjahrfeier des Schwäbischen Frauenvereins e.V. Stuttgart, Stuttgart 1963
Lück, C.: Mechthild Gfrörer 70 Jahre, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1958/H. 1