Manfred Berger
Lili Droescher war von 1923 bis 1934 Vorsitzende des "Deutschen Fröbel-Verbandes" (DFV). Von 1913 bis 1934 leitete sie das 1874 von Henriette Schrader-Breymann gegründete und noch heute in Berlin bestehende "Pestalozzi-Fröbel-Haus I" (seit 1922 zusammen mit Hildegard von Gierke). In beiden Positionen hatte sie maßgebenden Einfluss auf die Entwicklung des Kindergartenwesens.
Bereits im Alter von 22 Jahren übernahm Lili Droescher die Stelle einer Seminarlehrerin am "Pestalozzi-Fröbel-Haus I", das durch seine Methode des "Monatsgegenstandes" in weiten Kreisen hohe Anerkennung fand. Über diese "neue Methode" führte Lili Droescher in einem Vortrag auf der Verbandstagung des DFV's 1898 in Hamburg näher aus:
"Auf Grund des Fröbelschen Konzentrationsgedankens, besonders aus den Mutter- und Koseliedern ist im Pestalozzi-Fröbelhause eine Beschäftigungsmethode erwachsen, die nicht ganz zutreffend der 'Monatsgegenstand' genannt wird, und die als ein erster erfolgreicher Versuch zu einer Konzentration im Fröbelschen Sinne zu betrachten ist. Frau Henr. Schrader, geb. Breymann, die als Grossnichte, Schülerin, später Mitarbeiterin Fröbels eine genaue Kenntnis seiner Ideen besitzt, hat die in Mutter- und Koselieder angedeuteten Gedanken zu einer Durchführung gelangen lassen, wobei sie besonders die Ergebnisse der heutigen Psychologie berücksichtigte. Sie hat aus Fröbels Geist eine Methode geschaffen, die in ihrer Form unsern Verhältnissen und Anschauungen entspricht. Diese Methode hat ihre grossen Schwierigkeiten, die Ihnen gewiss bei weiterer Darstellung auffallen werden; dass dieselben aber zu überwinden sind, kann Ihnen die 25jährige Thätigkeit des Pestalozzi-Fröbelhauses beweisen. Der Mittelpunkt, Konzentrationsstoff, ist ein Gegenstand mit seinen engeren und weiteren Beziehungen, nicht eine Idee, die nur veranschaulicht werden könnte, im Grunde aber abstrakte Begriffe voraussetzt. An diesen Gegenstand knüpfen sich fast alle Beschäftigungen der Kinder: Gartenarbeit, häusliche Verrichtungen, - Fröbelsche und freie Beschäftigungen - Bewegungsspiele ... Der Name 'Monatsgegenstand' stammt zum Teil daher, dass die Beschäftigung mit demselben Mittelpunkt häufig einen Monat in Anspruch nimmt, zum grösseren Teil daher, dass meist das Charakteristische der Jahreszeit den Kindern bekannt werden soll" (Droescher 1899, S. 11 ff.).
Entgegen der in weiten Kreisen vorherrschenden Meinung, sollte ihrer Ansicht nach der Kindergarten keinesfalls den Charakter einer Schule tragen, sondern vielmehr den eines "Heimes":
"Die Erkenntnis bricht sich Bahn, daß Intellekt und Wissen zwar bedeutende Faktoren, aber nicht die treibenden Mächte des Lebens sind und daß damit allein nicht der lebenstüchtige, lebensfrohe Mensch gebildet wird. Je jünger das Kind, desto mehr bedarf es der Herzenstöne, der Sonne, der Wärme. Drum kein 'System' für kleine Kinder, keine 'Sprechübungen', 'Lehrstunden', 'Pensen', aber auch keine kindischen 'Plaudereien'; alles sei einfach und natürlich, dem Familienleben abgelauscht und der Atmosphäre eines behaglichen Heims entsprechend. Deshalb lichte, frohe Räume mit selbstgezogenen Blumen am Fenster, mit dem Vogel im Bauer, den Fischen im Glase, zur Übung der Kinder in liebevoller Lebenspflege, an den Wänden gute Bilder und Wandtafeln, auf denen die Kinder möglichst groß mit weißer oder farbiger Kreide zeichnen können. Das Mobiliar sei solide, leicht zu reinigen und zu bewegen, so daß dem Raum je nach Tätigkeit und Stimmung ein anderes Gepräge gegeben werden kann. Am besten teilt man die Gruppen so ein, daß die Kinder verschiedener Altersstufen zusammen sind, sich ergänzen und sich untereinander helfen" (Droescher 1907, S. 19).
Dabei sah Lili Droescher den Kindergarten nicht als notwendige sozialpädagogische Einrichtung für alle Kinder. Vielmehr betrachtete sie ihn, entsprechend dem Verständnis eines großen Teils der bürgerlichen Frauenbewegung, als Notbehelf für Kinder aus nicht funktionstüchtigen Familien. Diesbezüglich vertrat sie, in Anlehnung an Friedrich Fröbel, folgende Meinung:
"Wie uns die Erfahrung lehrt, sind Kindergärten und ähnliche Einrichtungen eine Notwendigkeit in unseren heutigen Verhältnissen; sie sind ein Notbehelf, und wenn die Zustände sich mit einem Schlage ändern könnten, so daß jedes Kind sein Anrecht auf die Mutter und ein wärmendes, schützendes Heim erhielte, so würde bei vorurteilsloser Betrachtung von Menschen und Leben wohl niemand für eine öffentliche Erziehungsstätte kleiner Kinder eintreten. Fröbel hat einmal von seiner Erziehungsanstalt gesagt: 'Wir arbeiten dahin, uns unnötig zu machen'. Jeder versteht diesen Anspruch" (Droescher 1907, S. 17 f).
Darum plädierte Lili Droescher für die verstärkte Errichtung von Mütterkursen und -abenden, denn:
"Je mehr die Mütter der Zukunft für ihre verantwortungsreiche, beglückende Lebensaufgabe vorbereitet werden, so daß sie von der Überzeugung durchdrungen sind, daß keine, auch die beste Anstalt nicht dem Kinde den Segen spenden kann, den die wahre Mutter, die Familie, ihm gibt, desto weniger wird sie geneigt sein, ihre Kinder Fremden anzuvertrauen" (Droescher 1907, S. 18).
Elisabeth, von früher Kindheit an Lili genannt, erblickte am 10. April 1871 in Aßlar, in der Nähe von Wetzlar, das Licht der Welt. Nach Privatunterricht und Abschluss der "Höheren Töchterschule" konnte sie den Eltern gegenüber ihren Berufswunsch Kindergärtnerin zu werden durchsetzen. Mit 16 Jahren ging sie nach Berlin und besuchte dort das "Pestalozzi-Fröbel-Haus I". Anschließend absolvierte sie noch an der gleichen Bildungsstätte die neu eingerichtete "Fortbildungsklasse", eine Vorläuferin der späteren Jugendleiterinnenausbildung. Auf Anraten von Henriette Schrader-Breymann übernahm Lili Droescher die Leitung des Kindergartens, der dem "Institut Breymann", in der Nähe von Wolfenbüttel, angegliedert war. Bereits 1893 kehrte sie als Lehrerin an das "Pestalozzi-Fröbel-Haus I" zurück. Ihre langjährige Kollegin und Mitarbeiterin Hildegard von Gierke schrieb in Erinnerung:
"In den ersten Jahrzehnten lagen fast alle wichtigen Lehrstunden in Lili Droeschers Hand. Sie übertrug ihre eigene Begeisterung für die Sache auf ihrer Hörerinnen; viele junge Menschen haben die Einstellung zu ihrer Lebensaufgabe und zu ihrem Beruf durch sie gefunden. In ihrem Unterricht lebte der Impuls der genialen Gründerin (Henriette Schrader-Breymann, M. B.) fort ... In Weiterführung von Methoden des Kindergartens, wie sie sich nach Anregungen von Henriette Schrader Breymann im 'Monatsgegenstand' oder 'Einheitsstoff' herausgebildet hatten, ließ sie die Kinder durch eigenes Tun und Gestalten ihre Erlebnisse vertiefen und erleichterte ihnen den Übergang vom Spiel zur Arbeit durch sinnvolle Pflege der Fröbelschen Beschäftigungen" (Gierke 1957, S. 53).
Während des Zweiten Weltkrieges zog Lili Droescher, nachdem sich die Bombardements auf Berlin verstärkten und ihre Wohnung in Schutt und Asche lag, zu Verwandten nach Thorn (heute Torun). Dort starb sie 1944, an ihrem 73. Geburtstag.
Literatur
Berger, M.: Vor 50 Jahren starb Lili Droescher, in: Unsere Jugend 1994/H. 4
ders.: Lili Droescher, in: Kinderzeit 1994/H. 1
ders.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
Droescher, L.: Die Konzentration des Bildungsstoffes im Kindergarten, in: Kindergarten 1899/H. 1-3
dies.: Fröbel und sein Werk, Leipzig 1907
Gierke, H. v.: Lili Droescher, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1957/H. 3