Helene Helming (1888-1977)Frauen in der Geschichte des Kindergartens

Manfred Berger

Dass die Montessori-Pädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg bald wieder zu neuen Ehren kam, ist insbesondere das Verdienst von Helene Helming:

"Sie knüpfte kurz vor deren Tod wieder Kontakte zu Maria Montessori (1952 gestorben; M. B.) und zeichnete federführend für den ersten Montessori-Diplomkurs nach dem faschistischen Terror auf deutschem Boden 1954 verantwortlich. Helming blieb auch im hohen Alter Motor der Montessorianer in Deutschland, der auch verbandspolitisch Akzente setzte. Die wiederbegründete Deutsche-Montessori-Gesellschaft (DMG) erlebte ihre zweite Spaltung nach 1930. Zunächst unter dem Dach der DMG und schließlich in den sechziger Jahren organisatorisch eigenständig war Helming maßgeblich an der Etablierung der 'Montessori-Vereinigung für katholische Erziehung' beteiligt. Die Montessori-Pädagogik war für Helming nur in ihrer ganzen Tiefe aus dem 'Wahrheitselement' des katholisch-christlichen Glaubens zu interpretieren und zu praktizieren" (Holtz 1997, S. 110 f).

Maria Theodora Helene Helming wurde am 6. März 1888 als ältestes von insgesamt 13 Kindern des Mediziners Hermann Theodor Helming und seiner Ehefrau Antonia, geb. Berentzen, in Ahaus (Westfalen) geboren. Sie war ein "kluges und vielseitig Mädchen", dem die fortschrittlichen Eltern ein Studium ermöglichten. Nach dem Lehrerinnenexamen (1908) und zweijähriger Lehrtätigkeit an der Mädchenschule in Ahaus, studierte Helene Helming noch Englisch und Geschichte an den Universitäten in Münster und Berlin. In letztgenannter Stadt übernahm sie die Stelle einer Lehrerin am Mädchengymnasium der Ursulinen, ab Ostern 1919 in Köln am dortigen Lyzeum der Schwestern von armen Kinde Jesu. Nach zwei Jahren wechselte Helene Helming als Direktorin an eine Aachener Mädchenmittelschule. 1923 wurde ihr die Leitung des Fröbel-Seminars der Stadt Aachen übertragen. Neben der Fröbel-Pädagogik interessierte sie sich auch für andere Konzepte der Kleinkindererziehung und kam so in Berührung mit der Montessori-Pädagogik. Um diese näher kennen zu lernen, nahm Helene Helming als Gasthörerin an dem von Maria Montessori selbst in den Wintermonaten 1926/27 in Berlin geleiteten Montessori-Kurs teil. Begeistert vermerkte Helene Helming:

"Man wird sich mit dieser Methode auseinandersetzen müssen. Es scheint so, als ob mehr als bisher eine pädagogische Methode europäische Bedeutung gewänne ... Einen deutschen Leser mutet es wundersam an, dass man mit einer solchen Selbstverständlichkeit auf dem Boden des Heute stehen und handelnd zugreifen soll, ohne zunächst alle Probleme zu erörtern! Es mag wohl mit dem romanischen Wesen und mit der Art der Frau zusammenhängen, dass Maria Montessori von ihren Einsichten ausgehend, die auf Wissen und auf Erfahrung beruhen, einfach handelt und nicht weiter grübelt ... Sie betont immer wieder, dass Freiheit nicht Willkür ist, sondern Ordnung, Beherrschung und Anmut ... Hier ist etwas geschehen in einer Zeit, die den Menschen nicht mehr geordnet hält in Stand und Stamm, sondern die ihn in Masse und Technik hineinstellt und von ihm verlangt, dass er innere Wahl und Freiheit besitze, dass er auf äußeren Halt verzichten kann" (Helming 1927, S. 142 ff.).

Begeistert von Berlin zurück gekehrt, initiierte Helene Helming an ihrem Ausbildungsinstitut eine Montessori-Kindergruppe, gleichberechtigt neben den in der Fröbel-Tradition stehenden Kindergruppen. Später kam noch eine Montessori-Schule hinzu.

Inzwischen der italienischen Sprache mächtig, fuhr sie 1930 nach Rom und absolvierte dort das Internationale Montessori-Diplom.

1935 wurde Helene Helming ihres Amtes als Schulleiterin des Fröbel-Seminars enthoben. Daraufhin kehrte sie ins Elternhaus zurück und arbeitete am Landratsamt bei der Familienbetreuung von Wehrmachtsangehörigen.

Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur wurde Helene Helming die Stelle der Direktorin der Pädagogischen Akademie in Essen übertragen. 1954 ging sie in Pension.

Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts entfachte sich ein Streit um das Für und Wider den Schulkindergarten. Dabei kritisierte die Fröbelexpertin Erika Hoffmann die "Intellektualisierung des Kinderlebens" durch das Montessori-Material. Helene Helming konterte:

"Man könnte dieser Auffassung E. Hoffmanns nur wirksam entgegentreten durch eine Darstellung des Lebens im Montessori-Kinderhaus und Montessori-Schule ... Aus Erika Hoffmanns Arbeit geht hervor, dass sie mit einer gewissen Künstlichkeit für die nicht schulreifen Kinder einen Raum des Spielens und eine Förderung der 'Retardierung' seiner Tätigkeiten und der Verhinderung von schulischen Dingen vertritt. Auch wenn man, so wie Montessori es vorschlägt, mit der Vorbereitung des Schreibens und Lesens und Rechnens bei den größeren Kindern im Kindergarten beginnt, kann man dabei nicht von einer unechten Verfrühung sprechen. Montessori regt die frühe Vorbereitung des Lesens und Schreibens deshalb an, weil in den Jahren der sensiblen Periode des Sprechenlernens das Kind für die Sprache leicht zu interessieren ist, und weil die heutige Umgebung das Kind von selbst darauf aufmerksam macht. Es weiß ferner jeder, dass die meisten 6 Jahre alten Kinder bis zwanzig zählen können und Zahlenbegriffe haben" (Helming 1959, S. 78).

Im Ruhestand fand Helen Helming Zeit, ihre umfangreichen Erkenntnisse und Erfahrungen zu publizieren. 1958 erschien ihr Buch "Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung", das bis heute "ein grundlegendes Werk zur Interpretation und Darstellung der Montessori-Pädagogik geblieben ist" (Stein 1990, S. 1995):

"Das Buch möchte im Erwachsenen die Bereitschaft wecken, dem Kind Lebenshilfe zu leisten. Wenn in unserer durch Wissenschaft und Technik so erstaunlich aufbauenden Zivilisation nicht der Raum für das Kind freigegeben und bereitet wird, wenn es mitten in der menschlichen Gesellschaft nicht vom verantwortlichen Erwachsenen, sei er Erzieher oder Politiker, liebevoll aufgenommen wird, so kann vom Kind her nicht die notwendige Erneuerung unserer Kultur gesichert bleiben, sondern Dekadenz wir folgen, und der wichtigste Grund dafür wird sein, dass man das Kind als Mitmenschen verrät" (Helming 1989, S. 10).

Helene Helming blieb bis ins hohe Alter für die Montessori-Pädagogik tätig. Sie starb am 5. Juli 1977 in Coesfeld. Die Verstorbene war Trägerin hoher kirchlicher und weltlicher Auszeichnungen u.a. des Päpstlichen Ordens "Pro Ecclesia et Pontifice" und des Bundesverdienstkreuzes.

Literatur

Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995

ders.: Kein Spiel ohne Freiheit. Helene Helming, in: Spielmittel 1998/Nr. 2

Helming , H.: Die Montessori-Methode, in: Die Schildgenossen 1927/H. 10

dies.: Das Problem der Schulreife und der Schulkindergärten, in: Kinderheim 1959/H.5

dies.: Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung, Freiburg 1989

Holtz, A.: Helming, Helene, in: Steenberg, U. (Hrg.): Handlexikon der Montessori-Pädagogik, Ulm 1997

Stein, B.: Helene Helming - Sorge um den Menschen in unserer Zeit, in: Brehmer. I. (Hrg.): Mütterlichkeit als Profession, Pfaffenweiler 1990

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