Manfred Berger
"Das Vergangene kennen, nützt dem Künftigen" (Christine von Schweden)
Am 28. Juni 1840 stiftete Friedrich Fröbel in (heute Bad) Blankenburg den Kindergarten. Dabei war seine "Stiftung" kein Zufall, sondern entsprach einem Zeitbedürfnis:
"Die im 18. Jh. beginnende Industrialisierung mit der Konsequenz der Trennung von Produktion und Privatsphäre, dem Entstehen von Frauen- und Kinderarbeit und des Proletariats, sowie die Emanzipation des Bürgertums, das wirtschaftlich dominierte und die politische Macht anstrebte, sind Wurzeln der Schaffung von Einrichtungen für die Betreuung von Kindern vor dem Schulalter" (Heiland 1996, S. 11).
Dementsprechend kristallisierten sich verstärkt im 19. Jahrhundert vor allem drei Angebotsformen heraus: die Kleinkinderbewahranstalt, die Kleinkinderschule und der Kindergarten (vgl. Dammann/Prüser 1987, S. 18 ff.). Die Kleinkinderbewahranstalten hatten die Absicht, den sozialen Notstand der Familien der unteren Volksschichten zu begegnen und deren Kinder durch Beaufsichtigung vor Kriminalität und Unfällen zu bewahren. Demgegenüber lag den Kleinkinderschulen eindeutig eine christlich-missionarische Intention zugrunde, die eine sittlich-religiöse "Erstarkung" der Kinder in den Mittelpunkt stellte, zumal diese Einrichtungen vielfach an Diakonissenhäuser oder Orden angeschlossen waren. Der Kindergarten nun basierte auf einer stark kindbezogenen Konzeption. Seine Zielsetzung war eine familienergänzende Erziehung für alle Kinder, egal welcher Konfession und welchem Stand sie angehörten. Der Kindergartenstifter sah seine Einrichtung in erster Linie als "Pflanzstätte ächter Kindheitspflege", in welcher die Mütter die Pflege des kindlichen Spiels und allgemein den erzieherischen Umgang mit ihren Kindern erlernen sollten (vgl. Berger 1995, S. 11 ff.).
Schon in den ersten Einrichtungen der öffentlichen Kleinkindererziehung übernahmen (zumeist unausgebildete) Frauen als "Wartefrauen", "Kindermägde", "Haus-" oder "Pflegemütter" die Betreuung der Kinder. Doch der Ruf nach einer professionellen öffentlichen Kleinkinderbetreuung durch pädagogisch geschultes Personal wurde immer lauter:
"Je mehr diese Einrichtungen dabei nicht mehr nur reine Verwahrung, sondern auch körperliche, geistige und seelische Vorbereitung auf Schule und Bedingungen der Arbeitswelt sowie eine Entfaltung der Persönlichkeit anstrebten, um so weniger reichten die Erfahrungen der betreuenden Frauen und der tradierten Erziehungsvorstellungen aus, um so mehr gewannen Fragen nach einer angemessenen Qualifizierung und Verberuflichung des Personals an Bedeutung" (Derschau 1987, S. 87).
Dies führte zur Errichtung von Ausbildungsstätten für "Kleinkinderlehrerinnen". Die erste dieser Art wurde 1836 von Theodor Fliedner an der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth ins Leben gerufen, welche den Anstoß zur Gründung weiterer Ausbildungsstätten, auch auf katholischer Seite, gab. Stand bei Theodor Fliedner noch die religiöse Ausbildung im Vordergrund, so war die 1844 von Johannes Fölsing eingerichtete Ausbildungsstätte in Darmstadt stärker auf eine umfassendere Ausbildung der Kleinkinderlehrerinnen ausgerichtet. Johannes Fölsing war der Ansicht:
"Wollen wir tüchtige Kinderschulen haben, dann müssen wir erst besser, tiefer ausgebildete Erzieherinnen haben, und nicht jede Person, die sich als Erzieherin anmeldet, sogleich als solche annehmen" (zit. n. Gehring 1929, S. 127).
Für die einjährige Ausbildung (in Kaiserswerth umfasste die Ausbildung anfangs nur wenige Monate) strebte Johannes Fölsing eine enge Verbindung zwischen der Vermittlung psychologischer Erkenntnisse und der praktischen Arbeit in der Kleinkinderschule an. Neben kindgemäßen Übungen der Sprache, Auffassungs- und Unterscheidungskraft waren ihm einfache Bewegungsspiele zur Stärkung der körperlichen Kräfte und die Pflege der kindlichen Sinne besonders wichtig (vgl. Metzinger 1993, S. 35 ff.; Netz 1998, S. 20 ff.).
Friedrich Fröbel setzte mit seiner Konzeption des Kindergartens und seinem Rollenentwurf der Kindergärtnerin neue Akzente. Mit seinem Ideal einer "professionellen Mutterschaft" (Allen 1994, S. 10), das der Kindergärtnerinnenausbildung zugrunde lag, verfolgte er nicht nur die Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte für den Bereich der Kleinkindererziehung. Sein Anliegen war auch, eine neue Frauenbildung zu fördern, die dem weiblichen Geschlecht das Einbringen ihrer mütterlichen Fähigkeiten in den öffentlichen Bereich ermöglichen sollte.
Fröbel begann bereits 1839 in Blankenburg mit einem Ausbildungskurs für "Kinderführer". Zunächst mehr auf die Ausbildung von Männern bedacht, stellte er jedoch bald fest, dass vor allem (junge) Frauen aufgrund ihres weiblich mütterlichen Sinnes und ihrer mütterlichen Liebe für die Kleinkinderpflege besonders prädestiniert waren:
"Je ungeteilter ich mich der ersten Kinderpflege hingebe, desto mehr sehe ich ein, daß dasjenige, was notwendig für die erste Erziehung des Menschengeschlechtes, für die Kindheit geschehen muß, am wenigsten durch den Mann und besonders nicht durch ihn vereinzelt geschehen kann, sondern daß ihm vor allem der weiblich mütterliche Sinn der Frauen, die weiblich mütterliche Liebe, zur Seite stehen muß" (zit. n. Prüfer 1927, S. 90).
Insbesondere bürgerliche Frauen fühlten sich von Friedrich Fröbels geschlechtsspezifischem Rollenverständnis angesprochen:
"Viele dieser Frauen waren zugleich in der bürgerlichen Fraktion der Frauenbewegung aktiv, wo sie ein breites Forum für die Ausgestaltung der von Fröbel konzipierten Rolle nicht nur der Kindergärtnerin, sondern der Frau in der Gesellschaft insgesamt fanden. Die bürgerliche Frauenbewegung nahm Fröbels Gedanken einer besonderen geschlechtsspezifischen Aufgabe der Frau außerhalb der Familie auf und knüpfte ihre Forderungen nach gesellschaftlicher Mitarbeit und kultureller Mitbestimmung von Frauen daran an. Hierbei kam wiederum dem Begriff der 'Mütterlichkeit' die zentrale Bedeutung zu. Mit diesem Begriff versuchte die Frauenbewegung die eigenständigen Kompetenzen von Frauen zu erfassen; er schloß all die spezifischen Fähigkeiten ein, welche die Frauen sich selbst zuschrieben und die es ihnen ermöglichen sollten, sich gegen die Männer abzugrenzen und gleichfalls zu behaupten. Sich dabei an ihrer Rolle in der Familie im Rahmen des bürgerlichen Modells orientierend, erhoben die bürgerlichen Frauen die 'Mütterlichkeit' zum Programm. Die 'organisierte Mütterlichkeit' stellte ihren Versuch dar, an der männlichen Kultur teilzunehmen, ohne ihre weibliche Identität zu verlieren" (Gebhardt 1998, S. 26 f).
Henriette Schrader-Breymann, Großnichte Friedrich Fröbels, erweiterte das Prinzip der "Mütterlichkeit" zur "Geistigen Mütterlichkeit". Sie sagte:
"Fröbel zeigte der Frau den Boden, auf dem sie des Mannes Gehülfin würde bei der Arbeit der Menschheit, er wollte ihr das Feld ihrer Wissenschaft, ihrer Kunst eröffnen, wollte ihre wahre Emancipation begründen helfen, indem er sie zur geistigen Mütterlichkeit erzog, um echt weiblich wirken zu können auf den verschiedenen Gebieten des Lebens, wo es sich um die Person des Anderen handelte; vor Allem, ... wollte er ihr einen würdigen Platz bereiten, an der Wiege, in der Kinderstube, aber auch darüber hinaus in Schulen und allen Anstalten, die sich mit der Pflege und der Bildung des Menschen beschäftigen" (Hofffmann 1930, S. 25).
Und so waren es auch letztlich (anfänglich) überwiegend (bürgerliche) Frauen, die sich in der öffentlichen Kleinkindererziehung (Kleinkinderbewahranstalten und Kleinkinderschulen) betätigten. Vorrangig Frauen fühlten sich von Friedrich Fröbel, seiner Idee und Konzeption angesprochen. Sie waren es, die sein Werk fort führten, in dem sie Kindergartengründungen anregten, in Fröbelseminaren als Lehrerinnen wirkten, diverse Kindergartenvereine gründeten, sich in Wort und Schrift für Friedrich Fröbel und den Kindergarten einsetzten u.a.m. Sie waren es, die die Idee des Kindergartens ins Ausland trugen, z. B. nach England, Frankreich und in die USA, nach Italien und in die Schweiz. Sie waren es, die neue unabhängige Wege gingen oder die Fröbelsche Konzeption mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbinden suchten. Sie waren es aber auch, die den Kindergarten in eine gewisse dogmatische Verengung und eine weitgehende Reduzierung auf methodische Vorschläge führten. Wie auch immer, der Kindergarten, die Erziehung von Kindern vor der dem Schulalter, wurde zur festen Domäne der Frauen (bis auf den heutigen Tag). Leider verschwanden deren (positive wie negative) Leistungen im Dunkel der Geschichte des Kindergartens. Woran mag es liegen, dass die Frauen im "Dienste des Kindergartens" so schnell in Vergessenheit geraten sind? Dafür gibt es sicherlich mehrere Gründe, die hier aber nicht zur Debatte stehen.
Mein Blick in eine verborgene Seite der Geschichte des Kindergartens und die bewusste historische Auseinandersetzung mit Frauenbiografien, soll vor allem einen Beitrag zur Wertschätzung dieser vergessenen Pädagoginnen leisten. Zugleich kann damit über die Entwicklung von bis heute erkennbaren gesellschaftlichen Widersprüchlichkeiten im Umgang mit der Institution Kindergarten aber auch mit Frauen und Familien aufgeklärt werden.
Literatur
Allen, A. T.: Öffentliche und private Mutterschaft, in: Jacobi, J. (Hrsg.): Frauen zwischen Familie und Schule. Professionalisierungsstrategien bürgerlicher Frauen im internationalen Vergleich, Köln 1994
Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
Dammann, E./Prüser, H.: Namen und Formen in der Geschichte des Kindergartens, in: Erning, G./Neumann, K./Reyer, J. (Hrsg.): Geschichte des Kindergartens. Band II: Institutionelle Aspekte, systematische Perspektiven, Entwicklungsverläufe, Freiburg 1987
Derschau, D. v.: Personal: Entwicklung der Ausbildung und der Personalstruktur im Kindergarten, in: Erning, G./Neumann, K./Reyer, J. (Hrsg.): Geschichte des Kindergartens. Band II: Institutionelle Aspekte, systematische Perspektiven, Entwicklungsverläufe, Freiburg 1987
Gebhardt, D.: Von der "Mütterlichkeit" und "Professionalität" - eine sozialhistorische Analyse des Berufsprofils der Kindergärtnerin/Erzieherin im Elementarbereich, Tübingen 1998 (unveröffentlichte Diplomarbeit)
Gehring, J. (Hrsg.): Die evangelische Kinderpflege. Denkschrift zu ihrem 150jährigen Jubiläum, Langensalza 1929
Heiland, H.. Fröbel und der Kindergarten, in: Zeitschrift für Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte 1996/H. 1
Hoffmann, E. (Hrsg.): Henriette Schrader-Breymann, Langensalza 1930
Metzinger, A.: Zur Geschichte der Erzieherausbildung: Quellen - Konzeptionen - Impulse - Innovationen, Frankfurt 1993
Netz, T.: Erzieherinnen auf dem Weg zur Professionalität. Studien zur Genese der beruflichen Identität, Frankfurt 1998
Prüfer, J.: Friedrich Fröbel - Sein Leben und Schaffen, Leipzig 1927