Manfred Berger
Erika Hoffmann hat in einer nahezu über 60-jährigen intensiven Tätigkeit Einfluss auf die Gestaltung des Kindergartens und die Erschließung des Fröbelschen Gedankengutes ausgeübt. Die "Nestorin der Frühpädagogik" (Lost 1996, S. 17) des 20. Jahrhunderts starb am 5. Februar 1995 in Göttingen. Zu ihrem Tode schrieb treffsicher die damalige Vorsitzende des "Pestalozzi-Fröbel-Verbandes":
"Der Pestalozzi-Fröbel-Verband und mit ihm die Fachwelt verlieren mit Erika Hoffmann eine der prägnantesten Pädagoginnen für den Bereich der Kleinkindererziehung dieses Jahrhunderts. Erika Hoffmann gehört zu den profiliertesten Fröbelforschern und wirkte in Wissenschaft, Lehre und Praxis als engagierte Anwältin von "Fröbels Konzeption eines Kindergartens für alle Kinder des Volkes im Sinne seiner Idee der Menschenerziehung", wie sie selbst es einmal beschrieb. Noch zu einer Zeit, als dem Kindergarten lediglich eine Notfallfunktion zugestanden wurde, veröffentlichte sie ihre erste Schrift, in der sie auf den eigenständigen Bildungsauftrag des Kindergartens verwies (1934). Diese Forderung wurde zum zentralen Thema ihres Berufslebens" (Ebert 1995, S. 1).
Erika Luise Laura wurde am 28. März 1902 in Neuteicherwalde/Westpreußen geboren. Ihr Vater Emil Hoffmann war Volksschullehrer, die Mutter Minna Hoffmann, geb. Kahl, führte den Haushalt und zeichnete für die Erziehung der Kinder verantwortlich.
Nach dem Besuch der Dorfschule, in der sie vom Vater unterrichtet wurde, absolvierte Erika Hoffmann das Lyzeum, anschließend das Oberlyzeum. Dem folgte eine einjährige seminaristische Ausbildung für die Lehrtätigkeit an Volks- und Mittelschulen.
Danach studiere die junge Lehrerin an den Universitäten in Freiburg und Göttingen Naturwissenschaften. Fasziniert von den jugendbewegten Diskussionskreisen an der Göttinger Universität trat sie bald in den Schülerkreis um Herman Nohl ein, mit dem sie zeitlebens befreundet war (vgl. Klika 2000), und belegte die Fächer Pädagogik, Psychologie, Philosophie und Kunstgeschichte. Ihr Studium beendete Erika Hoffmann im Mai 1928 mit der Promotion. Das Thema ihrer Dissertationsschrift lautete: "Das dialektische Denken in der Pädagogik".
Nach dem Studium ging die junge Doktorin der Philosophie nach Berlin. Dort übernahm sie eine Stelle als Lehrkraft für die Fächer Pädagogik und Psychologie am renommierten "Pestalozzi-Fröbel-Haus I". In ihrer Tätigkeit als Unterrichtende widmete sich Erika Hoffmann zunehmend der Pädagogik Fröbels:
"Bestimmt durch die Diskussionen um die Aufgabe des Kindergartens, den Streit pädagogischer Konzepte und institutioneller Formen sowie auf der Suche nach dem Sinnzusammenhang der Fröbelschen Kindergartenpädagogik widmete sie sich zunächst der eigentlichen Entdeckung der Fröbelschen Spielgaben. Die Erschließung der Spielgaben, der 'Anteil Fröbels an der Grundlegung der modernen Kleinkinderpädagogik' (1933) und 'Die pädagogische Aufgabe des Kindergartens' (1934) ... wurden die zentralen Themen Erika Hoffmanns, an denen sie nun an im Rahmen ihrer sozialpädagogischen Lehr und Leitungstätigkeiten und als Fröbelforscherin festhielt" (Lost 1996, S. 24).
Von 1939 bis 1944 arbeitete sie nur noch halbtags, um sich intensiver der Fröbelforschung widmen zu können. Während der Nazi-Diktatur veröffentlichte Erika Hoffmann ca. 13 umfangreichere Beiträge zur Fröbelrezeption, mit durchaus "völkisch-nationalen" Tendenzen (vgl. Berger 1995, S. 11 ff.; Heiland 1999, S. 25 ff.; Proll 1988, S. 210 ff.). Diesbezüglich konstatierte Sigurd Hebenstreit in seiner "Einführung in die Kindergartenpädagogik", dass Erika Hoffmann während der NS-Zeit "vor allem bemüht war, 'Fröbel als den deutschen Nationalpädagogen' anzubieten" (Hebenstreit 1980, S. 12).
Nach 1945 war Erika Hoffmann zunächst weiterhin als Lehrkraft am "Pestalozzi-Fröbel-Haus I" tätig, bis ihr 1947 der Aufbau einer Fröbelforschungsstätte in Weimar angeboten wurde. Zugleich übernahm sie Oktober 1947 eine außerordentliche Professur für Kleinkind- und Grundschulpädagogik an der Universität Jena. Im Herbst des Jahres 1949 entzog sie sich diesen Verpflichtungen und flüchtete aus der sowjetisch besetzten Zone in den "Westen":
"Die Gründe müssen schwerwiegend gewesen sein. Mündliche Mitteilungen zufolge wurde ihr zugemutet, Aussagen über Menschen ihrer Umgebung zu treffen und weiterzuleiten. Ein solches Verhalten widersprach nicht nur grundsätzlich ihrer Lebenshaltung, sondern zweifellos waren ihre Betroffenheit darüber und ihr Entsetzen, dergleichen angetragen zu bekommen, groß" (Lost 1996, S. 29).
Von 1949 bis 1951 lehrte Erika Hoffmann an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg. Anschließend übernahm sie die Leitung des "Evangelischen Fröbel-Seminars" in Kassel. Diese renommierte Bildungseinrichtung leitete Erika Hoffmann bis zur ihrer Pensionierung im Jahre 1966.
In ungezählten Vorträgen, Referaten, Gutachten und Veröffentlichungen trat Erika Hoffmann an die Öffentlichkeit. Dabei ging sie "im Gegensatz zu vielen Kindergartenpädagogen der 50er und 60er Jahre ... schon in der Zeit der Aufbauphase der Bundesrepublik von einer durch die gesellschaftliche Entwicklung bedingten Notwendigkeit einer bildungspolitischen und nicht ausschließlich sozialpädagogischen (im engen Sinne) Funktionsschreibung des Kindergartens aus" (Hebenstreit 1980, S. 33). Stets betonte sie die Wichtigkeit der "rechten Spielpflege" (die Erika Hoffmann wesentlich umfassender interpretierte, als der Begriff zunächst erwarten lässt), als wesentlichen Auftrag der öffentlichen Institution Kindergarten:
"Wir dürfen unter Spielpflege nicht nur die Vermittlung von Freispiel und gelenktem Spiel verstehen. Spielpflege erschöpft sich auch nicht in der Wahl des rechten Spielzeugs. Das gesamte erziehende Umgehen mit der Kindergruppe dieses Alters ist Spielpflege, die beachtet, dass das Kind bereit ist, sich die Welt zu erschließen zu lassen, und die die ihm eigene Form der geistigen Verarbeitung ermöglicht. Dazu gehört die Pflege des Bilderschaffens, des darstellenden Ausdrucks und Stehgreifspiels, die Übung der Sammlung in hörenden aufnehmen und beobachtenden Schauen, die Lenkung zum rücksichtsvollen Umgehen miteinander, auch Blumen- und Tierpflege und das Helfen und Schenken. Das Herauslocken der eigenen Frage, die jedes Kind hat, gehört dazu; nur müssten wir es besser lernen, mit dem Kinde zu sprechen. Denn in dem Ausdrucksmedium der Sprache ist das Kind auf uns angewiesen und am stärksten dem verführenden Einfluss ausgesetzt. Am klarsten äußert sich sein Anderssein im zeichnenden Bilderschaffen. - Alle Merkmale des geistigen und mitmenschlichen Verhaltens des reifen Erwachsenen: der wählende Entschluss zu einer Sache als Werk und Beruf, die Selbstbehauptung und das Streben nach Anerkennung, die Gebundenheit an gesetzte Zwecke - das findet sich hier im Ansatz, verlangt unsere Beachtung und Unterstützung, aber entsprechend der Undifferenziertheit des kindlichen Geistes im Gewande des Spiels. Rechte Übung für das Leben des Erwachsenen ist dieser kindliche Anfang, wenn pädagogische Führung sich noch nicht an spätere Zweckformen bindet, sondern sich darauf konzentriert, diesen Anfang in sich zu steigern und ihm mitspielend zu ergänzen. Damit Spielen zu der in dieser Zeit möglichen Höchstform kommt, haben wir das Kind im Gebrauch seiner Freiheit zu üben, es zur Ordnung im Spiel zu führen und auch zu dem Erlebnis, das die Arbeitshaltung vorbereitet: um schon im spielenden Gestalten etwas zu erreichen, muss man sich entschließen, etwas anderes zu lassen" (Hoffmann 1967, S. 27 f).
Neben ihren vielfältigen Aufgaben war Erika Hoffmann noch aktives Mitglied in mehreren sozialpädagogischen Verbänden, ferner lange Jahre Mitherausgeberin der "Sozialpädagogischen Blätter" und über 20 Jahre Vorstandsmitglied im "Pestalozzi-Fröbel-Verband".
Literatur
Berger, M.: Erika Hoffmann. Eine Wegbereiterin der modernen Erlebnispädagogik? Lüneburg 1995
ders.: Erika Hoffmann. Ihr Leben und Wirken für den Kindergarten als Beispiel für eine in Friedrich Fröbel stehende Tradition. Ein verspäteter Nachruf, in: Wissenschaft und Praxis im Dialog 1996/Nr. 62/63
ders.: Hoffmann, Erika Luise Laura, in: Bautz, T. (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Nordhausen 2003, Sp. 550-569
Ebert, S. Erika Hoffmann. Ein Nachruf, in: Kinderzeit 1995/H. 2
Heiland, H.: Das Fröbelverständnis im "Dritten Reich", in: Auernheimer, R. (Hrg.): Erzieherinnen für die Zukunft. Berufsrealität und Berufsprofil im Wandel, Hohengehren 1999
Hebenstreit, S.: Einführung in die Kindergartenpädagogik, Stuttgart 1980
Hoffmann, E.: Der Anteil Fröbels an der Grundlegung der modernen Kleinkinderpädagogik, in: Deutsche Mädchenbildung 1933/H. 2
dies.: Der pädagogische Auftrag des Kindergartens, in: Kindergarten 1934/H. 10
dies.: Der Anspruch des Kleinkindes auf Bildung, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge 1976/H. 1
Klika, D.: Herman Nohl. Sein "Pädagogischer Bezug" in Theorie, Biographie und Handlungspraxis, Köln/ Weimar/ Wien 2000
Lost, Ch.: Die Wissenschaftlerin Erika Hoffmann: Zu Lebensleistung und Jahrhundertproblematik, in: Ebert, S./Lost, Ch. (Hrg.): bilden - erziehen - In Erinnerung an Erika Hoffmann, München/Wien 1996
Proll, H.: Die Fröbel-Rezeption in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, Bochum 1988