Manfred Berger
Emilie Caroline Albertine Anna, von frühester Kindheit an Emy genannt, erblickte am 6. März 1841 als viertes von sechs Kindern des Gutsbesitzers und im Militärdienst des Königreichs Württemberg stehenden Hartmund August Ludwig Albert Siegfried von Beulwitz und seiner Ehefrau Anna Maria (geb. Riedlinger) in Cannstatt (heute Bad und ein Stadtteil von Stuttgart) das Licht der Welt. Sie entstammte einem alten, ursprünglich schwarzburgischen und voigtländischen (in den Freiherrenstand erhobenen) Adelsgeschlecht. Ihre ältesten drei Geschwister und jüngste Schwester starben noch im Säuglings- bzw. im Kleinstkindalter. Der um zwei Jahre jüngerer Bruder wurde nur 17 Jahre alt.
Entsprechend der Familientradition wurde die Freiin zu Hause unterrichtet. Emy war ausgesprochen künstlerisch begabt und erhielt darum noch privaten Mal- und Zeichenunterricht. Um ihre Sprachkenntnisse zu erweitern und zu verfestigen, besuchte sie ein vornehmes Mädchenpensionat in der französischen Schweiz. Danach folgten Jahre des Wartens, ausgefüllt von häuslicher Arbeit, Kaffeekränzchen und der Vorbereitung auf eine standesgemäße Ehe. Einen Beruf durfte die junge Freiin nicht erlernen.
Da Emy von Beulwitz von instabiler Gesundheit war, ferner ein Fußleiden hatte, das ihre Bewegungsfreiheit sehr einschränkte, war es um ihre Chancen auf dem adeligen Heiratsmarkt nicht sonderlich gut bestellt. Und so stimmten die Eltern dem Drängen der Tochter zu, sich nach einer sinnvollen Aufgabe umzusehen. Da sich die Freiin gerne mit Kindern beschäftigte, übernahm sie die Stelle einer Gouvernante im Hause des ehemaligen englischen Gesandten in Stuttgart: Sir George Gordon of Ellon, der aus dem britischen Hochadel stammte. Sein Stammbaum führte bis zu Wilhelm dem Eroberer zurück.
Im Alter von 22 Jahren heiratete Emilie Freiin von Beulwitz den um 36 Jahre älteren verwitweten Hausherrn. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. 1884 übersiedelte die Familie, die lange Zeit auf dem Familiensitz Ellon bei Aberdeen/ Schottland lebte, nach Würzburg.
Verstärkt widmete sich nun Emy Gordon of Ellon sozial-karitativen Tätigkeiten. Sie war maßgebend an der Gründung des Katholischen Deutschen Frauenbundes (1903) beteiligt. Darüber hinaus initiierte sie u.a. 1905 den "Verband katholischer Vereine erwerbstätiger Frauen und Mädchen" und war aktives Mitglied im "Marianischen Mädchenschutzverein", gegründet 1895. Unterstützt von den genannten Vereinen rief die adelige Frau u.a. Krippen, Säuglingsküchen und Kinderbewahranstalten ins Leben, um die Kinder der auf Erwerb angewiesenen Mütter vor "sittlicher Verwahrlosung und Verrohung, vor leiblichen und geistigen Gefahren" (zit. n. Richter 1998, S. 35) zu schützen.
Bereits in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts beklagte Emy Gordon of Ellon, dass es zu wenig katholische Kindergärtnerinnen gäbe, man deshalb auf die Anstellung von Kindergärtnerinnen "hauptsächlich aus Norddeutschland" angewiesen wäre. Zudem seien diese noch meistens von evangelischer Religionszugehörigkeit und nach dem "irreligiösen System Fröbels" herangebildet worden. Um dieses "gravierende Defizit" zu beseitigen, unterstützte sie die Gründung von katholischen Kindergärtnerinnenseminaren, die ihrer Ansicht nach am besten von "Klösterlichen Genossenschaften" errichtet und geleitet werden sollten. Über die beklagenswerte Situation der katholischen Kindergärtnerin konstatierte sie:
"Die Kindergärtnerin ist eine Errungenschaft der Neuzeit. Der im Jahre 1782 geborene Pädagoge Fr. Aug. Wilhelm Fröbel war es, welcher die Kindergärten in der Erziehungslehre eingebürgert hat. Zwar wurden und werden gegen diese Schöpfung Fröbels mit Recht mannigfache Bedenken erhoben; denn der irreligiöse Standpunkt ihres Urhebers, die verschiedenen pädagogischen Missgriffe in der Methode verdienen Widerspruch. Jedoch der Grundgedanke, daß den Kindern auch im vorschulpflichtigen Alter eine große Aufmerksamkeit zu schenken sei, ist gesund und von großen Pädagogen bereits früher des öfteren ausgesprochen. Ebenso muß es jedem einleuchten, daß es besser ist, wenn solche nicht schulpflichtige Kinder von einem weiblichen Wesen in verschiedenartigen Bewegungsspielen und den ihrem Alter entsprechenden Beschäftigungen nach einer sicheren Methode unterrichtet werden, in welcher geregelte Thätigkeit, Scherz und Ernst gleichberechtigt sind, als wenn die kleine Welt der Beaufsichtigung von planlos zu Werk gehenden ungeschulten Kindermädchen überlassen wird. Darum hat man auch auf kath. Seite, zwar nicht den Namen, aber die Sache alsbald aufgegriffen, und unsere Kinderbewahranstalten haben längst die wesentlichen Gedanken der Kindergärten auf religiöser Grundlage durchgeführt. Jedoch auch der Name hat immer mehr seinen bedenklichen Klang verloren und es ist Thatsache, daß manche katholische Mütter ihre Kinder einer nach dem System Fröbel herangebildeten Kindergärtnerin in den zahlreich bestehenden Kindergärten anvertrauen ... Es ist deshalb dringend geboten, auch unsererseits der Ausbildung von kath. Kindergärtnerinnen näher zu treten, umsomehr, als aus diesem neu geschaffenen Beruf nicht nur den Kindern, sondern auch den Erwerb suchenden Mädchen Vortheil erwächst, indem er vielen unter ihnen ein entsprechendes Feld der Tätigkeit eröffnet" (Gordon 1898, S. 149).
In katholischen Kreisen fand seinerzeit die Schrift der adeligen Frau "Die katholische Kindergärtnerin in Schule und Haus" hohe Anerkennung. In diese integrierte sie Fröbels Spiele und Beschäftigungen, ohne allerdings die politischen und pädagogischen Intentionen des Kindergartenbegründers zu berücksichtigen. Dabei betrachtete sie Fröbels System der Spiel- und Beschäftigungsmittel mehr als Lehrmaterial. Sie forderte:
"Vor allem ist im Kindergarten wie beim Unterricht im Hause ein geregelter Stundenplan, welcher mit dem Wachsen des Kindes zu erweitern ist, unerlässlich. Eine bestimmte Einteilung der Zeit und des Lehrmaterials ist hier ebenso geboten wie beim späteren Unterricht in der Schule. Junge Kindergärtnerinnen bevorzugen häufig, was ihnen am geläufigsten geworden ist, oder dasjenige, dem ihre kleinen Schüler am meisten Interesse entgegenbringen. Auf diese Weise werden jedoch die körperlichen und geistigen Kräfte ihrer Pflegebefohlenen nicht gleichmäßig in Anspruch genommen und entwickeln sich nicht harmonisch. Es bedarf weiser Verteilung, um das reiche Material der Fröbelschen Erziehungsmittel in der meist üblichen Lehrzeit von drei Jahren - vom dritten bis sechsten Lebensjahre des Kindes - zu bewältigen ... Wenn der Kindergärtnerin nicht genügend Erfahrung zu Gebote steht, um diesen reichhaltigen Stoff zweckentsprechend geordnet zum Unterricht zu verwerten, so müsste sie unbedingt den Stundenplan eines mustergiltigen Kindergartens zu Grunde legen" (Gordon 1902, S. 15).
Entsprechend der kirchlichen Norm- und Wertvorstellung folgend, formulierte Emy Gordon abschließend folgende 10 Gebote für die katholische Kindergärtnerin:
- "Sie soll Herr über sich selbst sein, um Herr des Kindes zu werden.
- Sie soll den kurzen Hinweis auf Gott bei den verschiedenen, sich bietenden Gelegenheiten nicht versäumen.
- Sie soll nicht vorschnell im Guten wie im Schlimmen über das Kind urteilen.
- Sie soll kein Kind dem anderen bevorzugen.
- Sie soll nicht der Ausbildung einer Fähigkeit des Kindes mehr Aufmerksamkeit zuwenden als der einer anderen ...
- Sie soll nicht Neues ... lehren, ehe das Vorhergehende gut eingeübt oder verstanden worden ist.
- Sie soll fest an ihren Befehlen halten, aber freundlich und liebevoll sein, um das Vertrauen der Kinder, die in ihr die wahrhaft mütterliche Freundin sehen müssen, zu gewinnen.
- Sie soll nur selten strafen und die Bestrafungen auf 'in die Ecke stellen', gelinde Verweise u.s.f. beschränken. Findet sich ein wirklich schwarzes Schäfchen unter ihrer Herde - ein seltenes Vorkommnis - so erteile sie ernste Mahnungen unter vier Augen, spreche mit den Eltern ...
- Sie hat streng auf Ordnung zu sehen, hält die Kleinen an, das Spielzeug wieder an den bestimmten Ort räumen zu helfen, läßt die größeren und gewandten beim Austeilen der Gaben, beim Abnehmen der Kleider u.s.f. behilflich sein, erzieht sie zu Gehilfinnen, was von ihnen als Ehrenamt zu erachten ist.
- Als Vorsteherin eines Kindergartens soll sie bedacht sein auf Aufrechterhaltung aller hygienischen Vorschriften, über die sie in ihrer Lehrzeit unterrichtet wurde ..." (Gordon 1902, S. 42 f.).
Emy Gordon of Ellon starb nach kurzer Krankheit am 2. Februar 1909 an den Folgen einer Herzschwäche in Würzburg.
Literatur
Berger, M.: Mit Leidenschaft für die katholischen Frauen. Emy Gordon (1848-1909), in: Caritaskalender 1995, Freiburg 1995
Braun, H.: Emy Gordon. Ihr Leben und ihre Arbeit für die Frauenbewegung, Würzburg o. J.
Gordon, E.: Die Kindergärtnerin, in: Charitas 1898/H. 10
dies.: Die katholische Kindergärtnerin in Schule und Haus. Angehenden Kindergärtnerinnen und Müttern gewidmet, Stuttgart 1902
Richter, S.: Emy Gordon of Ellon (1841-1909). Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Frauenbewegung und der Sozialarbeit, München 1998 (unveröffentlichte Diplomarbeit)