Manfred Berger
Elisabeth Blochmann würdigte Friedrich Fröbel, anlässlich seines 100. Todestages im Jahre 1952, als eine "pädagogische Gestalt", der man an Bedeutung und Wirkung keine gleichsetzen könnte. Über die "pädagogische Genialität" des Kindergartenbegründers konstatierte sie:
"Weder Berthold Otto noch Lietz noch irgendeine andere der großen Figuren der pädagogischen Bewegung trägt den Stempel pädagogischer Genialität in so überzeugender Weise, wie er. Und die großen Pädagogen anderer Länder, denen man vielleicht das gleiche Attribut zusprechen müsste, wie etwa Don Bosco, Makarenko oder selbst Maria Montessori sind doch bisher zu sehr am Rande des deutschen Horizonts geblieben, um eine wirklich tiefgreifende Wirkung zu erlangen. Fröbel aber hat ein pädagogisches Leben sichtbar vorgelebt, das bis ins hohe Alter von absoluter Hingabe an die ergriffene Aufgabe erfüllt war. Dieses der Erziehung gewidmete Leben zeigt eine großartige Konsequenz in der Art, wie bei allen Wandlungen des Aufgabenkreises das Kleinste und Individuellste, was dem Erzieher aufgegeben ist, mit den großen Forderungen der Zeit und der Nation zusammengesehen wird. Das Sendungsbewußtsein, daß Fröbel aus diesem letzten Bezug erwuchs, hat hinreißend auf einen großen Kreis von Zeitgenossen gewirkt. Er hat eine tiefsinnige Theorie von großer Geschlossenheit entwickelt, die unmittelbar an die religiöse Verantwortung des Menschen appellierte. Und er hat schließlich, da er in rechter Stunde und als erster der Frau ihre Bestimmung im Leben der Kultur feinfühlig und weitblickend gedeutet und ihr neue Wirkungsmöglichkeiten erschlossen hat, einen persönlichen und vorwiegend weiblichen Schülerkreis hinterlassen, bei dem das von ihm angefangene Werk seines Alters, der Kindergarten mit seiner Spielpflege, mit der vielfältigen Hilfe zur Entwicklung kindlicher Selbsttätigkeit, in treuen Händen lag. Es liegt nun aber wirklich ein tragischer Zug darin, daß durch das Fernbleiben der übrigen pädagogischen Welt die Hüter dieses Erbes in eine gewisse Isolierung getrieben wurden" (Blochmann 1953, S. 268f).
Mit ihrem Beitrag "Der Kindergarten" für das von Herman Nohl und Ludwig Pallat 1928 herausgegebene "Handbuch der Pädagogik", hatte Elisabeth Blochmann seinerzeit konzeptionell richtungsweisende Impulse gesetzt, wenngleich diese 1933 jäh unterbunden wurden.
Der Institution Kindergarten ordnete Elisabeth Blochmann "die Aufgabe einer 'pädagogischen Lebensform' zu ..., und zwar in einem doppelten Kontext: als eine relativ eigenständige Anfangsstufe im Zusammenhang des Bildungswesens sowie im Zusammenhang der Sozialpädagogik als 'Teil der Kinderfürsorge' ..., aber als eine Lebensform grundsätzlich für alle Kinder und mit selbständiger Bedeutung neben der Familie. Damit sei auch das Berufsbild der 'Kindergärtnerin' ein selbständiger und neuer pädagogischer Typus, der 'eine eigengewachsene Erziehungs- und Lehrweise vertritt mit eigener Würde'" (Lost1996, S. 23).
Nach 1945 knüpfte man wieder an ihrer reformpädagogischen Variante der Fröbelschen Bildungstheorie an. In ihrem epochalen Aufsatz stellte Elisabeth Blochmann, ergänzt durch Ergebnisse der zeitgenössischen psychologischen Theorien kindlicher Entwicklung, "die Pflege des kindlichen Tätigkeitstriebes und das vorzüglichste Mittel dazu das Spiel" (Blochmann 1976, S. 323) in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Sie schrieb:
"Denn für keine andere Altersstufe gilt so unbedingt die Rousseausche Forderung, daß die Stufe ihrem Sinne nach ganz ausgelebt werden muß, wenn der Aufbau des ganzen Lebens gelingen soll. Und die charakteristische Form der frühkindlichen Aktivität ist das Spiel. Fröbels tiefe Einsicht offenbart sich gerade in diesem Punkt. Denn er hat als erster die Entwicklungsbedeutung des frühkindlichen Spiels in ihrem ganzen Umfang erkannt. Er konnte zu dieser Würdigung kommen, weil er überhaupt in dem jedem gesunden Kinde innewohnende Tätigkeitstrieb auch für die späteren Stufen den stärksten Hebel der Entwicklung sah. Wir wissen es heute noch deutlicher, in einem wie engen Zusammenhang seine Verkümmerung mit der Verwahrlosung steht und was die Erhaltung der natürlichen Spielfreude für das Leben bedeutet. Die Entwicklung der kindlichen Aktivität im Spiel ist dabei immer doppelseitig entsprechend dem Doppelweg, der den seelischen Reaktionen offen steht: in die freie Geistigkeit des inneren Bildens und des Ausdrucks oder in das Handeln. Daß im kindlichen Spiel aber beide Wege meist noch nicht getrennt sind, sondern in der Phantasieform zusammengehen, das gibt ihm seinen Totalitätscharakter und seine eigenartige Intensität.
Seit den Untersuchungen von Groos und Beobachtungen der Psychoanalyse sind uns alle möglichen Funktionen des Spiels wohlvertraut; hier sei nur noch hervorgehoben, daß sich in dieser Form wirklich erste geistige Bewältigung des Lebens vollzieht, der menschlichen Bezüge und Charaktere, die in einer Vorform nacherlebt werden, wie auch der dinglichen Welt und ihrer einfachen Gesetzlichkeit. Diese Gesetzlichkeit hat Fröbel für unsere Begriffe überschätzt und hat eine Systematik des Spiels daraus gemacht, die uns heute befremdet. Aber ganz tief hat er den symbolischen Sinn in den Bewegungsspielen erfasst, was zum Beispiel das Eingegliedertsein in den Kreis oder das sich immer dichter Zusammenschließen und wieder Lösen der 'Schnecke' für das Kind 'bedeutet', Dinge, die wir erst wieder zu ahnen beginnen. Das Spiel ist darum auch der Ort, wo die Gemeinschaftserziehung am fruchtbarsten wird, denn hier ist das einzelne Kind in ganz eigener Weise in der Gemeinschaft aufgehoben, bekommt seine Bedeutung erst als ihr Glied, und dieses neue Erleben formt irgendwie seine innerste Haltung, ebenso wie es in der anständigen Behandlung des Spielgegners eine erste innerliche Zucht erwirbt" (Blochmann 1976, S. 331 f).
Elisabeth wurde am 14. April 1892 als erstes von drei Mädchen des Juristen Heinrich Blochmann und seiner Ehefrau Anna Babette, geb. Sachs, in Apolda/Thüringen geboren. Nach dem extern erworbenen Abitur und der Absolvierung des Lehrerinnenseminars in Wiesbaden studierte Elisabeth Blochmann von 1917 bis 1922 an den Universitäten in Jena, Straßburg, Marburg und vor allem in Göttingen die Fächer, Geschichte, Germanistik, Französisch, Philosophie und Pädagogik. 1923 promovierte sie über die im 17. Jahrhundert anonym veröffentlichte Flugschrift "Gedencke daß Du ein Teutscher bist". Anschließend unterrichtete sie bis 1926 an der "Sozialen Frauenschule in Thale am Harz", sodann bis 1930 am renommierten Berliner "Pestalozzi-Fröbel-Haus". Zugleich lehrte Elisabeth Blochmann in Berlin an der "Werner-Schule des Deutschen Roten Kreuzes" und am "Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht". Den Höhepunkt ihrer beruflichen Karriere bildete die Berufung, im Jahre 1930, als Professorin für Sozialpädagogik und Theoretische Pädagogik an die neugegründete Pädagogische Akademie in Halle/Saale. Wegen der jüdischen Herkunft ihrer Mutter wurde sie, als die Nazis an die Macht kamen, ihrer Ämter enthoben. Elisabeth Blochmann emigrierte nach England:
"Blochmann beteiligte sich aktiv während des Krieges an der für den Fall der deutschen Niederlage gegründeten GER (German Educational Reconstruction), einer von dem Soziologen Karl Mannheim und dem Pädagogen Fritz Borinski gegründeten Vereinigung, die vorbereitende Arbeiten für eine Wiederherstellung des deutschen Erziehungswesens nach den Verheerungen durch den Nationalsozialismus vornahm" (Jacobi 1990, S. 258).
Inzwischen englische Staatsbürgerin kehrte sie 1952 nach Deutschland zurück. Elisabeth Blochmann erhielt einen Ruf als Pädagogikprofessorin an die Universität in Marburg/Lahn, wo sie 1960 emeritiert wurde. Im Ruhestand blieb sie weiterhin aktiv tätig. Sie war u.a. Vorstandsmitglied im "Pestalozzi-Fröbel-Verband", engagierte sich in dem von ihr 1959 gegründeten "Sozialpädagogischen Arbeitskreis", sichtete den Nachlass von Herman Nohl und publizierte 1966 die hochgeschätzte Studie: "Das 'Frauenzimmer' und die 'Gelehrsamkeit', eine Studie über die Anfänge des Mädchenschulwesens in Deutschland". Ferner zeichnete sie weiterhin als Mitherausgeberin für die seit 1930 publizierten Reihe "Kleine Pädagogische Texte" verantwortlich, die u.a. Quellentexte Friedrich Fröbels "erneut oder überhaupt" zugänglich zu machen versuchte.
Elisabeth Blochmann starb nach schwerer Krankheit am 27. Januar 1972 in Marburg/Lahn.
Literatur
Berger, M.: Erinnerung an Elisabeth Blochmann zum 100. Geburtstag, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 1992/H. 2
Blochmann, E.: Der Kindergarten, in: Nohl. H./Pallat, L. (Hrsg.): Handbuch der Pädagogik. Band IV, Langensalza 1928
dies.: Die Selbsttätigkeit des Kindes in Kindergarten und Hort, in: Kindergarten 1929/H. 6
dies.: Fröbel in der Gegenwart - ein Problem, in: Die Sammlung 1953/H. 5
dies.: Pädagogik des Kindergartens, in: Bittner, G./Schmid-Cords, E. (Hrsg.): Erziehung in früher Kindheit, München 1976
Jacobi, J.: Elisabeth Blochmann. First-Lady der akademischen Pädagogik, in: Brehmer, I. (Hrsg.) Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Band 1, Pfaffenweiler 1990
Lost, Ch.: Die Wissenschaftlerin Erika Hoffmann: Zu Lebensleistung und Jahrhundertproblematik, in: Ebert, S./Lost, Ch. (Hrsg.): bilden - erziehen - betreuen. In Erinnerung an Erika Hoffmann, München 1996
Roeder, P. M.: Elisabeth Blochmann, in: Neue Sammlung 1972/H. 12
Schnack, I. (Hrsg.): Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1977