Manfred Berger
Es ist u. a. dem unermüdlichen Engagement Bertha Ronges zu verdanken, dass die Pädagogik Friedrich Fröbels und seine Idee des Kindergartens Mitte des 19. Jahrhunderts in England Fuß fassen konnte. Über ihr Wirken schrieb die bedeutende Fröbelexpertin Eleonore Heerwart, die selbst über 20 Jahre in England und Irland wirkte:
"Dort (in London; M. B.) fing (1851; M. B.) Madame Ronge einen Kindergarten an; berühmte Männer wie Charles Dickens, machten ihren Einfluß geltend; man bewunderte die schöne, geistreiche Frau, wenn sie Vorträge hielt, und der Kindergarten kam in die Mode. Ein Herr aus Manchester lud sie ein, dorthin zu kommen; er schickte seine Kinder und ließ eine Verwandte bei Madame Ronge ausbilden, richtete dann für sie einen Kindergarten ein; zu ihr kam ich im April 1861" (Heerwart 106, S. 84).
Theodor Fontanes ältester Sohn besuchte in London den "Ronge-Kindergarten". Der berühmte Schriftsteller schrieb dazu:
"Ein sogenannter Kindergarten spielt die Hauptrolle, in dem, glaube ich, viel Rad geschlagen und wenig gelernt wird. Kopf stehen ist die einzige Kopfarbeit. Ich bin nicht traurig darüber. George lernt bei uns vollkommen genug, und der Kindergarten wird das Gute haben, daß der Junge seine Schüchternheit verliert" (zit. n. Bake/Reimers 1997, S. 242).
In Manchester, wohin die Familie Ronge 1857 aus London kommend übergesiedelt war, hatte Bertha Ronge, unterstützt von ihrem Mann, das "Manchester Committe" (später "Manchester Fröbel Society") zur Verbreitung des Kindergartens ins Leben gerufen, ebenso eine Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen. Daneben hielt sie viele Vorträge zur Fröbelpädagogik, in denen sie stets die "beaufsichtigende und bewahrende Betreuung des Kindergartens" betonte. Ferner organisierte Bertha Ronge in mehreren größeren Städten des Königreiches Ausstellungen zu Fröbels Spiel- und Beschäftigungsmaterialien, die der Begründer des Kindergartens zusammen das "Spiel- und Beschäftigungsganze" nannte (vgl. Rogge 2000, S. 68 ff.). Aber auch theoretisch setzte sie sich mit der Fröbelpädagogik auseinander. Zusammen mit ihrem Ehepartner publizierte sie 1855 in London eine (illustrierte) Schrift mit dem Titel: "A practical guide to the English Kinder-Garden for the use of mothers, nursery governesses and infant teachers being an exposition of Froebels system of infant training". Das Buch "gibt eine erste orientierende Übersicht über Fröbels Spielmaterial und führt zugleich in den praktischen Umgang mit den 'Gaben' und Beschäftigungsmitteln ein. 67 Bildtafeln zeigen den Aufbau des Spielmaterials. Neben die 6 Gaben stellt Ronge folgende Reihenfolge von Beschäftigungen: Pappkurs, Legestäbchen, Erbsenarbeiten, Verschränkspäne, Papierflechten, -falten, -schneiden und -stechen, Zeichnen, Tonmodellieren und Malen. Eine Körperschule und eine Übersicht der Bewegungsspiele und Lieder (mit Melodien) schließen sich an" (Heiland 1972, S. 154).
Im Jahre 1861 kehrte die Familie Ronge nach Deutschland zurück. Sie übersiedelte nach Breslau. Sofort versuchte Bertha Ronge, einen Kindergarten zu gründen. Jedoch die angestammte Geistlichkeit konnte die Errichtung verhindern. Daraufhin rief sie schließlich ein Kindergärtnerinnenseminar ins Leben und somit fanden in der schlesischen Stadt die Kindergärten Anerkennung. Im Jahre 1863 zog die Familie nach Frankfurt/Main. Dort starb die schon seit längerer Zeit schwerkranke Bertha Ronge am 18. April 1863. Beigesetzt wurde die Verstorbene auf dem Hamburger Friedhof zu St. Petri. 1908 ließ der Senator Heinrich Traun seine Mutter auf den Ohlsdorfer Friedhof umbetten.
Bertha, genannt Baba, erblickte am 25. April 1818 in Hamburg das Licht der Welt. Sie war das zweitälteste Kind des wohlhabenden Stockfabrikanten Heinrich Christian Meyer und seiner Ehefrau Agathe Margaretha, geb. Beusch. Die Eltern stammten aus äußerst bescheidenen Verhältnissen. Berthas Mutter starb im Alter von 40 Jahren an den Folgen der Geburt ihres elften Kindes. Dieses, genannt Margaretha, heiratete den Bonner Revolutionär Carl Schurz und gründete 1855 in Watertown/Wisconsin den ersten Kindergarten in den USA.
Im Alter von 16 Jahren wurde Bertha (auf Drängen des Vaters) mit dem 14 Jahre älteren Fabrikanten Christian Julius Traun verheiratet. Dem Ehepaar wurden sechs Kinder geboren. Ein Kind starb im Alter von 11 Jahren. Die junge und wohlhabende Ehefrau engagierte sich in mehreren Vereinen der Hansestadt, u.a. im "Verein Deutscher Frauen", im "Socialen Verein Hamburger Frauen zur Ausgleichung konfessioneller Unterschiede" und im "Verein der Frauen und Jungfrauen zur Unterstützung der Deutschkatholiken". Die praktizierende (evangelische) Christin fühlte sich immer mehr von der deutschkatholischen Bewegung angesprochen sowie von den Ideen des Pädagogen Friedrich Fröbels. Allgemein war ja seinerzeit Hamburg ein Zentrum der Fröbel- als auch der Freireligiösenbewegung:
"Bei dem Interesse der Hamburger Frauenvereine für die Ideen Fröbels spielte unter anderem dessen Sichtweise auf Kinder und einmal mehr die Negation der Erbsünde eine Rolle. Die Frauenvereine bemerkten: 'Das System der Kindergärten ruht ebenso wie die freie Kirche, auf der Überzeugung, daß das Kind von Natur rein und unschuldig ist, und die Fröbelsche entwickelte Erziehung sucht schon vom dritten bis sechsten Jahr durch geeignete Spiele die innere Geistesthätigkeit der Kinder frei und selbständig zu entfalten'" (Baader 1998, S. 219).
Im Jahre 1849 besuchte Bertha Traun den Begründer des Kindergartens in Bad Liebenstein, um mehr über seine Pädagogik und seinen Kindergarten in Erfahrung zu bringen. Dort weilte zur gleichen Zeit Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow, die wohl bedeutendste Fröbelepigonin. Ihre 1854 in Dresden erschienene 12 Seiten umfassende Schrift "Ein zusammenhängendes Ganzes von Spielen und Beschäftigungen für die erste Kindheit von Friedrich. Fröbel" war das erste in englischer Sprache übersetzte Werk über Friedrich Fröbel und seinen Kindergarten. Bertha Trauns Begegnung mit dem Begründer des Kindergartens und der adeligen Frau führte dazu, dass sie in ungezählten Vorträgen die Gründung von Kindergärten anregte. Diese hielt sie insbesondere vor freireligiösen Gemeinden und mit diesen sympathisierenden Frauenvereinen, wie beispielsweise in Schweinfurt. Sie bat Friedrich Fröbel in einem Brief darum "für ein gutes, geistreiches Mädchen" zu sorgen, welches in genannter Stadt "das Samenkorn zur Reife bringt" (zit. n. König 1990, S. 143).
Um die Fröbelsche Idee besser verbreiten zu können, regten Bertha Traun, ihre Freundin Emilie Wüstenfeld und der exkommunizierte Priester Johannes Ronge, Initiator der deutsch- oder christkatholischen Gemeinden, die Gründung einer "Hochschule für das weibliche Geschlecht" an, die am 1. Januar 1850 in Hamburg den Unterrichtsbetrieb aufnahm. Ausgebildet wurden vordergründig Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen. Der Bildungsinstitution war ein Kindergarten, geleitet von der Fröbelschülerin Amalie Krüger, angeschlossen. Dort sollten die Hochschülerinnen die praktische Anwendung der Fröbelschen Spiel- und Beschäftigungsmittel erlernen. Friedrich Fröbel selbst bildete anfänglich die "Frauen und Jungfrauen" aus.
Schon bald kam es zu unüberbrückbaren Konflikten mit Karl Fröbel (Neffe von Friedrich Fröbel), dem Direktor der Hochschule, und den Frauen im Verwaltungsausschuss (dem u. a. Bertha Traun angehörte). Schließlich verließ Karl Fröbel die Hochschule. Der Hochschulkonflikt nahm an Schärfe zu, nachdem Bertha Traun sich in Johannes Ronge verliebte. Dazu schrieb Carl Schurz in seinen Lebenserinnerungen:
"Es fand zwischen ihm (Christian Julius Traun; M. B.) und Frau Bertha eine Vereinbarung statt, gemäß welcher sie nach Holland reisen und dann die Ehescheidung auf Grund 'böswilligen Verlassens' gerichtlich zu Wege gebracht werden sollte" (zit. n. Hirsch 1992, S. 94).
Das Verhalten der "sittenlosen Frau" sorgte seinerzeit für Furore und so ist es nicht verwunderlich, dass "sich die 'anständigen' Hamburger Familien fast vollständig von der Hochschule zurückzogen" (Kleinau 1996, S. 81). Dadurch blieben die dringend nötigen finanziellen Zuwendungen zum Erhalt der Frauenhochschule aus. Am 1. April 1852 musste die weibliche Bildungsinstitution seinen Lehrbetrieb einstellen, die u. a. auch Opfer der immer stärker einsetzenden Reaktion wurde.
Bertha Traun floh mit drei ihrer Kinder (die anderen drei blieben in Hamburg zurück) und ihrem Geliebten über Holland nach London. Dort heirateten die beiden am 5. August 1851. Wenige Wochen später gebar Bertha Ronge ein Mädchen, genannt Marie. In England unterstütze sich das Ehepaar gegenseitig. Sie half ihm bei der Gründung von freireligiösen Gemeinden, er unterstütze sie in ihrem Einsatz für die Idee des Kindergartens und der Fröbelpädagogik. Auf Einladung von Bertha Ronge hielt im Jahre 1854 die unermüdliche Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow im Londoner Hause der Familie Ronge mehrere Vorträge über die seit August 1851 in Deutschland verbotenen Kindergärten und die Pädagogik des Kindergartenbegründers. Die adelige Frau erhoffte sich gerade in der Emigrantenszene um das Ehepaar Ronge breite Unterstützung für die Kindergartenidee. Obwohl Bertha Ronge nur 10 Jahre in England weilte, hatte sie dort den Kindergarten fest verankert. Folgerichtig bezeichnete Gerda Rogge in ihrer Magisterarbeit die emigrierte Hamburgerin als "brillante Pionierin der nach England verpflanzten Föbelschen Erziehungsprinzipien und -methoden" (Rogge 2001, S. 89).
Literatur
Baader. M. S.: "Alle wahren Demokraten tun es". Die Fröbelschen Kindergärten und der Zusammenhang von Erziehung, Revolution und Religion, in: Jansen, Ch./Mergel, Th. (Hrsg.) Die Revolution von 1848/49. Erfahrung - Verarbeitung - Deutung, Göttingen 1998
Bake, R./Reimers, B.: Stadt der toten Frauen. Der Hamburger Friedhof Ohlsdorf in 127 Frauenportraits, Hamburg 1997
Berger, M.: Ronge, Bertha, in: Bautz, T. (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, XX. Band, Nordhausen 2002
ders.: Ein Frauenleben in sozialer Verantwortung: Bertha Ronge (gesch. Traun), in: Forum: Frau und Gesellschaft 2002, Heft 3
Heerwart, E.: Fünfzig Jahre im Dienste Fröbels. Erinnerungen. 1. Band. Bis zum Jahre 1895, Eisenach 1906
Heiland, H.: Literatur und Trends in der Fröbelforschung, Weinheim 1972
Hirsch, H. u. M.: Stammte Margarethe Meyer-Schurz aus einer ursprünglich jüdischen Familie? Zur Problematik ihrer ersten Biographie, in: L. Heid/ J. Knoll (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Studien zur Geistesgeschichte, Band 15. Stuttgart 1992, S. 85-106
Kleinau, E.: Ein (Hochschul-) Praktischer Versuch. Die "Hochschule für das weibliche Geschlecht" in Hamburg, in: Kleinau, E./Opitz, C. (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Band 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main 1996
König, H. (Hrsg.): Mein lieber Herr Fröbel! Briefe von Frauen und Jungfrauen an den Kinder- und Menschenfreund, Berlin 1990
Rogge, G.: Bertha Traun (geb. Meyer) und Margaretha Schurz (geb. Meyer). Leben und Wirken von zwei Frauen im Dienste der Fröbelpädagogik und des Kindergartens in England und in den USA. Ein Beitrag zur Geschichte der internationalen Fröbelbewegung, München 2001 (unveröffentl. Magisterarbeit)