Manfred Berger
Anna Agnes Dorothea Pappenheim wurde am 2. Januar 1868 in Berlin geboren. Ihr Vater war der seinerzeit hochgeschätzte Fröbelpädagoge Prof. Dr. Eugen Pappenheim. Über die Leistungen des Vaters für Friedrich Fröbel und seine große Idee konstatierte die Tochter:
"Sein Streben war, für das Verständnis des ganzen Fröbel, des 'Kenntnisreichen, Gedankenvollen, Tief- und Weitblickenden' zu arbeiten, seine Satz für Satz biologische Pädagogik zur Erkenntnis zu bringen und die Tragweite seiner Idee für die Gestaltung des gesamten Erziehungswesens zu zeigen" (Wiener-Pappenheim 1912, S. 268 f).
Aber auch ihre jüngere Schwester Gertrud war ebenso in der Fröbelbewegung aktiv wie ihr älterer Bruder Karl. Im Dezember 1871 starb Annas Mutter. Der Vater heiratete am 5. Oktober 1876 seine ehemalige Schülerin Anna Juliane Schneider, die den angeheirateten Kindern eine gute Mutter war. Aus der Ehe ging noch ein Sohn hervor. Die Pappenheims waren wohlhabend, gleichwohl aber auf Sparsamkeit bedacht:
"Die Familie wohnte in einer Zwölfzimmerwohnung in der Kleinbeerenstraße, die wunderschön eingerichtet war, mit großen Vitrinen, Porzellan, Tafelsilber, Gemälden, Teppichen usw. ... Trotz allem Reichtum war Eugen Pappenheim sehr sparsam. Zu gerne hätte er längere Reisen z.B. nach Griechenland unternommen, verzichtete aber aus finanziellen Gründen darauf. Er investierte das Geld lieber in die Ausbildung seiner Kinder" (Berger 1995, S. 152).
Nach dem Besuch der höheren Mädchenschule absolvierte Anna Pappenheim noch die Kindergärtnerinnenausbildung am Seminar des "Berliner Fröbel-Vereins". Dort wurde sie von ihrem Vater in die Pädagogik Friedrich Fröbels eingeführt. Anschließend arbeitete sie in einem Kindergarten des "Berliner Fröbel-Vereins". Nelly Wolffheim, die in Berlin den ersten psychoanalytisch orientierten Kindergarten Deutschlands ins Leben rief, erinnerte sich 1961 rückblickend an die junge Anna Pappenheim:
"Ich war Seminaristin im Pestalozzi-Fröbelhaus und benutzte meine freien Vormittage ... dazu, mir andere Kindergärten anzusehen. Es muß dazu gesagt werden, daß mir die meisten damaligen Kindergärten sehr mißfielen, Langeweile, Steifheit und Lehrhaftigkeit herrschten überall. Da kam ich rein zufällig in einen Kindergarten und sah etwas, das mich entzückte: Die Leiterin war Anna Pappenheim - jung, hübsch und lebendig. Sie machte in einem Garten Bewegungsspiele mit den Kindern. Noch heute habe ich diesen Vorgang in meiner Erinnerung, so wie man ein schönes Bild nie vergessen kann. Die heitere Natürlichkeit und die Fröhlichkeit der Kinder, kurz, die ganze Atmosphäre, beeindruckten mich. Ich lernte dabei, wie schön man ein Bewegungsspiel für die Kinder machen kann. Wie die Kinder, hatte Anna Pappenheim auch mich gefangen, und mit jugendlicher Begeisterung sah ich von da an immer etwas anschwärmend zu ihr auf" (Wolffheim 1961, S. 71).
Als praktisch tätige Kindergärtnerin favorisierte sie die damals "moderne Methode" der "Concentration des Bildungsstoffes". Über einen längeren Zeitraum (bis zu drei Monaten) wurde ein bestimmter Bildungsstoff in den Mittelpunkt des Kindergartengeschehens gestellt. Der Einbezug von hauswirtschaftlichen, gärtnerischen oder tierpflegerischen Beschäftigungen führte zur Konkretisierung der "Methode". Ergänzend dazu wurden die schöpferischen Kräfte der Kinder in selbsttätiger Arbeit mit verschiedenen Fröbelmaterialien wie Bausteinen, Papier, Stäbchen, Ton u.ä., entfaltet. Was man seinerzeit konkret unter "Concentration des Bildungsstoffes" verstand, wird folgend am Beispiel Wasser deutlich:
"Wir haben hier einen Concentrationspunkt vor uns, der es uns möglich macht, zwar nicht den ganzen Kreis der Erscheinungen der Aussenwelt, jedoch einen grossen und wesentlichen Teil derselben in seinen Ursachen und Wirkungen dem Kinde vorüberzuführen. Dieser Plan, der mehr als ein Vierteljahr Zeit im Kindergarten in Anspruch nahm, brachte den Kindern die ihnen längst bekannte Erscheinung von Wolke und Regen zum Bewusstsein; er liess das Kind den Nutzen des Wassers für Mensch, Tier und Pflanze, getragen von dem Gedanken der göttlichen Fürsorge, wahrnehmen, und in seinen Einzelheiten selbst erfahren durch Begiessen des eigenen Blumenbeetes, durch Tränken der Tiere etc., er machte das Kind mit Wasserpflanzen und -Tieren bekannt, er erweckte das Interesse für Eigenschaften des Wassers, wie Tragfähigkeit und treibende Kraft; dieser Plan führte dem Kind die Kunstwerke des menschlichen Geistes vor Augen, durch welche der Mensch sich diese Kräfte nutzbar zu machen wusste - wie Schiff und Wassermühle, er führte endlich zu der himmlischen Erscheinung des Regenbogens hinauf.
Selbstverständlich gingen hierbei Wort und That Hand in Hand, und es wird schwer sein, wie auch bei anderen Themen, zu sagen, was von beiden in den einzelnen Teilen, die zur Besprechung kamen, den Ausgangspunkt bildete. Leicht gelang es, die schon früher in der Familie und nun wiederholt gemachten Erfahrungen durch diesen Concentrationspunkt lebensvoll mit einander zu verknüpfen. Viele, mit den einzelnen Erscheinungen in enger Beziehung stehenden Gegenstände wurden durch die verschiedenen Fröbelschen Beschäftigungen, je nachdem diese dazu geeignet waren, dargestellt; z.B. nach dem Blumengiessen: Giesskanne und Wassereimer durch Stäbchen, Zeichnen, Ausnähen oder Thonarbeiten; in einer anderen Woche einzelne beobachtete Wassertiere, wie Schnecke, Fisch oder Frosch in ähnlicher Weise; wieder in einer späteren Woche wurde ein Wasserlauf durch den Garten gegraben, Brücken aus Brettern darüber gebaut, die dann durch die vier verschiedenen Baugaben je nach dem Alter der Kinder noch in mannigfachen Formen wiedergegeben wurden. Ebenso wurde die Farbenpracht des Regenbogens durch verschiedene Gaben und Beschäftigungen wie: Bälle, Legetäfelchen, Ausnähen, Flechten, Malen festgehalten, die treibende Kraft des Wassers an einem vom Wasser getriebenen Rade erkannt; die Tragfähigkeit an schwimmenden Schiffen beobachtet; Schiffe wurden mit Hülfe fast aller Fröbelschen Beschäftigungen dargestellt: durch Bauen, Falten, Ausnähen, Stäbchen, Zeichnen; und wie bei den früher genannten Themen, bewegte sich auch hier der ganze sprachliche Stoff, wie Erzählung, Lied oder Gedicht während ungefähr einer Woche um diesen Mittelpunkt. In gleicher Absicht stellte das Bewegungsspiel Bächlein und Schiff dar; und das freie, ungebundene Spiel der Kinder beschäftigte sich von selbst mit demselben Gedankenkreise, indem es Stühle, Besen und Handtuch zur Herstellung eines Segelschiffes verband" (Pappenheim 1899, S. 93 f).
1902 übernahm sie die Leitung des Kindergärtnerinnenseminars des "Berliner Fröbel-Vereins", das 1913 geschlossen wurde. Im Jahre 1904 heiratete Anna Pappenheim den Bankier Hugo Hans Wiener und führte nun den Doppelnamen Wiener-Pappenheim. Die Ehe blieb kinderlos.
Nach der Auflösung des Kindergärtnerinnenseminars leitete Anna Wiener-Pappenheim die vereinseigene Kinderpflegerinnenschule. Dabei kämpfte sie allgemein um die staatliche Anerkennung dieser Ausbildung, zumal sie die Tätigkeit der Kinderpflegerin nicht nur auf Familie und Haushalt beschränkt sehen wollte. Sie plädierte für eine Erweiterung des Berufseinsatzes der Kinderpflegerin auf Kinderkrippe, Kindergarten, Hort und Heim.
Neben ihrer Tätigkeit als Schulleiterin und Publizistin gehörte Anna Wiener-Pappenheim noch mehreren Verbänden und Vereinen an. Beispielsweise war sie viele Jahre Vorsitzende der "Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen e.V." ebenso der "Arbeitsgemeinschaft Fröbelscher Kinderpflegerinnen". Doch das "liebste Kind" war ihr der "Berliner Fröbel-Verein", der sich insbesondere um die Verbreitung von Fröbel-Kindergärten im Großraum Berlin bemühte.
Als die Nazis an die Macht kamen, musste sich die "Halbjüdin" zurückziehen. Von Freunden geschützt, konnte sie die Nazi-Diktatur überleben. Im März 1945 flüchtete sie aus Berlin.
Anna Wiener-Pappenheim starb am 14. Juni 1946 in Pyrmont an den Folgen einer schweren Darmoperation.
Literatur
Berger, M.: Führende Frauen in sozialer Verantwortung: Anna Wiener-Pappenheim, in: Christ und Bildung 1992/H. 2
ders.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
Pappenhein, A.: Die Concentration des Bildungsstoffes in den Kindergärten des Berliner Fröbelvereins, in: Kindergarten 1899/H. 3
Wiener-Pappenheim, A.: Der Deutsche Kindergarten, in: Kindergarten 1912/H. 10
Wolffheim, N.: Erinnerungen an die Schwestern Pappenheim, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1961/H. 2