Angelika Hartmann (1829-1917)Frauen in der Geschichte des Kindergartens

Manfred Berger

Treffsicher schreibt Herbert Egerland (1997, S. 5) in seiner Biografie über Angelika Hartmann:

"Ein Fakt ist es, dass kein Lexikon überhaupt den Namen Angelika Hartmann erwähnt, und selbst in der Fachliteratur wird ihr Name unter der Anhängerschaft, die das Werk von Fröbel nach seinem Tode 1852 erfolgreich fortsetzten, nicht gewürdigt, ja nicht einmal genannt ... Die fehlende Würdigung ihrer pädagogischen Wirksamkeit gehört so gesehen zum vergessenen pädagogischen Erbe in der Geschichtsschreibung ... Die Hauptwirkungsstätten der Menschenerzieherin Hartmann sind die Bachstätte Köthen und Leipzig. Hier konnte sie mit großem Erfolg ihre praktischen Ideen der Fröbelpädagogik umsetzen".

Henriette Angelika Hartmann erblickte am 12. Juli 1829 in Köthen das Licht der Welt. In ihrem 5. Lebensjahr verstarb die Mutter. War dieser frühe Verlust eine Motivation für ihr späteres soziales Engagement, ein Grund für die immer wiederkehrende Betonung der Mutterliebe, über die in ihren Augen eine "gute" Kindergärtnerin verfügen sollte? Diesbezüglich dekretierte sie:

Es bedarf "einer guten Kindergärtnerin, die mit vollem Verständnis ihre Aufgabe für die Erziehung des Kindes in den ersten Lebensjahren arbeitet, die, mit jenen Erziehungsgesetzen vertraut, sie in die Praxis überzuführen versteht. Eine schöne, eine hohe Aufgabe! Aber nur die Kindergärtnerin erfüllt sie ganz, die dem Beispiel der liebenden und sorgenden, aber auch denkenden Mutter folgt und ihr Kind als ein sich fort und fort entwickelndes betrachtet, die diesen Erziehungsgang kennt und die Wonne der Mutter begreifen kann, wenn diese in den Augen des Säuglings zum ersten Mal, wie Jean Paul sagt, das zauberische Lächeln, das liebliche Morgenrot der beginnenden Vernunft wahrnimmt" (Hartmann 1877, S. 314).

Und wieder trat der Tod in das Leben des jungen Mädchens. Es verlor, gerade 16 Jahre alt, den treusorgenden Vater. Angelika Hartmann musste sich nun ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen und durch Erteilung von Privatstunden verdienen. Eine besondere Vertauensperson war für sie der Köthener Gymnasialprofessor Dr. Karl Schmidt, der das junge Mädchen in die Gedankenwelt Friedrich Fröbels einführte. Diesbezüglich konstatierte Angelika Hartmann in ihren Lebenserinnerungen:

"Über meinen verehrten Lehrer Karl Schmidt lernte ich ein von einem großen Erziehungsgedanken getragenes Werk kennen. Immer mehr vertiefte ich mich in Fröbels Weltanschauung und fühlte mich mit meinem eigenen Erleben und Denken aufgenommen und bestätigt in der Weite und Tiefe seiner Gedankenwelt. Friedrich Fröbel wurde mir in jeder Hinsicht zum Vorbilde" (zit. n. Berger 1995, S. 70).

Auf Anraten von Karl Schmidt ging Angelika Hartmann 1859 nach Dresden, um sich dort in dem von Bruno Marquart geleiteten Kindergärtnerinnenseminar ausbilden zu lassen. Anschließend eröffnete sie in Dresden einen Privatkindergarten. Diesen gab Angelika Hartmann 1864 in andere Hände und kehrte nach Köthen zurück. In ihrer Heimatstadt gründete sie zu Ostern 1864 den ersten Fröbelkindergarten, der sich schnell einer großen Beliebtheit erfreute, "so dass im Dezember 1865 bereits etwa 60 Kinder im Vorschulalter von 2 ½ - 6 Jahren nach Fröbelschen Grundsätzen gebildet und erzogen worden sind" (Egerland 1997, S. 18). Ihrem Kindergarten gliederte Angelika Hartmann u.a. eine Höhere Mädchenschule, eine Kindergärtnerinnen- und eine Lehrerinnenklasse an. Diese allumfassende Erziehungs- und Bildungsanstalt nannte sie zum Gedächtnis an ihren Lehrer "Dr. Karl-Schmidt-Institut":

"Nach dem Vorbild von Fröbel sollte dieses neue Köthener Institut eine Art 'Versuchs- und Musteranstalt' für weitere Gründungen im Land sein. So war das Köthener Institut vielmehr nach den Grundsätzen von Fröbel als ein ganzheitliches Institut für Menschenbildung angelegt. Die Kinder wurden hier im Sinne der anthropologischen Pädagogik ihres Lehrers Karl Schmidt nicht als Objekt der Erziehung durch die Erwachsenen betrachtet, sondern als empfindende, erkennende und handelnde Persönlichkeiten. Anstelle des pädagogisch-belehrenden Zeigestockes trat bei Hartmann die erzieherische Kraft der spielerischen Tätigkeit, die eine umfassende Unterstützung zu einer allseitigen Entwicklung ermöglichte. Und dieses Erziehungskonzept - so war es von Hartmann gewollt - sollte allen pädagogisch interessierten Köthenern zugänglich sein. So war das Institut zugleich eine nach außen hin geöffnete Anschauungs-, Lehr- und Übungsanstalt für alle Köthener, vor allem für Eltern, die sich für die Kleinkindererziehung nach Fröbelschen Grundsätzen interessierten" (Egerland 1997, S. 27).

1875 verlegte Angelika Hartmann ihr pädagogisches Wirkungsfeld nach Leipzig. Dort gründete sie bereits 1876 den "Leipziger Fröbelverein" und einen Volkskindergarten. In der Folgezeit rief sie noch den Kindergartenverein "Hartmannia" und den Verein "Deutscher Mütter" ins Leben. 1895 übereignete sie ihre Einrichtungen dem "Leipziger Fröbelverein", der 1904 ein eigenes Haus erwerben konnte. Dieses wurde in Würdigung und Dankbarkeit an die Gründerin "Angelika-Hartmann-Haus" genannt. Damit verbunden war die Aufgabenstellung, Lehrerinnen an Bürgerschulen und Kindergärtnerinnenseminaren, Familienkindergärtnerinnen, Leiterinnen von öffentlichen Kindergärten, Horten und Jugendheimen, als auch Kindergärtnerinnen auszubilden. Unter Angelika Hartmanns Leitung wurden ca. 5 000 junge Mädchen und Frauen ausgebildet.

1904 publizierte sie, entsprechend ihren langjährigen praktischen Erfahrungen, das Lehrbuch "Fröbels Erziehungsmittel nach der Konzentrationsidee bearbeitet für Kindergarten und Familie". Darin finden sich Hinweise und Empfehlungen wie die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit des Kindergartenkindes, als wesentliche Grundvoraussetzungen für den späteren Schulunterricht, verbessert werden könnte. Dabei übernahm die Autorin die Idee des von der Fröbelnichte Henriette Schrader-Breymann entwickelten "Monatsgegenstandes", reduzierte diesen jedoch auf eine oder zwei Wochen:

"Durch die Darreichung von Anschauungsobjekten soll nun dem Kinde Gelegenheit geboten werden, eingehendere Beobachtung an einem Gegenstand seiner Umgebung zu machen, seine Sinne damit zu schärfen und, mehr als dies bisher im Kindergarten geschehen ist, die Tätigkeit derselben auf einen Gegenstand zu richten - also seine Aufnahmefähigkeit zu konzentrieren. Diese Konzentration muss im Kindergarten durch eine enge Verbindung der Spiele und Beschäftigungen, sowie dessen, was mit ihnen zusammenhängt - also Unterredungen im Zimmer, auf Spaziergängen, Erlernen von kleinen Liedchen, auch Nachahmungen der Arbeiten, die z.B. die Handwerker usw. vollziehen, bewerkstelligt werden. Ich suche dies im Kindergarten dadurch zu ermöglichen, dass ich für eine Reihe von Tagen, also etwa für eine oder zwei Wochen ein Anschauungsobjekt wähle und um dasselbe alle vorzunehmenden Spiele und Beschäftigungen gruppiere" (Hartmann 1904, S. 1).

Angelika Hartmann starb im Alter von 87 Jahren am 22. März 1917 in Leipzig.

Heute erinnert in Köthen die "Angelika Hartmann-Bank" an die Pädagogin. Daneben tragen eine Kindertagesstätte und eine Schule für geistig Behinderte ihren Namen.

Literatur

Berger, M.: Angelika Hartmann - Ein Leben für die Menschenbildung, in: Frauen in der Geschichte 1994/H. 1

ders.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995

Egerland, H.: Angelika Hartmann 1829 - 1917. Pädagogin im Geiste Fröbels, Köthen 1997

Hartmann, A.: Kindergarten und Charakterbildung, in. Gartenlaube 1877/H. 10

dies.: Fröbels Erziehungsmittel nach der Konzentrationsidee bearbeitet für Kindergarten und Familie, Leipzig 1904

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