Manfred Berger
Am Freitag, dem 31. Mai 1996, wurde in einem Festakt mit anschließendem Gottesdienst die katholische Fach- und Fachoberschule für Sozialpädagogik in Recklinghausen umbenannt in "Alexandrine-Hegemann-Schule. Bischöfliche Berufsbildende Schule". Damit wurde eine Pädagogin geehrt, die zwar nachhaltige Spuren hinterlassen hatte, aber dennoch zu den vergessenen Frauen der pädagogischen Geschichtsschreibung gehört. Sie hatte die professionelle Ausbildung von katholischen Kindergärtenrinnen maßgebend beeinflusst:
"Aufgrund ihrer Denkschrift verabschiedete die Deutsche Bischofskonferenz im August 1920 folgende Resolution: 'Die Gründung von katholischen Fachseminaren zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen, Jugendleiterinnen ist baldigst in die Wege zu leiten.' Dieser Beschluß führte in der Folgezeit in allen Landesteilen verstärkt zur Errichtung und zum Ausbau der katholischen Fachseminare und damit in diesem Bereich zugleich zu einer Fundierung beruflicher Bildung" (Schulenberg 1996, o. S.).
Alexandrine, von frühester Kindheit an Alexe genannt, wurde am 17. November 1877 als viertes von sechs Kindern des Fabrikanten Theobald Hegemann und dessen Ehefrau Helene, geb. Fils, in Münster geboren. Dort besuchte sie die Höhere Mädchenschule und ging anschließend nach England, um ihre Ausbildung zu ergänzen. Von dort zurückgekehrt, führte sie bis zum 29. Lebensjahr den früh mutterlos gewordenen Haushalt. Anschließend ließ sie sich in Kassel zur Lehrerin ausbilden. Doch nur sehr kurz übte sie diesen Beruf aus, zumal sich Alexe Hegemann mehr zu kleineren Kindern hingezogen fühlte. Da sie bereits schon 35 Jahre alt und ausgebildete Lehrerin war, konnte sie am renommierten Berliner "Pestalozzi-Fröbel-Haus" eine verkürzte Ausbildung zur Kindergärtnerin absolvieren. Ostern 1913 legte sie erfolgreich das Examen ab.
Nach kurzer praktischer Tätigkeit als Kindergärtnerin in Saarbrücken und Bad Kreuznach übernahm Alexe Hegemann im August 1913 die Leitung des neu errichteten katholischen Kindergärtnerinnenseminars in Freiburg, das sie bis Ostern 1919 führte. Danach übernahm sie in der Zentrale des Deutschen Caritas-Verbandes in Freiburg das Referat "Kinderfürsorge". Dieses hatte sie in Verbindung mit Lorenz Werthmann ins Leben gerufen. Ihr Schwerpunkt war die "familienergänzende Fürsorge", dazu zählten u.a. Kinderkrippen, Kindergärten, Horte, Ferienkolonien und Erziehungsheime. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt "zunächst dem Ausbau der caritativen Einrichtungen der katholischen Kinderfürsorge in Deutschland. Die bisher noch einseitig auf Bewahren eingestellte Kleinkinderanstalt sollte umgewandelt werden in den Kindergarten, in dem jede einzelne Menschenpflege erfasst werden und unter zielbewusster, aber der Entwicklung angepasster Führung sich fröhlich entfalten konnte" (Kiene 1926, S. 40). Besonders gegen die Verschulung der "Kleinkinderanstalten kämpfte Alexe Hegemann an:
"Kommen wir aber in die großen Säle der Kinderschulen, so werden wir meistens wohl an eine Schule, aber nicht an eine traute Kinderstube für Vorschulpflichtige erinnert. Die Zahl der Kinder, 50 oder 70, selbst 100 in einem Raum, macht einen familienartigen Betrieb unmöglich ... Wie in der Schule finden wir vielfach in der Mitte vor den Bänken ein Pult. Ich sah auch schon mal eine Rute auf dem Pulte geschickt angebracht, damit alle Kinder sie sehen konnten... Das Hinsetzen und Aufstehen geschieht nach dem Kommando, ebenso das Aufstellen zu Spiel und Gebet, das Hinausgehen in den Hof und zum Abort."
Sie forderte: "Bei der Herrichtung von Kleinkinderanstalten ist es vor allem notwendig, daß wir uns vollständig freimachen von den Vorstellungen und Richtlinien, die Schule und Schulbetrieb geben. Nicht durch Unterricht und Erlernen vieler Verse oder durch Einstellung in eine Masse fördern wir die Vorschulpflichtigen, sondern indem wir ihnen Gelegenheit geben, ihre mannigfaltige Umgebung recht anzuschauen und zu erleben und auf ungezwungene Weise von ihr Vorstellungen zu gewinnen, sich in sie einzuordnen und die Kinder zweckmäßig zu beschäftigen."
Um die großen Säle für die Kinder übersichtlicher zu gestalten, schlug sie die Teilung dieser durch Schiebetüren, spanischer Wände, Latten u.a.m. vor. Durch solche Hilfsmittel kann die große Kinderschar geteilt werden, "und die Leiterin ist eher imstande, den einzelnen Kindern zu geben, wessen sie bedürfen" (Hegemann 1919, S. 82 ff.). Diese Idee wurde nach 1945 wieder aufgegriffen, die als "Raumteilverfahren" in den Kindergärten Einzug hielt.
Als Fachreferentin der Kinderfürsorge lag ihr die Nachschulung der vielen unausgebildeten Klosterfrauen sehr am Herzen. Dabei forderte sie die Verantwortlichen innerhalb der verschiedenen Frauenorden auf, nicht jede Schwester für den Erziehungsberuf zuzulassen:
"So sehr die Arbeit am Kinde der weiblichen Eigenart entspricht, ist doch die Veranlagung dafür verschieden unter den Frauen verteilt, und die berufliche Erziehungsarbeit setzt eine mütterliche Begabung bei der Schwester voraus. Es sollte darum von den Mutterhäusern unter den Schwestern sorgfältig ausgewählt werden. Es kann gar keinen verantwortungsvolleren Beruf geben, der so sehr zugleich Seelsorgearbeit ist und somit der höchsten Aufgabe am nächsten kommt ... Auch die am Kleinkinde ist Seelsorgearbeit, ja diese erst recht, da sie die Lenkung der jungen Seele in ihrer frühesten Entfaltung in der Hand hat, die ersten Beziehungen des Kindes zum Schöpfer weckt und leitet. Die Verantwortung dafür trägt die Mutter und deren Stellvertreterin. Das ist kein mechanisches Hüten und Bewahren, sondern ernste Arbeit des Geistes und des Herzens" (Hegemann 1921, S. 7).
Neben ihrer beruflichen Tätigkeit engagierte sich Alexe Hegemann noch in vielen anderen Bereichen u.a.:
- 1916 übernahm sie den Vorsitz im neu gegründeten "Zentralverband katholischer Kleinkinderanstalten Deutschlands";
- 1918 beteiligte sie sich an der Gründung der Zeitschrift "Kinderheim", die noch heute unter dem Titel "Welt des Kindes" existiert;
- 1923 rief sie mit Marie Kiene und weiteren 15 Frauen die "Arbeitsgemeinschaft katholischer Jugendleiterinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen" ins Leben.
Für ihre sozialen Verdienste wurde Alexe Hegemann 1924 mit dem Päpstlichen Ehrenkreuz "Pro Ecclesia et Pontifice" ausgezeichnet. Sie starb im Alter von 48 Jahren am 2. Februar 1926 an den Folgen einer langjährigen Krankheit in Freiburg i.Br.
Literatur
Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
ders.: Alexe Hegemann - Ein Leben für die katholische Kinderfürsorgearbeit, in: Deutscher Caritasverband (Hrg.): caritas '95. Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg 1994
ders.: Alexe Hegemann (1877-1926): Für eine Reform der Bewahranstalt, in: Welt des Kindes 1997/H. 2
ders.: Hegemann, Alexandrine, in: Maier, H. (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998
Hegemann, A.: Kleinkinder - große Säle?, in: Kinderheim Jhg. 1919
dies.: Einführung, in: Zentralauschuß für Katholische Kinderfürsorge in Deutschland (Hrsg.): Lehrplan für Schwesternseminare, Freiburg 1921
Kiene, M.: Dem Andenken Alexe Hegemann, in: Jugendwohl Jhg. 1926
Schulenberg, K.: Alexe Hegemann. Festschrift zur Feier der Namengebung, Recklinghausen 1996