"Zeug zum Spielen" - Hilfreich für zukunftsnotwendiges Lernen?

Freya Pausewang

Unter "Zeug zum Spielen" wird Material verstanden, das nicht zum Spielen für das Kind hergestellt wurde, sich aber zum Spielen eignet und von Kindern dafür benutzt wird. Dazu gehören zum Beispiel Verpackungsmaterial wie Kartons, leere Rollen aus dem Baumarkt, Material aus dem Haushalt, alte Geräte zum Auseinandernehmen (wenn ein Kabel vorhanden ist, unbedingt vorher abschneiden!), gesammeltes Material aus der Natur, Abfallhölzer aus einer Schreinerei oder dem Baumarkt und tausend weitere Dinge. Manche Kindertagesstätten verwenden viel von diesem Material.

Es stellt sich die Frage, wie sich Kinder mit Zeug zum Spielen beschäftigen und worin der pädagogische Wert beim Spiel mit "Nicht-Spielzeug" zu sehen ist.

Wie verändert sich das Spiel der Kinder bei der Verwendung von Zeug zum Spielen?

Das Material, das als Zeug zum Spielen bezeichnet wird, wurde nicht von Erwachsenen zum Spielen vorgegeben. Kinder suchen es selbst. Sie machen sich unabhängig von Vorgaben, sie erfinden, improvisieren, entscheiden selbst. Hierin liegt eine Stärke des Kindes. Es braucht keine vorgespurten Loipen, es prägt Ich-Spuren.

Zeug zum Spielen macht ideenreicher. Das Kind wird entweder vom selbst entdeckten Material zu Spiel- und Gestaltungsideen angeregt oder es hat eine Spielidee und sucht sich dazu das Material, mit dem es die Idee umsetzen oder auch erweitern kann.

Durch Zeug zum Spielen wird das Kind dabei unterstützt, typische Merkmale von Situationen und Geschehnissen zu erfassen. Es genügt den Kindern grundsätzlich, Spielmaterial und Spielhandlungen symbolisch anzudeuten. Als Katze bewegt sich das Kind auf Händen und Füßen, ruft Miau und ist schmusebedürftig. Dafür benötigt es z.B. gar kein Material. Als Hund braucht es vielleicht lediglich irgendein Seil oder einen Gürtel als Hundeleine. Um den Besuch beim Arzt zu verarbeiten, verwendet es einen kleinen Stock oder einen länglichen Baustein als Spritze. Benötigt der "Schiffskapitän" ein Fernglas, weil ihm die Idee gekommen ist, eine Insel zu erforschen, wird er einen entsprechenden Gegenstand dafür finden. Wenn die Anregung umgekehrt verläuft, entdeckt das Kind z.B. beim Spaziergang einen herumliegenden Ast, versucht es, ob er sich ziehen lässt, und schon entwickelt es Ideen, was der Ast symbolisieren könnte: vielleicht eine Kehrmaschine oder den beliebten Hund an der Leine.

Die "gefundenen" Gegenstände führen weg vom Konsum und von der Abhängigkeit vom speziell vorbereiteten Material, ebenso vom Geld. Das Material regt an zu improvisieren, Ideen weiter zu entwickeln, Herausforderungen anzunehmen und neue Situationen zu meistern.

Inwiefern kann Zeug zum Spielen zukunftsnotwendiges Lernen unterstützen?

Die gravierenden Krisen, vor denen die Menschheit steht, werden ein verändertes Verhalten verlangen, insbesondere von der Bevölkerung in den Industrieländern. Vieles, was sich verändern muss, ist jetzt noch nicht zu erkennen. Mit Sicherheit muss aber der materielle Konsum reduziert werden. Erstens verlangt die zunehmende Ressourcenknappheit eine Produktschrumpfung. Zweitens lässt die kontinuierliche Treibhausgas-Erhöhung der Luft die Fortsetzung und Steigerung der augenblicklichen Produktionsmenge nicht zu, denn bei jeder Produktherstellung und bei dem Transport der Waren entstehen CO2 und andere klimaschädliche Emissionen. Materielles Wachstum hat eindeutig keine Zukunft, auch wenn zurzeit politisch und gesellschaftlich noch dafür gekämpft wird.

Zeug zum Spielen in der frühen Kindheit kann in mehrfacher Richtung hilfreich sein, um Kinder für eine Zukunft mit schrumpfender Wirtschaft zu stärken:

Material länger und vielfältiger verwenden

Ohne Zweifel werden in Zukunft Konsumgüter haltbarer, reparaturfreundlicher und vielfältiger nutzbar sein müssen. Gesellschaftlich gewinnt die gemeinsame Nutzung von nicht ständig benötigtem Material langsam Raum, etwa Car-Sharing oder die gemeinsame Anschaffung von selten gebrauchten Gartengeräten und Handwerkszeug unter Nachbarn.

Zeug zum Spielen regt das Kind an, Dinge zu nutzen, wofür sie ursprünglich nicht erschaffen worden waren. Das Kind wird auf vielfältigeren Gebrauch von Material, auf Wiederverwertung und wechselnde Benutzung eingestimmt: Es gebraucht, was vorhanden ist, und gibt das Material nach dem Spiel in seine ursprüngliche Funktion zurück, etwa Gegenstände aus dem Haushalt oder Handwerkszeug der Eltern. Das bedeutet zugleich, dass das entsprechende Material achtsam behandelt werden muss. Das Kind gebraucht für sein Spiel auch Dinge, die sowieso zum Recycling gekommen wären wie das Verpackungsmaterial, die Holzreste, den alten nicht mehr benutzten Fotoapparat zum Auseinandernehmen, oder Material aus der Natur wie Äste und Herbstlaub, das in den Naturkreislauf zurückgegeben wird.

Selbstbestimmter spielen und Folgen sowie Nebenwirkungen beachten

Oben habe ich beispielhaft aufgezählt, wie sich Spielverhalten durch Zeug zum Spielen verändern kann. Das Kind spielt selbstbestimmter, und zwar sowohl was die Wahl des Materials als auch die Spielplanung und den Spielablauf betrifft.

Lösungsstrategie und wachsame Umweltbeobachtung werden bei der Suche und dem Umgang mit dem Material unterstützt. Wenn ein Kind beim Spiel im Wald einen Baumstumpf als Herd benutzen will, wird es keine Schwierigkeiten haben, auch Gegenstände als Töpfe und Teller zu finden. Dabei muss es allerdings darauf achten, keine der unscheinbaren kleinen Tiere zu beschädigen. Zeug zum Spielen trägt vielfältig dazu bei, selbstbestimmt nach Problemlösungen zu suchen und dabei Folgen und Nebenwirkungen zu beachten.

Soziales Wohlgefühl erhöhen

Zurzeit ziehen die Menschen ihr Wohlgefühl zu einem großen Teil aus ihrem Konsum. Einkaufen und neuer Besitz machen glücklich. Um eine Wirtschaft ohne Wachstum zu verwirklichen, müssen andere Gründe für Glücklichsein gesucht werden und müssen zunehmen. In verschiedenen Disziplinen wird deshalb zurzeit danach geforscht, aus welchen nichtmateriellen Bereichen Menschen Wohlgefühl und Glücklichsein ableiten. Tim Jackson, Professor für nachhaltige Entwicklung am Zentrum für Umweltstrategien der Universität Surrey, erklärt in seinem schnell bekannt gewordenen Buch "Wohlstand ohne Wachstum - Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt", dass nachweislich in allen Kulturen das Eingebundensein in Gruppen und die Leistungen für die Gemeinschaft Wohlgefühl vermitteln. Das soziale Miteinander kann deshalb als ein wichtiger zukunftsnotwendiger Lernbereich für Kinder angesehen werden.

Zeug zum Spielen regt zum Zusammenspiel an: Erfinden und Ideen zu entwickeln wirkt auf Kinder geradezu ansteckend. Außerdem werden die Ideen in der Kleingruppe durch die gegenseitige Anregung gesteigert. Der Gruppenprozess vermittelt dabei meist Wohlgefühl und erhöht die Daseinsfreude.

Ein Kind, das einen solchen Gegenstand in den Kindergarten für die Gruppe mitbringt, leistet einen individuellen Beitrag für die Gemeinschaft. Es hat etwas zu geben. In einer Gruppe aktiv zu sein und einen Beitrag zu geben, vermittelt dem Gruppenmitglied ein soziales Wohlgefühl. Genau das ist es, was in unserer Gesellschaft zunehmen muss - Wohlgefühl, das nicht an materiellen Besitz gebunden ist -, damit die Menschen ihr Glücksgefühl über materiellen Konsum reduzieren können.

Leben die spielzeugfreien Monate wieder auf?

Anfang der 1990er Jahre begannen Kindergärten für einige Monate ihr Spielzeug in den Keller zu räumen. Erzieher/innen informierten vorher die Eltern und besprachen den Plan mit den Kindern. Gemeinsam wurde das Spielzeug weggeräumt. Die Erzieher/innen wollten die Kinder von der Spielzeugfülle auf Wesentliches zurückführen, die Spiel-Erfindung, die Fantasie und das Zusammenspiel anregen. Die Rechnung ging auf. Oft wurde berichtet, dass die Kinder nach einer kurzen Umstellungsphase ideenreicher und deutlicher in Gruppen spielten. Soziale Spielformen nahmen zu. Die Kinder fühlten sich mit dem reduzierten Spielmaterial durchaus wohl.

Trotzdem haben diese Erprobungen sich nicht sehr verbreiten können und sind nach wenigen Jahren wieder verschwunden. Natürlich ist es für die Erzieher/innen ein Zeitaufwand, alles Material in einen Abstellraum zu bringen und nach vielleicht drei Monaten wieder zu holen und einzuräumen. Möglicherweise verlor dieses Experiment nach wenigen Jahren deshalb seinen Reiz. Es können aber auch die neuen Bildungspläne der Bundesländer mit stärkerer Betonung auf kognitivem Lernen dazu beigetragen haben, dass die Erzieher/innen sich auf anderes konzentrieren mussten. Jetzt kann man im Internet wieder erste Berichte über solche spielzeugfreien Phasen finden. Das ist gut so, denn sie tragen dazu bei, den Kindern und bei den Eltern den materiellen Besitz ein wenig in Frage zu stellen und eine Reduzierung als weniger angstvoll zu sehen.

Was begeistert Kinder in den (fast) spielzeugfreien Waldkindergärten?

Waldkindergärten, die in den letzten beiden Jahrzehnten zugenommen haben, kommen mit einer sehr geringen Menge von gekauftem Spielmaterial aus. Die Kinder haben genügend Ideen, mit dem Material und den Anregungen, die sie im Wald finden, zu spielen - angefangen von Büschen, Bäumen und hügeligen Ebenen bis zu Bächen, Steinen, Stöcken, Erde und Schlamm. Neben Lupen, evtl. Büchern, Seilen und Bällen wird wenig an Spielmaterial mitgenommen. Die Waldkinder kommen später mit den Leistungsanforderungen in der Schule genauso gut zurecht wie die anderen Kinder. Die Bewegung im Freien ist für die Kinder sehr reizvoll und ebenso die zu entdeckende Natur, so dass sie voll ausgefüllt sind. Langeweile kennen die Waldkinder nicht. Gekauftes Material benutzen die Kinder am Nachmittag in der Einrichtung oder in ihren Familien.

Wie können Eltern davon überzeugt werden, Kindern kein privates Spielzeug in die Einrichtung mitzugeben?

Für viele Kindergärten ist es lästig und führt zu Problemen, wenn Kinder aus ihrer Familie Spielmaterial mitbringen. Die meisten Kindergärten bitten deshalb die Eltern, den Kindern kein Spielzeug mitzugeben oder höchstens nur an einem dafür vorgesehenen Wochentag. Die Begründung, dass das Team dann auf das private Spielzeug aufpassen muss, ist ein organisatorischer Grund, der durchaus berechtigt ist, aber das ist keineswegs der einzige Anlass: Durch das mitgebrachte Spielzeug entsteht unnötige Konkurrenz unter den Kindern und ein Motiv zum Angeben. Kinder benutzen das Material, um damit Freunde zum Spielen anzuwerben und zugleich "Bestimmer" des Spielablaufs zu sein. Ihr Beitrag in die Spielgruppe erwächst nicht vorrangig aus ihrem Verhalten, sondern aus ihrem Besitz. Das ist kein guter Lernweg für eine Zukunft, die sich um Wachstumsschrumpfung bemühen muss. Das ist auch keine gute Richtung für die individuelle Entwicklung der Kinder. Sie suchen Anerkennung aufgrund des Besitzes und nicht aufgrund ihres Verhaltens.

Richard Wilkinson und Cate Pickett weisen in ihrem Buch "Gleichheit ist Glück - Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind" nach, dass die Menschen bei Befragungen in Gesellschaften, die eine stärkere finanzielle Gleichheit aufweisen, ein durchschnittlich höheres Wohlgefühl angeben als die Menschen in Gesellschaften mit einem breiten Unterschied zwischen Reich und Arm. Mitgebrachtes Spielzeug macht in der Kindergartengruppe den Besitz deutlich und erhöht für die Kinder den materiellen Unterschied.

Das Wohlgefühl, das ein Kind verspürt, wenn es sein familiäres Spielzeug mitbringt, ist auch nur kurzfristig. Wohlgefühl, das aus dem Verhalten entspringt, ist nachhaltiger. Kinder mit geringerem Besitz fühlen sich schlechter und minderwertig. Vielleicht reagieren sie mit gezeigter Enttäuschung, mit Zorn oder Provokation. Die Beziehungen in der Gruppe werden beeinträchtigt. Das im Mittelpunkt stehende Kind strengt sich nicht an, über sein Verhalten Anerkennung in der Gruppe zu finden. Es verlässt sich auf die Wirkung seines Materials. Mitgebrachtes Spielzeug hat deshalb letztlich nicht einen verbindenden, sondern einen trennenden und konkurrierenden Einfluss auf das Gruppenleben.

Leider ist es schwierig, Eltern davon zu überzeugen, den Kindern kein privates Spielzeug mitzugeben. Eltern spüren die Enttäuschung ihrer Kinder und wollen ihnen die Freude gönnen, ihr Material in der Gruppe vorzustellen und damit zu glänzen. Ihre Aufforderung, auch andere Kinder mit dem Spielzeug spielen zu lassen, ändert die Gewichtung des Habens weder bei dem eigenen Kind noch in der Gruppe.

Anders ist es, wenn das Kind Zeug zum Spielen mitbringt. Das Material hat einen anderen Wert; in der Regel ist es ein Beitrag für die Gemeinschaft und hat dadurch einen sozialen Aspekt und eine Hinwendung zum Wir.

Zeug zum Spielen - Nur ein Tropfen auf einen heißen Stein?

Vielleicht wird sich das Kind später nur dann an sein Spiel mit Material, das nicht zum Spielen bestimmt war, erinnern, wenn es in sein (nicht weggeworfenes) Portfolio aus der Kindergartenzeit schaut. Aber die Bereitschaft und die Lust, Dinge vielseitig zu nutzen und nicht immer Vorgaben von oben zu erwarten, wird vielleicht wach geblieben sein. Möglicherweise hat der Jugendliche auch eine Grundhaltung entwickelt, mit der er nicht als erste Lösung für ein Problem an Kauf denkt. Sicherlich ist das nur ein Tropfen auf einen heißen Stein für die gesellschaftliche Gestaltung und Bewältigung der Zukunft. Aber Wasser besteht aus Tropfen. Und steter Tropfen hat durchaus seine Bedeutung.

Anmerkung

Eine bewusst auf die Zukunft ausgerichtete Erziehung in der frühen Kindheit wird breiter behandelt in dem Buch: Freya Pausewang: Macht mich stark für meine Zukunft - Wie Eltern und Erzieherinnen die Kinder in der frühen Kindheit stärken können. München: Oekom-Verlag 2012.

Literatur

Jackson, Tim: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. München: oekom, 2. Aufl. 2011

Pausewang, Freya/Strack-Rathke, Dorothea: Ins Leben begleiten - Bildung und Erziehung in der sozialpädagogischen Praxis. Berlin, Düsseldorf, Mannheim: Cornelsen Scriptor Verlag 2009

Uexküll, Jakob von: "Das sind wir unseren Kindern schuldig". Hamburg: EVA/Europäische Verlagsanstalt 2007

Wilkenson, Richard/Pickett, Cate: Gleichheit ist Glück - Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Hamburg: Tolkemitt Verlag bei Zweitausendeins 2010

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