Spielpädagogik – das freie Spiel und seine Bedeutung für die Entwicklung des Kindes von 0-6 Jahren – Teil 1


Beatrice Lochner

 

Dieser Beitrag ist Teil der Artikelserie „Spielpädagogik – das freie Spiel und seine Bedeutung für die Entwicklung des Kindes von 0-6 Jahren“, deren Ziel die Exploration und Darstellung der Mehrdimensionalität, des kindlichen Spieles, des Spiels und dem Spielen ist.

 

Einleitung

Es ging spielend… Spielstraße… Brot und Spiele… spielend leicht… verspielt sein… Kinderspiele... Gedankenspiele… Fußball-, Handball- und Basketballspiel… Spielraum haben… einen Raum zum Spielen haben… mit dem Feuer spielen… es hat sich ausgespielt… sich verspielt haben…

„Spiel ist die höchste Form der Forschung“ Albert Einstein (1879-1955)

„Die spielen ja nur“ – ein, je nachdem wie er ausgesprochen wird, oft gehörter Satz von unwissenden Erwachsenen, denen wohl ihre eigenen Spielerinnerungen und das was sie (hoffentlich) positiv damit verbinden, abhandengekommen sind. Kinder wollen, müssen, sollen lernen, keine Frage – je früher, desto besser – aber die imaginäre Angst vor plötzlich unwiederbringlich geschlossenen Entwicklungsfenstern, die Sorge, ihnen zu wenig für „später“ mitzugeben, der Missbrauch des Spiels zu Zwecken des von Erwachsenen gesteuerten und betriebenen Lernens treibt manchmal seltsame Blüten in Richtung frühe Bildung.

Im Folgenden geht es deshalb darum, die Bandbreite dessen aufzuzeigen, was SPIELEN – das SPIEL für Kinder von Geburt an bedeutet. Und welchen zentralen Faktor es für die Entwicklung eines Kindes einnimmt. Alles in allem ein Plädoyer für das freie Spielen!

Um sich der Mehrdimensionalität des kindlichen Spieles, des Spiels, dem Spielen anzunähern, sind deshalb viele Facetten zu betrachten. Ein kurzer Ausflug in die Geschichte macht den Anfang und zeigt uns, gespielt wurde schon immer und überall. Der Versuch, Begrifflichkeiten rund um das Spiel zu klären, liefert uns eine Basis für weitere Betrachtungen. Die daraus abgeleiteten Merkmale des Spiels dienen ebenso dazu. Ein kurzer Ausblick auf rechtliche Aspekte bzw. Bildungspläne zeigt die Verankerung des Spiels in der Gesellschaft bzw. der Bildungslandschaft in Deutschland. Ein Einblick in die Entwicklungspsychologie Grundlagen, um den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Spiel zu verstehen und die damit verbundenen verschiedenen Spielformen in ihrer Bedeutung für das Kind zu erkennen. Welche Bedingungen das freie Spiel benötigt, um sich tatsächlich frei zu entfalten und die Entwicklung des Kindes maßgeblich zu unterstützen, ist Gegenstand eines weiteren Abschnittes. Die wichtige Frage nach der eigenen Haltung und welche Aufgaben die pädagogische Fachkraft in der Begleitung des Spieles der Kinder übernimmt, damit dies gelingt, wird im Nachfolgenden betrachtet. Im letzten Teil geht es um pragmatische Dinge wie Spielmittel, Spielmaterialien und eine sinnvolle Spielraumgestaltung.

Aus Gründen der Lesbarkeit werden alle, die sich im beruflichen Kontext mit Kindern beschäftigen, in diesem Text als Pädagog*innen angesprochen. Angesprochen fühlen sind aber selbstverständlich auch alle diejenigen, die im familiären/ privaten Umfeld mit (den eigenen) Kindern spielend, spielend und lernend – spielerisch – unterwegs sind.

1. Geschichte des Spiel – Betrachtungen zum Spiel in verschiedenen Epochen

1.1. Spielpädagogik im Wandel der Zeit

Platon, die alten Römer, Pieter Bruegel der Ältere, Johann Friedrich von Schiller, Maria Montessori, Ulrich Baer, Gerald Hüther, Ulrich Heimlich (und viele andere mehr) – sie alle haben sich in ganz unterschiedlichen Intentionen und Betrachtungen dem Thema Spiel gewidmet. Fazit ist, gespielt wurde schon immer, unabhängig von geschichtlichen Epochen, Kulturen oder Welt- und Menschenbildern, die in der jeweiligen Zeit vorherrschten.

Spiel ist somit Kultur- und Bildungsgut – und ein Erbe, das von Generation zu Generation weitergetragen wird, sich verändert, sich anpasst und in seinen Formen und Merkmalen doch beständig bleibt. Die geschichtliche Dimension im Folgenden unterstreicht und belegt dies, und der erst in den 70er Jahren geprägte Begriff der Spielpädagogik findet hier seinen Ursprung. Eingegangen wird in den jeweiligen Betrachtungen „nur“ auf die Postulate bezüglich des Spieles innerhalb der Erziehungs- und Bildungsvorstellungen, ohne auf die jeweiligen pädagogischen Ansätze vertiefend einzugehen.

Schon im antiken Griechenland durchziehen Spiele das gesamte Alltagsleben, und bereits Platon (427-347 v. Chr.) setzt sich mit der Bedeutung des Spiels auseinander und bezeichnet „das Spiel der Kinder als Entwicklungsnotwendigkeit auf die Erziehung Rücksicht nehmen sollte“ (Platon zit. n. Heimlich, S. 95). Platon glaubte an einen Zusammenhang zwischen Spiel und dem Hineinwachsen in das Gemeinwesen, da Kinder im Spiel Regeln, Normen und die Gesetze der Gesellschaft, quasi automatisch, verinnerlichen (vgl. Renner 2008, S. 15) und somit das Spiel zum Funktionieren der Gesellschaft beiträgt.

Im antiken Rom zeigen Funde von Spielmitteln oder bzw. Darstellungen auf Vasen oder Sarkophargreliefs das auch die römischen Kinder bereits gespielt haben. Zu sehen sind Puppen, Wägelchen, Steckenpferde, Ball- und Nüssespiele, Wett- und Rollenspiele. Ein nahtloser Übergang in den Unterricht, v.a. dem Sportunterricht ist Beleg dafür, dass das an sich freie Spiel der Kinder, auch zu dieser Zeit schon pädagogischen Zwecken unterstellt war.

Im Mittelalter war das Spielen der Kinder, ähnlich denen der Erwachsenen (z.B. Ritterspiele, Brettspiele) zunächst den höheren Ständen (Adel) vorbehalten, und ein generelles Spielverbot sollte eine Unproduktivität der unteren Schichten (Händler, Handwerker, Bauern) verhindern – was de facto wohl nicht gelang. Das berühmte Kinderspielebild von Pieter Bruegel (Internetverweis), aus dem Jahr 1560 stellt eindrucksvoll über 70 Straßenspiele dar, (Bewegungs-, Geschicklichkeits-, Gruppen- und Rollenspiele aller Art), zeigt und beweist, die Motivation sowie das Bedürfnis der Kinder sich ihre eigene Spielwelt zu gestalten und zu leben (vgl. Heimlich 2015, S. 100). Und dies, obwohl aufgrund der Gesellschaftsordnungen, ihre zeitlich und körperlich sehr intensive Mitarbeit zur Erhaltung der Familie, absolut notwendig war.

Zeitgleich entstehen im 15./16. Jahrhundert die ersten Spielzeugproduktionen, die dann im 17. Jahrhundert beispielsweise in Nürnberg immer mehr an Bedeutung gewannen. (Fritsch/Bachmann vgl. n. Heimlich 2015, S. 100).

Im folgenden Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert entwickelt sich mit dem Aufstreben des Bürgertums mehr und mehr ein Bewusstsein für Kindheit. Jean Jaques Rousseau erregt mit seinem Erziehungsroman „Emil“ die Gemüter, in dem er auf die Selbstentwicklung des Kindes verweist, und die „natürliche“ Erziehung in den Vordergrund stellt. Das Spiel, das Spielen soll, von Erwachsenen unbeeinflusst sein, damit „er [Emil] die Welt und das Leben unvoreingenommen erfassen könne“ (Rousseau zit. nach Renner 1995, S. 12). Sein Vorwurf an die Pädagog*innen ist eindeutig: sie missbrauchen das Spiel, um den Kindern die Arbeit zu versüßen… (vgl. Rousseau, zit. nach Renner, S. 12).

Im 19. Jahrhundert ist Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852), der, der angeregt von Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) beginnt, ein erstes spielpädagogisches Konzept zu entwickeln. Spiel ist für ihn „anthropologisch definiert als spezifischer Zugang zur Welt.“ (Fröbel, zit. nach Heimlich 2015, S. 108). Mit der Gründung des Kindergartens 1840 geht eine Professionalisierung der Ausbildung der Kindergärtnerinnen einher, seine Spielgaben (Ball, Würfel, Kegel, Quader) und Spielmittel (u.a. Legetafeln, Holzstäbchen, Naturmaterialien) werden zum festen Bestandteil des Kindergartens – neben dem Garten für die Kinder selbst. Bei allen Prinzipien seiner Spielpädagogik ist ihm dabei eines wichtig: Im Vordergrund steht, trotz der für ihn wichtigen und maßgeblichen Begleitung des Spieles durch die Pädagog*innen, die Förderung der eigenen Vorstellungen, das Handeln aus eigenem Antrieb und das selbstständige Tun (vgl. Heimlich 2015, S. 112f.).

Angekommen im 20. Jahrhundert entwickelt Maria Montessori (1870-1952) ein weiteres pädagogisches Konzept, in dem die Selbsttätigkeit des Kindes in der spielerischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Materialien im Mittelpunkt steht. Spiel ist bei ihr durchaus mit einem Zweck verbunden, – aber der Zweck ergibt sich aus dem Spiel selbst. Die Übungen mit den Materialien, die „Übungen des täglichen Lebens“ gehen in das freie Spiel der Kinder über, und die oftmals geäußerte Kritik, dies sei von Montessori so nicht vorgesehen ist nicht haltbar (vgl. Heimlich 2015, S. 119). Spiel ist für Montessori, wie auch bei Fröbel, die Arbeit des Kindes. Immer verbunden mit Bewegung, sei es dem ganzen Körper oder den Händen. Pädagogen/ Pädagoginnen haben die Aufgabe, die Umgebung zu gestalten, die Kinder zunächst zu begleiten, anzuleiten, um ihnen dann einen größtmöglichen Freiraum zu lassen, selbsttätig zu agieren.

Und auch wenn das freie Spiel nicht explizit im Mittelpunkt ihrer Pädagogik steht, ist es das Prinzip der Selbsttätigkeit, das freie Entscheiden des Kindes, sich mit Dingen (des alltäglichen Lebens) zu beschäftigen, sowie die Systematik der Materialien, die ein selbstständiges, eigenverantwortliches Spielen und Lernen erlaubt, ein wichtiger Meilenstein in der Spielpädagogik.

Rudolf Steiner (1861-1925) geht bezüglich der Materialien einen anderen Weg. Er lehnt vorgefertigtes und konstruiertes Spielzeug kategorisch ab. Seine Wahl sind Naturmaterialien beziehungsweise Spielmaterialien aus Holz, Filz, Stoff und Ähnlichem, oder Materialien, die im täglichen Leben buchstäblich gebraucht werden. Sie sollen das Kind zum freien Spiel motivieren, die Fantasie anregen, das Miteinander ermöglichen und ihm die Möglichkeit geben, sich dadurch mit dem Leben auseinanderzusetzen (vgl. Heimlich 2015, S. 124f.). Pädagogisch Tätige haben die Aufgabe durch ihre Vorbildwirkung die Kinder zum Nachahmen anzuregen, sie in ihrem Spiel zu begleiten, ohne sich jedoch in das Spiel selbst einzumischen.

Emmi Pikler (1902-1984), beschäftigte sich explizit mit der Entwicklung der 0-3jährigen, und ging in der institutionellen Krippenbetreuung neue Wege. Ihre achtsame Haltung den Kindern gegenüber drückt sie in den ihr drei wichtigsten Themen zwischen Kindern und Erwachsenen aus: die beziehungsvolle Pflege des Säuglings und Kleinkindes, die autonome Bewegungsentwicklung, und das freie Spiel in einer vorbereiteten Umgebung (vgl. Ostermeyer 2016, S. 11). Für Pikler ist das Spiel des Kindes die Möglichkeit des Kindes, sich die Welt anzueignen, und ihre damit verbundenen Forderungen an die Bezugspersonen, an Raumgestaltung und Materialien des Kindes haben bis heute Gültigkeit.

In den düsteren Jahren des Nationalsozialismus wurde teilweise versucht, das Spiel der Kinder ihren Drang zu spielen, nationalsozialistischen Zwecken unterzuordnen. Kriegsspielzeug in Kindergärten waren keine Seltenheit, und die Freizeit der Kinder ab 10 Jahren war häufig durch die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädels (BDM) geprägt. Ihr Spiel, ihr Spielen sollte bewusst steuer- und kontrollierbar und manipulierbar (vgl. Heimlich 2015, S. 128f.) werden. In der Praxis sicher auch teilweise umgesetzt, wurde dennoch auch in dieser Zeit zweckfrei, fantasievoll und mit Hingabe gespielt, blieb das Spiel ein Spiel. Und war, vor allem auch im bittersten Teil der deutschen Geschichte, in den Ghettos und Konzentrationslagern, eine Möglichkeit der Kinder ihren bedrückenden Alltag zu bewältigen (vgl. Heimlich 2015, S. 131).

In der Spielpädagogik der Moderne hat sich der Blick auf das Spiel des Kindes weiterentwickelt. Das sogenannte freie Spiel des Kindes rückt mehr und mehr in den Fokus von Entwicklungspsychologie und Pädagogik und wird systematisch erforscht.

Entwicklungspsychologen wie Hildegard Hetzer, Charlotte und Karl Bühler gehen in ihren grundlegenden Annahmen von einem individuellen Reifungsprozess des Kindes aus, der von inneren und äußeren Faktoren beeinflusst wird. Die Auseinandersetzung mit bedeutenden Entwicklungsaufgaben – unter anderem im Spiel – ist entscheidet für das Erreichen der nächsten Stufe. Neurobiologen wie Gerald Hüther und Christoph Quarch untersuchen und beschreiben in ihrer Neurobiologie des Spielens die Bedeutung des Spiels für die Menschheit – und postulieren daraus die Notwendigkeit des Spiels für den Menschen. (vgl. Hüther, Quarch 2016).

In der Zeit nach 1945 entwickelte sich die Betrachtung des Spieles in Deutschland die Auseinandersetzung mit dem kindlichen Spiel zunächst in unterschiedliche Richtungen. Der Betrachtung des freien Spiels wird zwar mehr an Bedeutung beigemessen, aber in der sich daraus ableitenden Begleitung der Erwachsenen legen die beiden deutschen Staaten unterschiedliche Schwerpunkte.

So stellen die führende Spielpädagoginnen der Deutschen Demokratischen Republik, Netti Christensen und Irmgard Launer, in ihrer Betrachtung des Spiels vor allem das Nachahmen der sozialen Wirklichkeit in den Vordergrund. Kinder spielen vor allem Erfahrungen, Eindrücke und Gegebenheiten aus ihrer Umgebung nach, indem sie Personen und Gegenstände in ihr Spiel einbeziehen, sehen Erwachsene als Vorbild und versuchen diese vor allem zu imitieren. Demzufolge haben Pädagog*innen einen klaren Auftrag, – das Spiel der Kinder durch entsprechende Lenkung zu gestalten (vgl. Christensen/ Launer in Heimlich 2015, S. 134).

In der Bundesrepublik Deutschland wird die Debatte um die Spielpädagogik und die Bedeutung des Spiels unter anderem von Andreas Flitner, Michael Renner, Ulrich Heimlich und Hans Mogel geführt. Allen gemeinsam ist die Forderung nach Raum und Zeit für das Spielen, das freie Spielen allein und mit anderen, mit geeignetem Material, an geeigneten Orten und Räumen. Die Rolle der Pädagog*innen knüpft sich hier an die Forderung, sich im Hintergrund zuhalten und nur dann regulierend einzugreifen, wenn im Spielprozess Hilfestellung benötigt wird.

Pädagog*innen sind grenzüberschreitend im Austausch, und nicht erst seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1989, werden in reger Debatte unterschiedliche Sichtweisen aufgearbeitet (vgl. Heimlich 2015, S. 136) neue Konzepte entwickelt und diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass heute das freie Spiel in nahezu allen Bildungsplänen der Länder (siehe nächster Punkt) in den verschiedenen Institutionen der Kindheit (Krippe, Kindergarten, Kindertagesstätte, Hort) mehr oder weniger deutlich verankert ist. Der Streifzug durch die Geschichte hilft, die Bedeutung des Spiels und der Spielpädagogik heute in seiner Mehrdimensionalität zu verstehen.

Dennoch ist der Blick auf das Spiel des Kindes stets mit dem Wandel der Zeit und den gesellschaftlichen Veränderungen eng verknüpft. Umso wichtiger ist es, das kindliche Spiel als Grundlage einer positiven Entwicklung zu sehen und als Pädagoge/ Pädagogin entsprechend zu handeln. Kinder haben ein Recht auf Spiel! Mehr dazu im nächsten Abschnitt.

2. Das Spiel des Kindes aus rechtlicher Sicht und in Bildungsplänen der Länder

In Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention steht:

”Kinder haben das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben“.

Auch wenn der Begriff des kindlichen Spiels hier nicht exakt eingegrenzt oder definiert ist, wird aus dem Gesamtzusammenhang ersichtlich, dass dieses zu schützende Grundrecht sicher nicht mit spielerischem Lernen via Lernspielen oder spielerischem Arbeiten mit Lernmaterialien oder Arbeit an sich gleichzusetzen ist. Alle unterzeichnenden Staaten verpflichten sich zu diesem gedachten Wert und Schutz für Kinder, – doch die Realität (Stichwort Kinderarbeit, die Betonung von frühem, leistungsorientiertem, fremdbestimmtem, reglementiertem Lernen in den verschiedenen Kulturkreisen) sieht leider nicht immer rosig aus.

Auf Bundesebene wird im gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen einerseits der enge Bezug zwischen Spielen und Lernen ausgedrückt, andererseits zwischen „moderierten Lernarrangements und Freispielphasen“ unterschieden (JMK & KMK 2004, S. 6). Fast alle Bildungspläne der Länder in Deutschland geben Auskunft über die Bedeutung des Spiels in der Bildung. Einige stellen mehr den Fokus Spielen und Lernen in den Vordergrund, andere betonen den Wert des Spiels an sich. Weltzien (2013, S. 21) zitiert aus verschiedenen Bildungsplänen wie folgt: Die Kinder „verbinden immer einen Sinn mit ihrem Spiel und seinen Inhalten. Für die Spielenden ist die Handlung wesentlich und nicht das Ergebnis.“

Im Berliner Bildungsprogramm steht:

„Das Spiel ist in besonders ausgeprägter Weise ein selbst-bestimmtes Lernen mit allen Sinnen, starker emotionaler Beteiligung, geistigem und körperlichem Krafteinsatz…“.

In den Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz wird für die Altersgruppe der 0-6-jährigen das:

„Spiel als wichtigste Lernform der Kindertagesstätte“ beschrieben, mit dem expliziten Verweis: „Es umfasst Tätigkeiten, die als Arbeit bezeichnet werden können, die jedoch im Erleben des Kindes zweckfrei und lustbetont sind“ (zit. nach Franz 2018, S. 85).

In Thüringen beschreibt der Bildungsplan der Kinder bis 10 Jahre, unter dem Begriff Bildungskulturen:

„Kinder spielen, weil sie sich entwickeln, und sie entwickeln sich, weil sie spielen. Die Spielfähigkeit des Kindes folgt einer Entwicklungslogik, der die soziale und kulturelle Umwelt gerecht werden muss. … Die Spielzeit ist dabei ein offener Gestaltungsprozess, in dem das Kind Beziehungen zu Spielsachen, Spielpartnern, Spielthemen und zu sich selbst herstellt.“ (Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2010)

Der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan (BEP) hält fest: „Das Spiel ist die elementare Form des Lernens. Und ist Auslöser und integraler Bestandteil geplanter und moderierter Lernaktivitäten mit Kindern“ (Bayer. Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Staatsinstitut für Frühpädagogik München 2006, S. 30). Hier wird eine eher enge Verknüpfung von Spielen und Lernen betont, ohne näher auf das selbstbestimmte Spiel des Kindes einzugehen.

Die Handreichung zum BEP spricht vom Spiel „als die vorherrschende Aktivität und Möglichkeit (…), sich mit der Welt auseinander zu setzen“ (Bayer. Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Staatsinstitut für Frühpädagogik München 2017, S. 133). Konkret auf das freie Spielen bezogen wird hier, aus einer anderen Warte gesehen, die Ausführungsverordnung zum Bayerischen Kinder- Bildung- und Betreuungsgesetz (BayKiBig): „Das pädagogische Personal hat die Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Kinder die Bildungs- und Erziehungsziele vor allem durch begleitete Bildungsaktivitäten erreichen. Hierzu gehören insbesondere das freie Spiel in Alltagssituationen, bei dem die Kinder im Blick des pädagogischen Personals bleiben…“ (AVBayKiBiG, § 14, 2005).

Auch wenn der Begriff des Spiels nicht immer gleichlautend verwendet wird und sich die Länder damit ihre Gestaltungshoheit ihrer Bildung, Betreuung und Erziehung offen halten wird dennoch deutlich, das Spiel des Kindes ist ein wesentlicher Bestandteil der Pädagogik im 21. Jahrhundert. Eine Annäherung an den Begriff des Spieles selbst, eine Ein- und Abgrenzung der Begrifflichkeiten, ist vor dem Hintergrund der auch in den Bildungsplänen deutlich werdenden Diversität deshalb notwendig und hilfreich.

Literaturangaben

Aktion Jugendschutz (Hrsg.), Schubert, Elke, Strätz Rainer, Spielzeugfreier Kindergarten, München, 13. Aufl. 2019

Bensel, Joachim, Haug-Schnabel, Gabriele (Hrsg.), kindergarten heute, wissen kompakt, Vom Säugling zum Schulkind, Freiburg, 2019

Bodenburg, Inga, „Diese Welt will entdeckt werden“, in: Kleinstkinder, Themenheft Räume anregend gestalten, Freiburg, 2013

Flitner, Andreas, Spielen-Lernen, 10. überarb. Auflage, München, 1996

Heimlich Ulrich, Einführung in die Spielpädagogik, 3. aktualis. und erw. Auflage, Bad Heilbrunn, 2015

Hauser, Bernhard, Spielen: Frühes Lernen in Familie, Krippe und Kindergarten, Stuttgart, 2013

Hüther, Gerald, Christoph Quarch, Rettet das Spiel, München, 2016

Jugendministerkonferenz und Kultusministerkonferenz (JMK & KMK), Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen, https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_03-Fruehe-Bildung-Kindertageseinrichtungen.pdf, (letzter Zugriff 11.08.19)

Knauf, Tassilo, Reggio-Pädagogik: kind- und bildungsorientiert, 2005. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogische-ansaetze/moderne-paedagogische-ansaetze/1138, (letzter Zugriff 07.10.19)

Korte, Martin, Wie Kinder heute lernen, 2. Aufl., München, 2010

Laewen, Hans-Jörg, Die Grenzsteine der Entwicklung, S. 31-60, verfügbar unter https://mbjs.brandenburg.de/media/5lbm1.c.107479.de (letzter Zugriff 12.01.2022)

Largo, Remo, H., Babyjahre, Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Lebensjahren, München, 2011

Mogel, Hans, Psychologie des Kinderspiels, 3. erw. Aufl., Heidelberg, 2008

Ostermayer, Edith, Pikler, 2. überarb. Aufl., Berlin, 2016

Piaget, Jean, Das Erwachen der Intelligenz beim Kind, Stuttgart, 1975

Pikler, Emmi, Friedliche Babys – zufriedene Mütter, Freiburg, 1982

Renner, Michael, Spieltheorie und Spielpraxis, 3. neu bearb. Auflage, Freiburg im Breisgau, 2008

Renner, Michael, Spieltheorie und Spielpraxis, Freiburg im Breisgau, 1995

Weltzien, Dörthe (Hrsg.), kindergarten heute, wissen kompakt, Das Spiel des Kindes, Freiburg, 2013

Zimmer, Renate, Handbuch der Bewegungserziehung, Grundlagen für Ausbildung und pädagogische Praxis, Freiburg, Basel, Wien, 2013

Bildungspläne und Gesetzestexte

Bayer. Staatsinstitut für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Staatsinstitut für Frühpädagogik München (Hrsg.), Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren, 2. aktualis. Aufl., Weimar, 2017

Bayer. Staatsinstitut für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Staatsinstitut für Frühpädagogik München (Hrsg.), Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung, 2. aktualis. Aufl., Weinheim, 2006, S. 133

Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Thüringer Bildungsplan für die Kinder bis 10 Jahre, Weimar, Berlin, 2010

Verordnung zur Ausführung des Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes (AVBayKiBiG), München, 05. Dezember, 2005

Weiterführende Literatur

Czikszentmihalyi, Mihaly, Das Flow-Erlebnis, Stuttgart, 1985

Angaben zur Autorin

Beatrice Lochner, Jahrgang 1962, Erzieherin, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Psychomotorikerin, arbeitet seit 1994 als Dozentin an der Städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik München Giesing, und gibt darüber hinaus Psychomotorikstunden im Kindergarten und Verein, sowie Kinderkletterkurse.

Anzeige: Frühpädagogik bei Herder