Barbara Perras
"Nur im freien Spiel entfaltet sich menschliche Intelligenz." Diese Überschrift des zweiten Kapitels des Buches "Naturnahe Spiel und Erlebnisräume" von Elisabeth C. Gründler und Norbert Schäfer wird in vielen Eltern und Erzieher/innen sofort Widerspruch erzeugen oder zumindest Zweifel wecken. Für sie sind "Anleiten" und "Beibringen" wichtige Bestandteile der täglichen Erziehungspraxis. Das haben sie so gelernt: von ihren Eltern, in der Schule, während der Ausbildung...
Selbst gesteuerte Lernprozesse werden durch diese Haltung gestört oder verhindert, denn Kinder spielen nur, wenn man sie lässt. "Sie sind zu Anstrengungen und Höchstleistungen bereit, wenn sie sich die Aufgabe selbst gestellt haben." Und: "Sie schaffen sich diese Herausforderungen selbst und sind dann mit ganzem Herzen bei der Sache" (Gründler/ Schäfer 2000, S. 28 f.).
"Eltern und Erzieher müssen es aushalten können, dass Kinder frei spielen" (a.a.O., S. 29). Sie sollten die Umgebung so vorbereiten, dass sich alle Kinder optimal entwickeln können und dabei jedoch Gefahrensituationen vermeiden. Sie müssen den Kindern Sicherheit geben, Vertrauen in ihr Können setzen und an deren Kompetenz glauben. Erwachsene stehen lediglich als Spielpartner und Helfer zur Verfügung, wenn sie wirklich gebraucht werden. Sie kennen den kindlichen Entwicklungsplan und führen detaillierte Beobachtungen durch. Und nicht zuletzt ermöglicht die Freispielzeit den Erzieher/innen, ihre Zeit und Aufmerksamkeit den einzelnen Kindern anzubieten, welche sie dringend brauchen. Dieses "Nichts-Tun" der Erzieher/innen während des Freispiels ist wesentlich anstrengender als viele meinen - und auch schwieriger als Kinder im herkömmlichen Sinn zu beschäftigen.
Fehler sind Lernchancen. Misserfolge werden nicht bestraft. Kinder probieren immer wieder und können ihre Ziele auch über mehrere Tage verfolgen. Ihnen als "Besserwisser" sofort eine Lösung vorzugeben zerstört ihre Neugier, ihre Leistungsmotivation und ihr Selbstvertrauen.
Mühseliges Probieren und Wiederholen sind keine Zeitverschwendung. Kinder wollen ihre eigenen Lösungen finden. Diese Erkenntnisse sind leichter auf andere Situationen übertragbar, weil die Lernerfahrungen breiter gefächert sind. Bewegungserfahrungen sind bereits gefestigt und biologisch myelinisiert (d.h. die Nervenbahnen werden bei häufiger Wiederholung der Bewegung mit einer Eiweißschicht ummantelt und gleich einem Elektrokabel isoliert, so dass grundsätzliche Bewegungen automatisiert ablaufen können), und die Neuronenbahnen im Gehirn sind vielfältig miteinander verknüpft, so dass sie statt einer überlasteten "Autobahn" auf verschiedenste "Nebenstrecken" ausweichen können. Damit steht den Kindern einerseits eine gefestigte Basis für Bewegung und Denken zur Verfügung, andererseits können sie mit Mut, Phantasie und Kreativität neue Verhaltensweisen ausprobieren und gewonnene Erkenntnisse in veränderten Situationen einsetzen.
Kinder brauchen für freies Spiel eine Atmosphäre aus Zeit, Muße, Gelassenheit und Ruhe. Letzteres ist in den Räumen des Kindergartens und bei großen Gruppenstärken nicht immer möglich. Statt jedoch in Stresssituationen wieder auf alte, gelernte Lehrmethoden zurückzugreifen, müssen wir versuchen, neue, andere Spiel-, Frei- und Lernräume mit den Kindern und für die Kinder zu entdecken. Entsprechende Anregungen und Voraussetzungen dazu finden sich unter anderem im neuen Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan...
Literatur
Gründler, Elisabeth C./ Schäfer, Norbert: Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume: planen, bauen, gestalten. Neuwied, Kriftel und Berlin 2000