Armin Krenz
1. Grundsatzgedanken zur Psychologie des Spiels
Wenn sich (sozial-) pädagogische Fachkräfte mit dem großen und gleichzeitig bedeutsamen Thema "Psychologie des Spiels" auseinandersetzen wollen, wird zunächst eines sehr deutlich werden: Es gibt kaum einen zweiten Themenschwerpunkt in der Psychologie und Pädagogik, der in einem gleichen Maße so umfangreich in der Literatur berücksichtigt und behandelt wurde/ wird. So sind Hunderte von Büchern auf dem Markt, die sich dem "Spiel" zuwenden, und es gibt weltweit weit mehr als tausend wissenschaftliche Untersuchungen, die sich ganz bestimmten Phänomenen des Spiels gewidmet haben. Die Frage nach dem "warum" ist auf den ersten Blick vielleicht schnell zu beantworten - weil das Spiel(en) in allen Kulturen und zu allen Zeiten ein fester Bestandteil im Leben des Menschen war bzw. ist und dadurch überall eine große Beachtung findet.
Ob in der Steinzeit, der Antike, im Hochland von Mexiko oder im alten Ägypten, im Mittelalter, in sakralen Handlungen oder auf Hinterhöfen: Auf der ganzen Welt legen Aufzeichnungen, Dokumente und Berichte Zeugnis davon ab, dass das Spiel aus dem Leben des Menschen nicht wegzudenken war und es damit ganz offensichtlich eine wichtige Funktion im Leben von Menschen erfüllt hat. Insofern kann dieses wichtige Phänomen Spiel auch in der Alltagspädagogik gar nicht ausgeblendet werden, sondern muss zweifelsohne eine Berücksichtigung in der Kleinkindpädagogik finden.
Andreas Flitner (1977), einer der großen Spielforscher des letzten Jahrhunderts, schrieb: "Das Kinderspiel ist eine zu auffällige Erscheinung aller Zeiten und aller Kulturen, als dass die Menschen es nicht von jeher beachtet ... hätten... Schon die frühesten Bilder des alten Reichs der Ägypter zeigen Puppen, Spieltiere, Bälle und Wagen zum Ziehen; sie zeigen Kinder, die tanzen und hüpfen, übereinander wegspringen und sich balgen, ja sogar theatralische Szenen spielen und dabei Masken tragen... In der vorindustriellen Gesellschaft haben die Kinder auch unmittelbar an den eigenen Spielen der Erwachsenen teilgenommen..., so wie ihr ganzes Kinderleben noch in das Leben und Arbeiten der Erwachsenen eingefügt war. Erst das Industriezeitalter zerstörte diese Gemeinschaft. Erst an der Schwelle entstand deshalb die moderne pädagogische Reflexion, welche Theorie und Erforschung des Kinderspiels ermöglichte" (S. 13).
Heute hingegen verbinden viele Menschen mit dem Begriff "Spiel" weniger bedeutsame Lebensrituale oder gesellschaftspolitische Aspekte als vielmehr die einfache Gleichung, dass das Spiel vor allem etwas sei, was zu Kindern gehöre. Jeder, der sich mit seiner eigenen Kindheit beschäftigt, wird automatisch auch an eigene Kinderspiele denken.
Nebenbei fällt aber auch auf, dass das Wort selbst in unserer Sprache häufiger vorkommt als auf den ersten Blick gedacht. So sagen wir bei Dingen, die uns unwichtig erscheinen: "Das spielt doch keine Rolle." Menschen, die ein hohes Risiko eingegangen sind, haben "alles aufs Spiel gesetzt", und wenn eine befreundete Person etwas getan hat, durch das man selbst tief verletzt wurde und von der man sich nun trennen wird, "hat ein für alle Mal verspielt". Menschen, die das Leben nicht so ernst nehmen, besitzen aus Sicht der ernsthafteren Personen eine "Spielernatur", und andere wiederum sind der festen Überzeugung: "Das ganze Leben ist ein Spiel". Wenn jemand ein außergewöhnlich hohes Risiko eingeht, dann sagen wir, er "spielt mit dem Feuer", und wenn jemand etwas nicht versteht heißt es: "Der weiß gar nicht, was hier gespielt wird." Menschen, die viele Schicksalsschläge hinnehmen mussten, wurde "im Leben übel mitgespielt", und einem Übeltäter kann es passieren, dass er bei seiner Festnahme die Worte hört: "Das Spiel ist aus."
So vielschichtig die jeweiligen Bedeutungen dieser alltagssprachlichen Aussagen sind, so unterschiedlich werden auch in der "Psychologie des Spiels" bestimmte Phänomene betrachtet. Doch darf diese Tatsache nicht dazu führen, dass man sich weniger ernsthaft diesem "Phänomen Spiel" zuwendet. Im Gegenteil: es kommt darauf an, aus der ungewöhnlich großen Menge fachwissenschaftlicher Arbeiten das Wesentliche zu entdecken und für die Praxis nutzbar werden zu lassen. Im Rahmen des 16. Weltkongresses der Internationalen Gesellschaft für Spiel (IPA - International Play Association), der 2005 in Berlin tagte und wo sich Fachleute aus aller Welt darüber austauschten, welche Rolle das Spiel(en) heute einnimmt, äußerten sich beispielsweise Fachleute und Politiker wie folgt:
- "Allzu oft wird Spiel als Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird Spiel auch als ein Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder beim Spielen für das Leben lernen" (Jan van Gils, IPA Präsident 2005).
- "Beim Spielen lernen Kinder den Umgang mit anderen; sie probieren sich aus, entwickeln körperliche Fähigkeiten und geistige Talente. Darum müssen Kinder spielen dürfen... Ich freue mich besonders, wenn Erwachsene den Lärm spielender Kinder als Zukunftsmusik empfinden" (Horst Köhler, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland).
- "Spielen ist ein Kinderrecht. Wir alle sind aufgefordert, uns für dieses Recht einzusetzen" (Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung).
- "...für Kinder ist die Fähigkeit zu spielen einzigartig. Hier können sie ihre Gefühle artikulieren und aktiv ihre Umgebung mitgestalten" (Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).
- "Kinder lernen im Spiel am besten. Und sie eignen sich dabei mehr an als es jede Paukerei vermag: nämlich ein lebendiges Wissen, das nicht auswendig gelernt werden kann..." (Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin).
2. Zur Theorie des Kinderspiels
Ein Blick in die Zeitgeschichte zeigt, dass verschiedene Vertreter aus den Bereichen der Philosophie, Theologie, Psychologie, Pädagogik, Medizin, Soziologie und der Anthropologie ihre Einschätzung zur Funktion und Bedeutung des Spiels für die Entwicklung des Menschen vorgenommen haben. So unterschiedlich die Berufsfelder auch sind, so unterschiedlich, widersprüchlich und gegensätzlich sind auch deren Sichtweisen. Aus ihnen entstanden Meinungen und Hypothesen, warum Kinder in den meisten Fällen gerne und intensiv spielen, welche Wirkungen das Spiel auf die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit hat, ob das Spiel auch einen gesellschaftsrelevanten Sinn besitzt und inwieweit das Spiel im Rahmen unterschiedlicher pädagogischer bzw. psychologischer Zielsetzungen genutzt werden kann. bzw. eingesetzt werden sollte. Aus diesem Grunde scheint es sinnvoll zu sein, die bedeutendsten Vertreter und ihre jeweiligen Einschätzungen in Kürze zu nennen.
1.) Hall und Wund gehen davon aus, dass sich im Spiel des Kindes die Stammesentwicklung (Philogenese) des Menschen wiederholt. Sie beziehen sich dabei vor allem darauf, dass Kinder mit Vorliebe Erd-, Holz- oder Baumhöhlen bauen, auf Abenteuerspielplätzen ihrem ungebremsten Entdeckerinteresse nachgehen oder selbst mit Spielgegenständen immer wieder Häuser errichten, mit Dinosauriern hantieren oder Jagdrollenspiele und Ähnliches unternehmen.
2.) Spencer vertritt die so genannte Kraftüberschusstheorie. Seiner Meinung nach steckt das Kind voller Energie und nutzt das Spiel dazu, seine unverbrauchte Kraft hierbei umzusetzen. Diese Annahme kann beispielsweise dadurch gestützt werden, wenn wir Kinder beobachten, die gerade bei Bewegungsspielen ein unglaubliches Maß an Handlungsdrang ausagieren.
3.) Schaller - ähnlich wie Guts-Muths - glaubt, dass das Spiel dem Menschen die Möglichkeit bietet, nach einer partiellen Erschöpfung einen wichtigen Ausgleich zu finden, und Carr ist davon überzeugt, dass im Spiel aufgestaute Gefühle, dem Menschen inne liegende Instinkte und gedankliche sowie motorische Impulse abreagiert werden können.
4.) Locke gesteht den Kindern zu, das Spiel aus dem Grunde zu erleben, weil es im Gegensatz zum Erwachsenen noch nicht in der Ernsthaftigkeit des Lebens eingebunden ist.
5.) Kant sieht im Spiel eine absichtslose Beschäftigung, die lediglich der eigenen Muße dienlich ist.
6.) Schiller schuf mit seinen philosophischen Betrachtungen "über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen" eine Vernetzung zwischen Spiel, Schönheit und ästhetischem Sein. Er schätzt das Spiel als etwas so Bedeutsames ein, das den Menschen erst vollständig macht.
7.) Groos vertritt in seiner Einübungs- und Vorübungstheorie die Ansicht, dass das Kind im Spiel die Möglichkeit findet, die vielfältigsten angelegten Fähigkeiten zu üben und mit zunehmendem Alter in einer Form der Selbstausbildung weiter zu entwickeln.
8.) Richter geht von einem experimentierenden Spiel einerseits und vom dramatisierenden Phantasieren und Entladen körperlichen Überschusses durch Bewegung andererseits aus. Dabei geht seiner Meinung nach das Kind mit allen Gegenständen im Spiel so um als wären sie lebendig.
9.) Stern schätzt das Spiel als eine Tätigkeit ein, die einen direkten Bezug des Kindes zu den drei Zeitdimensionen - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft- besitzt und in deren zeitlichen Dimensionen symbolische, magische und entwicklungsausgerichtete, funktionsübende Momente zum Tragen kommen.
10.) Bühler gibt der Funktionslust des Kindes mit seiner Spiel- und Wiederholungsfreude die größte Bedeutung und geht davon aus, dass das Kind durch seine hohe Spontaneität immer wieder versucht, aktuell herausfordernde Situationen spielend zu bewältigen und zu meistern.
11.) Für Fröbel wird das Spiel zur höchsten Stufe der Kindheitsentwicklung, in der es vor allem darum geht, Äußerliches innerlich und Innerliches äußerlich zu machen, entsprechend der Vorstellung, dass Eindrücke ausgedrückt werden müssen und das eigene Ausdrucksverhalten einen Eindruck in der Welt hinterlassen soll.
12.) Der Holländer Buytendijk vergleicht das Spiel mit einem Theaterstück, in dem es immer einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende gibt. Für ihn geht es um die spielerische Dynamik im Umgang mit Dingen oder Lebewesen, die für das Kind im Spiel eine besondere Bedeutung besitzen und aus diesem Grunde dazu geeignet sind, eine Spieltätigkeit auslösen.
13.) Der Philosoph und Kunsthistoriker Huizinga geht von einem sehr weiten Spielbegriff aus. Er sieht die gesamte Kultur als eine Form des Spiels an, indem er beispielsweise die Spielregeln in der Kommunikation als ein "Spiel mit Regeln" betrachtet, Menschen ihre individuellen "Spielrollen" übernehmen und das ganze Leben ein "Spiel" ist.
14.) Piaget ordnet das Spiel des Kindes als einen permanenten Versuch ein, sein Umfeld in das eigene Denken, Handeln und Gestalten einzubeziehen, um erlebte Situationen zu begreifen und möglichst aktiv mitbestimmen zu können. Für ihn ergibt sich daraus die logische Notwendigkeit, dass damit das Kind im Spiel vor allem eine egozentrische Haltung einnehmen und ausdrücken wird.
15.) Hetzer glaubt im Spiel der Kinder eine wesentliche Möglichkeit ihrer Befriedigung entdecken zu können. Ereignisse, die aus Sicht der Kinder unbefriedigend oder belastend verliefen, können nun durch das Nachspielen und ein anderes Gestalten einen nachträglich besseren Verlauf nehmen als in der erlebten Realität.
16.) Haigis glaubt, dass das Spiel für Kinder vor allem die "Lust an existenzieller Erregung" bedeutet - jedes Risiko schafft ein Erlebnis zur emotional bestärkenden Berechtigung der eigenen Existenz und lässt das Kind damit spüren: "Ich bin wer! Nämlich ich."
17.) Freud vertritt in der Einschätzung und Beurteilung des kindlichen Spiels die Katharsishypothese. Seiner Einschätzung nach führt jedes Spiel zu einer Reinigung (Katharsis) von Erlebnissen, Erfahrungen und Eindrücken aus der Vergangenheit und hilft dem Kind immer wieder aufs Neue, sein seelisches Gleichgewicht aktiv wiederherzustellen.
Diese Übersicht stellt lediglich eine Auswahl an so genannten "Spieltheorien" dar. Bei näherer Betrachtung müssen interessierte (sozial-) pädagogische Fachkräfte zu folgenden Schlüssen kommen:
- Jede Einschätzung zur Funktion und Bedeutung des Spiels ist aus einer bestimmten ideologischen oder einem bestimmten Kenntnisstand heraus konstatiert.
- Die Einschätzungen des Spiels reichen von einer besonderen Wertschätzung bis zu einer unumstößlich größten Bedeutung für die kindliche Entwicklung.
- Die besondere Bedeutung des Spiels für die weitere Entwicklung des Kindes entstand erst von dem Zeitpunkt an, als auch das Kind selbst (unter dem Gesichtspunkt einer eigenen Entwicklungszeit, der Kindheit) immer stärker in den Mittelpunkt einer respektvollen Betrachtung gerückt wurde.
- Eine "alleinige" Spieltheorie gibt es aufgrund der unterschiedlichen Sichtweisen nicht!
- Da das Spiel des Menschen - in der Kindheit, Jugendzeit und Erwachsenenwelt - eine immer schon existierende Ausdrucksform war und ist, muss davon ausgegangen werden, dass das Spiel eine Lebensnotwendigkeit ist.
- Die Bedeutung des Spiels für die weitere Entwicklung von Kindern kann aus zweierlei Sichtweisen betrachtet werden: aus der Erwachsenensicht mit ihren dogmatischen Absichten und aus der Perspektive des Kindes und seinen Entwicklungswünschen und -möglichkeiten. So besteht heute kein Zweifel daran, dass das Spiel in der Entwicklung des Kindes eine ganz zentrale Stellung einnimmt. Spiel ist damit keine Spielerei!
So unterschiedlich und auch widersprüchlich die "Spieltheorien" von ihren Verfasser/innen geprägt sind, so vielschichtig stellt sich das Spiel auch in der Praxis dar. Immer wieder haben Wissenschaftler/innen aus vielen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten versucht, eine Definition des Spiels zu finden, und es gibt in der Vielfalt der Literatur auch ungezählte, unterschiedliche Ansätze einer Definition. Vielen Definitionen ist vor allem eines gemeinsam: sie betonen die "freie Handlung" des Spiels.
So haben sich bis in die heutige Zeit zwei Grundaussagen von Huizinga und Caillois durchgesetzt: "Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selbst hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des 'Anderseins' als das 'gewöhnliche Leben'" (Huizinga 1956, S. 46).
Und Caillois (1958) ergänzt diesen Gedankengang: "Das Spiel ist: 1. eine freie Betätigung, zu der der Spieler nicht gezwungen werden kann, ohne dass das Spiel alsbald seines Charakters der anziehenden und fröhlichen Unterhaltung verlustig ginge; 2.eine abgetrennte Betätigung, die sich innerhalb genauer und im voraus festgelegter Grenzen von Zeit und Raum vollzieht; 3. eine ungewisse Betätigung, deren Ablauf und deren Ergebnis nicht von vornherein feststeht, da bei allem Zwang, zu einem Ergebnis zu kommen, der Initiative des Spielers notwendiger Weise eine gewisse Bewegungsfreiheit zugebilligt werden muss; 4. eine unproduktive Betätigung, die weder Güter noch Reichtum noch sonst ein neues Element erschafft, und die, abgesehen von einer Verschiebung des Eigentums innerhalb des Spielerkreises, bei einer Situation endet, die identisch ist mit der zu Beginn des Spiels; 4. eine geregelte Betätigung, die Konventionen unterworfen ist, welche die üblichen Gesetze aufheben und für den Augenblick eine neue, allgemeingültige Gesetzgebung einführen; 5. eine fiktive Betätigung, die von einem spezifischen Bewusstsein einer zweiten Wirklichkeit oder einer in Bezug auf das gewöhnliche Leben freien Unwirklichkeit begleitet wird" (S. 16).
Ergänzt werden kann diese letzte Definition durch die Fixpunkte, die Chateau (1964) dem Spiel zuschreibt: Spiele haben keinen materiellen Wert, sie sind durch Freude charakterisiert, die erlebte Spielfreude ist aktiv und unmittelbar, sie zeichnen sich durch einen bestimmten Spielernst aus, sie bedeuten Wettkampf - wenn nicht mit anderen, so mit sich selbst - und das Spielen ist ein Aufsuchen von Schwierigkeiten, um sie selbst zu meistern.
Vielleicht hat Portmann (1976) das Spiel am einfachsten und prägnantesten definiert wenn er schreibt: "Spiel ist freier Umgang mit der Zeit, ist erfüllte Zeit; es schenkt sinnvolles Erleben jenseits aller Erhaltungswerte; es ist ein Tun mit Spannung und Lösung, ein Umgang mit einem Partner, der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oder die Wand, welche dem Spielenden den elastischen Ball zurückwerfen" (S. 60).
3. Spielformen und ihre Bedeutung für die Entwicklung der individualen und sozialen Identität
Wendet man sich nun den unterschiedlichen Spielformen zu, so ist festzustellen, dass es vielfältige Versuche und Ansätze gibt, das "Phänomen Spiel" im Allgemeinen und im Besonderen zu klassifizieren. Dabei stellt sich immer die Frage, nach welchen Kriterien bzw. Einteilungsprinzipien eine solche Spieleinordnung vorgenommen werden kann bzw. sollte, ist es doch sehr schwer, das "Spiel" in seiner ganzheitlichen Vielfalt zu erfassen.
So hat Prof. Dr. Hans Scheuerl (1985) Folgendes zum Ausdruck gebracht: "Spiel enthielt und enthält offenbar allezeit paradoxe Züge: es umreißt Brutalität wie sensibelsten Feinsinn; es reicht vom Ästhetischen bis ins Obszöne, von der unmittelbaren Kraftäußerung, die sich selbst genießt, bis zur listigen Zurückhaltung und Verstellung, die ihre Augenblicksbedürfnisse mit kühlem Pokergesicht um des späteren Triumphes willen aufspart; es reicht vom elementaren Sich-Austoben bis zur gekonnten, beherrschten, manchmal lange trainierten Artistik" (S. 15).
Die in der spielpädagogischen Forschung bekannten Klassifikationsmodelle erstrecken sich dabei vom "Entwicklungsmodell" (1) über das "Spiel-Modell" (2), das "Sozialform-Modell" (3), das "Spielinhaltsmodell" (4), das "Funktionsmodell" (5), das "Spielort-Modell" (6) und das "Spielmaterialmodell" (7).
In der ersten Klassifizierung ist der Ausgangspunkt der spielende Mensch, der einen jeweiligen Entwicklungsstand erreicht haben muss, um diese Spielform zu realisieren und in die nächste Spielform kommen zu können.
Im Spiel-Modell ist das Spiel selbst der Ausgangspunkt (vom Wettkampfspiel zum rauschhaften Spiel), im Sozialform-Modell ist es die Art der Zusammenstellung der Mitspieler/innen (vom Solospiel zum Großgruppenspiel), im Spielinhalts-Modell ist es die Spieldidaktik und seine jeweilige besondere Bedeutung, im Funktions-Modell ist neben der besonderen Spieltätigkeit auch der Spielzweck entscheidend, im Spielort-Modell geht es primär um den Ort der Spielhandlungen (Spiele für drinnen oder draußen, Wasser-, Wald- oder Wiesenspiele...) und im Spielmaterial-Modell ist das Spielmaterial selbst der Ausgangspunkt (Ball-, Würfel-, Brett-, Kartenspiele etc.).
Schaut man sich alle Klassifikationsmodelle an, ergeben sich unweigerlich Fragen, weil einige Gliederungsschemata sehr allgemein und andere wiederum sehr eng gehalten sind, weil sie nur sehr wenige Kategorien enthalten. Doch darf diese Betrachtung nicht zu dem Schluss führen, auf jegliche Kategorisierung zu verzichten, auch wenn dies schon vor vielen Jahren z.B. die Spieleforscher Buytendijk und Bally gefordert haben. Eine Spielpädagogik kann und wird ohne eine Klassifizierung nicht auskommen können, weil ein Ordnungsschema gerade für die vielfältige Praxis hilfreich und für die Besonderheiten der unterschiedlichen Spielformen im Hinblick auf die Entwicklungsunterstützung bei Kindern von einem besonderen Wert ist.
Auch wenn damit jeder Klassifizierungsversuch seine Schwächen besitzt, scheint dabei am besten ein Ordnungssystem zu sein, das sich entwicklungspsychologisch in der Reihenfolge der aufeinander aufbauenden Spielformen und durch ihre Auftretenshäufigkeit ergibt:
- Das "Sensumotorische Spiel": Diese Spielform, die früher auch als "Funktionsspiel" bezeichnet wurde, umfasst vor allem die Spielaktivitäten der ein- und zweijährigen Kinder. Ihre Freude an Körperbewegungen, das Spiel mit eigenen Körperteilen und einigen wenigen Gegenständen, die mehrfachen Spielwiederholungen und das lebhafte Interesse am Erlebnis von "Spannung und Entspannung" motiviert Kinder immer wieder, Bewegungshandlungen auszuprobieren, Gegenstände in Bewegung zu bringen und Spielrituale zu wiederholen.
- "Entdeckungs- und Wahrnehmungsspiele", auch "Informations- und Explorationsspiele" genannt, beziehen sich darauf, Gegenstände und Zusammenhänge zu erkunden, Geräusche zu erfassen, Spielabläufe mit den Materialien zu beobachten, die Beschaffung der Materialien zu "begreifen", Neues an/ in den Materialien zu erkunden und mit allen interessanten Dingen zu hantieren.
- Das "Bauspiel" mit (Holz-) Bausteinen, Alltags- oder Naturmaterialien kann auch als ein "werkschaffendes Spiel" bezeichnet werden. Hier steht das Bedürfnis des Kindes im Vordergrund, etwas aufeinander, voreinander, hintereinander zu legen, um beispielsweise hohe Türme, Häuser, Berge, Burgen, Wegbegrenzungen o.Ä. zu erbauen. Treibender Motor ist dabei die kindeigene Schaffensfreude, bei der das Kind die Erfahrung macht, ein "wirksamer Baumeister" sein zu können.
- "Produktionsspiele zum Gestalten" gehen über ein eher eingegrenztes Material wie beim Bauspiel hinaus. Hier nutzen Kinder die unterschiedlichsten Dinge und Gegenstände wie Verpackungsmaterialien, Holzteile, Seile, Kartons, Papier, Kleber, Dosen etc., um alleine oder mit anderen Kindern ein bestimmtes Produkt zu erstellen. Die Vielfalt der Materialien und ihre unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten geben den Ausschlag dafür, dass vor allem die Fantasie der Kinder angeregt und ihre Handlungsimpulse immer wieder aufs Neue aktiviert werden.
- Das "Konstruktionsspiel" bezieht sich nun wieder mehr auf ganz bestimmte Spielmaterialien, die miteinander verknüpft werden können und eine Einheit bilden. Das wohl bekannteste Konstruktionsspiel ist Lego. Neben der Freude und dem Interesse des Kindes, bestimmte Zielobjekte in freier Assoziation oder nach einer Vorgabe herzustellen, sind hier vor allem ganz bestimmte kognitive Leistungen gefragt wie beispielsweise Abstraktionsvermögen oder perspektivisches und logisches Denken. Im Konstruktionsspiel müssen vor allem drei Aspekte zusammen kommen: das Kind mit seinen genauen Konstruktionsvorstellungen, das vorhandene Material, das die Konstruktionserstellung zulässt, und das notwendige Werkzeug, das bei der Konstruktionserstellung unerlässlich ist (z.B. Schraubendreher).
- "Bewegungsspiele" drücken sich von einfachen Fangspielen, Such- und Versteckspielen bis hin zu komplizierteren Hüpf- und Ballspielen oder auch freien Bewegungsimprovisationen aus. Auch wenn hier zunächst ein "Wettkampfgedanke" ins Spiel kommt, so darf in keinem Fall vergessen werden, dass Bewegungsspiele zu allererst eine geregelte Möglichkeit sind, motorisch geprägte Aktivitätsbedürfnisse auszuleben, Bewegungseinschränkungen auszugleichen und Gefühle über Motorik zu kompensieren. Das Zusammenspiel von Bewegung, die Kooperation mit anderen und die erlebte Beziehungsnähe zu den Mitspielern machen den besonderen Reiz der unterschiedlichen Bewegungsspiele aus. Gleichzeitig bieten Bewegungsaktivitäten aber auch eine wichtige Möglichkeit, um aufgestaute Gefühle wie Ärger oder Wut, Belastungsstress, Frustrationen, erlebte Isolationsmomente, erfahrene und quälende Einschränkungen, unbefriedigte Grundbedürfnisse oder Einsamkeit und Entfremdung zu kompensieren. Dabei stellt die Spielform "Bewegungsspiele" eine weitere Ausdrucksform zur Verfügung: die "Aggressionsspiele zum Austoben". Darunter werden wilde Rauf- und Kampfspiele verstanden, die unter Beachtung fester Spielregeln (ohne bedeutsame Verletzungsgefahr) den Beteiligten gezielt dabei helfen, aggressive Stimmungen und aufgestauten Stress abzubauen.
- "Musikspiele" bieten durch den spielerischen Umgang mit Instrumenten und der eigenen Stimme vielfältige Möglichkeiten, Musik und Sprache (Gesang) aktiv zu erleben und nicht nur den "Unterhaltungswert aus der Konserve" zu nutzen. Gerade durch eigene, selbst initiierte und selbst gestaltete Musikerlebnisse, bei denen die Kinder ihre musikalischen Ressourcen entdecken und zu nutzen in der Lage sind, ergeben sich viele Spielaktionen, die Kinder dazu führen, eigene Stimmungslagen mit dem Ausdrucksmittel "Musikgestaltung" zu verbinden. Musikwissenschaftler sprechen hier von der Begegnung bzw. der Deckungsidentität von "inneren und äußeren Tönen". Für die unterschiedlichen Musikspiele können einerseits vorhandene Musikinstrumente genutzt aber auch selbstgebaute Musikinstrumente eingesetzt werden. Sicherlich kann dieser Spielform auch das "Tanzspiel" zugeordnet werden, weil Tanz- und Musikspiele häufig ineinander übergehen. Tanzspiele bestehen nicht nur aus traditionellen Tänzen - vielmehr erleben Kinder viel Freude an einer rhythmischen Bewegung nach Musik, an Körperkontakt mit anderen Mittänzern und an veränderbaren Beziehungen während des Tanzspiels. Dabei kann es sein, dass die Bewegungsgestaltung während des Tanzspiels frei assoziiert oder auch vorgegeben ist. Entscheidend allerdings bleibt immer das Zusammenspiel von Musik, ihrer Ausdruckskraft, der Melodie, dem Rhythmus und der eigenen Tanzgestaltung.
- Im "Finger- und Handpuppenspiel", dem so genannten "kleinen Theaterspiel", können sich Kinder mit den unterschiedlichen Personen identifizieren, sich in ihnen selbst entdecken oder von ihnen abgrenzen, je nachdem welche Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale die dargestellten Charaktere präsentieren. Mit der Fingerpuppe bis zur Handpuppe können Spielszenen aufgeführt werden, um Kinder damit in eine Selbstbetrachtung zu führen oder Stellungnahmen bzw. Einschätzungen vorzunehmen, um über sich oder andere Menschen, Handlungsaspekte oder Handlungsfolgen nachzudenken. Die Faszination dieser Spielform hat bis heute bei Kindern trotz der medialen Welt nicht nachgelassen. Das Besondere an dieser Spielform ist der Umstand, dass die Spielakteure in einer beziehungsnahen Kommunikation mit den Kindern stehen und jederzeit situationsorientiert in eine neue, aktuelle Interaktion mit Kindern treten können.
- Das "Marionetten-, Stockpuppen-, Stabpuppen- und Figurenspiel" kann als eine Fortsetzung der zuvor genannten Spielform bezeichnet werden. Dabei findet das Spielszenario auf einem fest umrissenen Raum statt mit mehr oder weniger vielen Elementen (Bühnenbilder, Licht, Geräuschen, benutzbaren Gegenständen, szenische Gestaltung der "Bühne"...). Dabei erwecken die Spieler die Holz-/ Papierfiguren zum Leben und bauen häufig direkte Lebenssituationen der Kinder in ihre Spielhandlungen ein. Je älter die Kinder sind, desto mehr ist es auch möglich, sie in die aktiven Spielhandlungen mit aufzunehmen und zum gestaltenden Akteur werden zu lassen.
- Das "Symbol- oder Fiktionsspiel" ist ein so genanntes "als-ob-Spiel" und wird von vielen Spieleforschern als die hauptsächliche und eigentliche Spielform von Kindern bezeichnet. So geben Kinder sowohl den ausgewählten Spielgegenständen als auch der ausgewählten Spielhandlung ein "eigenes Gesicht". Dabei werden Puppen zu Kindern, Stühle zu Schiffen, Tische zu Höhlen, Kartons zu Schatzkisten, Holzstangen zu Gewehren oder beispielsweise bunte Stifte zu Zauberstäben. Auf der einen Seite können Symbol- und Fiktionsspiele als Solospiele, auf der anderen Seite aber auch als Parallel- oder Kommunikations-verbindende Spiele durchgeführt werden. Diese Spielform wird zwar häufig auch als "Rollenspiel" bezeichnet, ist aber unter genauerer Betrachtung noch kein wirkliches Rollenspiel.
- Das "Rollenspiel" ist ein festes, von Kindern thematisch geleitetes Zusammenspiel von mindestens zwei Personen, die sich in fiktive Rollen begeben (haben). Meist sind es Darstellungen von Personen und Situationen, die Kinder erlebt haben oder in ihrer Vorstellung so erleben wollen. Im Rollenspiel erproben Kinder ihre eigenen Verhaltensweisen oder nutzen es zur Verarbeitung von erlebten Konfliktsituationen aus ihrem Alltag. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher sind diese Rollenspiele, und mit zunehmendem Alter werden sie immer differenzierter und umfassender, bis sie in einem so genannten "sozialen Rollenspiel" enden. Hierbei werden die Rollen exakt verteilt und spielerisch immer differenzierter ausgefüllt; die benutzten Requisiten ähneln immer stärker den Gegenständen ihrer Realität; und die Ansprüche an soziale, emotionale und kognitive Kompetenzen steigen mit der Zunahme an der Rollenspielkomplexität. Durch das Rollenspiel versuchen Kinder unbewusst, die von ihnen dargestellten Situationen besser zu verstehen, neu wahrzunehmen und differenzierter zu durchschauen, ihre Lebenssituation zu stabilisieren und durch die spielerische Darstellung ihre erlebten Gefühle auszudrücken. Sofern das Rollenspiel als Verarbeitungshilfe dienen soll, kann es ihnen helfen, einen neuen Abstand zur erlebten oder in der Zukunft anstehenden Situation zu gewinnen, auch um mögliche Handlungsalternativen zu finden und ausprobieren zu können.
- Das "Schattenspiel", das auch als Schemenspiel oder Figurenschattenspiel bezeichnet wird, übt aus unterschiedlichen Gründen einen besonderen Reiz auf Kinder aus. So ist es vor allem die Zweidimensionalität, die Körperlosigkeit, das Phantastische und Unfassbare, das häufig lautlos dargestellte Spiel und die manches Mal grotesk wirkende Darstellung, die Kinder in seinen Bann zieht. Neben den (selbst hergestellten) Figuren können aber auch Personen ein "Menschenschattenspiel" durchführen, bei dem dann vielfältigste "Tricks" angewandt werden können - beispielsweise ist es nicht schwer, größere Gegenstände zu verschlucken, mit übernatürlich groß wirkenden Drachen zu kämpfen, plötzlich zu verschwinden oder zu fliegen. Hier können sowohl "phantastische Geschichten" als auch "belastende Lebenssituationen" zum Thema werden - es können Ängste aktualisiert und im Nachhinein aufgegriffen und bearbeitet werden.
- Der Begriff "Freispiel" (auch Freies Spielen genannt) ist eigentlich eine so genannte Tautologie, zumal jedes Spiel für Kinder frei sein sollte. In ihm wählen die Kinder aus, was sie in welcher Zeit an welchem Ort mit wem spielen möchten. Dabei liegt die Betonung zunächst weniger auf dem Aspekt der Freiheit als vielmehr auf dem Begriff des Spiels. Das heißt, dass ein Freispiel durch sehr unterschiedliche Spielhandlungen der Kinder charakterisiert ist. Voraussetzung für ein freies Spielen ist demnach die Existenz einer Spielfähigkeit der Kinder, weil Spielhandlungen sonst nicht zu Stande kommen können. Kinder, die keine oder nur eine sehr eingeschränkte Spielfähigkeit besitzen, erleben eine Freispielzeit als Überforderung und wissen mit dieser ungeplanten Zeit wenig bis gar nichts anzufangen. Häufig fühlen sich Kinder dadurch veranlasst, motorisch aktiv zu sein (um der Aktivität willen) oder anderen Kindern mit unsozialen Verhaltensweisen gegenüber zu treten. Dies geschieht nicht aus einem eigenen Wollen heraus, sondern vielmehr aus dem Bedürfnis nach Stressreduktion. Spielfähige Kinder hingegen nehmen eine Freispielzeit gerne in Anspruch, um eigenen Spielideen nachzukommen, selbstständige Spielhandlungen aufzubauen, ausgewählte Spielmaterialien in ihren Spielablauf aufzunehmen und Spielerlebnisse damit zu genießen. Entscheidend ist also beim Freispiel die Ausgangssituation der Kinder. Das Freispiel darf daher weder zu einem starren Zeitfenster im Tagesverlauf von Kindern werden noch darf es dazu "missbraucht" werden, anzunehmen, Kinder lernen im Freispiel Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Diese weit verbreiteten Vorstellungen haben beispielsweise über Jahrzehnte hinweg die Kindergartenpädagogik geprägt und letztlich auch dazu beigetragen, dass der Bildungsauftrag nur eingeschränkt umgesetzt werden konnte. Zum Schluss sei zu dieser Spielform angemerkt, dass Eltern und Fachkräfte selbstverständlich die Möglichkeit und eine damit verbundene Aufgabe haben, dann neue Spielimpulse in ein Freispiel der Kinder hineinzusetzen, wenn der Ideenreichtum der Kinder ausgeschöpft zu sein scheint.
- "Interaktionsspiele" sind zumeist eher kurze Spielhandlungen, die von einem Spielleiter initiiert, begleitet und gesteuert werden, wobei die Abläufe und Gestaltungsmöglichkeiten von den ursprünglichen Spielstrukturen auch verändert werden können. Ursprünglich stammt diese Spielform aus der therapeutischen und damit gruppendynamischen Arbeit, bei der es um Selbsterfahrung und Sensibilisierung für andere Menschen geht. Interaktionsspiele kennen weder die Kategorien "richtig & falsch" bzw. "Sieger & Verlierer" noch geht es darum, dass sich einzelne Mitspieler in den Interaktionsspielen besonders hervortun. Sie dienen vielmehr der Erweiterung der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, der Verbesserung der Wahrnehmungsoffenheit für andere Menschen und bestimmte Situationen, der Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten, der Verbesserung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, der Erweiterung eines Kooperationsverhaltens und der Veränderung eigener stereotyper Denk- und Verhaltensmuster. Trotz dieser Schwerpunkte erfassen die Interaktionsspiele immer die ganze Person, die sich in bestimmten Interaktionssituationen erfahren kann und damit in die Lage versetzt wird, über sich und das bisherige Kommunikationsverhalten, über Einstellungen und Sichtweisen, konstruktive oder destruktive Handlungsmomente zu reflektieren.
- Die umfangreichste "Spielesammlung" in der gesamten Spielliteratur entstammt der Spielform der "Sozialen Regelspiele" (auch Gemeinschaftsspiele genannt). Auch wenn alle anderen Spielformen mehr oder weniger immer irgendwelche Regeln in sich tragen, so hat diese Bezeichnung dennoch ihren Sinn: Soziale Regelspiele sind in den meisten Fällen so aufgebaut, dass sie einen Wettkampfcharakter mit sich bringen und die Konkurrenz der Mitspieler eher provozieren; sie bestehen in ihrer Struktur aus einem festgelegten Ablauf und verlangen von allen Mitspielern, die bekannten Regeln bis zum Ende des Spiels zu beachten und auch einzuhalten. Es gibt viele Kinder, die einen Leistungsvergleich mit den Mitspielern suchen, um möglichst selbst der/ die Bessere zu sein. Allerdings muss an dieser Stelle deutlich darauf hingewiesen werden, dass für diese Spielform eine Vielzahl spezifischer Verhaltensweisen notwendig ist (beispielsweise ein Grundmaß an Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Empathie und Anstrengungsbereitschaft). Alle beteiligten Mitspieler müssen in der Lage sein, sich mehr auf den Spielgegenstand selbst, die Spielaufgabe und den -verlauf einzulassen und damit weniger die subjektive, persönliche Wertigkeit in den Mittelpunkt des Sozialen Regelspiels zu stellen. Kinder, deren seelische Grundbedürfnisse eher unbefriedigt geblieben sind, haben weitaus größere Schwierigkeiten, sich auf diese anspruchsvolle Spielform einzulassen, als Kinder, die durch eine Grundbedürfnisbefriedigung zu ihrer Selbstkompetenz finden konnten. Gleichzeitig ist bekannt, dass der Auf- und Ausbau eines sozialen Regelbewusstseins bei Kindern ein Lernprozess ist, der einen Zeitraum von ca. 10 Jahren umfasst. So ist verständlich, dass Kinder ihre eigenen Regeln entwickeln, um sich an ihnen selbst messen zu können. Sollte ein Mitspieler also die Regeln missachten oder innerhalb des Spielablaufes verändern, so würde damit entweder das ganze Spiel als beendet erklärt oder die anderen Mitspieler einigen sich darauf, diesen Regel verletzenden Spieler vom weiteren Spielverlauf auszuschließen. Diese Konsequenz kann und darf aber nicht dem Kind selbst angelastet werden, weil es offensichtlich "in seiner Sozialentwicklung noch nicht soweit ist". Schon hier wird sicherlich deutlich: Das Soziale Regelspiel wird häufig viel zu früh in die Pädagogik eingeführt und mit Kindern erlebt (Beobachtungen dokumentieren, dass Soziale Regelspiele mit Kindern zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr nicht unüblich sind anstatt diese Spielform erst bei Kindern mit dem fünften, sechsten Lebensjahr verstärkt zu nutzen). Daher steht diese Spielform - aus entwicklungspsychologischer Sicht betrachtet - in der Reihe der Spielformen erst im Abschlussbereich.
- Zum Schluss der Spielformen kann der große Bereich des "Theaterspiels" genannt werden. Darunter fallen zunächst viele andere Begriffe wie beispielsweise das "Pantomimische Spiel", das "Märchenspiel", das Maskenspiel", "Schwarzes Theater" und schließlich als die anspruchvollste Spielform das "Planspiel". Um jedoch auch hier dem Spielgedanken treu zu bleiben sei angemerkt, dass jede Form des Theaterspiels nur dann als Spiel bezeichnet werden kann, wenn alle Akteure gemeinsam das Stück aussuchen und bestimmen, die Texte auf ihren Bedeutungsgehalt für alle Mitspieler hin überprüfen und gegebenenfalls modifizieren (umschreiben), die Rollen selbst verteilen und gegebenenfalls neue Rollen hinzufügen oder vorhandene Rollen aus dem festgelegten Stück verbannen können. Theaterspiele leben aus den Einfällen der Mitspieler, sind offen für Erweiterungen und bieten Platz, interessante Ideen und Einfälle zu integrieren. Theaterspiele werden von Kindern dann besonders gerne angenommen, wenn sie auch an der gesamten Bühnengestaltung aktiv einbezogen werden, so dass das Ganze zu einem einzigen, großen Spiel wird, in dem Handwerk und Konstruktion, Bewegung und Musik, Tanz und Produktion Sinn verbunden miteinander vernetzt sind.
Jede Spielform hat demnach ihren besonderen und einzigartigen Wert im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern. Insofern ist die Irritation bei vielen Praktikern im Arbeitsfeld der Pädagogik als auch bei vielen Spiel(e)forschern nachvollziehbar, als es um die Einführung eines "spielzeugfreien Kindergartens" ging. So verbreitete sich im Jahre 1992 - ausgelöst durch einen Suchtarbeitskreis in Oberbayern - die Idee, dass elementarpädagogische Einrichtungen einmal jährlich für jeweils drei Monate auf die gesamten Spielmittel verzichten sollten. Ziel war es, dadurch erstens weniger Konsumabhängigkeit bei Kindern zu erzielen (die Kinder sollten lernen, Frustration und Langeweile auszuhalten), zweitens die Annäherung von Jungen und Mädchen sowie deutschen und ausländischen Kindern zu fördern, drittens eine höhere Ökosensibilität der Kinder durch die Aufenthalte im Freien zu unterstützen, viertens eine höhere Kreativität der Kinder durch selbstständige Beschäftigungen zu erreichen, fünftens bessere Sozialkompetenzen bei den Kindern auf- und auszubauen, weil sie durch die Spielmittelfreiheit in die Lage versetzt werden, häufiger und intensiver miteinander zu kommunizieren bzw. zu interagieren, sowie sechstens vor allem gegen Süchte aller Art zu stabilisieren, weil Kinder in Frustrationssituationen nicht mehr zum Spielzeug "flüchten" können.
Auch wenn es in Deutschland eine Reihe Kindergärten gab, die sich dieser pädagogisch-psychologischen Idee angeschlossen haben, so war und ist zunächst einmal festzuhalten, dass sich dieser Impuls auf keinerlei wissenschaftlichen Erkenntnisse beziehen konnte. Im Gegenteil: Thomas Dannenberg (Technische Universität Berlin) kam in einer Untersuchung über die Wirkung eines spielzeugfreien Kindergartens insofern zu weniger günstigen Ergebnissen, indem er feststellte, dass ein Teil der Kinder mit Stress und Ängstlichkeit auf das Chaos im spielzeugfreien Kindergarten reagierte, und er fand keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass ein Spielmittelentzug spätere Süchte verhindern könne (In: Focus Nr. 27/1997).
Noch deutlicher meldete sich Dr. Hans-Rudolf Becher, Professor für Pädagogik an der Universität zu Köln und gleichzeitig ein anerkannter Experte für das Kinderspiel, zu Wort: "Der Wechsel zwischen Phasen mit Spielzeug und ohne Spielzeug ist an sich sehr sinnvoll - aber Spielzeug über einen festen Zeitraum zu verbieten ist ein unpädagogisches Zwangsmittel. Man sollte nicht neben der Welt her erziehen" (In: Focus Nr. 27/1997, S. 153). Becher konstatierte, dass ein Spielzeugverbot über einen festen Zeitraum ein unpädagogisches Zwangsmittel sei und Kinder im Kindergartenalter noch nicht in der Lage seien, sich über drei Monate ohne Anregung durch Erwachsene selbst zu beschäftigen.
Am deutlichsten aber nahm der Psychologieprofessor Hans Mogel (Universität Passau) zum spielzeugfreien Kindergarten Stellung. Er spricht von einer "Form der Kindesmisshandlung" und bringt damit zum Ausdruck, dass ein solcher erzwungener Entbehrungszustand Gefahren für die Entwicklung von Kindern mit sich bringe. Seine Begründung: "Erwachsene können Geschehnisse intrapsychisch bewältigen und zu Erfahrungen werden lassen. Kinder verfügen noch nicht über diese Fähigkeit, sie sind auf die reale Gegenstandswelt angewiesen. Das gelingt ihnen im Spiel mit Gegenständen - am besten, wenn sie aus einem ausreichend großen Repertoire von Spielsachen auswählen können. Kindern kein Spielzeug zu geben ist Spielzeugdeprivation. ... Deprivation geht auf Kosten des Erlebens von Geborgenheit und der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. ... Die Kinder wollen auch Funktions-, Konstruktions- und Regelspiele. Dafür reichen selbstgefertigte Spielzeuge nicht mehr aus. ... Die Kindergärten können auf teures Modespielzeug durchaus verzichten, aber Puppen, Klötzchen und Bausteine sollten sie auf jeden Fall behalten" (In: Focus Nr. 27/1997, S. 152).
Vielleicht mögen sich manche Fachkräfte am Schluss dieser Ausführungen fragen, wo die so genannten "Denk- und Lernspiele" bleiben. Sind denn nicht auch die "Denksportaufgaben für kluge Köpfe", die "Logeleien" und "Kopfnüsse zum Knacken", die "mathematischen Lernspiele", die "Denkspiele mit Pfiff" und "Strategiespiele für den klugen Denker", die "Spiele mit lehrhaftem Charakter" und die "Sprachlernspiele für kleine Genies" eine eigene Spielform? So genannte "Denk- und Lernspiele" sind im Gegensatz zu den vorher benannten sechzehn Spielformen im eigentlichen Sinne keine Spiele. Hier handelt es sich vielmehr um "Lern- und Übungsformen", die einerseits nur den kognitiven Bereich von Kindern trainieren sollen und damit andererseits nur bestimmte Teilfunktionen des Menschen ansprechen. Sie sollen Wissen vermitteln, kognitive Lernprozesse stimulieren und können ohne Schwierigkeiten bestimmten richtlinienorientierten Lernzielen zugeordnet werden. Jedem aufmerksamen Betrachter wird damit klar, dass bei diesen "Übungen" ein "Spiele-Charakter" nicht mehr zu erkennen ist. Daher kann an dieser Stelle auch nicht auf diese "Spielform", die keine ist, eingegangen werden.
4. Spielen und Lernen: ein kontextuales Geschehen
Kinder lernen auf vielfältigste Weise: durch Nachahmen, Erproben, Experimentieren, Vergleichen, Wiederholen, Fragen stellen, Antwortsuche, Zuhören, Erzählen, Üben, spontanes Erproben... Wichtig ist dabei weniger eine eindimensionale Handlung sondern vielmehr eine aktive Tätigkeit, die sich aus den unterschiedlichsten Lernmöglichkeiten zusammensetzt. Dabei zieht das Kind immer und immer wieder Erfahrungen aus seinen vielfältigen Handlungen, durch die es in seinen gedanklichen Annahmen bestätigt oder irritiert wird, die es in Erstaunen versetzt, fröhlich oder wütend, ängstlich oder traurig werden lässt, in eine Anspannung oder zur Entspannung führt, handlungsmotiviert oder handlungsverunsichert wird. Kinder gewinnen auf diese Art und Weise Erkenntnisse und entwickeln Sichtweisen bzw. Einstellungen, entdecken neue Facetten ihrer Talente, bauen durch Versuch und Irrtum unterschiedliche Fähigkeiten auf und entwickeln in zunehmendem Maße Fertigkeiten, die ihnen helfen, ihre eigenen Handlungsimpulse zielgerichtet umzusetzen.
Nun stellt sich die Frage, ob auch das Spiel mit seinen unterschiedlichen Spielformen dazu beiträgt, dass diese o.g. Lernmöglichkeiten aktiviert, unterstützt bzw. auf- und ausgebaut werden. Seit Rousseau und Fröbel sowie durch vielfältige Forschungsarbeiten in den letzten dreißig Jahren im In- und Ausland ist bekannt, dass das Spiel in einem entscheidenden Maße einen Einfluss auf die Erweiterung des kindlichen Lernpotentials besitzt und damit vielfältige Kompetenzen des Kindes erweitert - angefangen von einer Stabilisierung der Ich-Identität über die Verbesserung der Belastbarkeit bis hin zu einer Erweiterung der sozialen Sensibilisierung. Im Spiel spiegeln sich dabei nicht nur die Seelenstruktur des Kindes und seine Einschätzung seines subjektiv erlebten Selbstbildes wider; vielmehr gibt es durch sein Spielverhalten auch einen Einblick in seine zukünftige Entwicklung! Auf den Punkt gebracht weisen alle bedeutsamen Forschungsergebnisse auf folgende drei Aspekte hin:
Das Spiel
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- ist von entscheidender Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes;
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- ist der Nährboden für den Auf- und Ausbau außergewöhnlich vieler personaler und schulischer Fertigkeiten;
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- erweist sich auch als eine Grundlage für später notwendige berufliche Merkmale.
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Doch auch wenn diese Erkenntnisse schon lange vorliegen und weitestgehend in der Praxis bekannt sind, erschreckt auf der anderen Seite die Realität, dass es zunehmend mehr Kinder und Jugendliche gibt, die bereits kaum noch spielen (können).
Wenn das Spiel als eine aus der tiefen Neugierde entstandene, freiwillige, spontane und geplante, lebendige und freudvolle Auseinandersetzung des Kindes mit sich und seiner Umwelt verstanden werden kann, wird deutlich, was dieses Grundverständnis mit den gerade vorgenommenen drei Aspekten zu tun hat. Das Spiel trägt immer wieder dazu bei, selbstaktiv zu werden, sich den unbekannten Dingen des Lebens zuzuwenden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, Lösungsstrategien für Handlungsabsichten zu entwerfen und einzusetzen, Neues zu wagen und bekannte Handlungsmuster zu erweitern, Gewohnheiten und Routine zu überwinden und damit kreative Aspekte in seinem Handlungsspielraum zu integrieren. Betrachtet man diese "lebensbedeutsamen Grundleistungen", dann wird auch an dieser Stelle schon eine Tatsache besonders deutlich: Kinder erwerben im Spiel so genannte "generalisierende Fähigkeiten" und entwickeln "generalisierende Leistungen", die als Grundlage für außergewöhnlich viele Fertigkeiten des Menschen notwendig sind. Im Einzelnen sind es folgende Merkmale:
- Vernetzungen und Verbindungen herstellen: zwischen unterschiedlichen Dingen kombinieren und koordinieren können;
- Zuwendung aufbringen: Interesse, Aufmerksamkeit, Kontakt und Beziehungen zu den Dingen, zu den an einer Tätigkeit beteiligten Personen und den Abläufen herstellen;
- Analysen vornehmen: Situationen, Zustände, Dinge und Personen herauslösen und differenziert betrachten können;
- Synthesen bilden: Teile eines Ganzen wieder zusammenfügen und Sinnverbindungen/ Zusammenhänge herstellen können;
- Vergleiche anstellen: Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Personen, Dingen und Ereignissen erkennen können;
- Systematisierungen vornehmen: eine strukturierte, gezielt und aufgebaute Vorgehensweise entwickeln und umsetzen können;
- Codierungen verinnerlichen: Gedächtnisleistungen und damit die Merkfähigkeit weiterentwickeln können;
- Wahrnehmung erweitern: die Vielfalt der Sinnestüchtigkeit ausformen, sie immer wieder aufs Neue aktivieren und in eine permanente Phase der Präzisierung bringen;
- funktionelle Systeme entwickeln: geeignete Schemata im Bereich der Kognition und der Handlungsvielfalt aufbauen, um selbst gesetzte oder erwartete Strategien zur Verfügung zu haben;
- Regelsysteme erkennen und zu nutzen wissen: einzelne Tätigkeiten aufeinander abstimmen zu können;
- Kreativität entwickeln: bisherige Handlungskonzepte auf ihre Effizienz hin überprüfen und neuartige Strategien entwerfen und ausprobieren zu können.
Es besteht kein Zweifel darüber, dass sich diese Grundleistungen nicht nacheinander sondern immer in einer Abhängigkeit voneinander entwickeln. Betrachtet man nun diese Zentralfunktionen, wird schnell deutlich, dass sie einerseits in fast allen Spielen zu entdecken sind und gleichzeitig die Grundlage des Lernens bilden. Insoweit überraschen folgende Aussagen zum Spiel in keiner Weise, wenn es beispielsweise heißt: Spielen und Lernen bilden eine nicht zu trennende Einheit; oder: Spielen ist Lernen bzw. Lernen ist Spiel.
5. Bedingungen zur Förderung des Spiels
Wenn das Spiel des Kindes als eine grundlegende Haupttätigkeit seines Lebens gesehen und als solche auch eingestuft werden muss, dann ist es erforderlich, dass Kinder auch entsprechende Spielbedingungen benötigen, um entsprechende Entwicklungsprozesse auf- und auszubauen. Entsprechend der Beschaffenheit dieser Bedingungen wird das Spielverhalten von Kindern eher gefördert oder behindert - schlimmstenfalls unterbunden. Gleichzeitig ermöglichen oder verhindern die vorhandenen Spielbedingungen die vielfältigen Spielformen, die jede für sich ganz spezifische Lernerfahrungen initiiert und in einen weiteren Gestaltungsprozess führt. Grundsätzlich zählen zu den wesentlichen Spielbedingungen die Merkmale Zeit, Platz, Materialien, Mitspieler/innen, Entscheidungsfreiheit und Ruhe (vgl. Baer 1981, S. 39 ff.):
- Zeit: Je jünger die Kinder sind, desto intensiver sind sie ganz in ihren Spielen vertieft. Beobachtungen haben ergeben, dass kleine Kinder bis zu neun Stunden am Tag spielen, wenn man ihnen die Möglichkeit dafür einräumt. Spielen ist die Zeit, die frei von äußeren Erwartungen oder Verpflichtungen ist, und sie ist für Kinder immer ausgefüllt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie auch tatsächlich - von einer Außensicht betrachtet - immer "aktiv" sind. Das Spielen ist durch Tätigkeiten und zurückgezogenes Beobachtungen, wildes Agieren und stummes Betrachten, Gespräche mit anderen und eine innere Zwiesprache mit sich selbst gekennzeichnet, in denen das Kind seinem subjektiven Spielerlebnis nachgeht. Unterbrechungen oder Zeitabbrüche stören diesen Ereignisprozess ganz erheblich.
- Platz: Zunächst nutzen kleinere Kinder ihren unmittelbaren Lebensraum für ihre Spielaktivitäten. Solange sie noch im Kinderwagen oder im "Laufstall" sind und noch nicht den freien Gang beherrschen, fixieren sie sich auf ihre eigene, kleine Spielfläche. Mit zunehmendem Alter richten sie ihre ganze Aufmerksamkeit allerdings auch auf ihr gesamtes, weiteres Umfeld. So werden alle Räume der Wohnung, der eigene Garten und/ oder öffentliche Rasen- und Spielflächen, öffentliche Plätze, Wiesen und Wälder, die Wohnungen ihrer Spielkameraden und alle zur Verfügung stehenden Flächen zu ihrem Spielplatz, den sie nach eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten (um-) gestalten und nutzen. Angesichts der Tatsache, dass alle Spielräume ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Besonderheiten besitzen, ist es notwendig, dass Kinder diese unterschiedlichen Spielorte kennen lernen und nutzen, damit sie vielfältigste Erfahrungen in abwechslungsreicher Umgebung und großzügiger Vielfalt machen können. Es bleibt nicht aus, dass Kinder aufgrund eigener Spielvorstellungen andere Maßstäbe an Ordnung oder Sauberkeit anlegen als Erwachsene! Sie sollten daher darauf achten, das Spiel der Kinder nicht durch einengende Regeln oder normativ geprägte Erwartungen einzuschränken, unattraktiv werden zu lassen oder gar zu unterbinden.
- Materialien: So vielfältig die Spielformen und Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder sind, so vielfältig sind ihre Spielmaterialien. Ob es der eigene Körper ist (mimisches Ausdrucksspiel) oder ob es die unterschiedlichsten Materialien zum Bauen und Werken sind, die zur Herstellung von Spielgegenständen benötigt werden, ob es Verkleidungsutensilien für das Rollenspiel oder Bäume und große Steine sind, die zu Kletter- und Fangspielen einladen, ob ein unübersichtliches Gelände zum Versteckspiel dient oder Zelte und Höhlen als Burgen umgedeutet werden, ausgediente Elektrogeräte zum Zerlegen als Fundus für Experimentierspiele benötigt werden oder - selbst entwickelte - Musikinstrumente die Fantasie anregen, Stifte und Farben zum Malen oder zur endgültigen Gestaltung von Kulissen eingesetzt werden - immer sind es vielfältigste und sehr unterschiedliche Dinge, die das Spiel reichhaltiger werden lassen. Bei allen Materialien geht es aber nicht in erster Linie um fertige Spielmittel - vielmehr müssen die Materialien auch immer wieder entgegen ihrer funktionalen Bestimmung zweckentfremdet werden können und veränderbar sein, Neugierde provozieren und die Fantasie des spielenden Kindes anregen (Anmerkung: Im klassischen Verständnis des Spiels sind daher "Spiele" mit dem Gameboy oder PC-"Spiele" Beschäftigungen und keine Spiele!).
- Mitspieler/innen: Da das Spiel - je nach Spielform und Absicht des Kindes - sehr unterschiedliche Funktionen besitzt, ermöglicht es der spielenden Person, entweder mit sich alleine und dem Spiel zu kommunizieren oder mit sich, dem Spiel und anderen Menschen (Gleichaltrigen, älteren und jüngeren Kindern, Eltern, Großeltern, Nachbarschaftskindern oder Erzieher/innen) zu interagieren. So kann das Kind in diesen Spielsituationen Erlebnisse, Erfahrungen und (Sinnes-) Eindrücke verarbeiten, zukünftige, für das Kind bedeutsame Situationen kognitiv bzw. emotional ordnen oder "einfach nur" mit Freude eine Spielhandlung erleben. Doch bei allen Spielerlebnissen gibt es einen "roten Faden": Das Spiel unterstützt das Kind dabei, seine eigene Identität zu finden bzw. zu stabilisieren bzw. seine soziale Kompetenz zu erweitern. Und hierbei bekommt es Hilfe und Anregungen durch seine Mitspieler/innen. Sie sind es, die durch ihre Spielimpulse neue Aspekte in ein Spiel hineintragen und so dafür sorgen, dass das spielende Kind zu neuen, inneren Auseinandersetzungen finden kann.
- Entscheidungsfreiheit: Da jedes Spiel aus seiner "Zweckfreiheit" heraus lebt und durch sich selbst zum Umgang mit den Spielmaterialien bzw. Mitspieler/innen auffordert, gewinnt jedes Spiel für Kinder nur dadurch einen (An-) Reiz, wenn es für das Kind motivierende Merkmale enthält. So lebt das Spiel in erster Linie aus der kindeigenen Freude heraus, sich auf die Spielhandlung selbst einlassen zu wollen. In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass immer wieder zwischen "sinnvollen" (konstruktiven) und "sinnlosen" (destruktiven) Spielen unterschieden wird. Eine solche Differenzierung ist weder fachdidaktisch noch entwicklungspsychologisch haltbar, weil jedes Kinderspiel sinnvoll und damit entwicklungsbedeutsam ist. Gerade so genannte "didaktisierte Spiele" bieten kaum die Möglichkeit, eigenen Fantasien und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten nachgehen zu können. Wo dann durch Erwachsene entsprechende Spielreglementierungen folgen oder gar disziplinierend auf Kinder eingewirkt werden soll, ist der Sinn eines Spiels im originären Sinne nicht mehr vorhanden.
- Ruhe: Auch wenn es bei den unterschiedlichsten Spielformen häufig lebendig und laut zugeht, brauchen Kinder Ruhe, um sich weitestgehend ungestört in ihren Spielsituationen wohl fühlen zu können. Nahezu jedes Spiel ist durch einen Spielaufbau gekennzeichnet - so gibt es einen Einstieg, eine intensive Hauptphase und einen Abschluss. Störungen von außen würden dabei diese Struktur unterbrechen und für Kinder durcheinander bringen. Mögen manche "Ratschläge" der Erwachsenen auch noch so gut gemeint sein, ein Spiel so oder so zu gestalten, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Spielaufläufe dadurch eine andere Wendung als vom Kind beabsichtigt bekommen. Damit kann sich ein Kind aber nicht mehr in sein Spiel fallen lassen.
Aufgrund dieser hohen Bedeutung des Spiels für die Entwicklung der Kinder ergeben sich viele Fragen, mit denen sich (sozial-) pädagogische Fachkräfte auseinandersetzen müssen.
Fragen, die die eigene Person betreffen:
- Wird dem Auf- und Ausbau der eigenen Spielfähigkeit ein hoher Wert beigemessen, und auf welche Art und Weise wurde bisher die eigene Spielfähigkeit erweitert?
- Welche Rolle nehme ich in den unterschiedlichen Spielformen ein? Trete ich in der Regel als Mitspieler/in, Spielunterbrecher/in, Spielentwickler/in, Spielinitiator/in, Spielverderber/in oder Spielbeobachter/in auf?
- Welche Spielformen machen mir am meisten Freude und warum?
- Mit welchen Spielformen habe ich persönlich am meisten Schwierigkeiten und warum?
- Wirke ich in der Spielzeit der Kinder als Spielvorbild und biete ich mich damit immer wieder als Spielmodell an?
- Welche Vorstellungen von "Spielregeln" habe ich während des Spiels der Kinder/ mit Kindern und inwieweit sind sie dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder im Hinblick auf "Kreativität und Fantasie, Selbständigkeitsentwicklung und Autonomie" entscheidend zu unterstützen?
Fragen, die die Spielpraxis direkt betreffen:
- Welche Spielformen wurden bisher in der Praxis ausreichend bzw. zu wenig initiiert und berücksichtigt?
- Gibt es Spielformen, die in der Vergangenheit völlig ausgeblendet wurden?
- Wird den Kindern genügend Zeit und Raum zur Verfügung gestellt, um das Spiel in seiner Vielfalt zu entdecken und zu erleben?
- Sind die räumlichen und strukturellen Rahmenbedingungen in der Einrichtung dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder anzuregen und zu unterstützen?
- Stehen den Kinder ausreichend attraktive Spielmittel zur Verfügung?
- Legen die vorhandenen Spielmittel (im Innen- und Außenbereich der Einrichtung) durch ihren Aufbau und ihre Struktur den Spielablauf fest oder bieten sie ausreichende Möglichkeiten zur Selbstgestaltung und Veränderung?
- Welche Regeln und Vorgaben gibt es, die das Spielverhalten der Kinder aktivieren und welche Regeln oder normative Einflüsse sind dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder einzuschränken?
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