Aus:
was + wie? 1996, Heft 4, S. 231 - 234
Michael Schnabel
Das Adventsgärtlein ist eine meditative und stimmungsvolle Feier, die mit Kindern im Kindergarten, mit Eltern und Kindern in der Familie oder auch im Kindergottesdienst durchgeführt werden kann. Dieses Ritual hat seinen Ursprung in der anthropologischen Pädagogik (Schlesselmann, Luise: Die christlichen Jahresfeste und ihre Bräuche. Hintergründe zum Feiern mit Kindern. Stuttgart 1992, S. 119ff). Es ist vorzüglich geeignet, Kinder auf die Adventszeit einzustimmen. In seiner einfachen und doch eindrucksvollen Form bewirkt die Feier Besinnlichkeit, Ruhe, ein Gefühl der Behaglichkeit und des Wohlempfindens. Sie besteht aus folgenden zwei Teilen: 1. der Vorbereitung und 2. dem eigentlichen Ritual.
Die Vorbereitung
Für die Feier werden viele Tannen- oder Fichtenzweige benötigt und Kerzen, die in Äpfel gesteckt werden, jeweils eine für jeden Beteiligten. Die Kerzen sollen ebenfalls von Kindern hergestellt werden. Dazu werden Bienenwaben geviertelt. Jedes Kind erhält einen Docht, der etwas länger als die Breitseite der Bienenwabe ist. Der Docht wird vorher mit Wachs eingerieben, damit er schneller zu brennen beginnen kann. Dann wird er auf die Bienenwabe gelegt und in die Wabe eingewickelt. Und so ist eine Bienenwachskerze entstanden.
Als nächstes wird ein Apfel als Kerzenständer vorbereitet. Äpfel sollen bei einer vorweihnachtlichen Feier in ihrem vollen Glanz erstrahlen, deshalb werden sie mit Fett poliert. Dann wird mit einem Messer dort, wo der Stiel herauskommt, ein Loch in den Apfel gebohrt. Dieses Loch wird mit buntem Papier ausgelegt und die Kerze hineingesteckt. Mit kleinen Zweigen, Gräsern oder Papierstreifen kann die Kerze und der Apfelständer noch geschmückt werden.
Sinnvollerweise wird das Herstellen der Kerzen in einer eigenen Aktion vorher durchgeführt. Die Durchführung des Adventsgärtleins braucht je nach Anzahl der Kinder einen entsprechenden Zeitrahmen von eineinhalb bis zwei Stunden.
Direkt vor der Feier werden von Pädagog/innen im entsprechenden Raum die Zweige zu einer großen Spirale ausgelegt. Fenster und Glastüren sollen mit Vorhängen abgedunkelt sein. In der Mitte der Spirale brennt bereits eine Kerze, bevor die Kinder den Raum betreten.
Die Feier
Die Kinder kommen mit ihren Apfelkerzen in den vorbereiteten Raum und nehmen am Rand der Spirale Platz. Der Ablauf wird ihnen kurz erklärt: Nacheinander soll jedes Kind die Spirale bis zur Mittel entlang gehen, zündet dort seine Kerze an und stellt sie beim Zurückgehen auf die Spirale.
Kein Kind darf über die Spirale steigen, um den Weg abzukürzen. Es geht immer nur ein Kind den Weg entlang. Während die Kinder ihre Kerze aufstellen, singt die ganze Gruppe Weihnachtslieder. Pausen zwischen den Liedern können gut mit dem Spiel auf einer Kinderharfe überbrückt werden.
Wenn alle Kinder ihre Kerzen aufgestellt haben, können, soweit von den Kindern noch Begeisterung vorhanden, weitere Lieder gesungen werden. Nach dem Gesang verlassen alle ruhig den mit Kerzen erleuchteten Raum. Denn das Bild der Lichterspirale sollen die Kinder in sich einsinken lassen und bewahren.
Erfahrungen aus der Praxis
Das Adventsgärtlein ist seit Jahren ein fester Bestandteil meines Weihnachtsseminars für Eltern mit Kleinkindern. Immer wieder bin ich erstaunt und fasziniert, wie Kinder diese Übung mit Andacht und Konzentration aufnehmen. Sogar zwei- und dreijährige Kinder sind vollkommen ruhig, von den Lichtern und dem Gesang fasziniert, auch wenn die Feier mehr als zwei Stunden dauert.
Bei dem beschriebenen einfachen Verlauf der Feier kommt es vor allem drauf an, gleich von Beginn an für eine besinnliche und ruhige Stimmung zu sorgen. Denn ein missglückter Einstieg könnte den gesamten Verlauf gefährden.
Neben der festen Form des Verlaufs ist das Singen von Advents- und Weihnachtsliedern ein zentraler Bestandteil. Natürlich können auf Wunsch der Kinder einige Lieder auch mehrmals wiederholt werden, aber ein Liederbuch mit Weihnachtsliedern ist für neue Vorschläge eine gute Stütze.
Beim Ritual des Adventsgärtleins wirken einnehmend Gemeinschaft, Gesang und das Spiel der Lichter zusammen. Eine Bewegung unserer tiefsten Kräfte wird durch das Entlangschreiten der Spirale ausgelöst. Denn die Spirale ist in verschiedenen Variationen die Ursprungsgestalt sämtlicher Bewegungen im Universum (Schärli, Otto: Werkstatt des Lebens. Durch die Sinne zum Sinn. Aarau 1991, S. 18). Spiralen dienen in vielen Religionen als Medium zur Meditation. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dieses Ritual Kinder und Erwachsene so für sich einnehmen kann.