Aus: Was + Wie. Kinder religionspädagogisch begleiten 2008, Heft 4, S. 128-131
Michael Schnabel
Allen Kindern ist bekannt: Am Vorabend des Festes von Bischof Nikolaus werden die Kinder beschenkt. Es ist jedoch sehr unterschiedlich, wie das Beschenken erfolgt: Meistens erhalten die Kinder persönlich durch den Nikolaus die Geschenke überreicht. In manchen Gegenden legt jedoch der Nikolaus die Geschenke nachts vor die Tür oder steckt sie in einen Strumpf, einen Stiefel, oder lässt ein Säckchen mit den Geschenken zurück. Warum werden gerade am Fest des heiligen Nikolaus die Kinder beschenkt?
Ursprünge der Nikolausbräuche
Viele Brauchtumselemente zum Fest des heiligen Nikolaus gehen auf Legenden zurück, die sich um diese Heiligengestalt ranken. So hat beispielsweise das Beschenken der Kinder am Nikolaustag seinen Ursprung in der Erzählung, dass Bischof Nikolaus armen Mädchen, die keinen Bräutigam finden konnten, Goldklumpen in ihr Zimmer warf. Weiterhin gibt es mehrere Erzählungen vom Bischof Nikolaus, in denen berichtet wird, dass er arme Menschen beschenkt hat. Beispielsweise wird in einer Legende geschildert: Die Eltern von Nikolaus waren sehr reich, und er habe als Bischof das ganze Vermögen an Arme verschenkt.
Eine zweite Quelle für das Entstehen eines Brauchtumselements der Nikolausfeier sind die Knabenbischofsspiele des Mittelalters. Ursprünglich wurde in Klosterschulen am Fest der "Unschuldigen Kinder" (28. Dezember) ein Schüler zum Kinderbischof gewählt. Der Kinderbischof nahm an diesem Tag die Rechte des Abtes in Anspruch und durfte vor allem den Lehrern die Leviten lesen. Später wurde dieser Brauch auf den Nikolaustag gelegt und wandelte sich dahingehend, dass den Kindern ihre Schandtaten vorgehalten wurden. Somit ist heute ein zentraler Bestandteil einer Nikolausfeier das Vorlesen aus dem goldenen Buch, in dem die guten und schlechten Taten der Kinder aufgeschrieben sind.
In verschiedenen Ländern und Gegenden haben sich eine reiche Vielfalt von Spielen und Bräuchen um das Nikolausfest entwickelt. In den Pfarreien, Kindergärten, Schulen und Jugendgruppen wurden zum Teil Brauchtumselemente aufgegriffen und weiterentwickelt. Hier einige Beispiele:
Aussendung des heiligen Nikolaus
In einigen Pfarreien der Schweiz (neuerdings auch in Deutschland) wird der Nikolaus feierlich zu den Familien ausgesendet. Dazu treffen sich die Familien in der Kirche, und es findet ein feierlicher Gottesdienst statt. Bei diesem Gottesdienst erhält der Nikolaus (oder auch mehrere Nikoläuse) einen Ehrenplatz vorne neben dem Altar. In einer Segenshandlung wird der Nikolaus am Ende des Gottesdienstes beauftragt, die Familien zu besuchen und den Segen aus dem Gottesdienst zu den Menschen zu tragen.
Nikolausumzüge
In einigen Dörfern und Städten sind Nikolausumzüge sehr beliebt. Dabei bewegt sich der heilige Nikolaus mit seinem Gefolge durch die Ortschaft oder durch die Stadt. Es begleiten ihn geschmückte Wägen, auf denen Legenden dargestellt sind.
Ein besonders fantasievoller Umzug findet alle fünf Jahre am Vierwaldstätter See statt. Der heilige Nikolaus schreitet mit Diakone und großem Gefolge unter Lichtbögen, die von Kindern getragen werden, durch den Ort Gersau. Dann besteigt Nikolaus ein prunkvolles Schiff, das mit vielen Lämpchen geschmückt ist und segnet von dort aus die versammelten Menschen.
Nikolauswerkstatt
In Stanz, einem Dorf in der Schweiz, werden die Familien mit ihren Kindern in eine Hütte mitten im Wald, eingeladen. Dort treffen sie den Nikolaus mit seinen Begleitern, dem Schmutzli und den Engeln, bei weihnachtlichen Vorbereitungen. An verschiedenen Tischen dürfen Eltern und Kinder zusammen Lebkuchen ausstechen, und die Kinder können auch mit dem Esel des Nikolaus reiten. Bis spät in die Nacht geht das Treiben in der Werkstatt des Nikolaus. Anschließend wandern alle mit Laternen in die Kirche zu einer vorweihnachtlichen Feier.
Nikolaussuchen
Nikolaussuchen ist ein schönes Spiel für Kinder und Eltern einer Eltern-Kind-Gruppe oder auch für Kinder im Kindergarten. Sogar Hortkinder sind von dieser Aktion begeistert. Das Spiel verbindet zwei Unternehmungen: einen Erkundungsgang durch den Winterwald und die Begegnung mit dem Nikolaus.
Folgendermaßen wurde dieser Brauch in einem Familienkreis durchgeführt: Eltern und Kinder treffen sich am Spätnachmittag am Samstag vor dem zweiten Adventsonntag. Das Treffen findet an einem Waldparkplatz statt. Eltern und Kinder gehen ca. 30 Minuten durch den Wald. In einer Lichtung versammeln sie sich und singen Advents- und Weihnachtslieder. Da tritt plötzlich der Nikolaus aus Dickicht hervor und steht in ihre Mitte. Es werden dem Nikolaus noch einige Lieder gesungen. Daraufhin verteilt der Nikolaus Plätzchen und Äpfel. Die Eltern haben warmen Tee mitgebracht. Mitten im Wald findet ein kleines Picknick mit dem Nikolaus statt. Dann gehen Eltern und Kinder wieder zu den Autos zurück. Der Nikolaus begleitet die Gruppe ein Stückchen und verschwindet dann wieder im Wald.
Folgerungen
Bräuche und Rituale veranschaulichen Themen und Gedanken aus vergangenen Ereignissen. Sie zeichnen sich deshalb durch Beständigkeit und Regelmäßigkeit aus. Und dennoch dürfen sie nicht erstarren und als unantastbar gelten. Ganz im Gegenteil: Sie müssen immer wieder entstaubt und dem Lebensgefühl der Menschen angepasst werden, damit sie ihre Anziehungskraft nicht verlieren. Solche Veränderungen braucht Behutsamkeit, damit die ursprüngliche Botschaft nicht verdeckt oder sogar ins Gegenteil verkehrt wird. Bei der Gestaltung des Nikolausfestes wurden solche Grenzen oftmals verletzt. Wenn beispielsweise der freundliche und liebevolle Bischof zum Kinderschreck umfunktioniert wurde. Eine Hilfe bei der Umgestaltung von Brauchtumselementen sind Bräuche aus anderen Gegenden, die die bisherige Praxis wieder neu beleben können.