Martin R. Textor
Nahezu alle Familien kommen in Kontakt mit Kindertageseinrichtungen (und Schulen). Familienbildende Maßnahmen, die von diesen Institutionen ausgehen, erreichen potentiell alle Eltern. In der Realität nimmt aber auch hier nur ein Teil der Elternschaft - überwiegend Mütter - an entsprechenden Veranstaltungen teil.
Am besten werden Eltern von Kinderkrippen und Kindergärten erreicht. Diese entwickeln sich immer mehr zu familienergänzenden und -unterstützenden Institutionen, die in der Erziehungspartnerschaft mit Eltern und der Beeinflussung der Familienerziehung Schwerpunkte ihrer Arbeit sehen (Textor 2000). Damit wird auch den Vorgaben des § 22 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII Genüge getan: "Das Leistungsangebot [von Kindertageseinrichtungen] soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und anderen Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten". Zugleich wird den Wünschen der Eltern entsprochen, die laut Umfragen vom Kindergarten - neben Informationen über die Gestaltung des Kindergartenalltags und Ausstellungen guter Spiele und Bücher - vor allem Informationen darüber, wie sich Erzieherinnen bei Problemen mit Kindern verhalten, Beratung bei Erziehungsschwierigkeiten, Elternbildung, Möglichkeiten zum Ausleihen guter Spiele und Bücher, Gesprächskreise zu bestimmten Themen und Hinweise auf Hilfsangebote für Familien mit verhaltensauffälligen Kindern, Eheproblemen usw. erwarten (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1996).
Kindertagesstätten entsprechen heute den Erwartungen der Eltern bzw. den Bedürfnissen von Familien durch ganz verschiedene Formen der Elternarbeit, wobei jede Einrichtung ihr eigenes Angebot aus der Vielzahl von Möglichkeiten zusammenstellt. Neben Elternabenden, Einzelgesprächen über die Entwicklung und Erziehung des jeweiligen Kindes sowie Tür- und Angel-Gesprächen werden z.B. folgende Formen praktiziert: Elterngruppen (mit/ohne Kinderbetreuung), themenspezifische Gesprächskreise, Elternseminare, Elterncafé/ Teestube, Treffpunkt für Alleinerziehende, Vätergruppen, Elternstammtische, Feste, Basare, Bastelnachmittage, Freizeitangebote für die ganze Familie, Hospitationen in der Kindergruppe und Einbindung von Eltern in die pädagogische Arbeit bzw. besondere Projekte (Textor 2013). Durch diese Angebote sollen so zentrale Ziele erreicht werden wie die wechselseitige Öffnung von Kindertageseinrichtung und Familien, Abstimmung von öffentlicher und privater Erziehung, Elternbildung zur Verbesserung der Familienerziehung, Mitarbeit von Eltern in der Tagesstätte, Beratung bei Erziehungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten, Vermittlung von Hilfsangeboten (auch bei anderen Familienproblemen) sowie Förderung von Kontakten zwischen Familien und von Familienselbsthilfe. Die Vielfalt der Angebote stellt sicher, dass Eltern aus ganz unterschiedlichen Schichten oder sogar bestimmte Zielgruppen (Alleinerziehende, Väter, Aussiedler usw.) erreicht werden.
Elterngruppen in Kindertageseinrichtungen werden entweder von Erzieher/innen, einem Elternteil oder einem von außen kommenden Referenten (z.B. Erziehungsberaterin, Familienbildner oder Sozialpädagogin) geleitet. Wird parallel eine Kinderbetreuung angeboten, können auch Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern problemlos teilnehmen. Die Eltern können in der Gruppe ihnen wichtige Fragen und Anliegen diskutieren, benötigte Informationen einholen und Lösungsvorschläge für ihre (Erziehungs-) Probleme erbitten. Sie lernen andere Eltern kennen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. So können intensive Kontakte entstehen, die auch zur wechselseitigen Unterstützung, z.B. bei der Kinderbetreuung, führen. Das Thema für das jeweilige Treffen wird entweder beim vorausgegangenen festgelegt oder ergibt sich spontan. Manche Elterngruppen werden aber auch von Anfang an mit einer bestimmten Thematik angekündigt (z.B. "Wie fördern Eltern am besten die Entwicklung ihrer Kinder?", "Religiöse Erziehung in der Familie", "Frauen - Beruf - Familie"). Sie können ferner die Form eines Elternseminars annehmen. In diesem Fall bzw. bei themenspezifischen Gesprächskreisen werden besonders oft externe Referenten/innen eingesetzt, da hier der Arbeitsaufwand sehr hoch ist - zu hoch für Erzieher/innen mit ihrer relativ geringen Verfügungszeit. Diese Referent/innen werden oft von Bildungswerken vermittelt, die in der Regel solche Veranstaltungen auch bezuschussen.
Auch Elternabende eignen sich für die Familienbildung. Das Interesse an ihnen ist besonders groß, wenn Fragen der Erziehung und Entwicklung von (Klein-) Kindern auf eine nicht angsterzeugende Weise angesprochen werden. Schon bei der Themenformulierung muss beachtet werden, dass nicht der Eindruck entsteht, die Eltern könnten kritisiert oder zum Eingeständnis von Erziehungsfehlern genötigt werden. Vortragsabende mit anschließender Diskussion kommen kaum an; bei Elternabenden muss heute von der Situation der Teilnehmer/innen ausgegangen werden. So steht das Gespräch mit den Eltern und der Erfahrungsaustausch zwischen ihnen im Mittelpunkt. Auf diese Weise können individuelle Fragestellungen und Bedürfnisse eingebracht und berücksichtigt werden.
Elterncafés, Teestuben, Elternsitzecken, Nähgruppen, separate Räume für Eltern u.ä. sind offene Angebote von Kindertageseinrichtungen. Hier treten informelle Formen der Familienbildung auf - durch den Gesprächsaustausch zwischen Eltern und wechselseitige Beratung. Relativ selten sind noch Hospitationsmöglichkeiten für Eltern in Kindertageseinrichtungen und deren Einbindung in die pädagogische Arbeit, insbesondere in Projekte (vgl. Textor 2013). Hier erfolgt Elternbildung indirekt - durch die Modellwirkung des Verhaltens der Erzieher/innen bzw. deren Nachahmung. Zugleich werden Erfahrungen im Umgang mit anderen Kindern gesammelt, die im gleichen Alter wie das eigene sind.
Auch zielgruppenspezifische Angebote der Elternarbeit bzw. Familienbildung finden sich noch recht selten in Kindertagesstätten, obwohl hiermit schon positive Erfahrungen gemacht wurden. Beispielsweise wurden in einem Kindergarten Alleinerziehenden-Treffs durchgeführt, die alle vier bis sechs Wochen am Freitagnachmittag mit paralleler Kinderbetreuung stattfanden. Zu einzelnen Treffen wurden Fachleute wie die Frauenbeauftragte der Stadt, der Vorsitzende des Kinderschutzbundes oder ein Erziehungsberater eingeladen, mit denen über Themen wie "Mama, warum wohnt der Papa nicht bei uns?" diskutiert wurde. Hier konnte auch gut beobachtet werden, wie die Beziehungen zwischen den Alleinerziehenden immer intensiver wurden, sie sich privat trafen und z.B. abwechselnd auf ihre Kinder aufpassten, sodass andere Mütter mehr Zeit für eigene Aktivitäten gewannen. In einem anderen Kindergarten wurden mehrere Treffen mit Aussiedlerfrauen durchgeführt, bei denen Erfahrungen mit Behörden, Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie pädagogische Fragen diskutiert wurden. Eine Mutter, die bereits längere Zeit in Deutschland lebte, diente als Dolmetscherin (vgl. Blank/Fenzl 1998).
Literatur
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit (Hrsg.): Elternmitarbeit: Auf dem Wege zur Erziehungspartnerschaft. München: Selbstverlag 1996
Blank, B./Fenzl, S.M.: Elterngruppen. In: Textor, M.R. (Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten. Reflexion und Praxis. Freiburg: Herder, 4. Aufl. 1998, S. 49-58
Textor, M.R. (Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten. Reflexion und Praxis. Freiburg: Herder, 4. Aufl. 1998
Textor, M.R.: Projektarbeit im Kindergarten. Planung, Durchführung, Nachbereitung. Norderstedt: Books on Demand, 2. Aufl. 2013
Textor, M.R.: Kooperation mit den Eltern. Erziehungspartnerschaft von Familie und Kindertagesstätte. München: Don Bosco 2000