Erschienen unter dem Titel "Elternarbeit und Familienbildung - Fachkompetenz erweitern" in KiTa aktuell MO, Fachzeitschrift für Leiter/innen der Tageseinrichtungen für Kinder, Ausgabe Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin, 11. Jahrgang, Juni 2002, Nr. 6. Mit freundlicher Genehmigung des Carl-Link/ Deutscher Kommunal-Verlags, Kronach (ohne Tabelle der am Projekt beteiligten Kitas).
Gabriele Koch
Einleitung
Die pädagogische Arbeit in Krippe, Kindergarten und Hort bewegt sich im Schnittfeld zwischen einem kindgerechten Erziehungs- und Bildungsangebot und einer Elternarbeit, die möglicherweise auch Aspekte der Elternbildung, -förderung-, -beratung beinhalten kann. Erzieherinnen sehen sich dadurch Anforderungen und Verantwortungen gegenüber, die einer speziellen Qualifikation in den Bereichen Entwicklungspsychologie, Gesprächsführung und Konfliktbewältigung bedürfen. Rascher Wandel in Gesellschaft und Familie erfordern überdies eine Anpassung der praktizierten Konzepte der Elternarbeit an eine sich verändernde Bedarfslage. Im Rahmen des vom Landesjugendamt Brandenburg geförderten "Modellprojektes Familienbildung" erarbeiten Erzieherinnen und Kita-Leiterinnen aus vorwiegend ländlichen Kitas der Landkreise Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming und Oberspreewald-Lausitz anhand von praxisnahen Fortbildungsseminaren Kompetenzen und Ansätze zur Förderung der Erziehung in der Familie über die Elternarbeit. Als Projektträger bietet das Institut für Fortbildung, Forschung und Entwicklung an der Fachhochschule Potsdam fachliche Unterstützung und Vernetzung mit Angeboten vor Ort; der Projektverlauf wird durch das Institut für Sozialpädagogik der FU Berlin wissenschaftlich begleitet.
1. Kindertagesstätten als Ort für Familienbildung
Für die meisten Familien ist die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in einer Kindertagesstätte eine Selbstverständlichkeit. Erzieherinnen aus Krippe, Kindergarten und Hort sind für Eltern zentrale Ansprechpersonen, an die unterschiedliche Wünsche und Erwartungen herangetragen werden. Für ihre Kinder wünschen sich Eltern einen Erlebnisraum, in dem die soziale, kognitive und emotionale Entwicklung der Kinder zur Entfaltung kommen kann. Für Eltern selbst ist der Austausch mit den ErzieherInnen ebenso wertvoll wie die Möglichkeit, Kontakte mit anderen Familien zu knüpfen und sich an gemeinsamen Aktivitäten zu beteiligen. Die Einbindung der Eltern in den Kita-Alltag wird von Erzieherinnen oft als Bereicherung und Entlastung erlebt; sie stellt aber auch eine zusätzliche professionelle Anforderung dar:
Erfolgreiche Elternarbeit und -mitbestimmung setzt voraus, dass sich ErzieherInnen in Gesprächsführungs- und Konfliktbewältigungstechniken sicher fühlen und dialog- und konfliktfähig sind. Nur sehr wenige Erzieherinnen zeigen sich mit ihrer Ausbildung hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Eltern zufrieden. Die Untersuchung "Kindertagesbetreuung in Brandenburg" (Sturzbecher, Langner, Bredow, Hinsch, 1996) weist ebenfalls auf eine Schwachstelle hinsichtlich familienpädagogischer Beratung in Kindertagesstätten hin.
Eine qualifizierte und gelungene Elternarbeit bietet jedoch ein wichtiges Potential zur Förderung der Erziehung in der Familie. Ein hohes Ausmaß an Transparenz der Kita-Arbeit ermöglicht es, den Eltern modellhaft zu zeigen, wie Kinder adäquat gefördert werden können. Durch eine Einbindung der Eltern in die konkrete Arbeit, z.B. bei der Vorbereitung von Festen, dem Erlernen von Spielen, der Begleitung kleiner Projekte wird ein Kontakt geschaffen, der es Eltern und ErzieherInnen auch ermöglicht, bei Erziehungsproblemen miteinander in Austausch zu treten und gemeinsam Lösungswege zu finden.
Ziel der Projektarbeit ist es, die Kompetenzen der ErzieherInnen im Umgang mit den Eltern, v.a. in Problemkonstellationen, in praxisnahen Fortbildungsseminaren zu stärken und daraus erwachsende Projekte der Familienförderung und Elternbildung als ein Element der Elternarbeit zu erproben und auszuwerten.
2. Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie
Ein Leitgedanke von Familienbildung, die Erziehungsfähigkeit von Familien zu stärken und das Zusammenleben von Eltern und Kindern zu unterstützen, ist durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz aufgegriffen und für die Praxis der Jugendhilfe verstärkt worden. Im SGB VIII § 16 "Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie" werden Familienbildung, Familienberatung und Familienfreizeit und -erholung hervorgehoben und als Leistungen der Jugendhilfe genannt. Abs. 2 präzisiert diese Leistungen als "Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familien zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Form von Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten".
Für Familienbildung im Sinne des § 16 SGB VIII liegt die koordinierende und organisierende Aufgabe bei den Landkreisen und kreisfreien Städten (Textor, 2001). Dies entspricht auch den Vorgaben des Kinder- und Jugendhilfegesetzes: Nach § 79 Abs. 1 SGB VIII tragen sie neben den überörtlichen Trägern die Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe.
Die Arbeit der Familienbildung orientiert sich an Alltagsfragen und Lebensphasen und ist keineswegs als Krisenintervention zu verstehen. Sie versteht sich vor allem als Qualifizierung für Familienarbeit und erfordert eine Erreichbarkeit der Angebote im Nahbereich und niederschwellige Zugangsmöglichkeiten (Koditek, 2002).
Die Landkreise Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming und Oberspreewald-Lausitz, die aufgrund ihrer geographischen Lage, der Sozialstruktur der Standorte sowie der Aufgeschlossenheit der Entscheidungsträger vor Ort gegenüber früh ansetzenden Konzepten der Familienbildung ausgewählt wurden, entschieden sich für eine Teilnahme am zweijährigen vom Landesjugendamt Brandenburg geförderten Modellprojekt Familienbildung (Projektdauer: Juni 2001 - Mai 2003), an dem neben Kindertagesstätten auch Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Begegnungsstätten, Bibliotheken, kirchliche Verbände etc. beteiligt sind. Projektträger ist das Institut für Fortbildung, Forschung und Entwicklung an der Fachhochschule Potsdam, die Projektleitung liegt bei Frau Prof. Dr. Ludwig-Körner.
3. Projektbeteiligte im Bereich Elternarbeit und Familienbildung in Kindertagesstätten
Die Praxisberaterinnen der Jugendämter nehmen im Rahmen des Modellprojektes eine koordinierende und begleitende Funktion in den Landkreisen ein. Über ihre Vermittlung fand sich in jedem der drei beteiligten Landkreise eine Projektgruppe von jeweils bis zu 15 Erzieherinnen aus Kindertagesstätten (Krippe, Kindergarten, Hort) kommunaler wie freier Träger zusammen. Der Projektbeteiligung ging ein meist schwieriger Prozess der Entscheidungsfindung voraus, in dem zwischen Qualifizierungsbedarf einerseits und Möglichkeiten der Bereitstellung personeller Ressourcen sowie der - wenn auch verhältnismäßig geringen - Kostenbeteiligung anderseits abgewogen werden musste. Trotz politischer Willensbekundung, Familien durch qualifizierte Elternarbeit und Familienbildung zu fördern, bleibt die Schwierigkeit der Freistellung der beteiligten Erzieherinnen zu Fortbildungsseminaren und die damit verbundene Mehrbelastung der Teams von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von langfristig in der Einrichtung zu verankernden Ansätzen der Elternarbeit und Familienbildung. Dennoch entschieden sich insgesamt 29 Einrichtungen dafür, eine oder fallweise auch zwei Erzieherinnen - darunter in einigen Fällen auch Erzieherinnen in Leitungsfunktion - über einen Zeitraum von 1,5 Jahren an einer Qualifizierungsmaßnahme zum Thema Elternarbeit und Familienbildung in Krippe, Kindergarten und Hort zu beteiligen.
4. Fortbildungskonzept für Erzieherinnen im Bereich Elternarbeit
Das Konzept der Qualifizierungsmaßnahme, die im Rahmen des Modellprojektes Familienbildung für Erzieherinnen aus dem Krippen-, Kindergarten- und Hortbereich entwickelt und angeboten wird, erwächst inhaltlich weitgehend aus dem von den beteiligten Erzieherinnen formulierten Fortbildungsbedarf. Die beteiligten Erzieherinnen erwarten sich fachliche Unterstützung bzw. Kompetenzerwerb in folgenden Themenbereichen: Elterngespräche/ Elternarbeit, Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Hyperaktivität, Aggressivität), Umgang mit Scheidungskinder, Gewalt unter den Kindern, Motivierung von Eltern, Mitspracherecht der Eltern im Kita-Alltag (z.B. Mittagsschlafregelung), Schichtproblematik zwischen den Eltern, Arbeit mit ausländischen Familien, Gestaltung von Elternabenden, Themen aus der Entwicklungspsychologie, Sexualität, Hochbegabung, Sprachentwicklung, Gestaltung des Überganges von der Kita in den Hort, Gewalt und Bestrafung in der Familie, Kompetenzprobleme als Erzieherin, Aufstellen von Regeln, die auch zu Hause gelten, Umgang mit der Angst vor Eltern, Ideen für die Elternarbeit, Kontakt unter den Eltern schaffen, Entwicklungsdefizite im Krippenalter, rechtliche Lage bei Verdacht auf Missbrauch, Alkohol in der Familie, Gewalt in der Familie, Eingewöhnungsphase, juristische Aspekte des Kita-Alltags, Rassismus bei Eltern.
In insgesamt 16 monatlich stattfindenden Tagesseminaren erwerben die Erzieherinnen der Projektgruppen in einer geschlossenen Gruppe von jeweils 12-15 Teilnehmerinnen Kompetenzen im Bereich Elternarbeit und Familienbildung in Kindertagesstätten. Die Arbeit in einer konstanten Fortbildungsgruppe mit einer für den gesamten Fortbildungszeitraum von 1,5 Jahren verantwortlichen Referentin soll es den Erzieherinnen ermöglichen, in einem stark erfahrungs- und praxisbezogenen Rahmen ihre Kompetenz zu erweitern und in fachlichen wie kollegialen Austausch zu treten. Theorievermittlung und Praxisreflexion sind so gestaltet, dass ein Transfer der Kompetenzen in das jeweilige Kita-Team ermöglicht und gefördert wird. Die Fortbildungsteilnehmerinnen übernehmen die Funktion von Multiplikatorinnen, die stellvertretend Handlungskompetenzen erwerben und darauf aufbauend gemeinsam mit dem Team konkrete Herangehensweisen an Fragestellungen in der Elternarbeit entwickeln.
Inhaltlich liegen die Schwerpunkte der Fortbildungsreihe auf entwicklungspsychologischen Themen sowie Kommunikation unter konflikthaften Bedingungen. Methodisch ergänzen sich Vortrag und Diskussion mit Gruppenarbeiten, Rollenspielen und Selbsterfahrungsübungen.
4.1 Thema Entwicklung
Die Fortbildungsgruppe setzt sich mit Entwicklungsmodellen auseinander und reflektiert die persönlichen Perspektiven, die in der pädagogischen Arbeit Niederschlag finden. Typische Konflikte, Gefühle, Sprache sowie Ich- und Identitätsentwicklung finden bei der Bearbeitung von entwicklungspsychologischen Themen besondere Berücksichtigung. Die Erzieherinnen beschäftigen sich damit, welche Aufgaben Eltern und Erzieherinnen leisten müssen, um ein gesundes Heranwachsen von Kindern zu sichern. Im Mittelpunkt stehen die Prävention und der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten, mit denen Erzieherinnen in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern sowie in der Elternarbeit konfrontiert sein können. Die Fortbildungsteilnehmerinnen entwickeln im Rahmen einer vertiefenden Praxisreflexion in der Gruppe Handlungs- und Lösungsansätze. Anhand rechtlicher Grundlagen und der Diskussion um das Rollenverständnis der Erzieherinnen wird erörtert, wann Hilfe bzw. ein Eingreifen von Erzieherinnen wünschenswert, notwendig bzw. unabdingbar ist.
4.2 Thema Kommunikation
Im Zentrum des zweiten Themenschwerpunktes der Fortbildungsreihe steht die Vermittlung von Kommunikationskompetenzen und deren Bedeutung in der alltäglichen Arbeit von Erzieherinnen. Kommunikationsmodelle werden an konkreten Beispielen der Gesprächsführung aus der Praxis erprobt und vor allem unter konflikthaften Bedingungen geübt. Die dabei gemachten Erfahrungen werden besonders unter dem Aspekt des Umgangs mit Grenzen und des Schutzes der Erzieherinnen bei Grenzüberschreitungen diskutiert.
5. Vernetzung mit regionalen Angeboten der Familienbildung und Erarbeitung von Projektvorhaben in Kitas
Die oben beschriebene Qualifizierungsmaßnahme für Erzieherinnen zur Unterstützung der Elternarbeit in Kindertagesstätten ist in ein Gesamtprojekt eingebettet, das zum Ziel hat, in Zusammenarbeit mit örtlichen Trägern der beteiligten Landkreise Konzepte für Angebote der Familienbildung, -förderung und -beratung in ländlichen Regionen zu entwickeln, zu erproben und zu vernetzen. Dabei steht im Mittelpunkt, auf welchen Wegen werdende Eltern und Familien mit Kindern vom Säuglings- bis zum Hortalter erreicht und mit Angeboten der Familienbildung angesprochen werden können. Obwohl viele Eltern Themen der Familienbildung gegenüber aufgeschlossen sind, ist es dennoch oft mit großem organisatorischem Aufwand verbunden, Eltern zur Teilnahme bzw. Beteiligung an konkreten familienbezogenen Veranstaltungen zu motivieren. Im Rahmen des Modellprojektes werden Familienbildungsangebote (z.B. Spielnachmittage, Elternabende, Vorleseseminare, Babysitterkurse, Elternbriefe, Gruppenangebote etc.) über Träger vor Ort angeboten und mit den Kitas vor Ort vernetzt, indem die Erzieherinnen Ankündigungen über eine Wandzeitung und/oder über persönliche Einladungen an die Eltern weitergeben.
Die beteiligten Kitas sind darüber hinaus auch damit befasst, die eigene Elternarbeit um gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen mit den Eltern in der eigenen Einrichtung zu ergänzen. Das Modellprojekt bietet auf fachlicher und finanzieller Ebene Unterstützungsmöglichkeiten, um die Umsetzung der individuell in den einzelnen Kitas erarbeiteten familienbezogenen Vorhaben zu erleichtern. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Unterstützung auf Multiplikatoren-Ebene. So kann eine Kita je nach Bedarfslage beispielsweise eine Teamfortbildung oder Teamberatung zum Aufbau einer Krabbelgruppe oder zum Aufbau von spielpädagogisch angeleiteten Eltern-Kind-Nachmittagen nutzen. Elternabende oder -veranstaltungen können durch Einladung von Fachkräften mit speziellen Kompetenzen bereichert werden. Aber auch Vorhaben, die speziell darauf abzielen, Eltern zur Auseinandersetzung mit familienbezogenen Themen anzuregen, sie zur aktiven Beteiligung an gemeinsamen Aktivitäten zu gewinnen oder sie bei Initiativen der Selbstorganisation und Selbsthilfe zu unterstützen, gehören zum Spektrum der Ideen.
Sowohl der Fortbildungsprozess als auch die Entwicklung von familienbezogenen Vorhaben im Rahmen der Elternarbeit werden wissenschaftlich dokumentiert und ausgewertet. Anlässlich eines projektinternen überregionalen Fachtages wird der Erfahrungsaustausch zwischen den Projektbeteiligten der drei Landkreise und zwischen den unterschiedlichen Projektebenen (Jugendämter, Träger, Kitas, Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Arbeitsgruppen, wissenschaftliche Begleitung und Projektleitung) über Möglichkeiten und erforderliche Rahmenbedingungen der Förderung der Erziehung in der Familie angeregt. Gegen Ende des Modellprojektes im Mai 2003 werden die Erfahrungen aus dem Modellprojekt an der Fachhochschule Potsdam der Fachöffentlichkeit präsentiert.
Für weiter Informationen zum Modellprojekt "Primäre Prävention durch Familienbildung, -förderung und -beratung im Land Brandenburg" (gefördert durch das LJA Brandenburg) wenden Sie sich bitte an: Dipl. Psych. Gabriele Koch, Tel: 0331/5802451 oder Email: familienbildung@iffe.de
Literatur
Koditek, T. (2002): Primäre Prävention durch Familienbildung, -förderung und -beratung im Land Brandenburg. Erster Zwischenbericht zur begleitenden wissenschaftlichen Dokumentation (unveröffentlicht).
Sturzbecher D., Langner W., Bredow C., Hinsch (1996): Kindertagesbetreuung in Brandenburg. Erwartungen - Bedingungen - Chancen. Ergebnisse der Jugend- und Sozialisationsforschung. Band 3. Potsdam.
Textor, M.R. (2001): Familienbildung als Aufgabe der Jugendhilfe. Tagungsmanuskript: Internet