Es gibt auch Väter!

Aus: Kinderzeit 1999, Heft 2, II. Quartal, S. 20  

Michael Schnabel

Der moderne Vater schiebt schon mal den Kinderwagen, kann Babys wickeln, kann die Milchflasche richten und engagiert sich auch sonst in der Kindererziehung. Aber beim Elternabend, beim Termingespräch mit Eltern, bei einem Projekt, das die Erzieherinnen mit den Eltern durchführen, sind nur sehr vereinzelt Väter beteiligt. Erzieherinnen in Kindergärten lassen sich einiges einfallen, um auch die Väter mehr zum Mitwirken in der Kindergartenerziehung zu bewegen. Oftmals jedoch mit sehr dürftigem Erfolg. Das Bemühen um die Väter mündet dann allzu leicht in Resignation. Die Attraktion für Väter, der Magnet, der sie alle heranholt, ist ein Wochenendseminar zum Bauen von Weidenhäusern. Da kann die ganze Familie mitmachen und die Väter können ihr handwerkliches Geschick ausspielen. Der Eltern-Kind-Programm e.V. - ein Verein der Familienhilfe und Familienbildung - hat mit mehreren derartigen Angeboten sehr gute Erfahrungen gemacht.

Der Anfang

Freitag abends treffen die Familien in der Familienbildungsstätte ein. Nach dem Abendessen lernen sich Eltern und Kinder im Spiel näher kennen. Zugleich werden sie in das Vorhaben eingewiesen: ein Weidenhaus zu bauen. Eltern und Kinder betasten die Weidenzweige, zerreiben die Rinde und riechen daran, sie spielen mit den Ruten. Sie bilden mit Armen und Händen ein Haus nach. So wurden alle mental und spielerisch auf das Vorhaben eingestimmt und dadurch die richtige Einstellung für den Arbeitsauftrag geschaffen. Am Samstag nach dem Frühstück treffen sich alle auf der Wiese. Mit Eltern und Kindern werden kurz die Arbeitsschritte besprochen. "Wie erhalten wir einen runden Bau?" Diese Kinderfrage wird Anlass zum Experimentieren: Die ganze Gruppe bildet einen Kreis, Eltern nehmen ein Kind und zirkeln einen Bereich ab. Am besten lässt sich mit einer Schnur - am Stock befestigt - ein Kreis ziehen. Die Spur wird mit Sägemehl markiert. Dann erfolgt das Ausheben einer Rinne. Der Boden wird tiefgründig gelockert. Die angeschnittenen Weiden werden im Abstand von 30 cm gesteckt. Steht das Grundgerüst, so werden die Weiden zu einer Kuppel gebogen und verbunden. Danach erfolgt das Einflechten: Weidenruten werden neben den stehenden Pflanzen schräg gesteckt und eingeflochten. An einer Stelle wird ein Eingang freigelassen. Gegen Mittag ist der Kuppelbau bereits fertig. Nachmittags werden mit den übrigen Weidenruten Webrahmen geformt und Verzierungen hergestellt. So kann der neue Bau geschmückt und ein Richtfest gefeiert werden.

Die Technik

Weidenpflanzen sind gutmütig: Sie lassen sich biegen, verformen, einflechten und wurzeln sogar an beiden Enden. Schnell und problemlos ist ein Tipi, ein Kuppelbau, ein Zaun oder ein Tunnel hergestellt. Doch der erste Eindruck trügt! Wenn es auch richtig ist, dass mit Weiden leicht gestaltet werden kann, so ist doch fachmännisches Wissen nötig. Denn allzu häufig sieht man Versuche von Weiden-Bauten, die verdorrt sind. Es gibt einige Veröffentlichungen, die sorgfältig und kenntnisreich alle Anforderungen erklären. Oder sie laden einen Gärtner ein, der beim Seminar mitmacht. Erst bei der Arbeit werden die vielen Detailfragen bewusst, und es können sich Fehler einschleichen, die ausschlaggebend dafür sind, dass die Weiden nicht wachsen.

Das Tun

Das gemeinsame Arbeiten lässt Aspekte im Umgang der Familien untereinander und in der Zusammenarbeit mit den Kindern deutlich werden, wie sie in keiner noch so vortrefflichen Debatte über Erziehung beschrieben werden könnten. Ein echtes Aha-Erlebnis ist für Erzieherinnen, wenn sie sehen und erleben, wie Väter mit ihren Kindern zusammenarbeiten: Erziehung durch Väter ist kein Erklären, keine Belehrung, sondern ein praktisches Handeln und ein Lernen im Tun. Kinder bringen die Weidenruten und die Väter rammen sie in die Erde; Väter hieven die Kinder hoch, damit sie die Zweige verknüpfen; Väter biegen die Ruten und Kinder spannen die Wollfäden; Väter pickeln die Erde locker und Kinder schaufeln sie heraus. Ein kollegiales Zusammenarbeiten! Eine lebenspraktische Bildung, wie sie früher in der Agrargesellschaft üblich war oder wie sich handwerkliche Ausbildung heute noch vollzieht.

Literatur

Lange, Udo; Stadelmann, Thomas: Spiel-Platz ist überall. Lebendige Erfahrungswelten mit Kindern planen und gestalten. Freiburg, Basel, Wien 1996

Naturschutzzentrum NRW (Hrsg.): Naturspielräume für Kinder. Eine Arbeitshilfe zur Gestaltung naturnaher Spielräume an Kindergärten und anderswo. Recklinghausen 1994

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