Vom Erziehungspartner zum Haupterzieher: neue Anforderungen an die Elternarbeit

Martin R. Textor

Im Verlauf der Jahrzehnte hat sich das Verständnis von Elternarbeit immer wieder gewandelt. Selbst das Konzept der Erziehungspartnerschaft, wie es im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan den Kindertageseinrichtungen anempfohlen wird, kann heute nicht mehr so verstanden werden wie vor 20 Jahren - und wird vielleicht in einigen Jahren durch einen anderen Begriff ersetzt werden.

Wenn wir auf die Geschichte der Frühpädagogik zurückblicken, können wir feststellen, dass sich die "Philosophie" der Elternarbeit immer wieder verändert hat - alleine in den letzten Jahrzehnten folgten ganz unterschiedliche Verständnisse von Elternarbeit aufeinander bzw. überschnitten sich teilweise:

  • "Eltern außen vor": In den 1950er und 1960er Jahren gaben Eltern ihr Kind morgens im Vorraum des Kindergartens ab und durften den Gruppenraum nicht betreten. Eine Eingewöhnung neuer Kinder in Anwesenheit ihrer Eltern erfolgte nicht. Die Elternarbeit beschränkte sich auf einige wenige Elternabende. Termingespräche fanden nur bei Problemen statt.
  • "Elternarbeit mit erhobenem Zeigefinger": In den 1970er Jahren gab es viele belehrende Elternabende, z.B. zu Themen wie "Wie viel Fernsehen ist gut für mein Kind?"
  • "Elternmitbestimmung": In den ab den 1970er Jahren entstehenden Kinderläden und in den später gegründeten Elterninitiativen waren Eltern Träger der Kita und prägten weitgehend die Konzeption und die pädagogische Arbeit.
  • "Elternbeteiligung": Bei den ersten Kitas, die den "klassischen" Situationsansatz umzusetzen versuchten, diskutierten Eltern und Erzieher/innen miteinander, welche bildungsrelevanten Situationen aufgegriffen und wie sie pädagogisch umgesetzt werden sollten. Die Eltern wirkten in Projekten mit.
  • "Elternmitarbeit": In Kinderläden und "Netz-für-Kinder"-Einrichtungen (Bayern) übernahmen Eltern erziehende und bildende Aufgaben während der Betreuungszeit.

Die derzeit vorherrschende "Philosophie" der Elternarbeit wird als "Bildungs- und Erziehungspartnerschaft" bezeichnet. Sie wird in den Orientierungsplänen der Bundesländer ähnlich beschrieben (siehe Textor 2015, S. 9 ff.). So heißt es z.B. in der aktuellen fünften Auflage des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans: "Anzustreben ist eine Erziehungspartnerschaft, bei der sich Familie und Kindertageseinrichtung füreinander öffnen, ihre Erziehungsvorstellungen austauschen und zum Wohl der ihnen anvertrauten Kinder kooperieren. Sie erkennen die Bedeutung der jeweils anderen Lebenswelt für das Kind an und teilen ihre gemeinsame Verantwortung für die Erziehung des Kindes. ... Diese Erziehungspartnerschaft ist auszubauen zu einer Bildungspartnerschaft. Wie die Erziehung soll auch die Bildung zur gemeinsamen Aufgabe werden, die von beiden Seiten verantwortet wird. Wenn Eltern eingeladen werden, ihr Wissen, ihre Kompetenzen oder ihre Interessen in die Kindertageseinrichtung einzubringen, erweitert sich das Bildungsangebot. Wenn Eltern mit Kindern diskutieren, in Kleingruppen oder Einzelgesprächen, bringen sie andere Sichtweisen und Bildungsperspektiven ein. Wenn Eltern Lerninhalte zu Hause aufgreifen und vertiefen, wird sich dies auf die Entwicklung des Kindes positiv und nachhaltig auswirken" (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München 2012, S. 426). Dieser Text wurde nahezu unverändert von der ersten Auflage des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans aus dem Jahr 2003 übernommen. Er stammt weitestgehend aus meiner Feder, da ich im Staatsinstitut für Frühpädagogik die Hauptverantwortung für das entsprechende Kapitel trug (a.a.O., S. 470).

Die in den Bildungsplänen der Bundesländer erfolgte Festschreibung einer bestimmten Auffassung von Erziehungspartnerschaft als der heute umzusetzenden Konzeption von Elternarbeit ignoriert aber nicht nur, dass sich "Philosophien" der Elternarbeit immer wieder ändern, sondern auch, dass sich "Erziehungspartnerschaft" in der Vergangenheit anders realisieren ließ als dies in der Gegenwart der Fall ist - und in der Zukunft sein wird.

Vergangenheit

Den Begriff "Erziehungspartnerschaft" habe ich 1995 in die Frühpädagogik eingeführt, als ich für die wissenschaftliche Begleitung des Modellvorhabens "Intensivierung der Elternarbeit" (1994-1997) in der Diözese Passau zuständig war. In dem Projekt wurde eine Verbesserung der Elternarbeit in 70 Kindergärten mit Hilfe einer individualisierten Teamberatung angestrebt. Von "Erziehungspartnerschaft" schrieb ich erstmals in dem Artikel "Elternarbeit: Gemeinsam für unsere Kinder aktiv", der in der Zeitschrift "Kinderzeit" erschien (Textor 1995, S. 14). Ein Jahr später wählten Brigitte Blank (Projektmitarbeiterin) und ich den Begriff für den Titel der Broschüre "Elternmitarbeit - auf dem Wege zur Erziehungspartnerschaft" (Textor/Blank 1996), die an alle Kindertageseinrichtungen in Bayern verteilt wurde und bis ca. 2010 auf der Website des Bayerischen Sozialministeriums abgerufen werden konnte. Das Wort "Bildungspartnerschaft" benutzte ich 2002 zum ersten Mal bei einer Internetveröffentlichung (Textor 2002). Beide Begriffe verbreiteten sich schnell im Elementarbereich.

In was für einem Kontext entstand damals das Konzept "Erziehungspartnerschaft" und wie wurde es umgesetzt? Von Mitte der 1990er Jahre bis zur Jahrtausendwende befanden sich kaum unter Dreijährige und nur ein Teil der Dreijährigen in westdeutschen Kindertageseinrichtungen, die überwiegend als Halbtagskindergärten mit festen Öffnungszeiten geführt wurden. Die meisten Mütter waren Hausfrauen. Da die Kinder zur gleichen Zeit gebracht und abgeholt wurden und dann das gesamte Personal anwesend war (aber noch nicht pädagogisch arbeitete), ergaben sich automatisch viele Tür- und Angel-Gespräche. Bei diesen informellen Gesprächen lernten Eltern (Mütter) und Erzieher/innen einander kennen, tauschten Informationen aus und entwickelten allmählich eine vertrauensvolle Beziehung - die Grundlage der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Eltern, insbesondere die nicht erwerbstätigen Mütter, konnten vormittags hospitieren, in Aktivitäten bzw. Projekte eingebunden oder als Begleitpersonen bei Ausflügen gewonnen werden. Termingespräche und viele Arten von Elternveranstaltungen ließen sich nachmittags durchführen. Die Mütter waren an den Nachmittagen für die Betreuung ihrer Kinder zuständig und konnten dann pädagogische Anregungen der Fachkräfte umsetzen. So konnte die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft relativ problemlos in einer Vielzahl von Formen realisiert werden.

Gegenwart

Heute haben wir in Westdeutschland eine ganz andere Situation: Rund 25% der unter Dreijährigen und nahezu alle älteren Kleinkinder werden betreut, knapp die Hälfte für mehr als 35 Stunden pro Woche. Die meisten Mütter sind (Teilzeit) erwerbstätig; viele Eltern müssen spätnachmittags, abends oder an Wochenenden arbeiten; der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ist häufig länger geworden (mehr berufliche Mobilität). Viele Kinder werden unter Zeitdruck oder von Dritten (Großeltern, Nachbarn usw.) in die Kita gebracht und von dort abgeholt, weil sich die Arbeitszeiten ihrer Eltern nicht mit den Öffnungszeiten der Einrichtung vereinbaren lassen.

Im Gegensatz zum Zeitraum 1995 bis 2005 haben Eltern heute weniger Zeit, um Angebote der Elternarbeit zu nutzen. Außerdem müssen Elternveranstaltungen mit immer mehr alternativen Freizeitbeschäftigungen konkurrieren (mehr Events, mehr Fernsehkanäle, neue Medien, Online-Spiele usw.). Die Zahl der Eltern mit Migrationshintergrund ist größer, die Zusammensetzung dieser Elterngruppe diverser geworden. Es ist eher noch schwieriger geworden, Migranteneltern - sowie bildungsferne bzw. sozial schwache deutsche Familien - zu erreichen oder gar eine Erziehungspartnerschaft mit ihnen einzugehen.

Viele Kitas haben auf diese Situation reagiert, indem sie Termingespräche und andere Elternangebote auf den späten Nachmittag, den Abend oder sogar das Wochenende verlegen. Sie "werben" mehr für ihre Veranstaltungen und versuchen, diese attraktiver zu gestalten, indem sie z.B. an Elternabenden statt Vorträgen einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch anbieten oder Filme und Powerpoint-Präsentationen mit Fotos aus dem Kita-Alltag zeigen. Trotzdem werden Elternangebote weniger genutzt, ist ihre Zahl vielerorts reduziert worden.

Da es aufgrund der im nächsten Abschnitt skizzierten Gründe zu weniger Tür- und Angel-Gesprächen kommt, entstehen keine oder im Vergleich zu früher weniger tragfähige Beziehungen zwischen Eltern und Erzieher/innen. Dementsprechend kommt es leichter zu Konflikten, werden Eltern im Gegensatz zu früher als "schwieriger", "besserwisserischer" und "fordernder" erlebt. Viele Fachkräfte sind frustriert, weil ihre Elternarbeit noch nicht einmal annähernd den hehren Zielen einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft entspricht.

Zukunft

Die gerade beschriebene Situation wird sich in den kommenden zehn Jahren noch zuspitzen: In naher Zukunft werden fast alle Kinder ab dem 1. Lebensjahr ganztägig betreut werden - ein Teil sogar für 45 Stunden und mehr. Die meisten Mütter werden Teilzeit oder Vollzeit erwerbstätig sein; die Arbeitszeiten der Eltern werden noch häufiger am Spätnachmittag, am Abend oder am Wochenende liegen. Dementsprechend werden die Öffnungszeiten der Kitas nicht nur verlängert, sondern auch weiter flexibilisiert werden. Mehr als ein Drittel der Eltern wird einen Migrationshintergrund haben; die Familien werden aus immer mehr Ländern kommen und dementsprechend viele verschiedene Sprachen sprechen und ganz unterschiedliche kulturelle Eigenheiten aufweisen.

In naher Zukunft werden Eltern somit noch weniger Zeit für den Besuch von Veranstaltungen seitens der Kita haben. Auch wird es immer schwieriger werden, Termine für Entwicklungs- und Beratungsgespräche zu vereinbaren, da oft die für ein Kind zuständige Fachkraft schon seit Stunden die Einrichtung verlassen haben wird, wenn dessen Eltern kommen könnten. Die für die Entstehung einer Erziehungspartnerschaft so wichtigen Tür- und Angel-Gespräche werden sich kaum noch ergeben, da - bei immer stärker variierenden Anwesenheitszeiten von Kindern in den immer länger geöffneten Kitas - die für das jeweilige Kind zuständige Fachkraft entweder noch nicht bzw. nicht mehr anwesend sein wird, wenn das Kind gebracht bzw. abgeholt wird, oder sie wird mit den anwesenden Kindern arbeiten und darf dabei nicht gestört werden.

Von der Ko-Erzieherin zur Haupterzieherin

In naher Zukunft wird die Familienerziehung weiter an Bedeutung verlieren, da Kleinkinder immer weniger Zeit mit ihren Eltern verbringen werden. So beträgt die durchschnittliche Schlafdauer z.B. bei einem einjährigen Kind 13 Stunden und 45 Minuten sowie bei einem zweijährigen Kind 13 Stunden pro Tag (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2012). Daraus ergibt sich eine Wachzeit von 10 Stunden und 15 Minuten bzw. von 11 Stunden. Wird das jeweilige Kind 8 Stunden lang in einer Kita betreut, ist es werktags nur noch 2 Stunden 15 Minuten bzw. 3 Stunden mit seinen Eltern zusammen - und bei einer Betreuungsdauer von 9 Stunden (erst dann ist ja eine Vollzeiterwerbstätigkeit möglich) wäre es noch eine Stunde weniger (1). In diesen Zeitraum fallen noch Wecken, Waschen, Anziehen, Füttern und Transport des Kindes zur Kita bzw. vergleichbare Tätigkeiten am Abend. Für erzieherische oder gar bildende Aktivitäten wird den Eltern werktags so gut wie keine Zeit bleiben - und auch am Wochenende nur bedingt, denn dann ist der Großteil der Hausarbeit zu erledigen, müssen soziale Beziehungen (zu Verwandten, Freunden und Bekannten) gepflegt werden, wollen sich die Eltern (alleine) entspannen oder etwas für ihre Gesundheit tun.

Dementsprechend werden die frühkindliche Sozialisation, Erziehung und Bildung weitgehend von der Kita übernommen werden. Wenn Erzieher/innen aber zu den Haupterziehern werden, ist dann noch eine Erziehungspartnerschaft mit Eltern möglich, bei der beide Seiten "gleichwertig" sind? Wie können die Fachkräfte die Erziehung und Bildung in der Familie beeinflussen, wenn Eltern so wenig Zeit für Aktivitäten (nur) mit ihren Kindern haben? Wollen sich Erzieher/innen dann noch auf Gespräche mit den Eltern über die Erziehung und Bildung in der Kita einlassen, wenn sie diese kaum noch als (kompetent) erziehende Personen wahrnehmen? Wird noch ein Austausch "auf Augenhöhe" möglich sein?

Je weniger Zeit Eltern mit ihrem Kind verbringen, umso schwächer könnte die Bindung vor allem bei Babys und unter Dreijährigen werden. Insbesondere wenn das Kind eine Vollzeit erwerbstätige Bezugserzieherin hat, mit der es den größten Teil des Tages verbringt, würde diese zu seiner wichtigsten Bindungsperson werden. Daraus könnten sich z.B. folgende Probleme ergeben:

  • Schuldgefühle auf Seiten der Mutter, vor allem bei einem fehlenden inneren Einverständnis mit der "Fremdbetreuung" ihres "Babys" oder bei Verunglimpfung als "Rabenmutter".
  • Konkurrenzgefühle und Verlustängste auf Seiten der Eltern. Oft werden sie aus ihrer Eifersucht heraus in der Kita nach Mängeln und Fehlern suchen und dann verärgert oder gar aggressiv reagieren.
  • Neid, wenn Erzieher/innen von besonderen Ereignissen (der erste Schritt, das erste Wort...) erzählen, und schlechtes Gewissen, wenn sie von Problemen berichten.
  • eine zu enge Beziehung von Fachkräften zu (einzelnen) Kindern; sie könnten zu "Ersatzmüttern" werden.
  • eine "überkritische" Haltung der Erzieher/innen gegenüber den Eltern; sie könnten sich als die "besseren Mütter" erleben. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn die Fachkräfte noch Vorbehalte gegen eine zu frühe und zu lange "Fremdbetreuung" unter Dreijähriger haben.
  • Loyalitätskonflikte auf Seiten der Kinder.

Wenn sich Erzieher/innen und Eltern aufgrund der Zeitknappheit auf beiden Seiten nur noch bei einem Termingespräch im (Halb-) Jahr sehen, wird es dann möglich sein, solche Gefühle und Haltungen abzubauen? Oder werden sie die Beziehung belasten?

Hinzu kommt: Je weniger Zeit Eltern mit ihrem Kind verbringen, umso wichtiger wird es, dass sie regelmäßig über die Entwicklung ihres Kindes informiert werden. Da sich Tür- und Angel-Gespräche seltener ergeben, müssten mehr Termingespräche anberaumt werden. Dies wird aber nur möglich sein, wenn die Fachkräfte mehr Verfügungszeit erhalten und bereit sein würden, viele dieser Gespräche am Abend oder sogar an Samstagen zu führen. Beides dürfte recht unwahrscheinlich sein...

Konsequenzen der Entwicklungstrends

Rückblick, Gegenwartsanalyse und Vorausschau zeigen also, dass Erziehungspartnerschaft um das Jahr 1995 herum anders praktiziert wurde als heute und dass sie um das Jahr 2025 wieder anders sein wird. Vor allem aber wird deutlich, dass Erziehungs- und Bildungspartnerschaften unwahrscheinlicher werden:

  • Es wird immer schwieriger werden, Elternabende und andere Veranstaltungen so zu terminieren, dass nahezu alle Eltern kommen könnten (Berufstätigkeit am späten Nachmittag oder am Abend; der Partner mag noch nicht zu Hause sein, um die Kinderbetreuung zu übernehmen). Auch können nicht mehr Angebote gemacht werden, da die für Elternarbeit zur Verfügung stehende Zeit weiter abnehmen dürfte.
  • Es wird immer schwieriger werden, Eltern zum Besuch von Veranstaltungen zu motivieren, da sie nach einem stressigen Arbeitstag müde und erschöpft sind oder alternative bzw. attraktivere Freizeitbeschäftigungen vorziehen. So werden die Teilnehmerzahlen weiter zurückgehen.
  • Es wird immer schwieriger werden, als für ein Kind zuständige Fachkraft mit dessen Eltern eine Erziehungspartnerschaft einzugehen, da sich die für den Beziehungsaufbau so wichtigen Tür- und Angel-Gespräche kaum noch ergeben werden (s.o.).
  • Es wird immer schwieriger und zeitaufwändiger werden, mit Migranteneltern zu kommunizieren, da ihre Zahl weiter ansteigen wird und sie sich zunehmend hinsichtlich ihrer Sprache, Kultur, Religion, Bildung usw. unterscheiden werden.
  • Es wird immer schwieriger werden, Eltern umfassend und korrekt über die Entwicklung ihres Kindes zu informieren, da die zuständige Fachkraft häufig das jeweilige Kind nicht mehr gut genug kennen wird - trotz des Einsatzes von Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren. Das liegt zum einen daran, dass sich ihre Arbeitszeit und die Betreuungszeit des Kindes aufgrund der weiteren Flexibilisierung und Ausweitung der Öffnungszeiten weniger überschneiden werden. Außerdem sind rund 60% der Erzieher/innen nur Teilzeit erwerbstätig. Zum anderen arbeiten immer mehr Kitas offen, sodass sich die für das Kind zuständige Fachkraft nur schwer ein Bild von seiner gesamten Entwicklung machen kann - insbesondere wenn sie die meiste Zeit in einem bestimmten Funktionsraum tätig ist.
  • Es wird immer schwieriger werden, Eltern als Experten für ihr Kind wahrzunehmen, mit denen sich ein Erfahrungsaustausch lohnt: Je kürzer die Familienzeit wird und je weniger sich Eltern mit ihrem Kind befassen, umso weniger werden sie es kennen - also über "Expertenwissen" verfügen.
  • Es wird immer schwieriger werden, mit Eltern bei der Erziehung und Bildung ihres Kindes zu kooperieren, wenn Familienerziehung höchstens noch während einiger Stunden am Wochenende erfolgt und ansonsten die Erziehung und Bildung des Kindes an die Kita delegiert werden. Außerdem dürften viele Eltern nur eine geringe Erziehungskompetenz ausbilden und hinsichtlich des "richtigen" Umgangs mit ihrem Kind verunsichert sein, sodass es Erzieher/innen schwer fallen wird, in ihnen gleichwertige Erziehungspartner zu sehen.

In naher Zukunft werden Fachkräfte vielen Eltern einen noch größeren Bedarf an Familienbildung und Erziehungsberatung als heute attestieren. Vielleicht werden sie sich dann eher als elternbildende und -beratende Fachleute denn als Erziehungspartner sehen...

Ausblick

Wenn Erzieher/innen heute versuchen, eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Eltern einzugehen, wie sie um 1995 herum möglich war, werden sie in hohem Maße frustriert werden - und dies gilt erst recht, wenn sie 2020 oder 2025 diesen Versuch machen würden. Die Erziehungspartnerschaft wird zunehmend zu einem nicht erreichbaren Ideal, zu einer Utopie werden. So wird diese Konzeption irgendwann von einer neuen "Philosophie" der Elternarbeit abgelöst werden.

Deutlich wird, wie wichtig es ist, Ziele und Konzepte der sich ständig verändernden Realität anzupassen. Sonst werden Erzieher/innen Schiffbruch erleiden - und so ist es nicht verwunderlich, dass viele Fachkräfte mit ihrer Elternarbeit unzufrieden sind: Sie haben zu hohe Erwartungen an sich selbst und an die Eltern!

Anmerkung

(1) Die Berechnung ist natürlich etwas überspitzt: Da ein Einjähriges oder Zweijähriges auch in der Kita schläft, müsste die jeweilige Schlafdauer der Familienzeit zugerechnet werden.

Literatur

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Berlin: Cornelsen, 5. Aufl. 2012

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Wie viel Schlaf braucht mein Kind? Die durchschnittliche Schlafdauer von Kindern in verschiedenen Altersstufen. http://www.kindergesundheit-info.de/fuer-eltern/schlafen/schlafen1/statistik-wie-viel-schlaf-braucht-mein-kind/ (abgerufen am 22.01.2015)

Textor, M.R.: Elternarbeit: Gemeinsam für unsere Kinder aktiv. Kinderzeit 1995, 46 (1), S. 14-16

Textor, M.R.: Von der Erziehungspartnerschaft zur Bildungspartnerschaft (2002). http://www.kindergartenpaedagogik.de/798.html (abgerufen am 22.01.2015)

Textor, M.R.: Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in Kindertageseinrichtungen. Norderstedt: Books on Demand, 2. Aufl. 2015

Textor, M.R./Blank, B.: Elternmitarbeit: Auf dem Wege zur Erziehungspartnerschaft. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1996

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