Viele Kita-Leitungen und Fachkräfte konnten während der Corona-Krise sehr gute Arbeit leisten, trotz vielfältiger Verunsicherungen und neuen Herausforderungen. Von der Notbetreuung bis zur stufenweisen Ausweitung der Kindertagesbetreuung ergaben sich im Team und in der Zusammenarbeit mit dem Träger neue Anforderungen. Hinzu kamen neue Anforderungen wie z.B. die Umsetzung der Schutzmaßnahmen und Hygienevorschriften. Zu dieser Thematik wurde Susan Richter, Leiterin der Klax Vorschule Regenbogenhaus in Berlin befragt.
Welche Schutzmaßnahmen müssen Sie im Kita-Alltag umsetzen und wie hoch würden Sie den Aufwand einschätzen?
Zunächst möchte ich betonen, dass alle Schutzmaßnahmen sinnvoll und für eine reibungslose Betreuung in einer „Großeinrichtung“ Voraussetzung sind. Es sind nicht nur Unmengen an Papier, Tabellen, Unterschriften und Ablagen, sondern auch ein erhöhter Bedarf an Vor- und Nachbearbeitung im Tagesablauf. Stetiges Händewaschen, regelmäßiges desinfizieren, Absperrungen von Kontaktgruppen. Tägliches Führen von Anwesenheitslisten war ja schon vorher eine selbstverständliche Routine. Der zeitliche Aufwand ist enorm gestiegen. Liste führen oder Kind betreuen? Am Anfang war das eine große Herausforderung. Nachdem die Schutzmaßnahmen in unsere Routinen eingebettet wurden, läuft es mit den Kindern im Alltag. Wir haben ja Vorschulkinder.
Als ein positiver Fall gemeldet wurde und wir eine Quarantäne Anordnung erhielten, war mein erster Gedanke: Zum Glück hast du die Reinigungslisten geführt. Allerdings wollte das Gesundheitsamt genau diese nicht sehen. Nur Anwesenheitslisten waren wichtig. Ich war irgendwie enttäuscht, weil genau diese Listen so enorm viel Zeit in Anspruch nehmen.
Eltern und Mitarbeitern begegnete man im Flur nur mit Mund-Nasen-Schutz. Meine Herausforderung bestand jetzt darin, Emotionen und Gedanken anhand der Augen zu erkennen. Körpersprache noch genauer wahrzunehmen, um so zeitnah auf eventuelle Fragen oder Missverständnisse reagieren zu können.
Kinder verschiedener Kontaktgruppen durften sich nicht begegnen. Erklären Sie das einem Vorschulkind, dessen Freundin in der Nachbargruppe ist und nur durch Glastüren zu sehen war. Das Vorschulteam strukturierte die pädagogischen Angebote um. Es wurden jetzt Briefe geschrieben für die Freundin in der Nachbargruppe. Oder eine Zeichensprache erfunden. Dennoch eine große emotionale Herausforderung.
Welche Vorbereitungen mussten Sie im Team treffen, damit nach der längeren Betreuungspause Kinder wieder in die Kita zurückkehren konnten?
Der Senat beschloss sozusagen über Nacht, dass alle Vorschulkinder in den Regelbetrieb zurückkehren sollten. Wir haben uns gefreut. Allerdings sind wir in ganz Berlin die einzige Vorschule mit 70 Kindern. Die neuen Auflagen würden bedeuten, je Gruppe: Mindestens zwei Betreuer (Früh- und Spätdienst muss in den Kontaktgruppen abgedeckt werden), die Räume mussten umstrukturiert werden, der gesamte Tagesablauf und das offene Konzept wurden auf den Kopf gestellt. Das war die größte Herausforderung für Kinder und Pädagogen.
Die Quarantäne Anordnung kam am vorletzten Tag der „alten“ Vorschulkinder. In einer Mail an die Eltern verkündete ich, dass alle Kinder abgeholt werden müssen und es somit heute der letzte Vorschultag war. Kinder, Eltern und Pädagogen hatten einen sehr traurigen Nachmittag. Alle haben geweint und viele hatten sehr große Schwierigkeiten mit dieser Situation umzugehen. Als ein Kind traurig zu mir kam und sagte: „Du hast mir versprochen, dass wir morgen eine große Abschiedsparty feiern“, war das wie ein Stich ins Herz. Ich konnte mein Versprechen nicht einhalten, und noch viel schlimmer, ich weiß nicht, ob wir uns überhaupt noch mal sehen. Als Plan im Kopf habe ich ein großes Abschiedsgrillen mit allen „alten“ Kindern und Eltern. Das wird die Entwicklung der Pandemie zeigen, ob und ab wann dies möglich sein wird.
Am gleichen Tag musste ich allen zukünftigen Vorschuleltern mitteilen, dass der Vorschulstart auf den 10.8.2020 verschoben werden muss. Ich rechnete mit großem Unmut und Widerstand. Allerdings waren die Elternreaktionen durchweg positiv. Das erleichterte mir die Quarantänezeit zu Hause.
Mein Team ging automatisch ab dem ersten Quarantänetag in die Homeoffice-Rituale. Es wurden sofort Mails an die Eltern verschickt. Die Situation noch mal erläutert und erste Vorschulhausaufgaben gestellt. Ich, als Leitung hatte dies nie „angeordnet“. Das machte mich sehr stolz auf mein Team.
In dieser Situation war uns allen bewusst, was für ein großer Vorteil das digitale Portfolio für uns hat. Alle Ergebnisse der Homeofficeaufgaben, die uns die Eltern per Mail zurückgeschickt haben, konnten sofort ins digitale Portfolio gestellt werden. Aufgaben, wie zum Beispiel: „Das bin ich“, „Das ist meine Familie“ oder „Das mag ich“ konnten die Kinder zu Hause gemeinsam mit ihren Eltern erarbeiten und gestalten. So konnten wir die ersten wichtigen Seiten im digitalen Portfolio abspeichern und lernten gleichzeitig die Kinder und Familien noch besser kennen. Digitale Medien haben uns beim Start in das neue Vorschuljahr sehr geholfen und somit konnten wir den verzögerten Starttermin doch gemeinsam mit den Eltern nutzen.
Die zwei Mitarbeiter, die nicht in Quarantäne mussten, waren vor Ort und betreuten die Notbetreuungskinder. Es waren beide Gruppen aus dem Klax Kindergarten Wolkenhaus in Berlin. Diese mussten nach oben wechseln, da sonst im Kindergarten kein Platz für die neuen ehemaligen Krippenkinder gewesen wäre. Beide Mitarbeiter mussten unseren geplanten Aufräum- und Vorbereitungstag in dieser Woche allein umsetzen. Garderoben, Eigentumsfächer, Elternbriefkästen beschriften, Willkommensaushänge aufstellen. Die Sachen der „alten“ Vorschulkinder beschriften und einlagern; alle Räume reinigen und desinfizieren; Lerntheken zurückbauen. Ich bin so stolz auf mein Team, denn auch das konnten wir gemeinsam meistern.
Haben Sie bestimmte Rituale oder Methoden für den Wiedereinstieg in den Kita-Alltag genutzt?
Im Vorfeld der Aufnahme neuer Kinder entwickelte mein Team einen „Kennenlernkoffer“. Es ist ein ganz normaler Reisekoffer (großes Handgepäckstück). In diesem Koffer sind verschiedene Dinge aus der Vorschule. Dazu gibt es ein Inhaltsverzeichnis mit kleinen Aufgaben.
- Zum Beispiel die Klax Buchstaben:
- Kennst du schon die Farben?
- Kennst du die Buchstaben und kannst diese benennen?
- Oder eine Sprachklammer, mit der sich der Pädagoge vorstellt und ein paar Worte an das Kind bzw. die Eltern richtet.
- Ein Logbuch.
- Bilder vom Bezugsraum.
- Eine Vorstellung vom Bezugserzieher.
Am ersten Vorschultag wurde dieser Koffer im Morgenkreis noch einmal vorgestellt und viele Kinder konnten eine Rückmeldung geben. Es war ein gelungener Sprachanlass und Start ins neue Vorschuljahr.
Welche Chancen und Probleme haben sich aus der Corona-Krise für Ihre Arbeit ergeben?
Gelernt in der Coronazeit habe ich definitiv viel. Ich kann mit Excel besser umgehen, ich nutze den Mac als Hauptwerkzeug. Ich erkenne per Skype Sorgen oder Ängste bei meinen Mitarbeitern. Der Zusammenhalt im Team ist noch intensiver geworden. Wir achten auf uns als Team! Was auch unser vereinbartes Klausurziel für das Team war. Digitale Medien können bereichern und unterstützen, ersetzen aber niemals eine persönliche Begegnung oder ein persönliches Gespräch.
Interessierten Eltern per Skype die Vorschulräume zu zeigen und Sie erst zum eigentlichen Vorschulstart live zu sehen und dann noch mit Maske, ist schon ein merkwürdiges Gefühl.
Als Team haben wir uns das Ziel setzt, die Elternkommunikation unter Berücksichtigung der besonderen Umstände bestmöglich zu gestalten. Dazu wurden Aushänge etc. in der Vorschule ausgehängt. Allerdings kommen die Eltern ja nicht mehr ins Gebäude. Welche Möglichkeiten haben wir also, um dennoch unsere Elternkommunikation transparent und aktuell zu halten? Und trotzdem auch persönlich und individuell? Wir möchten neue Wege finden! Dabei fragen wir uns, wie digitale Medien helfen können und welche wir noch stärker nutzen sollten.
Ich persönlich möchte noch sagen, dass die Quarantänezeit für mich die Höchststrafe war. Das Haus nicht verlassen zu dürfen. Angst, es jemanden zu sagen, um nicht als Aussätzige behandelt zu werden. Nie hätte ich gedacht, dass mein Beruf mein Privatleben so massiv beeinflussen könnte. Ich danke meiner Familie für die Unterstützung und meinen Freunden für das stets offene Ohr.
Wie können Eingewöhnung und Übergänge in dieser besonderen Zeit optimal gestaltet werden?
Diese Frage sollte in allen Einrichtungen eine zentrale Rolle spielen. Zum Beispiel durch ein Projekt von Kitaleitern und/oder Pädagogen, die sich dazu gemeinsam beraten, unterstützen und neue Wege ausprobieren. Wie kann eine gute Eingewöhnung unter Berücksichtigung der besonderen Hygiene und Abstandsregeln in den Klax Einrichtungen gelingen? Wie kann eine gute Elternpartnerschaft unter Pandemiebedingungen gelingen? Was benötigen wir dafür?
Weitere Informationen
Zur Klax-Pädagogik
Die Klax-Pädagogik wurde im Jahr 1990 von der Pädagogin und Künstlerin Antje Bostelmann begründet und seither von ihr und ihrem Team in Krippen, Kindergärten, Schulen und Bildungseinrichtungen für Erwachsene gelebt und kontinuierlich weiterentwickelt. Dieses pädagogische Konzept setzt auf Individualität, Kreativität und Innovationskraft. Dabei berücksichtigt sie gesellschaftliche Veränderungen und kulturelle Unterschiede.
Das Institut für Klax-Pädagogik
Das Institut für Klax-Pädagogik bietet Fort- und Weiterbildungen für Erzieher, Tagespflegekräfte, Lehrer, Hortpädagogen und Leitungskräfte an und vermittelt aktuelles Fachwissen und Praxis-Know-how. Mit dem Ziel, Kompetenzen auszubauen und kreative Anstöße für die sich stetig ändernden Anforderungen im Arbeitsalltag zu geben.
Kitaportfolio
Literaturempfehlungen
Bostelmann, A. & Möllers, G. (2015). Verantwortungsbewusst, sozialkompetent, kreativ Das Bild vom Kind in der Klax-Pädagogik. Berlin: Bananenblau Verlag.
Bostelmann, A. & Möllers, G. (2020). Portfolio, Stufenblätter, Lotusplan Methoden und Werkzeuge des Lernens in der Klax-Pädagogik. Berlin: Bananenblau Verlag.
Bostelmann, A. & Möllers, G. (2020). Respekt, Beteiligung, Regeln Die soziale Gemeinschaft in der Klax-Pädagogik. Berlin: Bananenblau Verlag.