Antje Bostelmann
Im Februar bat ich eine unserer Kindergartenleiterinnen zu einer Projektbesprechung. Sie lehnte meinen Terminvorschlag ab, mit der Begründung, an diesem Tag sei Fasching. Ich entgegnete ihr, dass ich einen Termin am späten Nachmittag vorgeschlagen hätte - eine Zeit, zu der ein Kinderfasching normalerweise längst vorbei sei. "Sie machen sich keine Vorstellung", entgegnete sie und erzählte mir die folgende Begebenheit.
Seit einigen Jahren verschiebt der Fasching in der Kita seinen Fokus. Es geht schon lange nicht mehr nur um eine Kinderparty. Die Kinder kommen zwar morgens in ihren Kostümen, und es gibt am Vormittag Spiele, Konfetti und eine Polonaise durch den Kindergarten. Früher war das kleine Fest nach dem Mittagsschlaf beendet, aber heute geht es dann erst richtig los. Ab 14 Uhr versammeln sich vollständig kostümierte Eltern im Kindergarten. Sie bringen Kuchen und Getränke mit. Musik wird aufgelegt, und die Party bekommt eine neue Dimension. Elterngrüppchen bevölkern fast jeden Raum, es wird getanzt, die Elternvertreter prämieren die Mutter oder den Vater mit dem schönsten Kostüm - eine richtige Faschingsparty eben. Die meisten Erzieherinnen begrüßen diesen Trend und kommen nach ihrem Feierabend mit tollen Kostümen bekleidet wieder in den Kindergarten. Allerdings kann es schon vorkommen, dass der als Troll verkleidete Vater den Kindern einen riesigen Schrecken einjagt und die pummelige Mutter im großzügig dekolletierten Feenkostüm für Verstörung sorgt. Als Leiterin müsse sie die Eltern immer wieder darauf hinweisen, dass es sich um eine Kindereinrichtung handelt und manche Kostüme hier einfach nicht hinpassen. Auch müsse sie dafür sorgen, dass die Party ein Ende findet, wenn der Kindergarten schließt, und dass die Erzieherinnen noch ausreichend Zeit haben, den nächsten Tag vorzubereiten.
Wir haben dann einen anderen Termin vereinbart.
Dass sich Lebensverhältnisse verändern, ist ganz normal. Aber es sind nicht nur Frisuren, die Mode oder neue Fahrzeugmodelle, an denen sich Veränderungen ablesen lassen. Auch die Familien von heute unterscheiden sich in vielen Dingen von denen vor 50 oder 20 Jahren. Gepflogenheiten und Gewohnheiten ändern sich genauso wie die Vorstellungen vom Zusammenleben. All dies berührt auch den Kindergarten, der in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel durchlaufen hat. Nach dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, dem Ausbau des Platzangebots und einer weitgehenden Kostenbefreiung für die Eltern (in Berlin) kann man sich nun der Qualität der inhaltlichen Arbeit widmen. Der Kindergarten ist dadurch eine Institution geworden, auf die Eltern zählen können. Dies hat auch das Verhalten der Eltern geändert.
Der Kindergarten als Arbeitsplatz
Es fällt auf, dass Eltern während der Eingewöhnungszeit ihrer Kinder, aber auch zu den Übergabezeiten, immer häufiger mit Tablets oder Laptops in den Einrichtungsräumen sitzen und nebenher arbeiten. Manchmal ist es in den Elternecken richtig voll. Mobile Arbeitsgeräte verschaffen immer mehr Berufen die Möglichkeit, auch außerhalb des Büros und der regulären Arbeitszeit bestimmte Aufgaben zu erledigen. Daraus erwachsen neue Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Durch die Arbeit in der Nähe des betreuten Kindes gewinnen alle Beteiligten an Flexibilität. Die Eltern können ihr Kind auch zwischendurch abholen, sobald eine Arbeit erledigt ist, und die Erzieher können die Eltern jederzeit direkt ansprechen. Coworking Spaces im Kindergarten als Arbeitsmöglichkeit für Eltern werden schon in naher Zukunft einiges an der Kinderbetreuung verändern. Die Kindergärten werden flexiblere Betreuungszeiten einführen. Die Planung des Tagesablaufs muss darauf eingestellt werden, dass Eltern im Haus sind und ihr Kind hin und wieder zu sich nehmen.
Der Kindergarten als Treffpunkt
Es gibt sie fast überall - die Gruppen von Müttern, die häufig nicht den Weg nach Hause finden und in der Kindergarderobe oder im Eingangsbereich des Kindergartens zusammenstehen, um mit anderen Eltern einen Schwatz zu halten. Noch vor wenigen Jahren wurden diese Elternansammlungen von Personal und Leitung misstrauisch beäugt, ging es doch in den Gesprächen oft um eine Kritik am Kindergarten. Das hat sich deutlich entspannt. Der Kindergarten ist ganz normal auch ein Treffpunkt von Eltern. Hier werden Elternfreundschaften geschlossen, gemeinsame Aktivitäten verabredet und private Kinderfeste organisiert. Dazu kommt heute, dass Eltern ihre Familienfeiern und Kinderfeste auch gerne im Kindergarten abhalten und häufiger danach fragen, einen Raum am Nachmittag privat nutzen zu dürfen. Eltern nehmen den Kindergarten heute viel selbstverständlicher an, als noch vor zwanzig Jahren. Dies mag daran liegen, dass es mittlerweile ausreichend Plätze gibt und die Bildungsprogramme mehr Klarheit darüber geschaffen haben, was ein Kindergarten leisten muss. Vorbehalte zwischen Kindergarten und Eltern scheinen überwunden zu sein oder werden auf anderen, direkteren Wegen geklärt. Auf der anderen Seite haben sich die Situationen der Familien deutlich verändert. Die Arbeitswelt fordert Mobilität und Flexibilität von den Familien. Großeltern leben oft nicht in der Nähe, und Freundeskreise bilden sich immer häufiger über die Kontakte der Kinder. Da ist es kein Wunder, dass Kindergärten eine zentrale Rolle im Leben von jungen Familien spielen.
Der Kindergarten als Beratungsstelle
"Mein Kind kann heute nicht einschlafen", so lautet die häufige Klage, die Eltern oft nach 22 Uhr am Telefon der Erzieherin ihres Kindes berichten. Diese spätabendlichen Anrufe von Eltern sind nicht nur eine von Erzieherinnen und Erziehern geduldete Grenzüberschreitung, sie sind auch Ausdruck davon, dass Eltern das Erziehungspersonal als Beratung in Fragen der Kindererziehung ernst nehmen. Hinweise zur richtigen Ernährung, zu praktischen Windelzeiten, zu gutem Spielmaterial und zum Verhalten in schwierigen Situationen werden zwischen Erzieher/innen und Eltern ausgetauscht. Kindergärten organisieren Elternberatungsnachmittage oder versenden regelmäßige Elternbriefe mit Ratschlägen zur Kindererziehung.
Der transparente Kindergarten
Auch in den Kindergärten hält die digitale Welt Einzug. Diese Entwicklung verändert einiges an der Zusammenarbeit von Eltern und Pädagogen. Briefe und Hinweiszettel finden sich kaum noch in Fächern und Taschen der Kinder. Heute werden Informationen sowohl untereinander als auch zwischen Kitaleitung, Eltern und Erzieher/innen per Mail ausgetauscht. Auch die Aushänge in den Fluren der Kindergärten verschwinden langsam. Immer mehr Kindergärten verschicken Filme und Fotos der Kinder direkt an deren Eltern, oder stellen diese auf Plattformen bereit, auf welche die Eltern zugreifen können. Eine wachsende Anzahl von Kindergärten bloggt, hat eigene Portale auf Facebook oder Instagram. Informationen über das tägliche Geschehen im Kindergarten können Eltern und Pädagog/innen quasi in Echtzeit abrufen.
Gemeinsame Ziele ausbalancieren
Erzieher/innen und Eltern eint das Ziel, die Kinder gut auf die Welt vorbereiten zu wollen. In Elternhäusern wird dafür vieles getan. Schon kleine Kinder gehen häufig ins Museum, Theater oder Konzert; überall entstehen eigens für Kinder eingerichtete Museen. Die zahlreichen Bildungsangebote für Kinder jeden Alters sind in vielen Städten kaum zu überschauen. Der feste Wille, dem Kind das Beste mitzugeben und möglichst keine Chance verstreichen zu lassen, verleitet Eltern häufig dazu, über das Ziel hinauszuschießen.
Hier bekommt der Kindergarten eine neue, eine andere Aufgabe - nämlich die Balance herzustellen und Gelassenheit einzufordern. Kinder lernen nicht schneller, wenn viel auf sie einströmt. So wie das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht, braucht jedes Kind seine eigene Zeit, um sich zu entwickeln. Kindermuseum, Puppentheater und Konzerthalle sind für den Kindergarten keine Highlights mehr. Den Kindern solche Erlebnisse mitzugeben, die sie zu Hause nicht erleben können, wird die Bildungsarbeit des Kindergartens zukünftig bestimmen. Daher geht es zunehmend eher darum, viel Spielzeit anzubieten und möglichst einfache Spielmaterialien zur Verfügung zu stellen.
Von wegen bilingual - jetzt wird es multilingual!
Noch vor wenigen Jahren war es angesagt, sein Kind in einen bilingualen Kindergarten zu geben. Dieses Angebot haben vor allem Kindergärten in Gegenden unterbreitet, in denen viele wohlhabende Familien leben. Heute sind die meisten Kindergärten multilingual. Denn schon länger führen die beruflichen und familiären Bedürfnisse immer mehr Familien ins Ausland - auch zu uns nach Deutschland. Also nicht erst seit den Flüchtlingsströmen des letzten Sommers betreuen Kindergärten auch Kinder aus allen möglichen Ländern. Die Kindergärten haben sich darauf eingestellt und bringen Kindern mit unterschiedlichen Muttersprachen die deutsche Sprache bei. Im Kindergarten lernen diese Kinder ganz besonders intensiv von den anderen Kindern. Aber auch Erzieher/innen erweitern im Umgang mit Eltern und Kindern unterschiedlicher Kulturen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten.
Der Kindergarten im Trend
Für Eltern und Kinder wird der Kindergarten zunehmend zum zweiten Zuhause. Das machen nicht nur die Eltern deutlich, die immer selbstverständlicher das Angebot des Kindergartens annehmen, sondern auch immer mehr an den Strukturen des Kindergartens teilhaben wollen. Aus diesem Trend entsteht die Chance für eine vertrauensvolle Erziehungspartnerschaft, die tatsächlich stattfinden kann, da man nun viel mehr voneinander weiß und sich auf die Eigenheiten des Anderen einstellen kann. Der Kindergarten lernt aktuell, sich auf diese Situation einzurichten und damit umzugehen. Es ist ratsam, sich darüber auszutauschen, was noch kommen kann und kommen wird und wie wir damit umgehen wollen.