Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit
Das Ehrenamt hat Tradition in Kindertageseinrichtungen: Elternbeiräte engagieren sich in der Kita ihrer Kinder. Kirchengemeindemitglieder oder ehrenamtliche Vereinsvorstände übernehmen die Rolle des Trägers, in Elterninitiativen oft große Teile des organisatorischen Überbaus. Erzieherinnen erschließen mit ihren Kita-Kindern die Umgebung und binden in diesem Zusammenhang Menschen für besondere Aktionen in den Kita-Alltag ein.
Gibt es Möglichkeiten, den Einsatz von Ehrenamtlichen in Kindertageseinrichtungen auszubauen und zu systematisieren? Kann ihr Reichtum an Talenten frühkindliche Bildung befördern? Kann durch den Einbezug von Ehrenamtlichen die öffentliche Aufgabe der Erziehung und Bildung unserer Kinder nicht auf eine ganz besondere Art erfüllt werden?
Die Bewegung des "Neuen Ehrenamtes" macht zunehmend von sich reden. Freiwilligenagenturen und -zentren finden großen Zuspruch und zeigen das beachtliche Potenzial des bürgerschaftlichen Engagements - auch in Kindertageseinrichtungen. Immer wieder werden neue Varianten und Möglichkeiten entdeckt, aktiv zu werden.
Was leisten die "neuen Ehrenamtlichen" im Einsatzfeld Kita? Wie werden sie sinnvoll und nachhaltig einbezogen? Können sie, obwohl selbst "nur" ehrenamtlich tätig, womöglich zur Professionalisierung von Kitas als Institutionen der frühkindlichen Bildung beitragen? Um eine Reduzierung des Einsatzes professioneller Pädagog/innen kann es natürlich nicht gehen. Aber kann sich das Angebotsspektrum professioneller Pädagogik nicht durch den gezielten Einsatz von Ehrenamtlichen erweitern?
Diesen und weiteren Fragen geht ein Bundesmodellprojekt aus dem Förderprogramm "Generationenübergreifende Freiwilligendienste" nach. An drei Modellstandorten werden Kooperationen von Kindertageseinrichtungen und Zentren für Freiwillige eingerichtet, die in einer ersten Phase mit festgelegten Settings starteten:
- In Bremen kooperiert die Freiwilligenagentur "Zeitweise" mit den örtlichen Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt, einem freien Träger mit einer langen Tradition des freiwilligen Engagements und mit Einrichtungen der evangelischen Kirche.
- Die Freiwilligenagentur Halle arbeitet mit Kindertagesstätten unterschiedlicher Träger sozialraumorientiert in Halle-Neustadt zusammen, einem Stadtteil, in dem ein hohes Potenzial an bürgerschaftlichem Engagement vermutet werden kann.
- In Nürnberg bauen das Zentrum Aktiver Bürger und einige ausgewählte Kindertageseinrichtungen der Stadt Nürnberg ihre bereits in anderem Zusammenhang begonnene Kooperation aus. Inzwischen beteiligen sich insgesamt 22 Einrichtungen auch anderer Träger und ca. 40 Freiwillige an dem Projekt.
In der zweiten Phase seit Juli wirken die "guten Beispiele", und interessierte Kitas können sich am Modellprojekt beteiligen.
Das Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit (ISKA) Nürnberg fördert die Kooperation zwischen Freiwilligenzentren und Kindertageseinrichtungen, sorgt für deren Erfahrungsaustausch und Vernetzung und dokumentiert die entwickelten Arbeitsformen in einem Internet-Informationssystem. Das an den Modellstandorten gesammelte Knowhow wird ab Herbst 2005 unmittelbar im Internet weitergegeben. Darauf aufbauend sollen im Projektverlauf Praxisanleitungen und Fortbildungsmodule entwickelt werden.
Keine Kita ohne Ehrenamt!
Dem Projektkonzept war eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu Konzepten und Projekten ehrenamtlicher Betätigung in Kindertagesstätten vorausgegangen. Anlass zur Studie war die Überlegung, dass es vielfältige und umfassende Ansätze des Ehrenamts schon immer in Kitas gibt. Eine explorative Recherche (1) sollte einen Überblick über Ansätze und Inhalte liefern.
Kitas waren und sind Orte der Einbindung und Mitarbeit von Laien, sowohl als eine demokratische Institution mit Beteiligungs- und Mitspracherechten als auch in ihrem pädagogischen Anspruch der Zusammenarbeit mit den Eltern, aber vor allem auch in selbstorganisierten Betreuungseinrichtungen durch Elternvereine u.ä. Diese Traditionen sind allerdings nicht durch entsprechende Rahmenvereinbarungen verbindlich festgeschrieben, sondern meist nur mittelbar aus Zielbeschreibungen abzuleiten. So ist selbst die Einrichtung des Elternbeirates nicht in allen Ländern verbindlich vorgeschrieben. Neuerdings ändert sich dies etwas durch Bildung- und Erziehungspläne, die teilweise das bürgerschaftliche Engagement explizit als Thema mit aufnehmen. Ebenso fordern einige Fachverbände, wie z.B. die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, verstärkt ein Lernen in sozialen Kontexten, die freiwilliges Engagement ausdrücklich einschließen (2). Die jüngsten familienpolitischen Forderungen, die im Zusammenhang mit der Vorstellung des 12. Kinder- und Jugendberichts erhoben wurden, und die mehr und bessere Betreuungsangebote für Kleinkinder vorsehen und eine stärkere Unterstützung der Familien für notwendig erachten, könnten auch im Hinblick auf die Mitarbeit Freiwilliger in Betreuungseinrichtungen einen neuen Impuls bedeuten.
Freiwilligenarbeit in Kindertagesstätten findet bisher Anknüpfungspunkte im Bereich der Kindertagesbetreuung in
- Kindergartengesetzen,
- Entwicklungsplänen und Gutachten,
- Bildung- und Erziehungsplänen sowie
- Stellungnahmen von Fachverbänden.
Felder der Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und den Menschen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld der Kinder können sich ergeben aus
- Elternvertretung: Die demokratische Interessenvertretung von Eltern in Kitas durch Elternbeiräte, Elternsprecher/innen etc. ist in den meisten Bundesländern gesetzlich oder durch Richtlinien geregelt.
- Elternmitarbeit: Mithilfe meist durch die Eltern bei Festen und Feiern, zum jahreszeitlichen Basteln, bei Renovierungen u.a. ist in den meisten Kitas eine Selbstverständlichkeit.
- Selbstorganisation: Die Einrichtungen von Elternvereinen, Kinderläden oder in jüngerer Zeit selbstorganisierte Betreuung in Mütterzentrum erfordern eine unmittelbare Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften mit Laien. Hierzu gehört auch die ehrenamtlich wahrgenommene Trägerschaft, wie sie in vielen Pfarrgemeinden weit verbreitet ist.
- Erziehungspartnerschaft: Sie ist in der neueren Fachdiskussion (wieder verstärkt) zum Thema geworden. Erziehung kann nur gelingen, wenn die häusliche und öffentliche Erziehung Hand in Hand geht. Am konsequentesten ist dieser Gedanke in den "Early Excellence Centres" in England umgesetzt, die Eltern- und Familienerziehung als gleichwertigen Bestandteil der frühkindlichen Pädagogik begreifen und Eltern umfassend in die Arbeit einbeziehen. Sie findet nun Ausdruck in der Forderung nach der Entwicklung der Kitas zu Eltern-Kind-Zentren, wie sie mit dem 12. Kinder- und Jugendbericht erhoben werden.
- Eltern als Mitbetreuer/innen: Das Konzept der Netz-für-Kinder-Gruppen in Bayern beteiligt Eltern an der Betreuung gegen eine Aufwandsentschädigung. In klaren Strukturen und bei abgegrenzten Aufgaben- und Entscheidungsbefugnissen ergibt sich hier eine erfolgreiche Laien-Profi-Koproduktion, die einen weitgehenden Einfluss auf die Erziehungskompetenz innerhalb der Familien ermöglicht.
- Gemeinwesenorientierung, Öffnung nach außen, Vernetzung: Die Öffnung der Kindertagesstätten nach außen zur Lebenswirklichkeit der Kinder, zu Personen, Familien, Läden, Vereinen, Gruppen im unmittelbaren Umfeld zeigt zahlreiche Schnittstellen zu ehrenamtlicher Beteiligung. Die Öffnung nach außen kann auch durch ein Hereinholen geschehen, wenn z.B. Erwachsene Berufe vorstellen oder Gärtner, Künstler, Musiker, Hobbyexperten ihr Können an Kinder weitergeben.
- Kita als Nachbarschaftszentrum und/oder Selbsthilfezentrum: Als zentraler Ort in der Nachbarschaft werden über die Kita gegenseitige Hilfen und Unterstützung in Eigeninitiative organisiert, können dort Feste gefeiert, Tauschbörsen oder Second-hand-Märkte veranstaltet werden.
- Vernetzung mit kulturellen und sozialen Einrichtungen und Diensten: Die Beratung kommt in die Kita - Erzieherinnen sind so nahe am familiären Geschehen wie keine andere Institution. Deshalb ist es nahe liegend, dort vor Ort und niedrigschwellig Hilfen in Form von Beratung anzubieten.
- Bildungsauftrag/Projektarbeit: Das verstärkte Augenmerk auf den Bildungsaspekt in der frühkindlichen Erziehung erfordert es, umfassende Kompetenzen aufzubauen und in Projektarbeit vielfältige Impulse für frühkindliches Lernen zu geben. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, kann ein Rückgriff auf den "Reichtum der Talente" von Freiwilligen sehr hilfreich sein.
- Generationenübergreifende Projekte: Kinder ohne Geschwister, Erwachsene ohne Kinder, ältere Menschen ohne Enkel - in generationenübergreifenden Projekten können entsprechende Grunderfahrungen wieder ermöglicht werden.
Diese Erfahrungen und die - sozusagen selbstverständliche - Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte im Freiwilligenmanagement fordern es geradezu heraus, ebenso die Ressourcen der "neuen" Freiwilligen für die Arbeit in den Kitas zu nutzen, also von Personen, die nicht im direkten Kontakt zur Kita stehen, sondern z.B. in der Nachbarschaft oder näheren Umgebung wohnen oder Lust haben, ein spezifisches Talent an Kinder weiterzugeben.
Wer initiiert die Freiwilligendienste in Kitas?
Bisher lässt sich allerdings feststellen, dass (noch) nicht die Kitas die Freiwilligen entdecken, sondern die Freiwilligen entdecken die Kitas. So gehen die Initiativen für die vorhandenen Projekte überwiegend von anderen aus:
- Einrichtungen und Initiativen der Freiwilligen- und Seniorenarbeit,
- Ministerien,
- großen Trägerverbänden,
- Fachabteilungen,
- Modellversuchen und
- einzelnen Kitas,
Welche Ziele verfolgen nun die schon vorhandenen Projekte?
Die Ziele der recherchierten und dokumentierten "guten Beispiele" lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Prävention,
- Gemeinwesen- und Nachbarschaftsorientierung,
- Selbstorganisation,
- Entwicklung eines Tätigkeitsfeldes für die Freiwilligenarbeit,
- generationenübergreifende Erfahrungen ermöglichen,
- Einlösen des Bildungsauftrages in der frühkindlichen Erziehung,
- Profilierung und Qualitätsmerkmal für Kitas,
- Versorgung strukturschwacher Gebiete.
Worauf beziehen sich die Aktivitäten der Freiwilligen?
Die Aktivitäten Freiwilliger beziehen sich auf
- eine spezielle Kita (einrichtungsbezogen): Feste Integration in den Alltag der Kita, enger persönlicher Bezug. Beispiel: Jemand schreinert, gärtnert, liest mit den Kindern, kommt regelmäßig in bestimmten zeitlichen Abständen.
- den Einsatz auf Anforderung in mehreren Kitas (einrichtungsübergreifend): Das Engagement ist mehr themen- bzw. projektbezogen. Es existiert als Angebot an Kitas, das sie in ihre Aktivitäten mit einplanen und abrufen können. Der persönliche Bindung an eine Kita ist eher zweitrangig. Beispiele: Naturkundliche oder -wissenschaftliche Angebote wie z.B. ein Waldtag mit Mitgliedern des Bund Naturschutz, einfache chemische Experimente mit einer ehemaligen Chemielehrerin.
- das Wirken in die Familien hinein (familienbezogen): Aus Kontakten zwischen Freiwilligen, den Kindern und den Eltern ergeben sich Kontakte mit der Familie, die zur Unterstützung und Entlastung beitragen.
Das Modellprojekt Große für Kleine - Bürgerengagement in Kitas
Im Modellprojekt werden unterschiedliche Ebenen bearbeitet:
- Ebene der Initiative: Wer macht den ersten Schritt, wer geht auf wen zu?
- Ebene der Inhalte: Was ist alles möglich? Die Vielfalt und Fülle an Talenten, Kompetenzen und Wissen zur frühkindlichen Erziehung sollen genutzt werden.
- Ebene der Vermittlung: Wie finde ich meine Kita? Wie finden wir unsere Freiwilligen? Organisieren, dass es "passend" wird, dass Talente und Kita in den vielen "Landschaften" einander finden.
- Ebene des Bezuges: An wen fühlt sich der Freiwillige gebunden? An die ("seine") Kita, sein spezielles Thema oder die Familie, die er auf diese Weise kennen lernt.
- Ebene des Spannungsverhältnisses: Was tun, wenn es mal knirscht? Die Lösung von sicher nicht ausbleibenden Konflikten.
Ziele des Projekts sind:
- Bildung: Ehrenamtliche bringen zusätzliche handwerkliche, technische, musische, lebenspraktische, naturwissenschaftliche, künstlerische Kompetenz in den pädagogischen Alltag ein. Sie unterstützen und fördern einzeln oder in Kleingruppen z.B. Spracherwerb durch Vorlesen, das Erledigen von Hausaufgaben und ganzheitliche Erfahrungen in der Projektarbeit.
- Betreuung: Sie unterstützen die Fachkräfte als zusätzliche Aufsichtspersonen bei Ausflügen, Exkursionen, Naturerkundungen etc. oder auch in Alltagssituationen wie beim Mittagessen, bei der Garten- und Tierpflege usw.
- soziales Lernen: Der Umgang mit unterschiedlichen Menschen, die gerade keine Pädagogen sind, erweitert das Spektrum des sozialen Lernens und bildet das Rollenvorbild für späteres bürgerschaftliches Engagement.
- Belebung des Gemeinwesens: Zwischen den Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld der Kita können neue Kontakte und Beziehungen entstehen.
- Stärkung der Generationensolidarität: Heute nicht mehr selbstverständliche Kontakte zwischen Alt und Jung werden aufgebaut, der Generationenvertrag erhält neue Impulse.
- gesellschaftlicher und demografischer Gewinn: Die Verantwortung für die nachwachsende Generation wird als gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen. So kann auch die Bereitschaft für ein Leben mit Kindern wieder wachsen.
Das ISKA bietet auf Anfrage im Zusammenhang mit dem Modellprojekt für Träger oder Einrichtungen, die die Chancen von Kooperation mit Freiwilligen nutzen wollen, eine eintägige Fortbildung an. Inhalte sind u.a.
- Das "neue" Ehrenamt: Wer sind und was wollen die "neuen" Freiwilligen?
- Keine Kita ohne Ehrenamt! Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Freiwilligen in Kinderbetreuungseinrichtungen.
- Ehrenamt trifft Hauptamt: Kommunikation, gegenseitiger Umgang, Wertschätzung.
- Chancen und Reichtum durch viele Talente: Die Bereicherung durch Freiwillige an den eigenen Erfordernissen und Schwerpunkten entlang entwickeln.
- Bürgerschaftliches Engagement in Kitas: Nur eine weitere Baustelle?
- Lust und Frust beim Engagements: Die Kita als Betätigungsfeld für Freiwillige.
Anmerkungen
(1) Ulrike Fuchs, Thomas Röbke, Felix Trejo: Reichtum der Talente - Ehrenamtspool für Kindergärten. Explorative Studie zu zivilgesellschaftlichem Engagement und frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung; Download unter: www.bmfsfj.de / Forschungsnetz/ Forschungsberichte
(2) Betreuung, Bildung und Erziehung als Auftrag von Tageseinrichtungen für Kinder, Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 1. Dezember 2003; Quelle: www.bagljae.de
Weitere Informationen zum Modellprojekt bzw. zur Fortbildung:
Institut für soziale und kulturelle Arbeit
Ulrike Fuchs
Gostenhofer Hauptstr. 61
90443 Nürnberg
Tel.: 0911/27299834
Fax 0911/9296690
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