Die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft im Vergleich zu anderen Formen der Partnerschaft

Martin R. Textor

Vor vielen Jahren habe ich in Veröffentlichungen beklagt, dass Psychologen und Psychologinnen, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Lehrerinnen und Lehrer sich bei weitem mehr mit dem Abweichenden, Krankhaften und Pathologischen befassen als mit dem Normalen, Gesunden und Herausragenden (z.B. Textor 1989, 1991). In der Zwischenzeit hat sich die Situation wohl ein wenig verbessert, aber noch immer beschäftigen sich die meisten Psychologen mit psychisch kranken Menschen und pathogenen Beziehungen, fokussieren Erzieherinnen vor allem verhaltensauffällige und entwicklungsverzögerte Kinder, arbeiten Sozialpädagogen mit sozial schwachen und Multi-Problem-Familien, konzentrieren sich Lehrer auf den Unterricht störende Kinder und auf Schüler mit schlechten Leistungen. Wer aber untersucht, was psychische Gesundheit, positive Beziehungen oder gar Glück ausmacht? Wer kümmert sich um normale Menschen, die noch etwas zufriedener sein wollen oder ihre Beziehungen befriedigender ausgestalten wollen? Wer fördert das Positive in Individuen und Gemeinschaften? Diese Fragen bleiben weitgehend offen...

In den letzten Jahren hat sich in der Frühpädagogik immer mehr die Auffassung durchgesetzt, dass Erzieher/innen und Eltern eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft eingehen sollten, da die Erziehung und Bildung eines Kindes eine Ko-Konstruktion von ihnen und dem jeweiligen Kind sei. Sie seien sozusagen "natürliche" Partner. Der Begriff "Partner" bzw. der Terminus "Partnerschaft" beinhaltet in erster Linie Positives - also Aspekte, die in Psychologie und Pädagogik eher selten untersucht und gefördert werden. Allerdings denkt man hier als erstes nicht an die Partnerschaft zwischen Eltern und Erzieher/innen, sondern an eine längerfristige Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau (oder auch zwischen gleichgeschlechtlichen Personen).

Die Partnerschaft zwischen Mann und Frau

Was charakterisiert eine gute Beziehung zwischen Partnern? Sicherlich werden Sie ähnliche Eigenschaften nennen wie die Folgenden:

  1. eindeutige Beziehungsdefinition: Die Partner haben ihre Erwartungen an die Beziehung geklärt und eine starke Paaridentität ausgebildet. Sie kennen ihre Rechte und Pflichten, haben die anfallenden Aufgaben aufgeteilt und ihre Beziehung nach außen hin klar - aber durchlässig - abgegrenzt. Beide sind bereit, an ihrer Beziehung zu arbeiten und sie zu pflegen.
  2. Bindung: Es besteht eine intensive, dauerhafte Beziehung zwischen den Partnern. Sie fühlen sich einander verpflichtet und aneinander gebunden, egal ob sie verheiratet sind oder nicht.
  3. positive Emotionen: Dazu gehören Zuneigung, Liebe, sexuelle Anziehung, Vertrauen, Achtung, Respekt, Zufriedenheit usw. Die Gefühle werden spontan und offen, verbal und nonverbal gezeigt. Die Partner verstärken einander Verhalten positiv.
  4. Freiräume: Jeder Partner kann sich in der Beziehung und außerhalb von ihr positiv weiter entwickeln. Selbstentfaltung, Individuation und Selbstverwirklichung sind möglich. Es besteht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bestrebungen nach Nähe und nach Abgrenzung.
  5. Gleichwertigkeit: Jeder Partner schätzt den anderen und spricht ihm den gleichen Wert zu. Beide sind gleichberechtigt und haben in etwa denselben Einfluss in der Beziehung.
  6. Gerechtigkeit: Geben und Nehmen, Kosten und Gewinn sind in der Beziehung ausgeglichen; kein Partner fühlt sich benachteiligt oder gar von dem anderen ausgebeutet. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass jeder genauso viel gibt wie der andere - oft kann eine Person nicht so viel Zeit, Kraft, Emotionalität usw. aufbringen wie die andere, weil sie z.B. krank, behindert oder stärker durch ihren Beruf in Anspruch genommen ist. Entscheidend ist somit, dass jeder mit dem Engagement des anderen zufrieden ist.
  7. gute Rollenausübung: Die Partnerrollen sind klar definiert. Rollenleitbilder und wechselseitige Erwartungen stimmen sowohl mit der Rollenselbstdeutung und dem eigenen Verhalten als auch mit dem (wahrgenommenen) Verhalten des anderen überein. Die jeweiligen Aufgaben werden gut erfüllt. Die Partner ermutigen und unterstützen einander.
  8. psychische Gesundheit: Die Partner haben einen hohen Grad an Reife und Selbstdifferenzierung erreicht. Sie verfügen über eine gute Selbst- und Fremdwahrnehmung, kennen die eigenen Stärken und Schwächen, haben ein positives Selbstbild, können klar denken und Probleme lösen. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Verhalten, für die eigene Weiterentwicklung und für ihre Suche nach Zufriedenheit und Glück.
  9. gute Kommunikation: Die Partner befinden sich im Dialog miteinander. Ihre Aussagen sind klar, eindeutig und gut verständlich. Verbale und nonverbale Botschaften stimmen überein. Die Partner können gut zuhören, sind sensibel, empathisch und verständnisvoll. Sie geben Feedback und bitten bei Unklarheiten um Klarifizierung. Konflikte werden ausdiskutiert und Kompromisse eingegangen.
  10. Homogamie: Die Partner passen zumeist hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, Charakterzüge, Eigenschaften, Interessen, Lebensstile usw. gut zusammen. Die Individualität, Einzigartigkeit und Willensfreiheit des Partners werden akzeptiert.

Selbst eine so kurze Auflistung von Faktoren macht deutlich, dass eine gute Partnerschaft zwischen Frau und Mann ein Ideal ist, das nur von einem Teil der Paare erreicht wird. Unsere Gesellschaft tut nur wenig, um Menschen zu unterstützen, die ihre Beziehung verbessern wollen. Die meisten psychosozialen Dienste werden erst dann aktiv, wenn die Partnerschaft schon fast am Ende ist, also z.B. eine Ehe- oder Scheidungsberatung angesagt ist.

Die Erzieher/in-Kind-Beziehung

Woran denken Sie noch, wenn Sie den Begriff "Partnerschaft" hören? Etwa wie ich an die Erzieher/in-Kind-Beziehung? Wahrscheinlich nicht spontan. Dennoch: Auch hier ist Partnerschaft gefragt. Diese Vorstellung ergibt sich aus zwei Gedankensträngen: Der eine ist schon etwas älter und nimmt seinen Ausgang bei den Forderungen und Bestrebungen nach einer Demokratisierung der Gesellschaft. So soll die Beziehung zwischen Erzieher/in und Kind nicht länger hierarchisch sein. Die Kinder sollten vielmehr als vollwertige Individuen behandelt werden, Mitbestimmungsrechte erhalten und als Partner betrachtet werden.

Viele Kindertageseinrichtungen haben schon diese Forderung aufgegriffen: In Kinderkonferenzen werden hier gemeinsam die Regeln für das Zusammenleben festgelegt, werden Konflikte gelöst, Aktivitäten ausgewählt, Projekte geplant oder Ausflüge vorbereitet. Hier kann jedes Kind seine Meinung, seine Wünsche und Bedürfnisse äußern. Diesen Bestrebungen liegt das Bild vom kompetenten Kind zugrunde. Egal ob Sie neuere Veröffentlichungen von Hirnforschern oder von Entwicklungspsychologen lesen - überall werden Sie eine Hochachtung von den Leistungen von Säuglingen und Kleinkindern stoßen, denn diese eignen sich innerhalb weniger Jahre so viele Kenntnisse und Fertigkeiten an, wie sie dies nie mehr in ihrem weiteren Leben tun werden. Und dieser intensive Selbstbildungsprozess verläuft weitgehend ohne Unterricht, ohne das Lesen von Büchern und ohne Recherchen im Internet! Stellen Sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn Schule und Gesellschaft den Kindern diese Lernmotivation und Lernlust in den Jahren nach der Einschulung nicht austreiben würden, wenn unsere Kinder mit derselben Freude und Geschwindigkeit weiter lernen würden! Deutschland wäre in kürzester Zeit ein Land voller Genies...

Der zweite Gedankenstrang ist damit schon angesprochen: Der "Nürnberger Trichter" funktioniert nicht. Kinder sind keine dummen, unfähigen und passiven Wesen, keine "leeren Gefäße", in die Erzieher/innen und andere Erwachsene Wissen und Fertigkeiten einfüllen müssen: Ein reines Belehren von Kindern führt nur sehr begrenzt zu neuen Kenntnissen und Fertigkeiten. Wenn Kinder sich nicht selbst bilden - wozu sie Pädagogen nur begrenzt benötigen -, dann erfolgt Bildung weitgehend ko-konstruktiv. Das heißt, die Kinder lernen mit anderen Kindern und Erwachsenen in einem sozialen Kontext; sie lernen voneinander in der Interaktion miteinander. So werden Kinder und Erzieher/innen zu Lernpartnern. Ko-konstruktive Bildung setzt die aktive Mitarbeit von Kindern voraus, und diese kann nur im Rahmen einer Lernpartnerschaft zwischen Erzieher/innen und Kindern erfolgen.

Was aber kennzeichnet eine solche Partnerschaft? Könnten hier vielleicht sogar ähnliche Faktoren wie bei der Partnerschaft zwischen Mann und Frau von Bedeutung sein? Werfen wir also nun aus einer anderen Perspektive heraus einen Blick auf die vorgenannten Charakteristika! Was macht also eine gute Erzieherin-Kind-Beziehung aus?

  1. eindeutige Beziehungsdefinition: Kinder und Erzieher/innen wissen, was von ihnen erwartet wird und wie sie sich in der Beziehung zu verhalten haben. Beide Seiten kennen ihre Rechte und Pflichten.
  2. Bindung: Die großen Bindungsbedürfnisse von Kleinkindern werden befriedigt; sie sind sicher an die Erzieher/innen gebunden.
  3. positive Emotionen: Kinder zeigen gegenüber Erzieher/innen Vertrauen, Zuneigung und sogar Liebe. Diese Gefühle werden von den Pädagog/innen im Rahmen ihrer Möglichkeiten erwidert.
  4. Freiräume: Diese sind bei den relativ lockeren Erzieherin-Kind-Beziehungen gegeben.
  5. Gleichwertigkeit: Kinder werden als kompetente, sich selbst bildendes und hohe Leistungen erbringende Wesen gesehen (s.o.) und als Individuen mit einer ausgeprägten Persönlichkeit und einem Selbstzweck wahrgenommen. So wird ihnen der gleiche Wert wie Erwachsenen zugesprochen. Sie haben in der Gruppe Mitbestimmungsrechte.
  6. Gerechtigkeit: Geben und Nehmen sind in der Beziehung ausgeglichen.
  7. gute Rollenausübung: Die Erzieher/in- und Kind-Rollen sind klar definiert, die wechselseitigen Erwartungen werden weitgehend erfüllt.
  8. psychische Gesundheit: Diese sollte zumindest auf Seiten der Erzieher/innen gegeben sein.
  9. gute Kommunikation: Die Erzieher/innen und die Kinder befinden sich im Dialog miteinander. Ihre Aussagen sind klar, eindeutig und gut verständlich. Verbale und nonverbale Botschaften stimmen überein. Sie können gut zuhören, sind sensibel, empathisch und verständnisvoll. Sie geben Feedback und bitten bei Unklarheiten um Klarifizierung. Konflikte werden ausdiskutiert.
  10. Homogamie: Diese spielt bei Erzieherin-Kind-Beziehung keine Rolle. Es bestehen eher komplementäre Interessen: Die Kinder wollen lernen, die Erwachsenen wollen sie erziehen und bilden.

Es lassen sich also durchaus Parallelen zwischen guten Paar- und guten Erzieher/in-Kind-Beziehungen ziehen. Offensichtlich dürfte sein, dass nun aber vielen Begriffen eine andere Bedeutung zukommt: Beispielsweise ist die Qualität der Bindung zwischen Erzieher/in und Kind selbstverständlich eine andere als bei Beziehungen zwischen Mann und Frau; dasselbe gilt auch für Gefühle wie Liebe oder Vertrauen. Je jünger die Kinder sind, umso größer ist das Ungleichgewicht in der Beziehung, da die Erwachsenen so viel kompetenter, einflussreicher und mächtiger sind. Hinzu kommt, dass diese den Kindern mit einem gesetzlich fundierten Erziehungs- und Bildungsauftrag entgegen treten: Erzieher/innen sollen den Bildungsplan des jeweiligen Bundeslandes befolgen, können also auf deren Interessen und Bedürfnisse nur begrenzt Rücksicht nehmen.

Zu beachten ist ferner, dass die Erzieher/in-Kind-Beziehung im Verlauf der Zeit immer schwächer wird. Die meisten Kinder zeigen Erzieherinnen gegenüber Gefühle wie Zuneigung und sogar Liebe. Diese Emotionen können aufgrund der Vielzahl der Kinder in der Gruppe nur begrenzt von den Pädagog/innen erwidert werden. Dennoch zeigen Erzieher/innen häufig verbal und nonverbal positive Gefühle gegenüber Kindern.

Die Eltern-Kind-Beziehung

Offensichtlich ist, dass viele Aussagen über die Erzieher/in-Kind-Beziehung auch auf die Eltern-Kind-Beziehung zutreffen. Hier handelt es sich allerdings um eine viel länger andauernde und bei weitem wichtigere Beziehung. Im Normalfall ist sie durch eine intensive verbale und nonverbale Kommunikation und durch starke Emotionen wie Liebe, Vertrauen und Zuneigung geprägt. In den meisten Familien ist die Hierarchie zwischen Eltern und Kindern heute nur noch schwach ausgeprägt: Die Kinder werden partnerschaftlich behandelt und haben viele Mitbestimmungsrechte. Autoritative und permissive Erziehungsstile herrschen vor.

In einer guten Eltern-Kind-Beziehung ist der Säugling bzw. das Kleinkind sicher gebunden. Mit der Zeit nimmt aber die Intensität der Bindung ab - und damit auch die Stärke der Beziehung: Immer mehr Menschen (z.B. Erzieher/innen, Freunde) und Dinge (z.B. Medien) treten in das Leben des Kindes ein und prägen es. Eltern und ältere Kinder bzw. Jugendliche kommunizieren weniger miteinander - und dasselbe gilt auch für das ko-konstruktive Lernen: In der Kleinkindheit haben sich die Eltern intensiv um ihr Kind gekümmert, haben ihm die Sprache gelehrt und es bei seinen Bemühungen, motorische und soziale Fertigkeiten zu lernen, durch viel positive Verstärkung unterstützt. In der Regel fördern sie noch das Lernen in den ersten Schuljahren, indem sie z.B. die Hausaufgaben kontrollieren. Je älter die Kinder jedoch werden, umso weniger lernen sie von ihren Eltern - vermutlich mitbedingt durch die abnehmende Intensität und Tiefe der Kommunikation.

Die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

Wenn Kinder ko-konstruktiv lernen, also in der Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen, sind Eltern und Erzieher/innen Ko-Konstrukteure der kindlichen Entwicklung - neben dem Kind selbst. Was läge also näher, als dass sich diese Erwachsenen über das jeweilige Kind, über seine Erziehung und Bildung austauschen? Was läge näher, als dass sie sich bei ihren Bemühungen wechselseitig unterstützen?

Gerade vor dem Hintergrund, dass der erzieherische und bildende Einfluss von Eltern und Erzieher/innen mit zunehmendem Alter der Kinder schwindet, scheint eine Kooperation zwischen den Erwachsenen unverzichtbar zu sein: Gemeinsam ist man stärker! Wenn alle miteinander kooperieren, können sie die kindliche Entwicklung am besten beeinflussen. Für diese Art der Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren immer mehr der Begriff der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft durchgesetzt.

Allerdings haben wir es hier mit einem Ideal zu tun, dass in der Praxis nur ansatzweise umgesetzt wird. Ein wichtiger Grund hierfür ist der Fokus auf dem Negativen, auf den "Problemkindern" und "Problemfamilien". Deswegen ist es wichtig, dass sich Erzieher/innen zunächst einmal von ihren Voreinstellungen und Vorurteilen distanzieren. Dann sollten sie zu der Haltung finden, dass in der Regel alle Eltern ihren Kindern gegenüber positiv eingestellt sind und im Grunde das Beste für sie wollen.

Was macht nun eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aus? Schauen wir uns wieder die zehn ausgewählten Charakteristika von Partnerschaften an:

  1. eindeutige Beziehungsdefinition: Im Mittelpunkt der Beziehung steht das jeweilige Kind, seine Entwicklung, Erziehung und Bildung.
  2. Bindung: Es besteht keine intensive Beziehung zwischen den Partnern.
  3. positive Emotionen: Die Erziehungspartner achten, respektieren und vertrauen einander.
  4. Freiräume: Diese sind aufgrund der sehr lockeren Beziehung gegeben.
  5. Gleichwertigkeit: Die Erziehungspartner schätzen einander und sprechen einander den gleichen Wert zu. Sie sind gleichberechtigt und haben in etwa denselben Einfluss in der Beziehung.
  6. Gerechtigkeit: Geben und Nehmen sind in der Beziehung ausgeglichen; jeder Erziehungspartner ist mit dem Engagement des anderen zufrieden.
  7. gute Rollenausübung: Die Rollen als Eltern und Erzieher/innen sind klar definiert. Die jeweiligen Aufgaben werden angemessen erfüllt. Die Partner ermutigen und unterstützen einander.
  8. psychische Gesundheit: Diese ist zumindest auf Seiten der Erzieher/innen gegeben.
  9. gute Kommunikation: Die Erziehungspartner befinden sich im Dialog miteinander. Ihre Aussagen sind klar, eindeutig und gut verständlich. Verbale und nonverbale Botschaften stimmen überein. Die Partner können gut zuhören, sind sensibel, empathisch und verständnisvoll. Sie geben Feedback und bitten bei Unklarheiten um Klarifizierung. Konflikte werden ausdiskutiert und Kompromisse eingegangen.
  10. Homogamie: Die Gleichheit ist auf das gemeinsame Interesse am jeweiligen Kind beschränkt.

So schön der Begriff "Bildungs- und Erziehungspartnerschaft" auch klingen mag - im Vergleich zu den vorgenannten Formen der Partnerschaft handelt es sich hier selbst im Idealfall um eine sehr lockere und schwache Beziehung. Erzieher/innen mit ihren großen Gruppen und Eltern, die als Paar gesehen tendenziell immer mehr Stunden pro Woche erwerbstätig sind, haben nicht die Zeit für häufige und längerfristige Kontakte miteinander. Selbst wenn die Verfügungszeit an Kindertageseinrichtungen von den zuständigen Ministerien bzw. Landtagen ausgeweitet werden sollte, wird es unmöglich sein, dass Erzieher/innen einmal in Monat oder alle zwei, drei Monate ein längeres Gespräch mit allen Eltern führen.

Eine partnerschaftliche Beziehung setzt voraus, dass die jeweiligen Personen einander gut kennen und viel miteinander kommunizieren. Obwohl - wie gerade gesagt - auch Erzieher/innen wenig Zeit für längere Elterngespräche haben, ist diese Vorbedingung in Kindertageseinrichtungen gegeben: Wenn Eltern jeden Tag zum Gruppenraum kommen, um ihr Kind zu bringen bzw. abzuholen, ergeben sich automatisch Kontakte zu den Erzieherinnen. Hier wird die große Bedeutung der Tür- und Angel-Gespräche augenscheinlich: Sie sind die Basis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Hinzu kommt, dass es in Kindertagesstätten - im Gegensatz zu Schulen - zahlreiche Gruppenangebote für Eltern und viele gemeinsam gefeierte Feste gibt, die ein wechselseitiges Kennenlernen erleichtern. Dies gilt vermehrt für Einrichtungen, in denen Eltern während der Eingewöhnung ihres Kindes präsent sind oder jederzeit hospitieren können.

Die Erziehungspartnerschaft mit psychosozialen Diensten

Die Definition einer Beziehung als Erziehungs- und Bildungspartnerschaft schließt aus, dass Erzieher/innen als Berater/innen oder gar als Therapeut/innen tätig werden. Bei Verhaltensauffälligkeiten, Erziehungsschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder Familienbelastungen, die von Eltern und Erzieher/innen weder einzeln noch gemeinsam bewältigt werden können, müssen deshalb externe Fachleute hinzugezogen werden - seien es Erziehungs-, Ehe- oder Familienberater/innen, Ärzt/innen, Schulsozialarbeiter/innen oder Mitarbeiter/innen von Frühförderstellen, heilpädagogischen Einrichtungen, Jugendämtern bzw. anderen psychosozialen Diensten.

Im Rahmen einer guten Erziehungs- und Bildungspartnerschaft werden Familien aber nicht nur an den jeweiligen Dienst weiter vermittelt, sondern die Erzieher/innen nehmen mit Zustimmung der Eltern bzw. unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen auch Kontakt mit den zuständigen Mitarbeiter/innen auf, falls ein von ihnen betreutes Kind im Mittelpunkt der jeweiligen Maßnahme steht. Zum einen möchten sie so weit wie möglich bzw. erlaubt relevante Informationen zur Anamnese bzw. Diagnose beitragen und ihre Sicht vom Kind und seiner Lebenssituation darstellen. Zum anderen wollen sie erfahren, wie die Beratung, Behandlung oder sonstige Intervention verläuft und was sie zu deren Erfolg beitragen können.

Im Idealfall entsteht somit eine Triade: Die erste Seite bilden die Eltern, die zweite Seite die Mitarbeiter/innen des jeweiligen psychosozialen Dienstes und die dritte Seite die Erzieher/innen. Im Zentrum der Triade steht das Kind, dem geholfen werden soll. Dazu tauschen alle drei Seiten - z.B. bei Fallbesprechungen oder Hilfeplangesprächen - nicht nur Informationen aus, sondern stimmen auch ihr Verhalten gegenüber dem Kind miteinander ab. Sie gehen eine besondere Form der Erziehungspartnerschaft ein, deren Ziel es ist, die Probleme des Kindes bzw. die Probleme mit ihm zu lösen. Die Beziehung besteht aber nur so lange wie die fallbezogene Zusammenarbeit.

Schlusswort

Die letzten Aussagen haben verdeutlicht, dass eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Erzieher/innen nicht ausreicht, um das gemeinsame Ziel - die bestmögliche Entwicklung des jeweiligen Kindes - zu erreichen. Das liegt daran, dass die Erziehungspartnerschaft im Vergleich zu anderen Formen der Partnerschaft eine relativ lockere Beziehung ist, für die nur wenige Stunden im Jahr aufgewendet werden kann.

So ist letztlich die Erziehungspartnerschaft als solche viel weniger bedeutsam als die hinter ihr stehende Philosophie: Die kindliche Entwicklung wird als Ko-Konstruktion des Kindes, seiner Eltern und seiner Erzieher/innen gesehen. Und diese Sichtweise bedingt die Notwendigkeit einer - wenn auch zeitlich sehr begrenzten - Zusammenarbeit. Das Entscheidende ist hier der Partnerschaftsgedanke, der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung impliziert. Im Gegensatz zur traditionellen Elternarbeit, bei der Eltern als wenig kompetent gesehen werden, sodass sie von den Pädagogen "bearbeitet" werden müssen, werden die Erziehungs- und Bildungsmacht der Familie anerkannt. Es wird der Dialog mit allen Eltern gesucht - nicht nur mit denjenigen, deren Kinder verhaltensauffällig oder entwicklungsverzögert sind -, denn es geht darum, wie Eltern und Erzieher/innen gemeinsam die Entwicklung aller Kinder ganzheitlich fördern können. Die Potenziale aller Kinder sollen erschlossen, ihre Stärken ausgebaut, ihre Beziehungen befriedigender gestaltet, ihre Persönlichkeit und ihre psychische Gesundheit gestärkt werden. Das Normale und das Positive stehen somit im Mittelpunkt der Erziehungspartnerschaft...

Literatur

Textor, M.R.: The "Healthy" Family. Journal of Family Therapy 1989, 11, S. 59-75

Textor, M.R.: Was Kinder brauchen: Rahmenbedingungen für eine gesunde kindliche Entwicklung. In: Evangelischer Pressedienst (Hrsg.): Schutz für das geborene Leben: Kinder in unserer Gesellschaft. Epd Dokumentation Nr. 41/91. Frankfurt: Selbstverlag 1991, S. 5-20

Textor, M.R.: Elternarbeit im Kindergarten. Ziele, Formen, Methoden. Norderstedt: Books on Demand, 3. Aufl. 2018

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