Bildungs- und Erziehungspartnerschaft revisited

Martin R. Textor

Den Begriff „Erziehungspartnerschaft“ habe ich 1995 in die Frühpädagogik eingeführt, als ich ihn erstmals in dem Artikel „Elternarbeit: Gemeinsam für unsere Kinder aktiv“ verwendete: „Ein zentrales Ziel der Elternarbeit im Kindergarten ist die wechselseitige Öffnung von Kindertagesstätte und Familie: Auf der Grundlage eines partnerschaftlichen, vertrauensvollen und auf gegenseitigem Respekt beruhenden Verhältnisses sollen beide Seiten die jeweils andere kindliche Lebenswelt und das Verhalten des Kindes in ihr kennenlernen. Eltern und Fachkräfte treten in einen Dialog ein, lernen voneinander, ... Der wechselseitige Austausch über Erziehungsziele, -stile und -probleme soll zur Kontinuität privater und öffentlicher Erziehung führen und durch Abstimmung des erzieherischen Verhaltens zur Verbesserung der kindlichen Entwicklungsbedingungen beitragen ... Die Kinder erfahren, daß sich die Eltern für die Einrichtung und die Erzieherinnen für ihre Familie interessieren, und fühlen sich im Rahmen dieser Erziehungspartnerschaft gut aufgehoben“ (Textor 1995, S. 14).

Das Wort „Bildungspartnerschaft“ benutzte ich 2002 zum ersten Mal bei einer Internetveröffentlichung (Textor 2002): „Ich plädiere ... für die Integration von Eltern in die pädagogische Arbeit an Kindertageseinrichtungen und für die Ausweitung der ‚Erziehungspartnerschaft‘ zu einer ‚Bildungspartnerschaft‘: Wenn Eltern ihr Wissen, ihre Kompetenzen, ihre Hobbys usw. in den Kindergarten einbringen können, erweitert sich das Bildungsangebot. Wenn Eltern mit Kindern diskutieren, insbesondere in Kleingruppen oder Einzelgesprächen, werden kognitive, Sprach- und soziale Entwicklung gefördert. Erziehung und Bildung werden zur gemeinsamen Aufgabe von Eltern und Erzieherinnen“. Die Begriffe „Erziehungspartnerschaft“ und „Bildungspartnerschaft“ verbreiteten sich schnell im Elementarbereich und ersetzten zunehmend das Wort „Elternarbeit“. Aber sind sie rund ein Vierteljahrhundert nach ihrer erstmaligen Verwendung noch zeitgemäß und umsetzbar?

Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich die Situation von Familien mit Kleinkindern im Verlauf der letzten 25 Jahre stark verändert hat. Als die Begriffe „Erziehungspartnerschaft“ und „Bildungspartnerschaft“ im Kontext von Modellversuchen zur Intensivierung der Elternarbeit in der Diözese Passau entstanden, waren in Westdeutschland die meisten Mütter von Kleinkindern Hausfrauen und hatten somit viel Zeit, Angebote der Kindergärten zu nutzen. In der Regel waren sie verheiratet. Ein Migrationshintergrund war eher selten; zumeist handelte es sich dann um Aussiedler/innen oder „Gastarbeiter“, wobei Letztere aus einigen wenigen südeuropäischen Ländern stammten. Heute sind hingegen die meisten Mütter von Kindergartenkindern (Teilzeit) erwerbstätig, haben also weniger Zeit, um Angebote der Elternarbeit zu nutzen. Außerdem müssen diese mit immer mehr alternativen Freizeitbeschäftigungen konkurrieren (mehr Events, Fitnessaktivitäten, sportliche Betätigungen und Fernsehkanäle als früher; Internet, soziale Medien, Videospiele usw.). Heute hat rund ein Drittel der Eltern von Kleinkindern einen Migrationshintergrund; sie stammen inzwischen auch aus osteuropäischen, vorderasiatischen und afrikanischen Ländern. Die kulturellen und religiösen Unterschiede, die Werte, Lebensweisen, Rollenleitbilder und Erziehungsstile sind vielfältiger geworden.

Aber auch das System der Kindertagesbetreuung hat sich stark verändert. So gab es vor 25 Jahren in Westdeutschland fast ausschließlich Kindergärten, die mangels Plätze überwiegend von Vier- und Fünfjährigen besucht wurden. Es handelte sich zumeist um Halbtagseinrichtungen mit festen Öffnungszeiten. Da alle Kinder zur gleichen Zeit gebracht und abgeholt wurden und dann das gesamte Personal anwesend war, ergaben sich automatisch viele Tür- und Angel-Gespräche, in denen allmählich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Erzieher/innen und Eltern aufgebaut wurde – die Grundlage der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Insbesondere die vielen Hausfrauen konnten vor- und nachmittags Angebote der Elternarbeit nutzen: Außerdem konnten sie pädagogische Anregungen der Fachkräfte leicht aufgreifen, da sie während des größten Teil des Tages für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder selbst zuständig waren. Hingegen werden heute Kindertagesstätten für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres genutzt. Es handelt sich zumeist um Ganztagseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten. Tür- und Angel-Gespräche ergeben sich nur noch selten, da die Fachkräfte beim Bringen und Abholen einzelner Kinder bereits mit anderen Kindern beschäftigt sind. Da es sich häufig um Teilzeitkräfte handelt, die im Schichtdienst arbeiten, treffen die Eltern nachmittags bzw. abends oft auf andere Erzieher/innen als morgens – und dies erst recht in offen arbeitenden Kitas –, was den Aufbau enger Beziehungen zusätzlich erschwert. Da zumeist beide Elternteile erwerbstätig sind, haben sie wenig Zeit, um Angebote der Elternarbeit zu nutzen – und dann nur spätnachmittags oder abends, wenn die Dienstzeit der meisten Fachkräfte zu Ende ist. Außerdem müssen Elternveranstaltungen mit den Erholungsbedarf erwerbstätiger Eltern und immer mehr alternativen Freizeitaktivitäten (s.o.) konkurrieren. Ferner befinden sich manche Eltern noch an ihrem Arbeitsplatz bzw. auf dem Heimweg, wenn Elternangebote für 18.00 oder 19.00 Uhr angesetzt werden. Zudem haben die Erzieher/innen meistens weniger Verfügungszeit für Elternarbeit als vor 25 Jahren. Schließlich sind die Verständigungsprobleme aufgrund der stark angewachsenen Zahl von Eltern mit Migrationshintergrund größer geworden.

Somit ist offensichtlich, dass es heute viel schwieriger als vor einem Vierteljahrhundert ist, eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft in dem weiter oben dargestellten Sinne aufzubauen. Schließlich handelt es sich um eine ganz intensive Beziehung, wie noch mit folgender Definition von Prott (2004) verdeutlicht werden soll: „Meiner Ansicht nach stellt ‚Partnerschaft‘ eine Form hoch entwickelter Zusammenarbeit dar,

  • die Menschen erfordert, welche an die Idee der Partnerschaft glauben,
  • die viel Zeit und Anstrengung braucht für ihre Entwicklung,
  • die eines sichernden Rahmens bedarf,
  • die sehr vieler Erfahrungen bedarf,
  • die auf gleichen Rechten, Anteilen, Vertrauen und anderem mehr gründet“ (S. 15).

Unter den gerade skizzierten Rahmenbedingungen dürfte eine echte Partnerschaft zwischen Erzieher/innen und Eltern nur noch in Einzelfällen bzw. ansatzweise möglich sein. Das schließt aber nicht aus, dass sich sozialpädagogische Fachkräfte weiterhin dem Ideal einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft verpflichtet fühlen, zumal ihnen diese in den Bildungsplänen der Bundesländer zur Vorgabe gemacht wird (siehe Textor 2020). So schreibt Roth (2014): „Es geht um eine Haltung und ein beständiges Üben in dieser Haltung. Eine Haltung des Respekts, des Dialoges, des vorurteilsbewussten sowie kultursensiblen und dem Menschen zugewandten Handelns“ (S. 11). Eine solche Einstellung hinsichtlich der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft bleibt wichtig, selbst wenn die praktische Umsetzung viel schneller als vor einem Vierteljahrhundert an Grenzen stößt.

Elterninformation

Was unter den heutigen Rahmenbedingungen noch möglich ist, ist beispielsweise eine umfassende Information der Eltern über die Konzeption und die pädagogische Arbeit der Kindertagesstätte – wobei es hier inzwischen mehr Möglichkeiten als vor 25 Jahren gibt: Zunächst ist an die Website der Kita zu denken. Sie sollte zum einen das pädagogische Konzept der Einrichtung (inkl. Bild vom Kind) und allgemeine Informationen (z.B. über die Größe und Gruppenstruktur, die Öffnungszeiten und den Tagesablauf) ansprechend präsentieren. Zum anderen können immer wieder neue Artikel über Bildungsangebote und Projekte in die Website eingestellt werden, in denen Eltern auch über die jeweils umgesetzten pädagogischen Ziele und geförderten Basiskompetenzen informiert werden. Außerdem lassen sich Bereiche der Website durch individuelle Passwörter sichern, sodass z.B. nur die Eltern einer Gruppe Zugang haben und dort aktuelle Informationen abrufen können. Ruck und Baumann (2017) ergänzen: „Zusätzlich widmen wir uns auf der Website pädagogischen Fragen bezüglich der Kinderbetreuung in unseren Einrichtungen, wie ‚Pflege und Hygiene in der Kinderkrippe‘, ‚Mittagsschlaf‘ oder ‚Essen und Trinken in der Kita‘. Das Kita-ABC informiert vorab über praktische Fragen des Kita-Alltags und Elternstimmen verweisen auf die Zufriedenheit [von] Eltern“ (S. 32).

Moderne Formen der Elterninformation sind auch Infoboards, Flatscreens und sprechende Wände im Eingangsbereich oder in den Gängen der Kindertageseinrichtung. Werden sie vor jedem Gruppenraum aufgehängt, kann das jeweilige Team über pädagogische Aktivitäten (inkl. der fokussierten Bildungsbereiche und Basiskompetenzen), über Projekte und aktuelle Ereignisse berichten, Kinderbilder und Fotos von Bauwerken bzw. Bastelarbeiten präsentieren, Termine ankündigen und Wünsche gegenüber den Eltern äußern. Ferner kann von Newslettern und Social-Media-Posts Gebrauch gemacht werden. Natürlich können auch wie früher allgemeine bzw. gruppenspezifische Elternbriefe oder Kita-Zeitungen erstellt und verteilt werden. Außerdem lassen sich Elternabende und ähnliche Veranstaltungen zur Unterrichtung der Elternschaft einsetzen, wobei zugleich eine offene Diskussion der jeweiligen Themen und der Fragen der Anwesenden möglich ist.

Die beste Form der Elterninformation ist aber weiterhin die Hospitation, und zwar sowohl für Eltern, die noch auf der Suche nach einem Kita-Platz sind, als auch für Eltern, deren Kind bereits betreut wird. Nur so können Eltern beobachten und wirklich verstehen, wie der Kita-Alltag abläuft und auf welche Weise die Fachkräfte erzieherisch und bildend tätig sind. Zudem steigen Erzieher/innen in der Achtung der Eltern, wenn diese miterleben, wie anspruchsvoll die pädagogische Arbeit ist. Hospitationen sind besonders wichtig, wenn in der Kindertagesstätte anders als in den meisten anderen Einrichtungen gearbeitet wird oder Eltern Vorbehalte gegenüber dem pädagogischen Ansatz haben bzw. ein neuer eingeführt wird.

Elterngespräche

Wie bereits erwähnt, kommen Tür- und Angel-Gespräche heute seltener zustande als vor 25 Jahren. Umso wichtiger werden Anmelde-, Eingewöhnungs- und Entwicklungsgespräche sowie Termingespräche vor Übergängen (z.B. Wechsel von der Kinderkrippe in den Kindergarten, Umzug, Einschulung). Für die weitaus meisten Eltern ist das persönliche Gespräch über ihr Kind wichtiger als alle anderen Angebote der Elternarbeit. Es sollte mindestens zweimal im Jahr stattfinden – und zwar ohne Zeitdruck. Wenn möglich sollten sowohl Mutter als auch Vater an dem Gespräch teilnehmen, da Väter heute eine größere Rolle in der Erziehung ihrer Kinder spielen als früher und eigene Perspektiven einbringen. Zudem können Väter mit Migrationshintergrund oft besser Deutsch sprechen als Mütter und haben bei einer patriarchalischen Familienstruktur auch in Erziehungsfragen das letzte Wort.

Üblicherweise berichten zuerst die Eltern über die häusliche Situation und die Entwicklung ihres Kindes daheim. Aufgrund der zunehmenden Diversität der Elternschaft sollten Erzieher/innen auch andersartige Rollendefinitionen, religiöse und kulturelle Praktiken, Lebensweisen, Erziehungsvorstellungen und -methoden akzeptieren, sofern diese nicht gegen das Kindeswohl verstoßen. Dann informiert die sozialpädagogische Fachkraft über den Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes und sein Verhalten in der Kita, wobei sie oft auf Beobachtungsbögen bzw. Tests, Lerngeschichten bzw. Portfolios zurückgreift.

Bei manchen Termingesprächen geht es auch um Erziehungsprobleme und Verhaltensauffälligkeiten. Treten sie in erster Linie in der Familie auf, sollte sich die Fachkraft mit gut gemeinten Ratschlägen zurückhalten, sondern die Eltern miteinander in einen Dialog bringen und ihnen helfen, die Ursachen der Probleme ausfindig zu machen, nach Lösungen zu suchen und ihr eigenes Erziehungsverhalten zu ändern. Bei Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten, die vor allem in der Kita beobachtet werden, gilt es, diese vor dem Hintergrund der zunächst detailliert angesprochenen Kompetenzen und Ressourcen des jeweiligen Kindes genau zu beschreiben. Dann berichtet die Fachkraft, was sie bereits erzieherisch unternommen hat, ohne aber den gewünschten Erfolg erzielt zu haben. Anschließend bespricht sie mit den Eltern, was diese noch für Tipps haben bzw. wie sie gemeinsam weiter verfahren wollen.

Bei größeren Familienproblemen, ausgeprägten Entwicklungsverzögerungen, vermuteten Behinderungen oder Verhaltensstörungen müssen der Familie bzw. dem Kind externe Hilfen erschlossen werden (z.B. von Erziehungs- oder Frühförderstellen, Jugendämtern oder medizinischen Diensten). Eine dem jeweiligen Bedarf entsprechende Weitervermittlung ist nur bei einer guten Vernetzung der Kindertageseinrichtung möglich: Zumindest die Leitung sollte einen umfassenden Überblick über die Angebote vor Ort und im näheren Umkreis haben und Ansprechpartner (persönlich) kennen.

Elternbeschwerden

Je heterogener die Elternschaft wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass es die pädagogischen Fachkräfte nicht allen Eltern recht machen können. Deshalb werden sie des Öfteren Kritik erfahren. In diesen Fällen gilt es, sich nicht abgewertet zu fühlen bzw. nicht überzureagieren. Am besten ist es, sich erst einmal die Beschwerden der Eltern anzuhören, bei Unklarheiten nachzufragen und Verständnis zu zeigen. Fühlt sich die Fachkraft angegriffen und verletzt, reicht es, das Anliegen der Eltern zu bestätigen und mit ihnen einen Termin für ein ausführliches Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt zu vereinbaren.

Vor 25 Jahren war der (Halbtags-) Kindergarten in erster Linie familienergänzend; die Eltern kümmerten sich schon mittags wieder um ihr Kind. Bei der heute weit verbreiteten Ganztagsbetreuung (für Kinder ab dem ersten Lebensjahr) verbringen Kleinkinder mehr Wachzeit in der Kita als zu Hause. Deshalb haben viele Eltern die Erziehung und Bildung ihres Kindes weitgehend an die Kita delegiert. Sie wollen, dass es dort die beste Förderung erhält. Werden übersteigerte Ansprüche nicht erfüllt, kann es nicht nur zu offenen Konflikten mit der zuständigen Fachkraft kommen, sondern es besteht auch die Gefahr, dass diese Eltern andere Eltern aufhetzen, sodass das Team (bzw. der Träger) wenig später mit einer ganzen Gruppe unzufriedener Eltern konfrontiert wird. Deshalb ist es wichtig, solche Eltern möglichst frühzeitig zu identifizieren und anzusprechen. Dann gilt es, die Erwartungen der Eltern zu erfragen, überhöhte Ansprüche herunterzuschrauben und den Eltern bewusst zu machen, dass es in der Kindertagesstätte Kinder mit einem höchst unterschiedlichen Entwicklungsstand, verschiedenen Stärken und Schwächen sowie besonderen Bedarfen gibt, denen das Personal gerecht werden muss. In einer Regel-Kita ist es deshalb nicht möglich, ein so anspruchsvolles pädagogisches Programm durchzuführen, dass es die meisten Kinder überfordern würde. In solchen Konfliktsituationen ist es hilfreich, wenn auf eine detailliert ausgefeilte pädagogische Konzeption verwiesen werden kann – bei der Anmeldung haben die Eltern ja akzeptiert, dass ihr Kind entsprechend erzogen und gebildet wird. Stellt sich heraus, dass die Eltern ihre Ansprüche nicht herunterschrauben wollen (und weiter gegen das Team „hetzen“), ist ihnen notfalls eine Kündigung nahezulegen oder seitens des Trägers zu vollziehen.

Elternmitarbeit

Elternmitarbeit bietet eine gute Möglichkeit, Eltern die Nichterfüllbarkeit besonders hoher Ansprüche selbst erleben zu lassen. Wenn sie eingeladen werden, in der Gruppe ihren Beruf oder ihr Hobby vorzustellen, werden sie schnell merken, was mit Kleinkindern möglich ist und was nicht. Aber auch andere Eltern werden erkennen, wie schwer es ist, mit einer großen Gruppe Kinder unterschiedlichen Alters zu arbeiten. Dementsprechend steigt der Erzieherberuf in der Achtung der Eltern. Dasselbe geschieht übrigens schon bei der Hospitation.

Vor allem aber dient die Elternmitarbeit der Bereicherung des Bildungsangebots der Kindertageseinrichtung. Alleine schon die Begleitung bei Ausflügen ermöglicht es den Kindern, im Gespräch mit den wenig bekannten Erwachsenen soziale und kommunikative Fähigkeiten zu schulen und ihr Wissen zu erweitern. Letzteres ist erst recht der Fall, wenn Eltern ihren Arbeitsplatz in einem Handwerksbetrieb, einem Geschäft, einer Artpraxis oder einer Behörde der Kindergruppe vorstellen oder sie durch ein Museum, eine Kirche, eine Moschee oder ein historisches Bauwerk führen. Eltern mit Migrationshintergrund können über ihr Herkunftsland berichten, Fotos bzw. Kurzfilme aus der Heimat ihrer Eltern zeigen, traditionelle Märchen erzählen oder Lieder in ihrer Erstsprache vorsingen. Das geht weit über das früher übliche Zubereiten von landesüblichen Speisen oder Backwaren beim Sommerfest heraus. So ermöglicht Elternmitarbeit besser als viele andere Angebote die Einbindung von Familien mit Migrationshintergrund – aber auch von (deutschen) Vätern, die in Kitas immer noch zu wenig präsent sind.

Wenn die Elternmitarbeit und die Einbeziehung der Ideen und Kompetenzen der Eltern „zur Kultur der Kindertageseinrichtung gehört“ (Prott 2004, S. 18), werden berufstätige Eltern bereit sein, für einen solchen Einsatz auch einmal einen (halben) Tag freizunehmen. Manche Eltern blühen regelrecht auf, wenn sie um Mithilfe in der Kita gebeten werden, besondere Kenntnisse und Kompetenzen einbringen können und dann Anerkennung seitens der Erzieher/innen, der Kinder und anderer Eltern erfahren.

Elternbildung

Je jünger ein Kleinkind bei der Aufnahme in eine Kindertageseinrichtung ist und je länger es dort täglich betreut wird, umso weniger Zeit bleibt seinen Eltern, ihre Beziehung zu ihm zu festigen und erzieherische Kompetenzen im Umgang mit ihm zu entwickeln. Hinzu kommt, dass Eltern heute viel stärker als früher durch die Medien, die gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit an die Familienerziehung und gut gemeinte Ratschläge von Freunden und Verwandten verunsichert sind. So besteht ein hoher Bedarf an Elternbildung. Aber nur ein kleiner Teil der Eltern – zumeist aus der Mittelschicht – findet von selbst den Weg zu Familienbildungsstätten und ähnlichen Anbietern.

Deshalb kommt der Elternbildung durch sozialpädagogische Fachkräfte eine größere Bedeutung als vor 25 Jahren zu. Sie kann im Rahmen von Elterngesprächen und Elternabenden erfolgen. Da Erzieher/innen jedoch nur in Ausnahmefällen Zeit für mehr als zwei Termingespräche pro Jahr haben und dabei andere Themen im Vordergrund stehen (s.o.) und da jedes Jahr nur wenige Elternabende angeboten werden können und bei pädagogischen Themen oft gerade von denjenigen Eltern verschmäht werden, die man eigentlich erreichen wollte, ist Elternbildung hier nur sehr begrenzt möglich.

Einige Kindertageseinrichtungen bieten deshalb Elternkurse (mit externen Leiter/innen) und Gesprächskreise (z.B. in der Form eines Elterncafés) in den eigenen Räumlichkeiten an. Hier wird davon ausgegangen, dass die Schwellenangst der Eltern geringer als bei Veranstaltungen externer Anbieter ist, dass Eltern mit entsprechenden Bedarfen von den Fachkräften leichter zum Besuch der Kurse motiviert werden können und dass es von Anfang an zu offeneren Gesprächen kommt, da die Eltern einander bereits kennen. Dennoch werden solche Angebote oft wenig genutzt, sogar wenn sie von den Eltern selbst vorgeschlagen wurden. Fischer (2011) berichtet von den in ihrer Kita gesammelten Erfahrungen: „Trotz Informationen über die Kursinhalte und persönliche Ansprache der Eltern fanden sich zum Kursbeginn nur sehr wenige Eltern ein. Nach einer genauen Prüfung der Ursache stellte sich heraus, dass Eltern mit Zuwanderungshintergrund gerne teilnehmen würden, aber über zu geringe Deutschkenntnisse verfügten. Für einige der Einelternfamilien war die Teilnahme nicht möglich, weil der Kurs außerhalb der Kita-Öffnungszeiten angeboten wurde. Andere befürchteten, dass ihnen im Kurs vorgehalten werde, was sie alles im Umgang mit ihren Kindern falsch machen oder dass der Kurs Geld kosten würde...“ (S. 10). Sicherlich kann man in begrenztem Rahmen solchen Hinderungsgründen entgegenwirken, wenn man z.B. Eltern mit Migrationsgrund, die die deutsche Sprache beherrschen, als Dolmetscher/innen einsetzt oder eine Kinderbetreuung während des Kurses sicherstellt.

Ferner können Erzieher/innen Elternkurse vermitteln, wobei es mancherorts auch Maßnahmen gibt, die sich speziell an Eltern mit Migrationshintergrund und schlechten Deutschkenntnissen oder an sozial schwache Familien richten bzw. sich an bestimmten Lebenslagen und Bedarfen orientieren. Albers und Ritter (2015) verweisen in ihrem Buch z.B. auf Angebote wie PEKiP, HIPPY, Opstapje, Starke Eltern – starke Kinder, Triple P, Heidelberger Elterntraining, Marte-Meo-Methode und Rucksack-Programm.

Schlusswort

Selbst wenn heute eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aufgrund der jetzigen Familienverhältnisse und der Rahmenbedingungen in Kitas nur noch in Einzelfällen realisiert werden kann (s.o.), bleiben die Anforderungen an die Elternarbeit groß. In diesem Artikel wurden einige Elternangebote skizziert, auf die Kindertageseinrichtungen nicht verzichten sollten bzw. können. Dabei handelt es sich nur um eine Auswahl. Dies wird deutlich, wenn man z.B. die zehn Mindest-Standards liest, die Fröhlich-Gildhoff (2017) für die Elternarbeit formuliert hat:

  1. schriftlich fixiertes Eingewöhnungskonzept
  2. systematische Information der Eltern auf verschiedenen Wegen
  3. regelmäßige Bedarfsanalysen
  4. qualifizierte Tür- und Angel-Gespräche
  5. mindestens halbjährlich stattfindende Entwicklungsgespräche
  6. regelmäßige Formen der Elternbildung
  7. regelmäßige Fachkraft-Eltern-Kind-Aktivitäten
  8. gezielte Übergangskonzepte und systematische Übergangsberatung
  9. Pläne für ein Krisenmanagement
  10. tragfähige, fallunabhängige Kooperationen mit Jugendhilfe-Einrichtungen

Aufgrund der hohen Anforderungen sollten sozialpädagogische Fachkräfte für das Aufgabenfeld „Elternarbeit“ weiterqualifiziert werden. Dies kann z.B. wie folgt geschehen: „Neue Mitarbeiter/innen werden durch gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf die Kommunikation mit den Eltern vorbereitet. In Rollenspielen üben sie beispielhafte Situationen und lernen, wie sie auch in Krisengesprächen, zum Beispiel über die Schramme im Gesicht eines Kindes oder Verhaltensauffälligkeiten, die Botschaft ideal übermitteln und das Gespräch führen können. Die Schilderung ihrer Beobachtungen am Kind ist dabei ihr zentrales Element. Denn die Entwicklungsbeobachtung dient als Voraussetzung für die pädagogisch qualitative, hochwertige Entwicklungsbegleitung. Und auch als Frühwarnsystem bei eventuellen Schwierigkeiten. Dank ihres Wissens über die jeweilige private Situation der Eltern (auch über die Zielgruppen-Typologie der Sinus-Milieus) können sie sich in die Eltern einfühlen und auch ihre Kommunikation auf einer professionellen, erwachsenen Ebene an die Eltern anpassen“ (Ruck/Baumann 2017, S. 33).

Ferner muss die Elternarbeit beim Qualitätsmanagement berücksichtigt werden, indem zunächst entsprechende Standards (s.o.) formuliert werden und dann immer wieder überprüft wird, ob sie erreicht wurden. Dabei gilt es, die eigene Kita durch die „Brille“ der Eltern zu sehen (Perspektivwechsel), aber auch deren Meinungen, Wünsche und Anregungen direkt einzuholen. Dies kann z.B. durch eine Elternbefragung geschehen, deren Ergebnisse dann im Team, mit dem Elternbeirat bzw. mit den Eltern an einem Elternabend diskutiert werden. Besonders interessant ist eine Umfrage seitens eines Trägers bei allen von ihm verantworteten Kindertagesstätten, wie Ruck und Baumann (2017) berichteten: „Unsere jährlich durchgeführte Elternbefragung ist die Basis für Vergleiche und Benchmarks zwischen unseren Einrichtungen. Sie gibt Hinweise für Verbesserungen und führt zu neuen Strategien und notwendigen Anpassungen...“ (S. 34).

Die Ergebnisse der Evaluation sollten vor allem im Kita-Team ausführlich diskutiert werden. Stellt sich heraus, dass die Elternarbeit verbessert werden muss, werden entsprechende Maßnahmen geplant und umgesetzt. Auf eine Erfolgskontrolle darf nicht verzichtet werden. Dann kommt es mit der Zeit zu einer den Bedarfen entsprechenden und qualitativ hochwertigen Elternarbeit, selbst wenn weiterhin das Ideal einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft aus den vorgenannten Gründen nur mit einem Teil der Eltern realisiert werden kann.

Anmerkung

Eine umfassendere Darstellung der Thematik finden Sie in meinen Büchern „Elternarbeit im Kindergarten. Ziele, Formen, Methoden“ (Books on Demand, 4. Aufl. 2021) und „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in Kindertageseinrichtungen“ (Books on Demand, 3. Aufl. 2020), die im Buchhandel und z.B. bei Amazon erhältlich sind.

Literatur

Albers, T./Ritter, E.: Zusammenarbeit mit Eltern und Familien in der Kita. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag 2015

Fischer, S.: Gemeinsam sind wir stark. Formen der Zusammenarbeit mit Eltern in Kitas. Entdeckungskiste 2011, Nr. 3, S. 8-10

Fröhlich-Gildhoff, K.: Standards für die Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften und Eltern. In: Aich, G./Kuboth, C./Behr, M. (Hrsg.): Kooperation und Kommunikation mit Eltern in frühpädagogischen Einrichtungen. Weinheim, Basel: Beltz Juventa 2017, S. 54-61

Prott, R.: Zwölf allgemeine Regeln, damit Erzieherinnen und Eltern erfolgreich zusammenarbeiten können. Kindertageseinrichtungen aktuell, KiTa spezial 2004, Nr. 3, S. 15-18

Roth, X.: Handbuch Elternarbeit. Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in der Kita. Freiburg, Basel, Wien: Herder 2014

Ruck, D./Baumann, L.: Erziehungs- und Bildungspartnerschaft als Rahmen der pädagogischen Arbeit. KiTa aktuell BY 2017, Heft 2, S. 32-34

Textor, M.R.: Elternarbeit: Gemeinsam für unsere Kinder aktiv. Kinderzeit 1995, 46 (1), S. 14-16

Textor, M.R.: Von der Erziehungspartnerschaft zur Bildungspartnerschaft (2002). https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/elternarbeit/elternarbeit-grundsaetzliches-ueberblicksartikel/798 (abgerufen am 25.01.2021)

Textor, M.R.: Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in Kindertageseinrichtungen. Norderstedt: Books on Demand, 3. Aufl. 2020

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