Spiel-Sprache, Sprachspiele ...Zur Bedeutung von Reimen und Kinderliedern für das Erlernen der Sprache

Margarete Blank-Mathieu

Kinder lieben Sprachspiele und Reime. Über Sprache treten sie in Verbindung mit der Welt der Erwachsenen und ihre Denkentwicklung wird unterstützt. Nicht zuletzt aber macht es einfach Freude, Sprache auf spielerische Art und Weise zu gebrauchen: Wenn wir Babys hören, wie sie mit Lallmonologen sich selbst und andere unterhalten, so spüren wir etwas von dem Spaß, den sie dabei haben und wie sie auf diese Weise mit anderen zu kommunizieren beginnen.

Berührungs- und Handstreichelspiele

Die ersten Spiele, die wir mit Babys spielen, sind die alten Handstreichelspiele. Während das Kind geborgen auf dem Schoß sitzt, nehmen wir das kleine Händchen, streicheln es bei jedem Satz und sprechen z.B.:

Da hast nen Taler,
geh auf den Markt,
kauf dir ne Kuh,
ein Kälbchen dazu,
das Kälbchen hat ein Schwänzchen,
gille gille Gänschen... (die Handfläche oder das Bäuchlein kitzeln).

Berührung in Verbindung mit Worten ist für das Baby ein Spracherlebnis, das sich tief einprägt. Es festigt die emotionale Beziehung zu Mutter, Vater, den Großeltern oder anderen Erwachsenen, die mit ihm spielen. Dabei werden Denkstrukturen ausgebildet, die für das weitere Sprachverständnis wichtig sind. Kinder lernen ja nicht nur mit dem Gehör, sondern mit allen Sinnen. Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser prägt sich das Gesagte ein.

Schon unsere Vorfahren haben diese Spiele mit ihren Kindern gespielt, was man häufig am Text merkt. Aber nicht der Text ist das Entscheidende, sondern die klar ausgesprochenen Worte und die zarten Berührungen.

Ein Spiel ist bei Babys und Kleinkindern sehr beliebt, bei dem der Erwachsene mit den Kinderhänden patscht:

Pitsche, patsche Peter (normale Geschwindigkeit)
hinterm Ofen steht er
wichst seine Stiefelchen, wichst seine Schuh
...kommt die alte Katz dazu... (langsam)
frisst den Peter mitsamt seine Schuh (schnell)
macht die Tür auf (langsam)
schmeißt die Katz naus
Husch, husch, husch, husch (ganz rasche Bewegungen).

Dieses Spiel ist wegen der langsamen und schneller werdenden Sprachmelodie besonders hübsch und kann von Babys und Kleinkindern gar nicht oft genug gespielt werden.

Viele bekannte und neue Handstreichelspiele, Kniereiter- und Fingerspiele finden Sie auch in Dhorn Christel: "Spiel mit mir, sprich mit mir" (Verlag Freies Geistesleben 2002, Stuttgart).

Fingerspiele

Von den ersten Lallmonologen, in denen jeweils bestimmte Laute vom Kind ausprobiert und variiert werden - so entstehen im Übrigen bei allen Kindern auf der Welt die Bezeichnungen Mama und Papa - unterstützen Fingerspiele die Sprachentwicklung und die Freude am Sprechen. Die meisten Fingerspiele wiederholen wegen des Reims auch bestimmte Laute.

Hier werden z.B. die Laute au und ei besonders betont:

Das ist der Daumen,
der schüttelt die Pflaumen,
der klaubt sie ein,
der trägt sie heim
...und der kleine Schlingelschlangel isst sie ganz allein.

Während zunächst die Fingerspiele einzelne Laute unterstützen, werden in den erweiterten Fingerspielen, die das Kind ab dem Alter von 2 Jahren schon mitspielen kann, ganze Geschichten erzählt. Dabei bilden die Finger und Hände das jeweils Gesagte nach, z.B.:

Katzen können Mäuse fangen

Katzenkopf wird mit aufgestelltem Zeige- und kleinen Finger und zusammengepresstem Daumen und Mittel- und Ringfinger dargestellt

haben Krallen, wie die Zangen

beide Hände zu Tatzen formen

schlüpfen durch die Bodenlöcher

mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die Höhle aus Zeigefinger und Daumen der linken Hand schlüpfen

auch zuweilen auf die Dächer

mit beiden Händen ein Hausdach bilden

Mäuschen mit den langen Schwänzchen

Faust mit abgestrecktem kleinen Finger

tanzen auf dem Dach ein Tänzchen

auf der ausgestreckten linken Handfläche tanzen

...leise, leise kommt die Katz

Katzenkopf langsam vorwärts bewegen lassen

und packt die Maus ... mit einem Satz!!

rechte Hand fängt linke Hand

Fingerspiele sind weit über das dritte Lebensjahr hinaus noch beliebt und werden auch von den größeren Kindern mit Freude gespielt. Kinder erfinden zu Reimen oder Liedern auch eigene Bewegungen, die das Gesprochene emotional unterstützt.

Man muss annehmen, dass das Sprach- und Gefühlszentrum jeweils getrennte und doch auf eigenartige Weise verbundene Gehirnstrukturen aufweisen. So können manche Schlaganfallpatienten zwar nicht mehr sprechen, sie können aber durchaus noch - mit Worten! - singen. Das bedeutet für das Sprachenlernen, dass Kinderlieder oder gesungene Reime der Sprache noch eine zusätzliche Qualität verleihen.

Kinderlieder und Reime

Kinderreime, die gesungen und auch gespielt werden können sind z.B.:

ABC, die Katze lief im Schnee
und als nach Haus sie wieder kam
da hat sie weiße Stiefel an
o jemine, o jemine, o jemine, o je!

Kinder lieben Wörter, die keinen Sinn geben und keine Bedeutung haben. Die so genannten Quatschwörter, die sie selbst erfinden, oder Quatschreime, die lediglich aus Lautmalereien bestehen, sind deshalb auch als Auszählreime von Kindern sehr beliebt.

Auszählreime

Itzen dizen Silberschnitzen, itzen ditzen daus und du bist raus!

Annchen, Dannchen, Dittchen, Dattchen,
teber de beber de bittchen battchen
teber de beber de bu und raus bis du!

Rätselreime

Es trippelt was ums Haus herum
und macht es nass
macht bitschi, batschi, bitschi batschi
Was ist das? (der Regen)

Rätsel für Kinder sollten in einem Schwierigkeitsgrad gestellt werden, dass die Kinder die meisten Rätsel erraten können. Zum Reim kommen hier kognitive Fähigkeiten hinzu, die schon ein bestimmtes Wissen voraussetzen.

Reimgeschichten

Friedrich Güll hat viele Geschichten in Reimform verfasst, die von Kindern gelernt und nacherzählt werden können. Die bekannteste Geschichte, die auch gesungen werden kann:

Will sehen, was ich weiß, vom Büblein auf dem Eis (zu Anfang gesprochen)

Gefroren hat es heuer
noch gar kein festes Eis
das Büblein steht am Weiher
und spricht zu sich ganz leis:
Ich will es einmal wagen,
das Eis das muss doch tragen,
wer weiß?

Das Büblein stampft und hacket
mit seinen Stiefelein
das Eis auf einmal knacket
und plumps, da fällts hinein,
das Büblein platscht und krabbelt
als wie ein Krebs und zappelt
mit Schrein...

O helft, ich muss versinken
in lauter Eis und Schnee
o helft, ich muss ertrinken
im tiefen tiefen See.
Wär nicht ein Mann gekommen,
der sich ein Herz genommen,
o weh!

Der packt es bei dem Schopfe
und zieht es dann heraus
vom Fuße bis zum Kopfe
wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
der Vater hats geklopfet
zu Haus.

Die Gedichte und Geschichten von Friedrich Güll sind sprachlich anspruchsvoll und haben häufig auch einen moralischen Hintergrund, der von Kindern aber nicht als solcher empfunden wird. Mit dem Büblein bangen sie um dessen Leben, mit den Tierfiguren erleben sie eigene Ängste und können sich mit ihnen identifizieren. Dass nebenbei viele neue Wörter erlernt und die Gedichte so verinnerlicht werden, dass sie auch im späteren Leben jederzeit abrufbar bleiben, zeigen Erfahrungen, die Erwachsene mit diesen bildhaften Kinderreimgeschichten gemacht haben.

Leider sind Reimgeschichten sehr in Vergessenheit geraten. Kinder lernen jedoch gerade im Kindergartenalter leicht und gern auswendig. Wenn wir ihnen eine Geschichte erzählen, in der wir eine Redewendung ändern, werden wir rasch darauf aufmerksam gemacht. Reimgeschichten können Kinder schnell selbst auswendig lernen und nachspielen.

Kinderlieder und Spiellieder

Schon ganz kleine Kinder lieben das Spiellied:

Häschen in der Grube
saß und schlief,
saß und schlief.
Armes Häschen bist du krank,
dass du nicht mehr hüpfen kannst?
Häschen hüpf, Häschen hüpf, Häschen hüpf.

Häschen vor dem Hunde
hüte dich,
hüte dich,
hat gar einen scharfen Zahn,
packt damit mein Häslein an.
Häslein lauf, Häslein lauf, Häslein lauf.

Weitere bekannte Spiellieder sind z.B. auch "Ringel, ringel, Reihe...", "Zeigt her eure Füße..." und "Jetzt steht Hampelmann..."

Unserer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wie wir Kinderlieder und Reime in Spiele umsetzen können. Kinder selbst können als Regisseure tätig werden, Kulissen bauen, mit Instrumenten die Lieder begleiten, Bewegungen dazu erfinden. Phantasie, Bewegung, Musik, Kreativität und das Sprachverständnis werden trainiert. Viele Sinne können zusammenwirken, um alle Kinder Sprache als spielerisches und kommunikatives Element erleben zu lassen.

Für Kinder nichtdeutscher Herkunft ist dies vielleicht besonders wichtig. Sie lernen Sprache zunächst mit Lautmalereien, die ihnen die deutschen Laute vertraut macht. Mit Musik und Bewegungsunterstützung können sie, auch ohne die Worte zu verstehen, mitspielen.

Es ist auch ganz leicht, Kindern mit der deutschen Muttersprache über Lautmalereien und Liedern ein Gefühl für fremde Sprachen zu vermitteln. Unsere multikulturelle Gesellschaft hat viele Sprachen - dass dies eine Bereicherung darstellt, können wir mit Kinderreimen und Liedern unterstützen.

Sprache als Voraussetzung für die Kommunikation, das Denken, das Lernen muss theoretisch nicht besonders abgehandelt werden. Dafür gibt es kluge Ratgeber und wissenschaftliche Werke. Wenn wir das Sprechen lernen und die Sprachkompetenz von Kindern fördern wollen, so dürfen wir den spielerischen, fröhlichen Aspekt in den Vordergrund rücken. Dies gelingt mit Fingerspielen, Kinderreimen, Kinderspielliedern und Geschichten besonders gut. Die Kinder selbst entscheiden, welche Lieder und Reime ihnen am besten gefallen und ihrem Sprachverständnis angemessen sind.

Ob zu Hause oder im Kindergarten gesungen und gespielt - Kinder haben Freude an der eigenen Muttersprache und an anderen Sprachen. Gemeinsam mit den Eltern können wir herausfinden, welche Reime, Reimgeschichten, Lieder und Spiellieder wir den Kindern anbieten können. Jede Sprache hat ihre traditionellen Reime und Lieder. Wir sollten uns von den Eltern anregen und sie auch selbst tätig werden lassen, um unseren Kindern viele unterschiedliche "Sprachmelodien" erfahrbar zu machen.

Viele Anregungen finden Sie auch in folgenden Büchern (in jeder Buchhandlung oder Bibliothek finden Sie weitere Veröffentlichungen):

Böhm u.a.: Handbuch interkulturelles Lernen, Herder, Freiburg 1999, S. 150-180

Friedrich, Hedi: Auf Kinder hören - mit Kindern reden, Herder, Freiburg 1992

Jampert, Karin: Schlüsselsituation Sprache, Leske und Budrich, Opladen 2002

Berner, Rotraut Susanne: Apfel, Nuss und Schneeballschlacht, Geschichten, Lieder und Gedichte, Gerstenberg, Hildesheim 2001

Dhom, Christel: Spiel mit mir, sprich mit mir, Spiele zur Sprachentwicklung vom Kleinkind bis zum Grundschulalter, Verlag freies Geistesleben, Stuttgart 2002

Enzensberger: Allerleihrauh, Viele schöne Kinderreime, suhrkamp Taschenbuch Frankfurt 1972, insel taschenbuch 1979

Frischer, Catrin: Das Liederbuch, Schatzinsel mit CD, Original Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/ Main 1999

Güll, Friedrich: Kinderheimat in Liedern und Bildern, insel taschenbuch, Frankfurt/ Main 1975

Guggenmos, Josef: Oh, Verzeihung sagte die Ameise, Gedichte und Geschichten, Beltz & Gelberg , Weinheim 2002

Jahn u.a. : Die schönsten Spiele aus Großmutters Zeit, eine Auswahl für den Kindergarten, Herder, Freiburg 2002

Janosch: Das große Buch der Kinderreime, Diogenes, Zürich 1984

Mühlhoff: Kommt ein Vogel geflogen, Die schönsten Kinderlieder, Arena, Würzburg 2002

Steffe/ Höfele: Europa in 80 Tönen mit CD, Eine multikulturelle Europareise mit Liedern, Tänzen, Spielen und Bräuchen, Ökotopia, Münster 2002

Wildermuth, Rosemarie: 1 2 3 die Leiter hoch, 102 Rätselreime, Ellermann, München 1973

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