Sprachförderung - als entscheidendes Element zur Förderung der Chancengleichheit

Annett Leisau

Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache.
Wilhelm von Humboldt

In der theoretischen Einführung zu ihrem Gutachten "Sprachförderung in Kindertagesstätten" beschreiben die Mitarbeiter/innen des Sozialwissenschaftlichen Institutes Köln die komplexen inhaltlichen Aufgaben der Sprache folgendermaßen: "Sprache ist die Grundlage der Kommunikation mit anderen Menschen, durch die Gedanken und Gefühle zum Ausdruck gebracht, Bedeutungen vermittelt, Wünsche und Begehren kundgetan, Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausgetauscht, Zusammenhänge verstanden und Handlungen geplant werden. Sprache ist erforderlich, um sich mitzuteilen und andere zu verstehen" (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 1999, S. 8). Die Sprache hat also eine entscheidende Funktion für das Erfassen der kindlichen Welt. Das bedeutet, dass sich die Kinder mit Hilfe der Sprache ihre eigene Welt konstruieren können.

Auf den folgenden Seiten soll ausführlich dargestellt werden, wie Kinder sprechen lernen - eine oder gar mehrere Sprachen - und welche Unterstützung sie dabei von den sie umgebenden Bezugspersonen brauchen.

Grundlagen des Sprechenlernen

Der Mensch ist also als ein horchendes, merkendes Geschöpf zur Sprache natürlich gebildet.
Johann Gottfried Herder

Bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts führte Friedrich II von Hohenstaufen, der selber mehrere Sprachen beherrschte, ein Experiment durch, mit dessen Hilfe er herausfinden wollte, welche Sprache die "Ursprache" der Kinder wäre, wenn sie nicht durch die Sprache ihrer Eltern beeinflusst werden würden. Also wurden Kinder ohne jegliche Interaktionsmöglichkeiten mit Erwachsenen, ohne Zuwendung und Aufmerksamkeit sich sprachlich selbst überlassen. Die Kinder begannen aber weder Hebräisch, Griechisch, Latein, Arabisch noch die Sprache ihrer Eltern zu sprechen - sie alle verstarben auf Grund fehlender (sprachlicher) Stimulation (dieses und andere Experimente werden ausführlich vorgestellt in Zimmer 1986).

Und obwohl auch noch heute über die Ererbtheit der Grundlagen von Sprache diskutiert wird, fasst Jerome Bruner (1997) die bis dato gesicherten Kenntnisse über die Notwendigkeit einer sprachlichen Aktivierung, einer notwendigen bewussten Kommunikation mit dem Kinde in seinem Buch "Sinn, Kultur und Ich-Identität" folgendermaßen zusammen: "Die Sprache wird nicht in der Rolle des Zuschauers erworben, sondern durch aktiven Gebrauch. Dem Strom einer Sprache 'ausgesetzt' zu sein ist bei weitem nicht so wichtig, wie diese Sprache zu gebrauchen, und zwar inmitten allen übrigen 'Tuns'" (S. 84). Es ist dazu wichtig, die Situation, in der das Kind lernt, so natürlich wie irgend möglich zu gestalten, denn "das Kind lernt ja nicht einfach, was es sagen soll, sondern gleichzeitig, wie, wo, zu wem und unter welchen Umständen es was sagen soll" (Bruner, 1997, S. 84).

Phasen des Spracherwerbsprozesses

Die Entwicklung der Sprache kann anhand mehrerer Stufen erklärt werden, wobei die zeitlichen Einordnungen als Richtwerte zu verstehen sind - eine genaue Übertragung auf jedes Kind ist somit nicht möglich.

  1. Vorsprachliche Kommunikation

    ab der 30. Woche: Der Embryo nimmt starke akustische Reize wahr und reagiert mit plötzlichen Bewegungen und Schluckauf. Dahingegen wirkt klassische Musik beruhigend.

    von Geburt an: Babys besitzen Sensibilität und Unterscheidungsvermögen für die Sprache der Mutter. Das Schreien wird zunehmend differenzierter. Explosiv-, Blaslaute und Gurren sind dabei aber wohl noch kein Mittel der Verständigung, sondern dienen vielmehr der spielerischen Beschäftigung.

    ab 2./3. Monat: Das sich daran anschließende Lallen ist noch nicht an bestimmte Menschen gebunden und besitzt auch noch keine wirkliche inhaltliche Bedeutung, aber es ermöglicht dem Kind, allmählich eine Verbindung zwischen dem Gesprochenen und Gehörten zu entdecken.

    bis zum 6. Monat: Das Kind ist noch offen für alle Sprachen. Es hat ein absolutes Gehör.

    nach dem 6. Monat: Beim nun beginnenden Silben(nach)plappern entwickelt sich ein Klangsieb, das überwiegend die muttersprachlichen Lautmuster auffängt. Das Kind unterliegt einem Sensibilitätsverlust beim Hören. Ein erstes Sprachverständnis ist beobachtbar - das Kind versteht den Inhalt erster Worte.

  2. Ein-Wort-Sätze:

    ab 9./10. Monat: Das Kind spricht nun Einwortäußerungen als Teile eines komplexen Handlungsschemas. Neben "Mama" und "Papa" lernt und spricht es meist Substantive. Die Einwortsätze nutzt es zum Äußern von Wünschen, Befindlichkeiten oder Appellen. In der Echo-Phase folgen Wiederholungen von Gehörtem.

    18 Monate: erstes Fragealter

  3. Zwei-Wort-Sätze

    1 ½ - 2 Jahre: Das Kind spricht ca. 50 und versteht 200 bis 300 Wörter. Zumeist spricht es im Telegrammstil, in dem Substantive, Verben im Infinitiv und einige Adjektive gebraucht werden.

    ab 2 Jahre: Während der Periode der fruchtbaren Fehler riskieren die Kinder immer mehr; sie kreieren neue Wörter, bilden "neue" Verben (wie z.B. klavieren oder besen), Partizip II- und Präteritumformen. Diese Phase stellt ein Übergangsstadium dar, das von den Kindern in der Regel alleine wieder aufgegeben wird.

  4. Mehr-Wort-Sätze

    ab 3 Jahre: Das Kind nutzt jetzt die für die Verständigung notwendigen Inhaltsworte. Dennoch ist ein wirkliches Verstehen oft nur im Zusammenhang mit der Situation möglich. Dabei spricht das Kind überwiegend in einfachen Hauptsätzen, später in Satzverbindungen und Satzgefügen. Allmählich werden Adverbien, Possessivpronomen und Präpositionen genutzt. In der Spiegelphase beginnt das Kind, sich selbst als eigenständige Person wahrzunehmen und sich mit "ich" zu bezeichnen.

    ab 4 Jahre: Im zweiten Fragealter sucht das Kind nach sinnvollen und gültigen Antworten auf seine Fragen. Es entwickelt ein immer umfassenderes Sprachbewusstsein. Das Kind beginnt, emphatisch zu handeln und durch Perspektivwechsel das Verhalten anderer vorauszuahnen. Es erkennt nun immer besser die wesentlichen Strukturen seiner Sprache und kann Wünsche, Gedanken und Absichten so mitteilen, dass diese von anderen Personen - auch kontextunabhängig - verstanden werden

    ab 9 Jahre: Das Kind besitzt jetzt eine schnelle, automatische Sprachverarbeitung. Es ist dabei auch in der Lage, ironische Aussagen zu verstehen und zu durchschauen.

Der Sprachbaum nach Wendtland

Die Sprachentwicklung des Kindes und die dabei benötigte Unterstützung durch die jeweiligen Bezugs- und Kontaktpersonen wird meiner Meinung nach besonders anschaulich und einprägsam am Modell des Sprachbaums nach Wolfgang Wendtland dargestellt. Mit seiner Hilfe konnte ich im Rahmen von Elternabenden oder -nachmittagen interessierten Eltern die Sprachentwicklung ihrer Kinder verdeutlichen und die Eltern spüren lassen, inwiefern sie einen wichtigen Part (über das regelmäßige Bringen in den Kindergarten hinaus) zu erfüllen haben, um die Sprachentwicklung ihres Kindes - ganz gleich, welche Sprache(n) es spricht - positiv zu unterstützen.

Die Wurzeln des Baumes sind Symbole für die Voraussetzungen für die Sprach- und Sprechfähigkeit, die im Kind bereits vor der Geburt angelegt sind. Dazu gehören Sinne wie Hören, Sehen und Tasten, aber auch die Hirnreifung und die geistige Entwicklung. Daneben haben gerade die ersten Bezugspersonen die Möglichkeit, die Sprachentwicklung des Kindes bewusst zu kräftigen, ihr zu starken Wurzeln zu verhelfen, indem sie beispielsweise seine Bedürfnisse ernst nehmen, seine sprachliche Begeisterung pflegen und seinen Geist mit vielen Informationen "füttern" - ihm also eine anregende Umgebung bieten. Die Baumwurzeln sind dabei fest mit und in der individuellen Lebenswelt eines jeden Kindes verbunden, die immer auch durch die Kultur und Gesellschaft geprägt wird, in die das Kind hinein wächst.

Der Baumstamm symbolisiert das Sprachverständnis und die Sprechfreude, die erst einmal jedes Kind von sich aus besitzt. Kindern - selbst ganz kleinen - macht es Spaß, sich anderen mitzuteilen, mit anderen Kontakt aufzunehmen und von Wünschen, Erlebnissen, Sorgen und Nöten zu erzählen. Je größer sowohl das Sprachverständnis als auch die Sprechfreude bei einem Kind sind, desto größer und stärker ist der Stamm.

Und desto größer kann dann auch die Krone wachsen, die die aktive Sprache des Kindes darstellt. Artikulation, Wortschatz und Grammatik entwickeln sich in einem beachtlichen Tempo. Die Kinder beginnen zuerst mit den Begriffen für die Dinge, die sie sehen oder anfassen können, die tagtäglich verfügbar sind und zu denen sie eine Beziehung aufgebaut haben. Gerade der Wortschatz nimmt in einem so rasanten Tempo zu, dass Kinder bald in der Lage sind, auch Dinge zu benennen, die sich nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung befinden. Bei der Lautbildung werden zuerst Laute erworben, die im vorderen Mundbereich gebildet werden (m, a oder b), danach die Laute des mittleren Mundbereiches (n, l und t) und zum Schluss die Laute des hinteren Mundbereiches (k oder g). Über Ein-, Zwei- und Mehrwortsätze kommt das Kind dazu, sich in ständig komplexer werdenden Satzverbindungen und Satzgefügen grammatisch immer korrekter ausdrücken zu können.

Die Gießkanne, die den Baum mit Nährstoffen versorgt, meint die individuelle Pflege, die die Bezugspersonen dem jeweiligen Kind zukommen lassen können: dem Kind zuhören, es aussprechen lassen und es dabei anschauen, sich für Erzähltes interessieren, das Kind nicht wegen Fehler unterbrechen, selbst Freude am Sprechen zeigen - all das ist dienlich für die Vervollkommnung der kommunikativen Fähigkeiten.

Die Sonne steht für die Liebe und Akzeptanz, für die Zuneigung und Wärme, die Eltern und Erzieher dem Kind entgegen bringen sollten. So bekommt das Kind eine gewisse Selbstsicherheit zu experimentieren, sprachlich etwas auszuprobieren, Fehler machen und daraus lernen zu können. Kinder, denen genau diese Liebe und Akzeptanz fehlt, gehen ein, wie ein Baum ohne Sonne - sie verbleiben oder verfallen in frühkindlichen Sprechweisen oder verstummen sogar ganz. Sonne (Liebe, Akzeptanz und Achtung vor der Leistung des Kindes) ist also wichtig für eine gute sprachliche Entwicklung des Kindes. Allerdings kann zu viel Sonne auch schaden. Einem Kind, dem alle Worte in den Mund gelegt oder bereits von den Augen abgelesen werden, fehlt die Motivation zum Selber-Sprechen.

So wie kein Baum dem anderen gleicht, so gleicht auch kein Kind in seiner Sprachentwicklung einem anderen Kind. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte in den elementarpädagogischen Einrichtungen den Sprachlernprozess ihrer Kinder durch Zuhören und Zustimmung, durch Liebe und Offenheit unterstützen und dem Sprachbaum oder den Sprachbäumen ihrer Kinder zu kräftigen, starken Wurzeln, zu einem festen Stamm und einer vollen Krone verhelfen können. Dazu ist es wichtig, die Kinder im jeweiligen Lebensumfeld, mit den jeweiligen (sprachlichen) Voraussetzungen zu sehen und ihnen genau die Unterstützung zu geben, der sie in ihrer derzeitigen Situation bedürfen.

Sprachstörungen und Sprachauffälligkeiten

Trotz aller Bemühungen und Unterstützungen von Seiten der Eltern und der pädagogischen Kräfte kann es im Verlaufe des Sprechlernprozesses oder auch längerfristig zu verschiedenen Sprachstörungen und Sprachauffälligkeiten kommen, die hier nur am Rand kurz dargestellt werden (siehe Pfluger-Jakob 1998, S. 26-31), da relativ sicher ausgeschlossen werden kann, dass sie einzig auf Grund der Mehrsprachigkeit entstehen. Außerdem gibt es keine Belege dafür, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder häufiger Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung zeigen als einsprachig aufwachsende Kinder.

Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung können organisch (z.B. aufgrund von Hörproblemen oder neurologischen Auffälligkeiten), erblich (z.B. familiäre Veranlagung), psychisch (z.B. familiäre Interaktionsstörungen) oder soziokulturell (z.B. Sprachanregungen im Umfeld) begründet sein. Dabei muss beachtet werden, dass Sprachstörungen selten monokausal entstehen. Im Nachfolgenden werden einige Sprachauffälligkeiten und -störungen aufgelistet und kurz beschrieben.

Dyslalie

Mit Dyslalie wird eine Aussprachestörung bezeichnet, die sich bei Kindern zumeist sprachübergreifend zeigt. Ein Kind, das die richtige Aussprache des K-Lautes (noch) nicht beherrscht, kann ihn meist weder in der einen noch in der anderen Sprache aussprechen. Etwas anders verhält es sich bei solchen Lauten, die in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgesprochen werden, wie zum Beispiel der R-Laut.

Dysgrammatismus

Wenn Kinder unter einer Satzbaustörung leiden, sprechen sie überwiegend "im Telegrammstil", verwenden Formen falsch oder verdrehen die Sätze ("Jan spielen Bauecke"). Bei dieser Störung sollte überprüft werden, ob sie bei zweisprachigen Kindern in beiden Sprachen auftritt.

Störungen des Wortschatzes

Diese Sprachauffälligkeit zeigt sich in einem eingeschränkten Wortschatz. Betroffene Kinder benutzen beispielsweise das Wort "Mann" nicht nur für alle Männer sondern für alle Menschen. Es kommt auch vor, dass Worte in falschen Zusammenhängen verwendet werden. Auch bei dieser Störung sollte bei zweisprachigen Kindern zusammen mit den Eltern oder anderen Muttersprachlern überprüft werden, ob diese Störung in beiden Sprachen auftritt.

Störung des Sprachverständnisses

Viele Kinder - auch, aber nicht ausschließlich Kinder, die ohne oder nur mit wenigen Deutschkenntnissen in den Kindergarten kommen - verstehen Gehörtes nur zum Teil und ergänzen den nicht verstandenen Teil selbstständig durch nonverbale Informationen und den situativen Zusammenhang. Gerade in Bezug auf Kinder mit Migrationshintergrund, die vor ihrer Kindergartenzeit ausschließlich die Herkunftssprache(n) der Eltern gehört und gesprochen haben, höre ich bei Gesprächen mit Erzieher/innen heraus, dass das Kind zwar wenig spricht, aber schon alles versteht. Kinder können ihr Nicht-verstehen sehr gut "verstecken". Daher sollten Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen sinnvoller Weise ab und an abstrakte Aufgabenstellungen ohne unterstützende Gesten in den Kindergartenalltag einbauen.

Störungen des Sprechablaufes

Zu den Störungen des Sprechablaufes, die die meisten Kinder innerhalb ihres Sprechlernprozesses wenigstens kurzzeitig durchleiden müssen, gehören das Poltern und das Stottern. Beim Poltern spricht das Kind zu hastig, sodass es Satz- oder Wortteile "verschluckt". Dieses Poltern tritt phasenweise in jeder Sprache auf. Da das unbewusste Sprechen noch störanfällig ist, kann bei vielen Kindern zwischen 3 und 5 Jahren kurzzeitig ein sogenanntes Entwicklungsstottern auftreten. Sollte die Störung allerdings länger als 6 Monate anhalten oder das Kind auf Grund des Stotterns das Sprechen zunehmend vermeiden, sollte ein Spezialist aufgesucht werden. Bei zweisprachigen Kindern kommt das Stottern meist in beiden Sprachen vor.

Störungen der Kommunikation

Alle bisher genannten Sprachstörungen können Störungen der Kommunikation auslösen, hauptsächlich deshalb, weil die Kinder, die an Sprachstörungen oder -auffälligkeiten leiden, aus Scham oder Angst das Sprechen zunehmend vermeiden. Die Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen sollten versuchen, Sprechfreude und -motivation beim Kind trotz des Handicaps aufrecht zu erhalten.

(selektiver) Mutismus

Das Kind hat große Hemmungen zu sprechen und verweigert sich der sprachlichen Interaktion fast vollständig. Gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund kann dieses Erscheinungsbild nur eine Sprache betreffen und ausgelöst werden durch einen zu starken Druck der Eltern oder der Erzieher/innen auf das Kind. Viele Eltern mit einer fremden Familiensprache schicken ihr Kind gerade zum Deutschlernen in die elementarpädagogische Einrichtung, oft sogar mit den Worten "Und sprich viel deutsch!". Aber auch von noch zu vielen Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen werden Kinder nur allzu oft aufgefordert, deutsch - oder noch schlimmer: "schön" deutsch - zu sprechen. In einem Kindergarten, den ich im Zusammenhang mit der Diplomarbeit besuchte, haben Erzieherinnen sich beispielsweise äußerst negativ darüber geäußert, dass zwei türkische Jungen - einer davon neu im Kindergarten - nun, nach zwei Wochen, immer noch nicht deutsch miteinander sprechen - sondern türkisch. Auf solchen äußeren Druck können Kinder mit "Verstummen" reagieren. Kinder, die an (selektivem) Mutismus leiden (könnten), sollten unbedingt einem Psychologen vorgestellt werden.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder nicht häufiger an diesen aufgeführten Sprachstörungen leiden als Kinder, die nur mit einer Sprache aufwachsen. Dennoch muss die Mehrsprachigkeit immer als ein Baustein in der kindlichen Entwicklung mit berücksichtigt werden. Eine Therapie der Sprachstörung, die nicht die familiäre Situation, das Lebensumfeld des Kindes und damit auch seine verschiedenen Sprachen berücksichtigt, ist von vorne rein zum Scheitern verurteilt.

Mehrsprachigkeit bei Kindern

So viele Sprachen wie ich kann, über so viele Zugänge zur Welt verfüge ich.
Karl V.

Ganz zu Beginn dieses Kapitels zur Mehrsprachigkeit soll mit einem Vorurteil aufgeräumt werden - nämlich mit dem, dass Kinder nicht zwei oder gar mehr Sprachen sprechen können, ohne dass sich die Sprachen gegenseitig beeinträchtigen oder behindern. Eva Hammes-Di Bernardo (2004) betont in ihrem Artikel "Terra incognita. Wie viel Sprache braucht das Kind?", dass sowohl das Broca- als auch das Wernicke-Areal - also die zwei Zentren im Gehirn, die für Spracherwerb und Sprachverständnis zuständig sind - nicht nur durchaus in der Lage sind, die Zwei- oder Mehrsprachigkeit eines Kindes zu unterstützen, sondern dass eine frühe Mehrsprachigkeit eine solch positive Wirkung auf diese Areale im Gehirn hat, dass auch späteres Fremdsprachenlernen davon profitiert. Sie schreibt dazu: "Wird das Kind in frühster Kindheit mit zwei Sprachen konfrontiert, bildet sich das Netz im Broca-Areal sofort als 'Zweisprachen-Netz' heraus" (a.a.O., S. 10).

Zudem verweist Eva Hammes-Di Bernardo auf eine Untersuchung an der Universität Basel, bei der nachgewiesen werden konnte, dass "Versuchspersonen, die schon als Kleinkinder zwei Sprachen erlernt hatten, auch eine weitere Sprache in das erste, zweisprachige Netz im Broca-Areal integrieren (konnten)" (a.a.O., S. 10). Kinder, die einsprachig aufwachsen, bauen dagegen ein Einsprachen-Netz im Broca-Areal auf. Für alle weiteren Sprachen muss jeweils ein neues Netz neben dem ersten erstellt werden, was mit enormen Anstrengungen verbunden ist. Diese Erkenntnisse verlangen eine Beachtung in den verschiedenen Interaktionsangeboten, die die Eltern und später dann auch die Erzieher/innen den Kindern besonders im (Zweit-) Sprachlernprozess machen.

Bedeutung und Förderung der Muttersprache

Das Kind wächst in das Verstehen der Sprachgemeinschaft hinein und beginnt sich darin selbst zu verstehen.
Friedrich Georg Jünger

Wie bereits mehrfach betont, hat die Eltern-Kind-Interaktion bereits unmittelbar nach der Geburt einen entscheidenden Einfluss auf und für die Identität des kleinen Erdenbürgers. Deshalb muss der Erst- oder Familiensprache eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Urvertrauen, Sich-selbst-erfahren-Können und ein positives Selbstbild - all das lernen kleine Kinder auch durch die Interaktion mit ihren Eltern, die natürlich geprägt ist von der Familiensprache.

Renate Militzer und ihre Kolleginnen am SPI Köln betonen, dass es "die Sprache (ist), die mit ihrem spezifischen Rhythmus und Klang dem Kind erste Erfahrungen des gemeinsamen Verstehens ermöglicht und damit die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind festigt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass das Kind sowohl die individuelle Stimmführung der Eltern als auch die mit der Erstsprache verbundenen sprachspezifischen Eigenheiten (sprach- und dialektbezogene Lautbildung und Klangfarben) als vertraut wahrnimmt; andere regionalspezifische Dialekte oder Sprachen können hingegen als fremd empfunden werden. Die Sprache der Eltern ist durch diese ersten Bindungserfahrungen stark emotional besetzt" (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000, S. 13). Die Mitarbeiterinnen des SPI betonen weiterhin, dass "mit der Erstsprache zugleich spezifische soziale Regeln, Normen und Werte vermittelt (werden), die dem Kind Orientierungspunkte für den Aufbau seiner Identität bieten" (a.a.O.).

Leider - so ist mein Eindruck - findet die Erst- oder Familiensprache von Migrantenkindern in der pädagogischen Arbeit der Erzieher/innen im Kindergarten kaum eine Beachtung. Vielfach wird sie sogar als Behinderung empfunden, da es muttersprachliche Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten sein sollen, die ein schnelleres und intensiveres Deutschlernen verhindern. Wo bei deutschsprachigen Kinder häufige Interaktionen als durchweg positiv bewertet werden, bedauern Erzieher/innen bei Kindern anderer Erst- oder Familiensprache, dass das Kind immer noch nicht oder nicht ausreichend deutsch spricht.

Für Kinder ist es aber sehr problematisch, ihre sprachlichen Fähigkeiten nicht beachtet, nicht wahrgenommen und nicht gewürdigt zu wissen. Erzieher/innen, die dennoch so achtlos agieren, nehmen den Kindern erstens nicht nur die Chance auf Kompetenzerwerb in der Erstsprache, sie schränken zweitens nicht nur individuelle Entwicklungschancen und Partizipationsmöglichkeiten ein, sie riskieren drittens nicht nur eine Beeinträchtigung des kindlichen Selbstwertgefühls und der gesamten familiären Bindungen, - nein solch ein Verhalten verstößt viertens auch gegen den Artikel 30 der UN-Konventionen, der ausdrücklich festschreibt, dass einem Kind, das "in den Staaten, in denen es ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten oder Ureinwohner gibt, (...) einer solchen Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, nicht das Recht vorenthalten werden (darf), in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden" (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000, S. 15).

Zudem steht mittlerweile außer Frage, dass fundierte erstsprachliche Fähigkeiten - entgegen vieler Vorurteile - eine gute Grundlage für den Zweitsprachenerwerb bilden. Kinder mit gefestigten Kompetenzen in der Erstsprache besitzen schon eine Bewusstheit für den richtigen Gebrauch der Sprache: Sie wissen bereits, wozu die Sprache dienlich ist und dass sprachliche Äußerungen, Fragestellungen oder Aufforderungen in ganz bestimmten Satzstrukturen getätigt werden müssen. Sie kennen bestimmte Regeln und Ordnungsprinzipien der Sprachbildung bereits - wie z.B. Lautbildung, Fragestellung oder Verneinung.

Ein weiterer entscheidender Vorteil beim Zweitsprachenerwerb im Gegensatz zum Erstsprachenerwerb besteht darin, dass die Kinder die Bezeichnung für Gegenstände (z.B. Apfel, Birne, Löffel, Messer) und für Sammelbezeichnungen (z.B. Obst und Besteck) bereits in ihrer Familiensprache kennen, dass sie wissen, dass Gegenstände in bestimmten Klassifikationen zusammengefasst werden können. Was ihnen nun noch fehlt, sind die deutschen Vokabeln. Das heißt: die "Andockstellen" stehen sozusagen zur Verfügung, die deutschen Bezeichnungen müssen nun "lediglich" angekoppelt werden. Zusammengefasst von Butzkamm und Butzkamm (1999) wird es folgendermaßen ausgedrückt: "sie (gemeint ist die Erstsprache, A.L.) bahnt uns den Weg zu allen weiteren Sprachen (...). Was wir umlernen müssen, ist weniger wichtig als das, was wir unbewusst oder bewusst von ihr auf die Fremdsprache übertragen können" (S. 309).

Was können Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen in den Kindergärten und -tagesstätten denn nun tun, um Kinder sowohl beim Erst- als auch beim Zweitsprachenerwerb zu unterstützen? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

Phasen des Mehrsprachenerwerbs

Michaela Ulich beschreibt in dem von ihr mit veröffentlichten Buch "Die Welt trifft sich im Kindergarten" den Prozess des Aufwachsens mit zwei Sprachen als drei aufeinanderfolgende Phasen (vgl. Ulich/ Oberhuemer/ Soltendieck 2001, S. 20). In der ersten Phase sprechen die mehrsprachig aufwachsenden Kinder Wörter aus beiden Sprachen nebeneinander, wobei sie noch nicht nach Personen trennen, wohl aber jeden Gegenstand nur in einer Sprache bezeichnen. Danach beginnt eine weitere Phase, in der sie beginnen, beide benutzten Sprachsysteme immer stärker auseinander zu halten. Das setzt voraus, dass das Kind allmählich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass es sich in zwei unterschiedlichen Sprachsystemen bewegt. Ulich weist aber auch darauf hin, dass anfangs nur der Wortschatz von dieser Teilung betroffen ist. Die jeweils unterschiedlichen grammatikalischen Besonderheiten und Regeln des Satzbaus der Sprachen werden noch nicht getrennt wahrgenommen; dies erreichen Kinder erst in der dritten Phase.

Kinder können in diesem Prozess des Erlernens mehrerer Sprachen von ihren verschiedensprachigen Eltern oder von den verschiedensprachigen Bezugssystemen unterstützt werden, indem dem Prinzip "Eine Person/ ein Bezugssystem - eine Sprache" überwiegend Folge geleistet wird. Das Kind kann so leichter eine Sprache der jeweiligen Person oder dem Bezugssystem zuordnen, was eine Bewusstheit für die verschiedenen Sprachen fördert. Dabei auftretende Sprachwechsel oder Sprachmischungen sind in vielen Kommunikationssituationen kein Problem und manchmal sogar sehr erwünscht, wenn sich Kinder innerhalb von Gruppen an ihren Gesprächspartnern orientieren. Zu einem Problem wird Sprachmischung erst dann, wenn Kinder nicht in der Lage sind, die Sprachen bewusst auseinander zu halten. Folgende Formen der Sprachmischung können nach Ulich (Ulich/ Oberhuemer/ Soltendieck 2001, S. 21 f.) unterschieden werden:

Interferenz

Wenn Kinder bestimmte Strukturmerkmale einer Sprache auf eine zweite Sprache übertragen, wenn sie also Probleme haben beim richtigen Satzbau, dann wird von einer Interferenz gesprochen. Diese Form der Sprachmischung kommt heute eher beim Erlernen einer Fremdsprache als beim Zweitsprachenerwerb und dann als eine vorübergehende Phase vor.

Code-Switching (Code-Wechsel)

Von Code-Switching wird gesprochen, wenn Kinder beim Sprechen zwischen ihren Sprachen hin und her wechseln. Manchmal wird dabei nur ein Wort in einer anderen Sprache eingeworfen, in anderen Fällen wechseln sich längere Sprechphasen einer Sprache mit Sprechphasen in der anderen Sprache ab. Das Kind orientiert sich beim Wechsel nicht an seinen Gesprächspartnern, sondern nutzt die Wörter, die ihm jeweils zuerst einfallen, die seine Gefühle am besten ausdrücken.

Bewusster Sprachwechsel

Bereits im Kindergartenalter können Kinder sich an ihrem Gesprächspartner orientieren und die - für dieses Gespräch - notwendige Sprache nutzen. Sie wechseln die Sprachen bewusst je nach Interaktionspartner und nicht, weil ihnen Vokabeln in der anderen Sprache fehlen. Sie sind somit auch in der Lage, Interaktionspartner einzubeziehen oder auszugrenzen.

Zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in elementarpädagogischen Einrichtungen

Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen sollten sich zuallererst einmal ganz bewusst klar darüber werden, welche Haltung sie ganz persönlich zum Thema "Mehrsprachigkeit" haben. Empfinden sie das Beherrschen verschiedener Sprachen als Bereicherung? Gibt es in ihrer persönlichen Meinung Sprachen, die als wertvoller angesehen werden, wie in Europa häufig das Englisch oder das Französisch? Sprechen sie als Bezugsperson für die Kinder vielleicht auch mehrere Sprachen?

Kinder sind immer neugierig - auch in Bezug auf andere Sprachen. Sie sind wissbegierig und mutig genug, einfach fremde Wörter nachzusprechen. Kinder streben dabei nicht nach Perfektion - ich bezweifle sehr, dass es so etwas in Bezug auf Sprache überhaupt gibt. Kinder freuen sich an jedem Wort, was sie in der Sprache der Freundin, des Freundes, des neu in die Gruppe gekommenen Kindes oder auch der mehrsprachigen Erzieherin/ des mehrsprachigen Erziehers sprechen können. Die Voraussetzungen auf Seiten der Kinder sind also durchweg positiv.

Was aber kann die Einrichtung, was können die pädagogischen Fachkräfte tun, um die Akzeptanz der Mehrsprachigkeit nicht nur als einen Unterpunkt des Interkulturellen Konzeptes festgehalten zu haben? Michaela Ulich (1999, S. 157-161) vom Staatsinstitut für Frühpädagogik in München hat sich genau mit dieser Thematik auseinandergesetzt und u.a. folgende Fragen formuliert, die sich jedes Kindergartenteam stellen sollte, wenn es Mehrsprachigkeit als einen Grundbaustein in sein Konzept aufgenommen hat oder aufzunehmen gewillt ist. Ich habe versucht, die Fragen zu systematisieren und sie so den verschiedenen Seiten der Arbeit in Kindereinrichtungen zuordnen zu können:

Raumgestaltung und Materialien

  • Sind in der Tageseinrichtung originalsprachige Materialien vorhanden, z.B. Musikkassetten, Lieder oder Hörspiele?
  • Sind die Familiensprachen für Besucher und Eltern auch optisch präsent, beispielsweise durch mehrsprachige Ankündigungen oder Plakate?

Mehrsprachige Aktivitäten

  • Gibt es regelmäßige Aktivitäten, bei denen die Familiensprachen der Kinder eine Rolle spielen? Welchen Stellenwert haben sie in der Einrichtung?
  • Werden Eltern, Geschwister oder Freunde der jeweiligen Sprachgruppe gebeten, ein pädagogisches Angebot in der Einrichtung zu gestalten oder mitzugestalten? Wie oft passiert das?

Kompetenzen der elementarpädagogischen Mitarbeiter im Bereich Mehrsprachigkeit

  • Wie setzt sich das Team zusammen? Gibt es zweisprachige Gruppenleiter/innen oder Zusatzkräfte?
  • Was wissen die Fachkräfte über Zweitsprachenerwerb und Sprachentwicklungstheorien?
  • Über welches Sprachförderkonzept verfügen die Fachkräfte?
  • Wird das Sprachförderkonzept der Einrichtung mit den Eltern ausdrücklich erörtert? Wenn ja; geschieht dies beim Aufnahmegespräch oder erst, wenn Probleme auftreten?
  • Werden Multikulturalität und Mehrsprachigkeit in Teamsitzungen thematisiert? Wird im Team regelmäßig über pädagogische Konzepte zum Umgang mit Mehrsprachigkeit diskutiert?

Gerade in puncto Raumgestaltung können Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen wichtige Akzente setzen: "In unserer Einrichtung ist jedes Kind und seine Familie herzlich willkommen!" In einigen Kindergärten des Kreises Düren sind einladende Eingangsbereiche zu finden, in denen "Herzlich Willkommen" in allen - in diesem Kindergarten gesprochenen - Sprachen mit großen bunten Buchstaben zu lesen sind. Da Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen natürlich nicht in der Lage sind, alle diese Sprachen sprechen oder schreiben zu lernen, können sie die Eltern bitten, diesen lieben Willkommensgruß in ihrer Sprache oder in ihrem Dialekt aufzuschreiben. Die Kinder können in Projekten die vorbereiteten großen Buchstaben mit bunten Farben ausmalen und gewinnen so ein Gefühl von der Verschiedenheit der Schrift - vielleicht erkennen sie gleiche Buchstaben oder finden so Buchstaben aus ihren Namen wieder. Neben den Willkommensgruß sollte noch das Land oder die Ethnie aufgeschrieben werden, damit es für alle interessierten Eltern möglich ist, die verschiedenen Zeichen und Schriften zuzuordnen. Die Einbindung der Eltern bereits direkt nach der Aufnahme und die Wertschätzung, die einer solchen Aktion zu Grunde liegt, kann den Eltern sicher die Angst genommen werden, und ein guter, auf Gegenseitigkeit beruhender Kontakt zum Kindergarten lässt sich leichter aufbauen.

Viele Informationen werden von den Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen an die Eltern weitergegeben, und so manche Fachkraft klagt in den von mir durchgeführten Weiterbildungen darüber, dass von vielen dieser Elternbriefe wohl keinerlei Notiz genommen wird: Gelder werden nicht bezahlt, am Wandertag kommt das Kind zu spät und ohne Verpflegung, an Elternabenden und -nachmittagen erscheinen viele Eltern mit Migrationshintergrund (aber auch deutsche) nur sehr sporadisch... Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden. Was können Erzieher/innen tun?

Ankündigungen könnten mehrsprachig erfolgen - nicht durch ein Ansprechen auf dem Flur: "Hallo Frau Otlu. Ich habe für Sie eine Einladung/ eine Information auf türkisch." Ich habe viele Mütter erlebt, die sich schämen, dass sie kaum oder nur wenig deutsch verstehen und sprechen. Es wäre ihnen sicher peinlich, wenn andere Mütter mitbekämen, dass sie eine Übersetzung brauchen. Ankündigungen können (zusätzlich zu den Elternbriefen) groß, in verschiedenen Sprachen oder mit Hilfe von Bildern an der Pinnwand der Gruppe ausgehängt werden - wie beispielsweise auf dem Foto aus einer Dürener Kindertageseinrichtung, wo die Eltern darüber informiert werden, was sie zum Geburtstag ihrer Kinder mit in die Einrichtung bringen könnten. Eltern brauchen sich nicht zu "outen" und erhalten doch alle wichtigen Informationen. Beim Erstellen dieser Aushänge helfen sicher engagierte Eltern der verschiedenen Sprachgruppen, die neben ihrer Familiensprache über zusätzliche gute Deutschkenntnisse verfügen und daher als "Dolmetscher" fungieren können.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Eltern, die sich angenommen und ihre Sprache akzeptiert fühlen, den Kindergarten eher über vorhandene sprachliche Defizite in Bezug auf die deutsche Sprache informieren oder bei nicht verstandenen Informationen Rücksprache mit der Erzieherin/ dem Erzieher halten. Eltern, die positive Erfahrungen gemacht haben, fragen eher nach, ob sie zu Veranstaltungen einen Bekannten oder ältere Kinder als Dolmetscher mitbringen können. Im anderen Fall kommen sie oft schon deshalb nicht, weil sie befürchten, nichts zu verstehen.

In einem Dürener Kindergarten erzählten mir sowohl Kinder und Eltern als auch die Erzieher/innen ganz begeistert von einem Projekt, das sie im vergangenen Jahr über mehrere Wochen hinweg durchgeführt hatten. Mit Hilfe der Eltern haben die Kinder eine Reise durch die Länder der Erde erlebt, aus denen Kinder diesen Kindergarten besuchen. Jeweils ein oder zwei Eltern (meistens die Mütter) desselben Landes/ derselben Ethnie kochten mit den Kindern landestypische Gerichte, nachdem man sich begrüßt hatte - so wie es in dem Land typisch ist. Die Mütter lasen in der Familiensprache Geschichten oder Märchen vor, die zuvor auch ins Deutsche übertragen wurden. Sie zeigten den Kindern Tänze oder lernten mit ihnen ein Lied aus ihrem Land. Die Kinder erstellten mit der Erzieherin gemeinsam ein großes Bild des Landes, mit der Nationalflagge und Bildern von Kindern, die in diesem Land wohnen. Auf diesen Karten (Vergrößerungen aus dem Atlas) wurden auch Tiere abgebildet, die sich überwiegend in diesem Gebiet aufhalten. Zum Abschluss des Projekts, dass auf Grund der großen Beteiligung der Mütter über viele Wochen lief, fand eine Modenschau mit landestypischer Kleidung aus vielen verschiedenen Ländern statt. Kinder liefen als Mannequin und Dressman auf Laufstegen (umgedrehten Bänken) herum und präsentierten die Kleider und Assessoires anderer Länder.

Neben solchen Projekten sollten Kindergärten bewusst Kinderbücher oder Hörkassetten in anderen Sprachen oder auch zweisprachig in ihrem Bestand haben. Hier im Kreis Düren gibt es schon einige Kindergärten, die mit Hilfe der Eltern eine kleine Bibliothek aufgebaut haben, die den Eltern zur Verfügung steht. Gerade Eltern mit Migrationshintergrund können authentische Kinderbücher aus ihren Herkunftsländern mitbringen und sie so auch anderen Eltern zugänglich machen.

Sprachförderung

Sprache ist das bildende Organ des Gedankens.
Wilhelm von Humboldt

Die ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck, betonte in einer Pressemitteilung vom 03.11.2005 die Bedeutung einer gezielten Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund, als sie schrieb: "Erforderlich ist der Ausbau frühkindlicher und vorschulischer Bildungsangebote. Zentral ist die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes. Gerade für Kinder, die sprachliche und andere Kompetenzen nur in geringem Maße außerhalb der Schule erwerben können, müssen die Bildungseinrichtungen verstärkt ausgleichen. ... Da der Gebrauch der Sprache im Alltag sich nicht mit längerer Aufenthaltsdauer automatisch einstellt, ist eine durchgehende, die gesamte Bildungslaufbahn begleitende Förderung von 'Deutsch als Fremdsprache' erforderlich".

Sprachförderung in elementarpädagogischen Einrichtungen

Sprachförderung im Elementarbereich muss als ein Element in der alltäglichen Arbeit im Kindergarten angesehen werden, damit sie allen Kindern und nicht nur den Kindern mit Migrationshintergrund zugute kommen kann. Da jedes Kind andere sprachliche Voraussetzungen mitbringt, muss eine wirksame Sprachförderung die individuellen Besonderheiten der jeweiligen Lebensumfelder der Kinder mit berücksichtigen. Ein einheitliches Sprachprogramm, an dem alle Kinder - ungeachtet ihrer individuellen Unterschiede - teilnehmen, sollte daher nicht Mittelpunkt der Fördermaßnahme sein.

Für die Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen verlangt eine am Situationsansatz orientierte sprachliche Förderung der Kinder ein sensibles und kritisches Umgehen mit bereits erworbenen Wissen über die verschiedenen kulturellen und familiären Hintergründe, denn nicht alle Kinder mit türkischem Migrationshintergrund sprechen zu Hause zwangsläufig türkisch, sondern beispielsweise kurdisch oder auch deutsch. Kinder, deren Eltern Italiener sind, können zu Hause italienisch, sizilianisch oder auch deutsch sprechen. Ein vorheriges, intensives Gespräch mit den Eltern sowie genaue Beobachtungen des Sprechverhaltens des Kindes innerhalb der Kindergartengruppe bilden ein gutes Fundament für eine am Kind orientierte und wirksame Sprachförderung.

"Wie kann man die aktuellen Interessen, Bedürfnisse und Kompetenzen der Kinder zum Bezugspunkt der Arbeit erklären und gleichzeitig eine bewusste und regelmäßige Sprachförderung für die Kinder sicherstellen?" (Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit 2001, S. 73), fragen die Mitarbeiterinnen des Sozialpädagogischen Institutes. Mit Hilfe von vier Schritten ist es ihrer Meinung nach möglich, den sprachfördernden Anspruch eines Kindergartens mit dem situationsbezogenen Ansatz zusammenzubringen (ebd., S. 74-85):

  • Eine Situation als geeignet für Sprachförderung erkennen

In kindlichen Spielsituationen finden oft Lern- und Erfahrungsprozesse statt, die nicht beeinflusst oder gestört werden sollten. Das bedeutet, dass Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen sich bewusst überlegen sollten, welche dieser beobachteten Situationen sie für eine Sprachförderung instrumentalisieren möchten und dürfen, ohne das Vertrauen der Kinder zu missbrauchen. Die pädagogischen Fachkräfte sollten sich auch dann mit sprachlichen Interventionen zurückhalten, wenn Kinder gerade dabei sind, andere Kinder zu beobachten oder ihren Gesprächen zu folgen. Denn Kinder lernen Sprache - Vokabeln und grammatische Strukturen - auch durch Zuhören.

Wenn Kinder aber Bereitschaft signalisieren, Kontakt aufnehmen zu wollen, dann sollten Erzieher/innen/ Elementarpädagog/innen dieses Angebot aufgreifen und eine solche Situation zu sprachfördernden Aktivitäten nutzen. Neben der individuellen Sprachförderung eignen sich auch Kreis- und Fingerspiele, Lieder und Reime (durch ihre kindgerechte Art und durch die ritualisierten Wiederholungen) gut, um Kinder in kleinen oder größeren Gruppen sprachlich zu fördern. Aber auch Bitten und Aufforderungen oder auch Nachfragen bei ernst gemeinten Interesse können in die tägliche Praxis eingebaut werden

  • Einen "öffnenden" Kontakt zum Kind herstellen

Interaktionen finden immer auch auf einer Beziehungsebene statt. Die Beziehung zwischen der Erzieherin/ Elementarpädagogin oder dem Erzieher/ Elementarpädagogen und dem Kind muss so hergestellt werden, dass sie für das Kind stimmig, das heißt authentisch ist. Das kann, gerade bei Kindergartenneulingen, auch heißen, die Verschlossenheit des Kindes zu akzeptieren und es nicht mit Fragen zu bedrängen. Viele Kinder brauchen zunächst Zeit, um sich in der für sie fremden Umgebung orientieren zu können, Situationen zu analysieren und sie dann als besser einschätzbar zu erleben. Sie müssen ein neues Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit finden können, ohne dafür vorab eine bestimmte (sprachliche) Leistung erbringen zu müssen.

Für viele Kinder mit Migrationshintergrund tritt noch ein anderer Aspekt hinzu, der die Verunsicherung weiter vergrößert: Sie haben bisher alles um sich herum in ihrer Familiensprache erlebt. Nun fehlen nicht nur die vertrauten Bezugspersonen, nun muss das Kind nicht nur andere Rituale, Gewohnheiten und Regel kennen und beherzigen lernen; nein: das Kind versteht zudem kaum ein Wort und kann eigene Wünsche, Ängste, Bitten oder Gefühle nicht ausdrücken. Gut nachvollziehbar ist, dass solch ein tief verunsichertes Kind nicht sofort die "öffnenden Kontaktangebote" von pädagogischer Seite annehmen kann.

Die schwierige Aufgabe der Erzieherin/ des Erziehers besteht nun in der Akzeptanz der sprachlichen Distanz des Kindes und auch darin, nicht aus Enttäuschung oder verletztem Stolz das Kind "aufzugeben". Auch ohne direkte Ansprache können sie dem Kind signalisieren: "Hallo ich mag dich! Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst!", z.B. durch einen freundlichen Blick, durch liebevolle Gesten und durch ehrliches Interesse. Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen dürfen dabei aber nur ernst gemeinte Kontaktaktionen unternehmen. Sie müssen authentisch sein, denn Kinder besitzen feine Antennen für unstimmige Situationen.

  • Sprache bewusst und situationsorientiert fördern

Um die Sprache bewusst und am jeweiligen Kind orientiert durchführen zu können, muss die pädagogische Fachkraft über fundierte Kenntnisse den Spracherwerb betreffend verfügen. Darüber hinaus sollte sie auch die familiären Sprachgewohnheiten sowie die von den Kindern genutzten Sprachen vorab bei den Eltern erfragen. Im Vorfeld ebenfalls bedacht werden sollten erstens die Raum- oder Zeitsituation, die an den Kindern orientiert sein muss, und zweitens müssen die zur Verfügung stehenden, möglichst anregenden Materialien, die nicht nur auf eine Funktion festgelegt sein dürfen, im Vorfeld gut bedacht werden. Eine Sprachförderung, die zu einem festgelegten Termin beginnt und mit einem Raumwechsel für die Kinder verbunden ist, kann sich sehr negativ auf die Motivation der Kinder auswirken, wenn sie vielleicht gerade vertieft malen, spielen oder basteln oder wenn in der Gruppe gerade ein interessantes Angebot stattfindet.

Gerd E. Schäfer betont noch eine weitere Gefahr, die besteht, wenn Kinder aus Spiel- oder Lernzusammenhängen abrupt herausgerissen werden oder wenn die verwendeten Materialien nicht zur momentanen Erfahrungswelt des Kindes passen. Folge einer fehlenden Beachtung kindlicher Lern-, Spiel- oder Erfahrungswelten ist seiner Meinung nach die "Isolierung des Denkens von Wahrnehmung und von emotionalen Hintergründen. Wo Lernprozesse nicht mehr von einem leidenschaftlichen Interesse an der Wahrnehmung der Wirklichkeit getragen werden, müssen sie notwendig träge und flach werden" (Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit 2001, S. 86).

Wenn Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen eine sich an den Kindern und deren Bedürfnissen orientierende Sprachförderung praktizieren wollen, müssen sie sich in einer sprachfördernden Aktion auf jeweils ein Kind oder eine kleine Gruppe von Kindern konzentrieren. Darüber hinaus sollten sie sich auch in Sprechtempo und Lautstärke auf das Kind einstellen, um es im Gespräch weder zu "erschlagen", noch zu bremsen.

  1. Die Situation dokumentieren - im Sinne einer Selbstkontrolle

    Jede bewusst durchgeführte Sprachförderung sollte von der pädagogischen Fachkraft stichwortartig festgehalten werden. Dabei sind neben dem Namen des Kindes die Dauer des Gespräches und der Rahmen, in dem die Sprachförderung stattfand, zu notieren. Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen erhalten so einen guten Überblick über die sprachliche Entwicklung der Kinder und sind zudem gut aussagekräftig gegenüber interessierten Eltern. In Teamgesprächen ist auf Grundlage solch einer Dokumentation eine kritische Reflexion möglich. Daneben bieten Teamsitzung die Möglichkeit eines gemeinsamen Suchens nach weiteren sprachfördernden Maßnahmen oder ein Sammeln diverser Methoden, wovon sicher alle Mitarbeiter/innen profitieren können.

Zusammenfassend betonen Militzer und ihre Kolleginnen des SPI Köln, dass "Sprachförderung (...) keine weitere Extraaufgabe [sei], die die (sozial)pädagogischen Fachkraft neben allem anderen auch noch bewältigen muss. Vielmehr geht es darum, sensibler für sprachfördernde und sprachhemmende Aspekte zu werden, und die Arbeit dementsprechend Schritt für Schritt zu gestalten" (Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit 2001, S. 86).

Literatur

Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.): Hallo, Hola, Ola. Sprachförderung in Kindertagesstätten. Bonn: Universitäts-Buchdruckerei 1999

Beck, Marieluise, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Pressemitteilung vom 03.11.2005 In: www.integrationsbeauftragte.de, abgerufen am 07.11.2005

Butzkamm, Wolfgang und Jürgen: Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen. Tübingen, Basel: A. Francke Verlag, 2. vollst. neu bearb. Aufl. 2004

Hammes-Di Bernado, Eva: Terra inkognita - Wie viel Sprachen braucht das Kind? In: klein & groß 2004, Heft 9, S. 10-14

Jampert, Karin: Schlüsselsituation Sprache. Spracherwerb im Kindergarten unter besonderer Berücksichtigung des Spracherwerbs bei mehrsprachigen Kindern. Opladen: Leske + Budrich 2002

Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg): Wie Kinder sprechen lernen. Entwicklung und Förderung der Sprache im Elementarbereich auf der Grundlage des situationsbezogenen Ansatzes. Düsseldorf: Selbstverlag 2001

Pfluger-Jakob, Maria: Was Sie über Sprachstörungen wissen sollten. In: kiga heute 1998, Heft 3, S. 26-31

Schäfer, Gerd E.: Bildungsprozesse im Kindesalter. Selbstbildung, Erfahrung und Lernen in der frühen Kindheit. Weinheim, München: Beltz-Verlag 1995

Ulich, Michaela: Sprachförderung in mehrsprachigen Kindergruppen - Fachkräfte zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In: KiTa aktuell BW 1999, Heft 7/8, S. 157-161

Ulich, Michaela/ Oberhuemer, Pamela/ Soltendieck, Monika: Die Welt trifft sich im Kindergarten. Interkulturelle Arbeit und Sprachförderung. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag 2001

Zimmer, Dieter E.: So kommt der Mensch zur Sprache. München: Wilhelm Heyne Verlag, 2. Aufl. 1986

Anzeige: Frühpädagogik bei Herder