Erwerb von Basiskompetenzen für die Sprachentwicklung

Barbara Perras-Emmer

Laut der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) von 2001 verstehen in Deutschland nur 28 von 100 Schülern geschriebene Texte gut und können sie entsprechend nutzen und bewerten. 23% der Schüler konnten geschriebene Texte kaum verstehen, nutzen und bewerten (Mittelbayerische Zeitung Regensburg vom 5./6. Januar 2002).

Aus dieser und vielen vorangegangenen Meldungen entstand eine heftige Bildungsdiskussion. Ein letztes "Pflichtkindergartenjahr" vor der Einschulung wurde vom Bayerischen Kultusministerium gefordert. Das Sozialministerium wies die Forderung als unbegründet zurück, da der Kindergarten von mindestens 98% der sogenannten Vorschulkindern besucht wird und die restlichen knapp 2% nicht das schlechte Abschneiden der Deutschen in der PISA-Studie ausmachen dürften. Interessant wäre der Vergleich, wie viele der getesteten Schüler während ihrer Vorschulzeit einen Kindergarten besuchten...

Bewegung ist die erste Sprache

Sprache wurde mit der Aufrichtung des Menschen, seiner Auflehnung gegen die Schwerkraft möglich. Dadurch entstand Raum im Rachen, und der Kehlkopf konnte nach unten "rutschen". Der menschliche Säugling ist auch nach 9-monatiger Schwangerschaft eine biologische Frühgeburt. Dieser Zeitpunkt ist ein "Kompromiss" der Natur, bedingt durch die aufrechte Haltung und der Entwicklung des menschlichen Gehirns. Käme der menschliche Säugling nach ca. 15 bis 18 Monaten Tragezeit zur Welt, wäre er zwar im Vergleich zu anderen Säugetieren ebenso voll ausgereift, sein Gehirn wäre jedoch nahezu doppelt so groß, und er hätte somit einen größeren Schädelumfang. Da das mütterliche Becken aufgrund der Stellung auf zwei Beinen so eng ist, dass es bereits bei sogenannten "normalen" Geburten Probleme gibt, würde die Mutter den Geburtsvorgang bei einem voll ausgereiften Kind nur mit ärztlicher Hilfe überleben.

Die zweite Hälfte der Gehirnreifung findet außerhalb der schützenden Atmosphäre des Mutterleibes statt. Bis zum Alter von 6 Monaten wächst das Gehirn auf 90% seiner Endgröße und des späteren Gewichts. In extremer Abhängigkeit von der Mutter wartet der Säugling darauf, dass seine genetisch vorprogrammierten Bedürfnisse und "Fragen" von der Mutter biologisch perfekt - gleich der Situation in uterus - beantwortet werden. Dazu zählen vor allem das Tragen des Kindes in unterschiedlichen Stellungen, locker gehalten und fest umschlungen, als propriozeptive Stimulation (Tiefensensibilität) und Gleichgewichtsanregung, der Hautkontakt durch Berühren, Streicheln (Robertson 2001, S. 305) und Baden als exterozeptive Stimulierung (Oberflächensensibilität) sowie das Angebot bereits bekannter Hörreize. Diese nahm das Kind zwar im Fruchtwasser nur gefiltert wahr, jedoch bereits über den Zeitraum von 8 Monaten! Die sehr hohen Töne der Mutterstimme, welche über deren Beckenknochen direkt auf den Schädel des Embryos/ Fetus übertragen wurden, gehen dem Kind verloren. Ein kleiner Ersatz dafür könnte Musik von Mozart sein (Beckendorf 1996, S. 179).

Warum Mozart?

Bei Mozarts Musik beträgt der typische innere Rhythmus 0,5 sec. Damit kommt sie dem Herzschlag des Fetus mit 120 Schlägen pro Minute vor der Geburt sehr nahe. Sie erinnert das Kind (unbewusst) an diese frühe Zeit und eignet sich daher besonders gut zum Hervorrufen pränataler und frühkindlicher Erinnerungen. Die Werke von Wagner zeigen viele Töne mit wenig stabilem inneren Rhythmus; die Musik von Beethoven ist langsamer und viel gewaltiger.

Die hohe Stimme der Mutter vermittelt dem Kind Wohlbefinden, während die eher tiefe Stimme des Vaters für viele Varianten beim Spracherwerb notwendig ist. Alleinerziehende Mütter, aufgrund zerbrochener Familien oder beruflicher Abwesenheit des Vaters - räumlich und/oder zeitlich -, fast ausschließlich weibliche Erzieher in Kindergärten und nur wenige männliche Lehrer im Grundschulbereich schaffen keine idealen Bedingungen für das Lernen von Lesen und Schreiben.

Gleichzeitig lernt das Kind im engen Kontakt mit der Mutter (vor allem beim Tragen), wie Spannungen im Körper entstehen und wie diese wieder abgebaut werden können. Einige Erfahrungen kennt es bereits aus seiner vorgeburtlichen Entwicklung, jetzt kommen jedoch noch viele andere Sinneswahrnehmungen hinzu, und das Kind nimmt langsam ein getrenntes Ich und Du wahr. Das Kind lebt in einem aktiven kommunikativen Austausch mit der Mutter. "Einen anderen Menschen verstehen heißt, seine Handlungsweise innerlich nachvollziehen zu können" (Schilling 1993, S. 56).

Mädchen haben es meist leichter, Empathie zu entwickeln. Ihre frühe Einheit mit der Mutter wird von der Identifikation mit ihr und von der Orientierung an ihrer Rolle als Frau abgelöst. Sicher gibt es auch für Mädchen Probleme, wenn eine männliche Bezugsperson nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht, aber nicht in dem Maße wie für Jungen - bei ihnen auch im Hinblick auf Sprach-, Lese- und Schrifterwerb und vor allem im Umgang mit Spannungen und Aggressionen.

Die Kommunikation wurde im Zuge der Vertikalität um eine reiche Gestik erweitert; die Hände gewannen an Freiheit. Die Sprachentwicklung nutzte jene Bereiche im Gehirn, auf deren Basisfunktion sie aufbauen konnte: Bei bevorzugter rechter Hand sind die meisten Sprachzentren in der linken Hemisphäre lokalisiert, weil ca. 90% der Nervenbahnen im Bereich der Pyramidenbahn am Übergang des ZNS zum Gehirn die Seite kreuzen. Bei Linkshänder ist dies nicht immer so; wir unterscheiden, ob eine "echte" Linkshändigkeit oder nur eine Bevorzugung der linken Hand aufgrund von Nachahmung vorliegt. Ein Versuch, die Lateralität umzutrainieren, ist immer problematisch, weil ganze Verschaltungen im Gehirn neu geplant und geformt werden müssen. Als Folge davon treten dabei häufig Sprachstörungen auf. Kinder, welche die rechte Hand bevorzugen, haben es beim Hören und Sprechen meist leichter. Unser Lesen und Schreiben gehen von Rechtshändigkeit aus und bauen auf der Sprache auf. Tasten und Begreifen fördern die Sprachentwicklung, besonders wenn das sensible Zentrum in der Handinnenfläche stimuliert wird.

Das Stillen des Kindes nimmt eine besondere Stellung ein. Es dient der Ernährung des Säuglings, stellt die Befriedigung seiner primären emotionalen Bedürfnisse durch Haut- und Blickkontakt, Körper- und Stimmzuwendung sicher, und fördert die Entwicklung seiner Mundmotorik und des gesamten Kieferbereichs. Eng umfasst und an den Körper der Mutter gedrückt, erfährt es seine Grenzen und erlebt diese als Geborgenheit und Sicherheit. Gleichzeitig koordiniert das Kind den Ablauf Saugen - Schlucken - Atmen als wichtige Vorübung zum Sprechen. Die Flasche und der Schnuller können nur unzureichender Ersatz sein: Die gesamte Körperhaltung und der Kontakt beim Trinken sind anders, der Schnuller "ersetzt" einen menschlichen Kontakt, ohne die Handlung mit Milch zu belohnen. Zu langes Schnullern schadet den Zähnen und der Kieferentwicklung; die Nebenhöhlen werden schlecht belüftet und sind ständiger Keimüberflutung ausgesetzt. Dies kann wiederum zu einer Ohrenentzündung mit einem Vakuum im Ohr führen, auf welches der kindliche Körper mit einem sogenannten "Paukenerguss" reagiert. Die Flüssigkeit hinter dem Trommelfell ist dann sehr zähflüssig (wir trinken im Allgemeinen zu wenig!), und das Kind ist zeitweise schwerhörig. Häufig schenken Erwachsene diesem Zustand keine Beachtung: "Wenn es will, hört es schon!" - z.B. wenn die Stimme lauter oder höher wird, der - gewohnte - Namen gesagt wird oder Blickkontakt aufgenommen wird. Der junge Mensch ist sehr anpassungsfähig; er kann die Hörfähigkeit z.T. durch andere Sinne ausgleichen oder sogar ersetzen. Große Probleme bekommt er allerdings beim Spracherwerb, wenn die Einschränkung des Hörens in kritische Zeiten fällt, z.B. im 4. Lebensjahr, wenn die Endungen von Verben in das Bewusstsein dringen und das Kind nicht zwischen "geht" und "gehen" unterscheiden kann (Robertson 2001, S. 148f., 203f.).

Bei Kaiserschnittentbindungen bekommt das Kind häufig nicht die notwendige Stimulation durch die Wehentätigkeit der Mutter. Die Kontraktionen bei der Geburt bereiten das Kind auf das Leben in voller Schwerkraft und gleichzeitig durch Haut- und Tiefenwirkung die nun notwendigen Verdauungsfunktionen des Säuglings vor. Bei Tieren wird diese Funktion durch das Ablecken ausgeübt, wobei die Bereiche des Übergangs Haut - Schleimhaut am Mund, After und an den Genitalien überdurchschnittlichen Zeitumfang erhalten. Das Lecken dient nicht, wie üblicherweise vermutet, der Reinigung, sondern der Anregung der Verdauung (s. "Perineum" in B. Perras-Emmer und Y. Atzinger, http://www.kindergartenpaedagogik.de/426.html).

Frühgeburten haben ähnliche Entwicklungsprobleme, vor allem, wenn die Geburt sehr schnell verlief oder sie im Brutkasten bzw. Wärmebettchen ohne Körperkontakt "ruhiggestellt" sind. Besonders nachteilig wirkt sich bei diesen Kindern eine Mittelohrentzündung im Alter von 3 bis 6 Jahren im Hinblick auf die Hör- und Sprachentwicklung und dem anschließenden Lese- und Schreiblernprozess aus. Deshalb ist eine fachärztliche Untersuchung für Ohren und Augen bei Eintritt in den Kindergarten sehr zu empfehlen.

Die Zeitspanne des Laufenlernens ist bei der menschlichen Frühgeburt entwicklungsgeschichtlich wichtig. Während sich der Säugling mit der Schwerkraft auseinander setzt, erfolgt die endgültige Platzierung des Kehlkopfes. Er durchläuft sozusagen seine Evolution im Schnellschritt. Erst zu diesem Zeitpunkt können alle Phoneme gebildet werden, welche für unseren Sprachgebrauch notwendig sind. Da es sich beim Laufenlernen um eine genetische Vorgabe handelt, hat es für das eigentliche Endergebnis keinen Einfluss, ob Erwachsene durch Führen und ähnliche Hilfestellungen eingreifen. Diese "Einmischung" kann jedoch andere - bereits angelernte oder kulturell erworbene - Folgen haben: Das Kind wartet auf Unterstützung, es traut sich selbst wenig zu, es wartet auf Animation von außen usw.

Etwa mit 18 Monaten wird unsere während der Evolution genetisch vorprogrammierte Entwicklung von der Kultur übernommen. Dies geschieht nicht an einem Tag, sondern beginnt schleichend. Immer mehr wird unser Instinkt vom Lernen beeinflusst. "Die Bildung ist ein Grundstein der Zivilisation, und sie zivilisiert, indem sie durch Stimulation des Wachstum neuronaler Verbindungen das Gehirn modelliert. In diesem wesentlichen Punkt hat die Kultur die Evolution als zentrale Gestaltungskraft des menschlichen Schicksals abgelöst" (Robertson 2001, S. 48).

Bewegung im offenen Kindergarten

"In der offenen Arbeit spielt die Entwicklung vom Sitz- zum Bewegungskindergarten eine zentrale Rolle. Der Sitzkindergarten lehnt sich zu sehr an die Schule an. Im Bewegungskindergarten wird auch gelernt, aber in der Regel nicht im Sitzen. Bevor Kinder Lesen, Schreiben, Rechnen lernen - was, wie wir heute wissen, auch nicht notwendigerweise still an Tischen sitzend geschieht -, lernen sie sich zu bewegen. Bewegung ist ihre erste Sprache" (Beek 2001, S. 70).

Kinder zeigen auf das, was sie haben möchten. Babys strampeln, um über ihnen hängendes Spielzeug zu erreichen oder zum Schwingen zu bringen. Die Entwicklung der körperlichen Fähigkeiten ist die Basis für sprachliche und geistige Entwicklung. Das Laufenlernen erscheint den Eltern sehr wichtig - der weiteren Bewegungsentwicklung wird hingegen häufig zu wenig Beachtung geschenkt.

Durch hin-DEUTEN bekommen die Dinge eine Bedeutung und einen Namen.

Durch be-GREIFEN bekommen die Dinge der Umwelt Eigenschaften.

Die BEWEG-Gründe anderer müssen nachvollziehbar sein, damit ich den anderen verstehen und mit ihm fühlen kann.

Laut Piaget entwickelt sich Lernen auf drei Ebenen, die aufeinander aufbauen und einander bedingen. "Zu Beginn eines jeden neuen Lernprozesses werden motorische Fähigkeiten als Grundbestandteil einer Handlung erworben" (Pohl 1993, S. 164). Diese werden auf einer qualitativ höheren Ebene mit Sprache verbunden und im Gedächtnis gespeichert. Konkrete praktische Tätigkeiten sind Voraussetzungen für gedankliches Handeln.

Präpositionen wie oben - unten, vor - hinter und links - rechts orientieren sich am eigenen Köper. Wir unterscheiden zwischen Körperraum, körpernahem und körperfernem Raum. Das Kind erlebt sich vor der Geburt und einige Zeit danach als ein Körper mit der Mutter. Mit der Zeit entdeckt es seinen eigenen Körper und nimmt sich als eigenständige Person wahr. Im körpernahen Raum entsteht Kommunikation durch Begreifen und Berühren. Streicheln verändert das neuronale Netzwerk, und diese Veränderungen steigern die Leistungsfähigkeit des Gehirns (Robertson 2001, S. 305).

Mit dem Aktionsradius des Kindes gewinnt die Sprache zunehmend an Bedeutung. Erlebt sich das Kind als abgetrennte, eigenständige Persönlichkeit, so wird es sich der Sprache bedienen. Dagegen macht es wenig Sinn, wenn Bezugspersonen "Gedanken lesen" und reagieren, bevor das Kind artikuliert und sich verständlich macht. Das Kind wird für den Spracherwerb nicht motiviert.

Lesen und Schreiben sind rhythmisch gegliederte Vorgänge. Sie können durch rhythmische und musikalische Aktivität beim Singen, Spielen und Tanzen als basale Entwicklungsförderung vorbereitet werden. Besonders geeignet sind Fingerspiele. Ihre Kombination von Wort und Bewegung, aber auch die Gliederung des Textes mit Pausen des Fingerwechselns, sind gute sprachunterstützende Fördermöglichkeiten. Das Vorlesen ist der Wiedergabe von Tonträgern vorzuziehen. Kinder erleben verkörperlichte Sprache intensiver; die Textwiedergabe ist niemals gleich. Beim Vorlesen können Rückfragen gestellt werden.

Die Gestaltung des Gehirns bedarf der aktiven Aufmerksamkeit. "Im Verlauf der menschlichen Evolution wurde das prämotorische System eng an das Aufmerksamkeitssystem gekoppelt" (Robertson 2001, S. 136f.). "Hirnregionen, die nur passiv stimuliert werden, werden nicht durch Erfahrungen geformt" (a.a.O., S. 65). Bewegung und Sprache benötigen zu Beginn mehr Aufmerksamkeit, bis sie als automatisierte Handlung eher unbewusst erfolgen.

Beim Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ASD) liegt die Störung in den Stirnlappen, dem "jüngsten" Teil unseres Gehirns in der Evolution (Robertson 2001, S. 67). Mit großer Sicherheit kann gesagt werden, dass diese Kinder einfach nicht gelernt haben, sich richtig zu konzentrieren, und die Voraussetzungen dazu nicht genetisch programmiert sind. Die Aufgabe der Erzieher ist es, die synaptische Aktivierung einerseits zu stärken und andererseits zu hemmen, um durch Wiederholung, Wachstum und Umbildung neuronale Schaltkreise im Gehirn zu "reparieren".

Viele Erwachsene haben es nicht gelernt, anderen Grenzen zu setzen. Sie haben Angst, Konflikte zu provozieren und abgelehnt zu werden, oder sie können die daraus folgenden Konsequenzen selbst nicht aushalten. Eine "negative" Rückmeldung und konstruktive Kritik setzen sie gleich mit Abbau oder Zerstörung des (kindlichen) Selbstbewusstseins. Sie können sachliche und persönliche Kritik nicht trennen. Als erworbene Kulturtechnik sind Feedback-Geben und Grenzen-Setzen für Bezugspersonen aber erlernbar und ihre Anwendung ist außerordentlich wichtig für die Entwicklung unserer Kinder. Fehler sind Lernchancen; im besten Fall erkennen Kinder selbst, was sie "falsch" gemacht haben, und probieren andere Lösungswege aus.

Neben Aktivität, Selbsttätigkeit und Selbstwirksamkeit spielen Emotionen beim Lernen eine wesentliche Rolle. Weil in unserer Erwachsenengesellschaft Gefühle eher unterdrückt und als "Gegner" von Sachlichkeit negiert werden, geben wir ihnen wenig Bedeutung beim Lernen. Synaptische Verbindungen in den emotionalen Zentren unseres Gehirns lassen sich viel schwerer auflösen als Verbindungen zwischen anderen Gruppen von Neuronen. Werden mehrere Gruppen von Zellen gleichzeitig aktiviert und entladen sie sich anfangs eher zufällig zusammen, schließen sie sich nach mehreren gleichzeitigen Entladungen zusammen. Die zwischen ihnen liegenden Zellen und Synapsen verändern sich so, dass in Zukunft die Entladung der einen Zelle die Entladung der anderen auslöst, und sie werden in Zukunft schneller reagieren. Emotionale Erfahrungen werden auf viel breiteren Verbindungen verankert; sie haben wesentlich mehr Anknüpfungspunkte und "Angriffsflächen" und deshalb größere Möglichkeiten, Können und Wissen zu vernetzen.

Körperwissen wird in der Chemie der Synapsen gespeichert. Es ist die Erinnerung an die Veränderung, die Erfahrung und Lernen erzeugt haben. "Einige Erfahrungen hinterlassen einen so nachhaltigen Eindruck in unserem Gehirn, dass die Veränderungen, die sie in den Synapsen verursachen, nie mehr rückgängig gemacht werden können. Dies gilt besonders dann, wenn diese Ereignisse die emotionalen Zentren im Gehirn aktivieren, denn dann werden die Erfahrungen auf noch breiterer neuronaler Basis verankert - womit sie leichter abrufbar sind" (Robertson 2001, S. 21).

Kinder brauchen eine bewegte Sprache, die sie fühlen können

In unserer Erwachsenensprache überwiegt die Substantivierung. Wir neigen zu einer unbewegten Sprache. Kinder brauchen dagegen eine mit Bewegung, Gefühlen und Emotionen verbundene Sprache, damit die Neuronen im Gehirn aktiviert werden. Ihnen steht zur Entwicklung ihres Gehirns nur so viel Energie zur Verfügung, wie sie aus ihren Bewegungen gewinnen. Später können sie auf gewonnene Erfahrungen zurückgreifen; Sprache ist dann nicht mehr an Handlung gebunden und Denken nicht an formulierte Worte. Verben, Adjektive und Präpositionen müssen für Kleinkinder erlebbar sein.

Kinder brauchen Bewegungsgründe und Sprechanlässe

Früher war eine bewegte Kindheit selbstverständlich. Mit zunehmender Verhäuslichung und Motorisierung berauben wir die Kinder ihrer wesentlichen Erfahrungen. Der "motorische Quotient" (nach Prof. Renate Zimmer) der Kinder wurde seit 1970 alle zehn Jahre um 10 Punkte nach unten korrigiert. Diese "Verschönerung der Ergebnisse" kam meines Erachtens bei der internationalen PISA-Studie ans Licht. Wir müssen auf die veränderte Kindheit reagieren und dürfen uns nicht hinter Unfallverhütung und Aufsichtspflicht verstecken.

Die höchste Verknüpfungsdichte im Gehirn wird in der Regel im Alter zwischen vier und sieben Jahren erreicht. Lernen ist einer der wichtigsten Faktoren, die dann bestimmen, welche Neuronen erhalten und verschaltet werden und welche absterben, weil sie nicht gebraucht werden (Robertson 2001, S. 191).

Dieser altersgemäße Teil des "Lernens" muss in der Kindergartenpädagogik verankert werden. Wir Erzieher müssen wissen, wie Kinder in jeder Entwicklungsphase lernen, um nicht "der verlängerte Arm der Schule" mit ihren Lernmethoden zu werden. Der Kindergarten als "Tor zum Lernen" (Bayerische Staatsministerin Christa Stewens, München, 19.12.2001) braucht ein solides Fundament.

Der Kindergarten als familienergänzende Einrichtung

Ergänzend heißt für mich: die Hinführung zum Ganzen, d.h., dass jedes Kind individuell betreut, erzogen und gebildet werden muss. Es wird dort abgeholt, wo es gerade steht. Je nach den Möglichkeiten im Elternhaus kann einem Kind nichts oder alles fehlen. Wir brauchen den Mut, das zu sehen und individuell zu reagieren. Aber genau das haben Erzieherinnen kaum gelernt. Sie wurden in Klassen mit mindestens 24 Studierenden meist im Frontalunterricht ausgebildet. Dieser Teufelskreis des Lernens und Lehrens muss unbedingt durchbrochen werden.

Bundespräsident Johannes Rau sagte laut wdr am 10.01.2002 zur PISA-Studie: "In keinem anderen Land kommen auf einen Lehrer so viele Schüler wie in Deutschland, die anderen Länder geben zwischen 60 und 90% mehr finanzielle Mittel für die Schulbildung aus ..."

Literatur

Beckendorf, D.: Warum Mozart? In Doering,W. et al.: Sinn & Sinne im Dialog. Borgmann, Dortmund 1996

Beek, A. von der/Buck, M./Rufenach, A.: Kinderräume bilden. Luchterhand, Neuwied 2001

Doering, W./Doering, W./Dose, G./Stadelmann, M. (Hrsg.): Sinn & Sinne im Dialog. Borgmann, Dortmund 1996

Irmischer, T./Irmischer, E. (Red.): Bewegung und Sprache. Karl Hofmann, Schorndorf, 2. Aufl. 1993

Tomatis, A.: Das Ohr, die Pforte zum Schulerfolg. Verlag modernes Lernen, Dortmund, 3. Aufl. 2000

Robertson, I.: Das Universum in uns - Wie wir das ungenutzte Potential des Gehirns ausschöpfen können. Piper, München 2001

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