Ein Beispiel für einen dreidimensionalen und kindgerechten Spracherwerb im frühkindlichen Alter

Melanie Brockmann

Europa spricht viele Sprachen. Die Länder, in denen diese verschiedenen Sprachen gesprochen werden, liegen räumlich dicht beieinander. In vielen Familien wachsen Kinder schon ganz selbstverständlich mehrsprachig auf. So spricht der Vater mit dem Kind vielleicht auf Spanisch, die Mutter auf Englisch. Jeder Elternteil möchte seinem Kind die eigene Muttersprache und einen Teil seiner Kultur nahe bringen. Lebt diese Familie im Ausland, z.B. in Frankreich, wo die Schulpflicht mit vier Jahren beginnt, sind es schon drei Sprachen, die das Kind im frühen Alter zu bewältigen hat.

Kann das funktionieren? Ist das Kind damit überfordert? Und was passiert, wenn in den Räumen der Vorschule oder des Kindergartens auch noch täglich weitere Sprachen unterrichtet werden?

Jede Sprache ist Träger von Kultur. Jede Sprache birgt ein anderes logisches System. Jede Sprache ist eine Entdeckungsreise und sollte sicher in der Schule auch als solche behandelt werden, vor allem, wenn es eine Sprache ist, deren erste Wörter und Sätze in der Schule gemeinsam mit anderen Kindern erlernt werden.

Wie kann also ein Sprachunterricht in der Schule aussehen, der wohlgemerkt nichts mit einer mehrsprachigen Familiensituation zu tun hat und trotzdem dem Kind schon in jungen Jahren eine neue Sprache nahe bringen könnte?

Kinder im Vorschulalter haben einen natürlichen, spontanen und oft unbefangenen Bewegungs- und Spieldrang, der beim Erlernen einer fremden Sprache nicht aus den Unterrichtsvorbereitungen ausgeschlossen werden sollte. Im Gegenteil: Er sollte vielmehr als Teil gesehen oder gar als "handfestes" Werkzeug des Spracherwerbs genutzt werden.

Im Klassenverband lernt man den Anderen vor allem dadurch kennen, wie und auf welche Weise er Probleme löst, welche Ideen er hat und wie er sich selbst darin zeigt und sie mitteilt. Der auf der Phantasie, dem Einfallsreichtum und der Vorstellungsgabe der Kinder basierende Bewegungsausdruck gehört dazu. Die Bewegung kann dabei als Werkzeug dienen, als Halt, um zu begreifen. Sie hilft dabei, den Spracherwerb möglichst komplex abzusichern. Jede neue Lernerfahrung öffnet dem Kind die Gelegenheit, das Erworbene breit anzulegen.

Wie kann die Bewegung beim Erlernen einer fremden Sprache mit einbezogen werden?

In Frankreich heißt der Kindergarten "école maternelle": école = Schule, maternelle = mütterlicher(seits).

Als ursprünglich gelernte Grundschullehrerin soll ich mich auch mit Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren als Deutschlehrerin befassen. Man teilt mir mit, dass für den Deutschunterricht die Gruppe in zwei kleinere Gruppen unterteilt werde: die der Muttersprachler (Kinder, die täglich mit Vater und/oder Mutter zu Hause Deutsch sprechen) und die derjenigen Kinder, die Deutsch als Fremdsprache dazulernen).

Ich bin neugierig, habe viele Vorstellungen und Ideen. Wird Alles gleich über den Haufen geworfen? - Ich betrete die Klasse. Die Kindergärtnerin/Leiterin der Gruppe stellt mich den Kindern vor. Sie sitzen im Kreis auf dem Boden und schauen hoch.

Es wurde mir gesagt, dass ich mit beiden Gruppen ausschließlich Deutsch sprechen soll. Gesagt, getan. Ich begrüße die Gruppe mit einem freundlichen "Guten Tag!" und bekomme keine Antwort. Es scheint die Gruppe der Anfänger zu sein. Unglaublich, denke ich, sie sitzen dort und wollen sich nicht bewegen? So jung und so diszipliniert!

Ich denke an meine Vorbereitungen zu dieser Stunde, stelle meine Tasche neben mich und setze mich auf den einzigen Kinderstuhl, auf dem gerade noch die Leiterin der Gruppe saß. Ich ziehe eine Handpuppe aus meiner Tasche und beginne, einen ersten Kontakt zwischen mir und den Kindern herzustellen, den schon bald darauf die Handpuppe übernimmt. Während sich Handpuppe und Kinder gegenseitig vorstellen, sich die Hand reichen und das zukünftige Zusammenkommen abstecken, versuche ich, mir die Namen der Kinder möglichst schnell einzuprägen. Ich nehme zur Kenntnis, dass es etwas mehr Mädchen als Jungen in dieser Gruppe gibt und dass noch nicht alle Teilnehmer Abschied von ihrem Kuscheltier oder ihrem Schnuller genommen haben.

Nachdem jedes Kind seinen Namen gesagt und mit einem ersten "Guten Tag" die Hand der Handpuppe geschüttelt hat, erinnere ich mich an meine Vorbereitungen zu dieser Stunde und beschließe, zumindest für diese Gruppe (den Anfängern) meine Vorbereitungen nicht weiter zu beachten.

Zwei Wörter haben sie schon gelernt, sage ich mir. ''Guten'' und ''Tag''! Ich krame ein Paket mit eingeschweißtem Kartenmaterial hervor und halte das erste Bild, das einen Ball zeigt, mit den Worten "Das ist ein Ball!" in die Höhe. Nach einer kurzen Pause frage ich anschließend in die Runde: "Was ist das?" Ein Kind reagiert und sagt: "ball", Ball auf Englisch. "Mh, das ist ein Ball", wiederhole ich für die ganz Klasse. "Ball!" Dasselbe kleine Mädchen von eben wiederholt stolz das englische Wort "ball". Und als es sieht, dass ich zögere, fügt sie verzweifelt und mit verstärktem Stimmeinsatz hinzu: "It's a ball!"

Hin- und hergerissen zwischen dem stolzen aber verzweifelten Mädchen, das vielleicht für sich Ähnlichkeiten zwischen der deutschen und der englischen Sprache herausgefunden hat, und meinem Ziel, dass alle Kinder das deutsche Wort ''Ball'' aussprechen und sich im besten Fall beim nächsten Mal noch daran erinnern können, höre ich ein Kind in Französisch zu mir sagen: "Elle parle qu'en anglais" (Sie kann nur Englisch sprechen). Ich möchte nicht, dass das Englisch sprechende Kind seine Motivation verliert, bin aber auch nicht eingestellt worden, weil ich die englische Sprache kenne. Oder doch? Frage für später.

"Das ist ein Ball!" Mit meiner linken Hand halte ich das Bild noch einmal hoch. Meine rechte Hand halte ich hinter das Ohr und versuche, ihnen noch einmal zu verstehen zu geben, dass ich von ihnen jetzt etwas hören möchte. "Ball", sag ich noch einmal. "Ball", höre ich von einigen Kindern. Einige ältere Kinder der Gruppe versuchen sogar, den ganzen Satz zu wiederholen: "Das ist ein Ball... Ball". "Prima", sage ich erfreut. "Prima", wiederholen die Kinder - diesmal alle zusammen.

Vier andere Gegenstände erlernen wir mit der gleichen Methode. Dann merke ich, dass die Kinder unruhig werden, und ich bekomme das Gefühl, dass die Kinder Lust haben, sich zu bewegen. Ich lege eine CD in den CD-Spieler hinter mir ein. Es ist klassische Musik. Eine ruhige, sanfte und zurückhaltende Musik. Ich drehe mich wieder zu den Kindern um und frage sie, ob sie die Musik mögen. Natürlich bekomme ich keine Antwort. Die Kinder haben mich nicht verstanden. "C'est jolie ta musique" (Die ist schön, deine Musik), höre ich ein Kind in Französisch sagen.

"1, 2, 3, 4 - 1, 2, 3, 4". Ich zähle mit den Fingern, um den Kindern deutlich zu machen, dass von den Zahlen 1 bis 4 die Rede ist. "Zählt mit mir!" Noch einmal halte ich meine rechte Hand hinter mein rechtes Ohr, um den Kindern deutlich zu machen, dass ich möchte, dass wir gemeinsam zählen. Irgendwann zählen wir alle zusammen - immer bis 4, und dann fangen wir wieder von vorne an.

In einer Ecke der Klasse sehe ich einen großen Würfel liegen. Den hole ich und zeige jeweils auf die Zahlen. Ich lege den Würfel an die Seite, und wir beginnen mit kleinen Bewegungen der linken Hand, die auf 1 beginnen und auf 4 enden und dann auf die rechte Hand übertragen werden. Wir versuchen zusammen, die Bewegungen größer werden zu lassen, den ganzen Arm dazu zu nehmen und dabei trotzdem auf der 1 anzufangen und auf der 4 aufzuhören. Immer noch zählen die Kinder bis 4. Nun versuchen wir, auf der 2 und auf der 4 jeweils in die Hände zu klatschen, dann auf der 1 und auf der 3.

Danach bitte ich die Kinder, die Bewegungen zu wiederholen - dieses Mal, ohne dabei laut zu zählen. Es ist still. Alle bewegen konzentriert ihre Arme. Sie schauen ihre Arme dabei an. Einige Kinder möchten das gerade Erlernte alleine vor der Gruppe zeigen. Die anderen sollen zuschauen. Die Musik setzt ein. Ein Kind bewegt sich vor den anderen Kindern. Keiner zählt mehr.

"Wie fandet ihr das?" Keine Antwort. Ein zweites Kind zeigt die Bewegungsfolge. "Prima", höre ich ein Kind sagen.

Zu den Bewegungen füge ich Wörter hinzu. Die Bewegungsffolge von eben ist Teil eines kurzen Sitztanzes, den ich schon einmal zuvor mit einer anderen Gruppe zum Thema "Wetter" entwickelt habe. Bei diesem Sitztanz hat jeder Himmelskörper oder Wetterzustand seine eigene Bewegung. Wieder sitzen die Kinder im Kreis zusammen. Sie bewegen ihre Arme und sprechen zur gleichen Zeit:

Die Sonne (scheint).
Der Mond (kommt nachts).
Die Wolken (ziehen auf).
Es regnet.
Blitz.

"Je peux tourner avec 'Blitz''' (Ich kann mich mit 'Blitz' drehen). Ein kleiner Junge hat sich in die Mitte des Kreise gestellt, bewegt sich mit kurzen zackigen Armbewegungen zum Wort ''Blitz'' wie zuvor und dreht sich dabei. "Toll!", sage ich. Erschreckt guckt mich der Junge an. "Prima!", sage ich. Über dieses Wort freut er sich. Er kennt es. "Und kannst du dich auch mit dem Regen drehen?" Ich wiederhole die Bewegung für den Regen und zeichne darauf mit meinem Zeigefinger einen Kreis in die Luft. Er versteht nicht, was ich meine.

Ein anderes Kind springt auf und ruft: "Sonne!". Es ist ein kleines Mädchen, das trotz Schnuller im Mund spricht und sich mit den weichen, runden Sonnen-Bewegungen um die eigene Achse dreht. Ein anderes Kind stellt sich in die Mitte des Kreises. Der ganze Körper ist gekrümmt, die Arme sind dicht am Körper. Dem Kind ist entweder nicht gut oder... "C", sagt es laut und dreht sich mit größter Anstrengung um seine eigene Achse. Die anderen Kinder schauen aufmerksam zu, während ich den roten Faden meines Unterrichts suche. Ein Kind ruft aufgeregt in Französisch: "Oui, mais la lune peut être pleine aussi" (Ja, aber der Mond kann auch voll sein).

Während ich den roten Faden suchte, haben die Kinder ihn nicht verloren. Das C scheint die Form des Mondes zu reflektieren; den Mond kann man mit dem Arm in die Luft zeichnen und man kann auch den ganzen Körper zum Mond biegen.

Die Stunde ist vorbei. Die Kinder haben mich auf neue Ideen gebracht.

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