Barbara Perras
Bei meiner Tätigkeit in Kindergarten und Hort fiel mir auf, dass die Kinder häufig ihre Sätze nicht vollenden. "Darf ich Rollbrett?" oder "Darf ich mir einen Stempel?" als Belohnung für die Hausaufgaben sind alltägliche Fragen. Vermutlich antworteten wir Erwachsenen zu schnell, um uns den vielen anderen Fragen und Anforderungen zuwenden zu können. Ich glaube jedoch auch, dass unsere Sprache zu sehr Substantiv-betont ist, dass wir Sprache besitzen statt zu leben.
Erich Fromm schreibt in seinem Buch "Haben oder Sein" von Veränderungen im Sprachgebrauch: "Eine gewisse Verschiebung des Akzents vom Sein zum Haben läßt sich sogar an der zunehmenden Verwendung von Hauptwörtern und der Abnahme der Tätigkeitswörter in den westlichen Sprachen innerhalb der letzten Jahrhunderte feststellen. Ein Hauptwort ist die geeignete Bezeichnung für ein Ding. Ich kann sagen, daß ich Dinge habe, zum Beispiel einen Tisch, ein Haus, ein Buch, ein Auto. Die richtige Bezeichnung für eine Tätigkeit, um einen Prozeß auszudrücken, ist ein Verb: zum Beispiel ich bin, ich liebe, ich wünsche, ich hasse usw. Doch immer häufiger wird eine Tätigkeit mit den Begriffen des Habens ausgedrückt, das heißt ein Hauptwort anstelle eines Verbs verwendet. Eine Tätigkeit durch die Verbindung von 'haben' mit einem Hauptwort auszudrücken ist jedoch ein falscher Sprachgebrauch, denn Prozesse und Tätigkeiten können nicht besessen, sondern nur erlebt werden" (Fromm, Erich: Haben oder Sein. München, 27. Aufl. 1999. S. 31f.). Und Reinhard Mey singt vom "Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars, zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars, dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt, zum Behuf der Vorlage beim zuständigen Erteilungsamt".
Maria Montessori verwendete als Symbol für das Verb eine Kugel. Es kann sich in alle Richtungen verändern:
- 1. Person Einzahl oder 1. Person Mehrzahl: Ich spreche oder wir sprechen.
- Du sprichst, er - sie - es spricht oder ihr sprecht und sie sprechen.
- Ich sprach, du sprachst ... in der Vergangenheit
- Ich werde sprechen (in der Zukunft)
In der Gruppe übten wir zunächst Zwei-Wort-Sätze anhand von Gesten: Satz "Ich klatsche". Bei "ich" klopften wir mit der flachen Hand auf die Brust, und für das Verb klatschten wir entsprechend der Silben in die Hände. Ebenso klatschten wir für die Verben malen, singen, hören usw. Unseren Pantomimik-Wortschatz erweiterten wir mit Bildern und Fotos von eindeutigen Tätigkeiten. Aber auch im sprachlichen Umgang achteten wir auf vollständige Sätze. Ich fragte oft dadurch nach, dass ich die Fragen der Kinder unsinnig vollendete: "Du möchtest ein Rollbrett essen?"
Das Kugel-Symbol für unsere Tunwörter filzten wir aus Wolle. Das ICH war ein (laminiertes) Selbstbildnis.
"Mein rechter Platz ist leer, da wünsch ich mir den ... her" wurde bisher mit dem Satz "als was soll ich kommen?" gespielt. Wir ersetzten die Namenwörter, indem wir fragten: "Wie soll ich kommen?" und uns auf das Tun konzentrierten. Ein Kind kam nicht mehr als Hund oder Pferd, sondern es bellte wie ein Hund oder galoppierte wie ein Pferd. Auch andere Anweisungen wie z.B. "auf Zehenspitzen laufen" oder "rückwärts gehen und singen" wurden "neu erfunden" und ausprobiert. Die Kombination der Tätigkeiten scheint unerschöpflich!
Unsere Sprache soll lebendig bleiben. Leben bedeutet Bewegung
Im Alter von sechs Jahren ("kleine Pubertät") und während der Pubertät mit etwa 12/13 Jahren organisiert ein Kind sein Gehirn neu. Nervenverbindungen, welche nicht oder wenig gebraucht wurden, werden gnadenlos gelöscht. Bewegungsbahnen bleiben. Denken Sie nur an das Radfahren oder Schaukeln. Diese Fertigkeiten bleiben lebenslang erhalten und bedürfen auch nach langen Pausen nur kurzer Auffrischung! Verbinden wir also bewegen und tun. So lernen wir nicht nur nachhaltiger, sondern erhalten uns und den Kindern eine lebendige Sprache!