Bildungsbereich Sprache

Johannes Merkel

Kommunikations- und Spracherziehung nimmt unter den Bildungsbereichen der Elementarerziehung eine Schlüsselrolle ein. Einerseits bauen Kommunikation und Sprache auf Grundlagen auf, die in anderen Bildungsbereichen geschaffen werden müssen:

  • Kommunikationsbereitschaft, körperlicher und gestischer Ausdruck setzen Spielfreude und körperliche Beweglichkeit voraus.
  • Die sprachliche Artikulation verlangt die genaue Wahrnehmung der Klangelemente der Sprache und die feinmotorische Beherrschung der Sprechorgane.

Andererseits ist ohne eine ausreichende Ausbildung der kommunikativen und sprachlichen Verständigung die Entwicklung in anderen Bildungsbereichen stark beeinträchtigt:

  • Die soziale Handlungsfähigkeit hängt von Sprachverständnis und Kommunikationsbereitschaft ab.
  • Fertigkeiten in handwerklichen und künstlerischen Bereichen müssen nicht nur beobachtet und nachgeahmt, sondern auch Anleitungen und Erläuterungen verstanden werden, um sie kreativ umzusetzen.
  • Um ihr "Weltwissen" und Sachwissen zu begründen und zu erweitern, müssen Kinder Erklärungen verstehen und Informationen aus Gesprächen und Texten zu entnehmen wissen.

Eine ausreichende Sprachbeherrschung bildet also einerseits die Voraussetzung für die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie den sozialen Umgang. Andererseits legt sie die Basis für die Schulfähigkeit, und zwar nicht nur in den sprachlichen, sondern auch in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern, in denen Erklärungen und Zusammenhänge sprachlich erfasst werden müssen und die Lösung von Aufgaben davon abhängt, ob sie verstanden wurden.

1. Grundlagen der Kommunikation

Auf die Frage, was wohl unter Kommunikation und Kommunizieren zu verstehen sei, wird man fast durchweg hören: "Eine Nachricht mitteilen", und dabei werden die meisten Befragten an eine sprachliche Mitteilung denken. Aber hat es menschliche Kommunikation immer mit solch eindeutigen Mitteilungen zu tun?

  • Nehmen wir an, zwei Kinder laufen durch eine Parkanlage, eins stolpert über eine Wurzel, das andere fällt über das am Boden liegende Kind. Sie stehen wieder auf, lachen sich an und rennen weiter. Sie haben nichts gesagt, aber sie haben sich verständigt, haben miteinander kommuniziert.
  • Aber auch wenn Sätze ausgetauscht werden, müssen sie keine besondere Botschaft enthalten: Ein Kind stapelt im Hof Reste von Ziegelsteinen übereinander. Tritt eine alte Frau aus der Tür, sieht das Kind, beugt sich zu ihm hinunter und sagt: "Baust du einen Turm?" Das Kind nickt und antwortet: "Baue Turm."

Was haben sich die beiden mitgeteilt? Jedenfalls nicht viel. Wichtiger als die Frage der alten Dame ist die Tatsache, dass sie das Kind beachtet und wahrgenommen hat, und für das Kind, dass es wahrgenommen wurde.

Menschliche Kommunikation umfasst also offenbar mehr als Mitteilungen zu machen. Ebenso wichtig ist der "Beziehungsaspekt", und in manchen Situationen ist er eben wichtiger als der "Mitteilungsaspekt".

Wie wichtig diese gegenseitige Aufnahme von Beziehung für menschliche Kommunikation ist, wird schmerzlich bewusst im Umgang mit autistischen Kindern, die jede Kontaktaufnahme verweigern, an anderen Menschen vorbeigehen, als wären sie Luft. Natürlich teilt auch das autistische Kind etwas mit: nämlich, dass es den Andern nicht beachten kann oder will. Aber hier ist die Bereitschaft zu kommunizieren einseitig, sie geht vom Andern aus, der das Kind ansieht und eine Reaktion erwartet. Kommunikation aber beruht immer auf Wechselseitigkeit. Menschen, die sich begegnen, erwarten, dass sie wahrgenommen werden, und sind bereit, den Andern wahrzunehmen, im Guten wie im Bösen.

Nonverbale Kommunikation

In diesem umfassenden Sinn kommunizieren auch höhere Tiere: Ein Hund wedelt mit dem Schwanz, um seine Erwartung anzuzeigen. Die Katze macht einen Buckel und faucht, um Ärger und Anspannung zu signalisieren. Aber Tiere sprechen nicht, oder besser gesagt: sie sprechen nur über Körperhaltungen, begleitende Laute und ihr Verhalten in der jeweiligen Situation. Dem Menschen steht ein System der Mitteilung zur Verfügung, das erlaubt, sich sehr viel komplexer und genauer auszudrücken: die Sprache.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation, d.h. so lange Menschen nicht über die Schrift oder technische Geräte miteinander kommunizieren, sondern sich gegenseitig sehen, hören, berühren und riechen können, wird die gesprochene Sprache aber stets begleitet und umspielt von vielfältigen körperlichen Signalen, die die sprachliche Mitteilung ergänzen, verstärken, aber auch ganz entwerten können. Darum kann die gleiche Situation von jedem Teilnehmer sehr viel anders verstanden und interpretiert werden, was oft genug Anlass zu Streit und Auseinandersetzung gibt.

Ein Grund für unterschiedliche Interpretationen liegt darin, dass wir uns in unserer bewussten Wahrnehmung an die sprachliche Aussage halten. Die vielseitigen "nonverbalen" Mitteilungen werden deshalb in der Tendenz leicht übersehen und überhört. Diese einseitige Ausrichtung auf Sprache und sprachliche Aussagen ist auch ein Ergebnis unserer Schulbildung. Kinder vor dem Schulbesuch kennen sie noch kaum. In dem Maße, in dem ihre Sprachbeherrschung noch nicht ausreicht, um sprachliche Mitteilungen vollständig zu erfassen und sich sprachlich auszudrücken, achten sie sehr viel genauer auf den stimmlichen Ausdruck und die begleitenden körperlichen Zeichen ihrer Gesprächspartner. Umgekehrt fällt es Kindern in diesem Alter noch sehr schwer, Gefühle und Einstellungen sprachlich zu benennen (was ja auch dem sprachgewandten Erwachsenen nicht leicht fällt!). Je weniger sie benannt werden können, umso mehr bringen sie Gefühle durch nonverbale Mitteilungen zum Ausdruck. Gerade im Umgang mit Kindern ist es deshalb wichtig, nonverbale Signale zu beachten und im Auge zu behalten.

Die Mitteilungswege nonverbaler Kommunikation

Schon allein die Aufzählung der außersprachlichen Mitteilungsweisen (oder nonverbalen "Codes") zeigt, wie vielfältig und ausdrucksstark sprachbegleitende Signale ausfallen können und wie sehr sie unser Kommunikationsverhalten, und eben auch die sprachlichen Aussagen, beeinflussen. Das lässt sich gerade auch am Verhalten von Kindern beobachten:

  • Einschätzung des Anderen nach sichtbaren äußerlichen Merkmalen: der Art sich zu kleiden, sich zu frisieren usw. (Kontextelle Codes): Was hat der für eine komische Mütze auf? Der ist blöd!
  • Wesentlicher für die Kommunikation aber ist, wie wir den Raum benutzen, in dem die Kommunikation stattfindet. Das ist an Kindern noch deutlicher zu beobachten als an Erwachsenen: Rennen sie neugierig auf die Tür zu, durch die ein neues Kind in den Raum kommt, oder schauen sie nur kurz auf und spielen weiter? Stehen sie eng beieinander und tuscheln oder werfen sie sich Sätze auf die Entfernung zu? Sitzen sie einander gegenüber? Halten sie sich an den Händen, kuscheln sich gar auf der Matratze aneinander? Oder rücken sie beim Sprechen auseinander?
  • Unsere Körperstellung verrät, wie wir zu unseren Gesprächspartnern "stehen". Wieder auf Kinder bezogen: Sitzen sie bequem auf ihrem Stuhl oder benutzen sie nur grade die Stuhlkante? Stehen sie angespannt vor dem Anderen oder laufen locker neben ihm her?
  • Die Mimik während des Sprechens verrät, was wir beim Sprechen fühlen, und Kinder können ihre Gefühle nur schwer verbergen: Ziehen sich sie Mundwinkel nach unten? Blicken sie den Anderen strahlend an? Rümpfen sie die Nase? Beißen sie die Zähne zusammen? Oder lachen sie über das ganze Gesicht?
  • Eine besondere Rolle unter den nonverbalen Mitteilungen spielen die Gesten. Sie stehen dem Spiel sehr nahe und werden von Kindern schon deswegen gerne genutzt, weil sie die schwierige sprachliche Formulierung ersparen. Deswegen macht ein Kind mit den Händen vor, wie der Leiterwagen auf dem Schotterweg gewackelt hat, und erspart sich das Hantieren mit so seltsamen Wörtern wie Schotterweg oder Leiterwagen.
  • Auch der Tonfall, der Rhythmus oder die Pausen beim Sprechen teilen uns mit, wie es dem Anderen geht. Das freudig erregte Kind spricht schnell und laut, das enttäuschte Kind macht lange Pausen und lässt sich jeden Satz aus der Nase ziehen. Im sprachbegleitenden Ausdruck der Stimme drücken sich "Stimmungen" und Gefühle aus, die die Sprecher oft nicht ausdrücken möchten oder können.

Doppelbödige Botschaften

Es liegt in der Natur dieser sprachbegleitenden Mitteilungen, dass sie der sprachliche Botschaft auch diametral wiedersprechen können.

Ein Beispiel: Ein Kind, das von einer halb abgewandten Erzieherin nebenbei den Satz hört: "Das hast du aber fein gemacht!" und dazu einen abschätzigen Blick auf die präsentierte Zeichnung registriert, wird diesen Satz (wohl zu Recht) als Ablehnung seiner Zeichnung verstehen. Wenn es solche Situationen wiederholt erlebt, wird es aufhören, auf die sprachliche Äußerung zu achten, und in der Tendenz Sprache nicht mehr ernst nehmen; es auch nicht mehr als erstrebenswert empfinden, sie zu verstehen.

Die Perspektive des Andern einnehmen

Um mit anderen Menschen zu kommunizieren reicht es nicht, die Zeichensysteme der (gesprochenen und geschriebenen) Sprache sowie der nonverbalen Signale zu beherrschen. Es muss etwas sehr Wichtiges dazukommen: Kommunizieren kann nur, wer bereit ist, sich auf sein Gegenüber einzulassen, das eigene Verhalten und seinen Sprachgebrauch auf die (vermuteten) Erwartungen des Kommunikationspartners einzustellen und abzustimmen.

Entsprechend unterschiedlich werden die geäußerten Sätze und das begleitende Verhalten ausfallen:

  • Dem Kind gegenüber, das schon wieder den Kakao auf dem Tisch verschüttet hat, sich heute aber eifrig bemüht, den Kakao mit dem Wischtuch wegzuwischen, dabei die Kakaoreste nur über den Tisch verteilt, wird die Erzieherin anerkennend sagen: "Toll, dass du das gleich alles aufwischt!"
  • Der Kollegin gegenüber wird sie dagegen nur knapp bemerken: "Die hat heut wieder mit dem Kakao herumgesaut!"

Was ist also Kommunikation?

Mit dem Schlagwort "Kommunikation" sind also sehr unterschiedliche und vielfältige Formen zwischenmenschlichen Verhaltens angesprochen. Was Kommunikation ist, was zu einer guten Kommunikationsfähigkeit gehört und wie sie gefördert werden kann, lässt sich kaum in wenigen Sätzen zusammenfassen. Dennoch dienen sie alle einem gemeinsamen Ziel: Um lebensfähig zu sein sind Menschen auf menschliche Gesellschaft angewiesen und können nur in gesellschaftlichen Zusammenhängen aufwachsen und leben. Sie brauchen Beziehungen zu ihren Mitmenschen, wie immer diese aussehen mögen. Und es ist ihre umfassende Fähigkeit zur wechselseitigen und differenzierten Kommunikation, die ihnen erlaubt, Bindungen einzugehen und in vielfältigen Beziehungen zu leben. Über die tagtägliche Kommunikation werden diese Beziehungen immer wieder befestigt, bestätigt, verändert. Kommunikation ist sozusagen der Kitt, der menschliche Gemeinschaften zusammenhält.

Um mit anderen Menschen in wechselseitigen Kontakt zu treten, müssen Menschen die in ihrer Gesellschaft üblichen Formen zwischenmenschlicher Kommunikation kennen und die in ihrer Gemeinschaft gesprochene Sprache beherrschen.

Der kommunikative und sprachliche Zusammenhalt ermöglicht ihnen:

  • sich den anderen in ihrer Eigenart darzustellen und dafür anerkannt zu werden,
  • auf die anderen einzuwirken und zugleich den anderen Einfluss auf das eigene Verhalten und Denken einzuräumen,
  • dabei sowohl die eigenen Bedürfnisse und Interessen zu vertreten sowie die der anderen wahrzunehmen und zu berücksichtigen,
  • Sachverhalte, Zusammenhänge, Bedeutungen unabhängig von der gerade gelebten Situation der Kommunikationspartner mit den Mitteln der Sprache zu erfahren und mitzuteilen
  • und darüber das wechselseitige Verhalten zu koordinieren und auf gemeinsame Ziele auszurichten.

Die Ausbildung dieser Fähigkeiten zu unterstützen, sie auch überhaupt erst zu wecken, wo sie die Kinder zu wenig in die Einrichtung mitbringen, ist das grundsätzliche Ziel der Arbeit im Bildungsbereich Kommunikation und Sprache. Dazu müssen die Fachkräfte eine klare Vorstellung haben, um welche Fähigkeiten es im einzelnen geht, wie sie in der kindlichen Entwicklung entstehen und aufeinander aufbauen.

2. Elemente der Sprache und der kindliche Spracherwerb

Beim Eintritt in die Einrichtungen kennen (jedenfalls die meisten) Kinder längst die grundlegenden Verhaltensweisen der Kommunikation und beherrschen die wesentlichen Elemente der Sprache. Selbst Kinder, deren sprachliches Verständnis und deren sprachlicher Ausdruck sehr zurückgeblieben sind, verstehen sich mitzuteilen. Denn schon als Säuglinge, längst bevor sie das erste Wort aussprechen konnten, standen sie in einer dichten Kommunikation mit ihren Betreuer/innen. Und diese frühen Formen des Kommunizierens legten auch die Grundlage für den sprachlichen Austausch. Selbst Kinder, die eine andere Muttersprache sprechen, haben längst gelernt zu kommunizieren.

Aber alle Kinder haben noch viel dazu zu lernen. Die Jahre, die sie in der Einrichtung verbringen, müssen sie ihre kommunikativen Fähigkeiten und ihre Sprachbeherrschung weiter ausbauen, verfeinern, ergänzen und verbessern. Die entscheidenden Elemente sprachlicher Kommunikation, die Kinder im Elementarbereich weiter zu entwickeln haben, lassen sich in der Reihenfolge beschreiben, in der sie in früher Kindheit erworben werden.

Rhythmus, Klang und Artikulation

Schon im Mutterleib wurden Kinder auf Sprache ausgerichtet:

  • Sie hörten ständig die Stimme der Mutter und lauschten den Klängen der Muttersprache.
  • Sie machten intensive rhythmische Wahrnehmungen: der Herzschlag der Mutter, das Gewiegtwerden beim Gang der Mutter etc.

Damit haben sie eine entscheidende Grundlage für sprachliche Verständigung erworben. Erst die rhythmische Gliederung, die Unterteilung des Verhaltens- und Redeflusses durch markierende Pausen, ermöglicht den Strom sprachlicher Laute zu unterscheiden und damit in ihrer Bedeutung zu interpretieren.

Auch später lieben es Kinder, sich in Liedern, Reimversen und Nonsense dem Klang und dem Rhythmus der Sprache zu überlassen. Damit schulen sie zugleich ihre genaue Wahrnehmung und die verständliche Artikulation der Sprachlaute.

Die lautgerechte Artikulation gelingt aber erst nach und nach, und bereitet vielen Kindern auch noch im Kindergarten Probleme. Sprechen erscheint uns so normal und alltäglich, dass die Komplexität sprachlicher Artikulation leicht übersehen wird: Jeder einzelne Laut (jedes "Phonem") erfordert eine spezielle Stellung des Mund-Rachenraumes, der Zunge, der Zähne und gleichzeitig einen genau darauf abgestimmten Lautstrom aus dem Kehlkopf. Dafür müssen jeweils Hunderte von Nervenimpulsen koordiniert und entsprechende Muskelstellungen ausgeführt werden.

Kindern bereiten Lautbildungen oft noch Probleme, und diese müssen sich erst nach und nach so einschleifen, dass sie ohne Mühe ausgesprochen werden können.

  • Kinder halten sich am Anfang an die hervorstechenden Laute und lassen andere weg: Sagen tinken statt trinken.
  • Oder sie vertauschen Laute, weil sie so leichter auszusprechen sind: Lamsan statt langsam.

Über die genaue Wahrnehmung der "richtigen" Lautung verschwinden solche Sprechfehler in der Regel von selbst, vorausgesetzt, mit Kindern wird deutlich artikuliert und sinngemäß gesprochen.

Neue und seltsam klingende Wörter "kauen" dann Kinder erst einmal, sprechen sie für sich immer und immer wieder aus, bis sie ihnen vertraut werden und selbstverständlich ausgesprochen werden können. Oft machen sie das nachts kurz vor dem Einschlafen, wenn ihnen niemand mehr zuhört.

Die Einführung in den Dialog

Von Geburt an werden Kinder von ihren Betreuer/innen angesprochen und dadurch angehalten, mit ihnen in den Dialog zu treten.

  • Säuglinge beantworten diese Ansprache zunächst mit körperlichen Reaktionen, die nichts mit dem zu tun haben, was ihnen die Betreuer erzählen. Die Betreuer/innen werten diese Reaktionen jedoch als Beitrag des Kindes, der wiederum eine Antwort von ihrer Seite herausfordert. Indem das Kind erfährt, dass es gegenüber dem Betreuer etwas bewirken kann (in diesem Fall: durch seine Reaktion eine Antwort hervorrufen kann), erfährt es "Kontingenz" und wird ermutigt, sich aktiv am Dialogspiel zu beteiligen.
  • Die Betreuer/innen verwandeln diese "Mutter-Kind-Interaktion" immer mehr in einen sprachlichen Dialog, indem sie zunächst jede körperliche Reaktion des Kindes als Antwort werten, später nur noch auf Lautreaktionen reagieren, schließlich nur noch auf Lautäußerungen, die den Lauten der Muttersprache entsprechen.

Es dauert aber auch hier noch Jahre, ehe Kinder die Zeichen voll beherrschen, über die im geregelten Dialogspiel abgesprochen wird, wer spricht, wer zuhört und wie diese Rollen getauscht werden. Während die meisten Kinder sich im Zweiergespräch gut behaupten, haben sie noch lange Schwierigkeiten, sich in größere Gesprächsrunden einzufügen.

Exkurs: Die "intuitive mütterliche Didaktik"

Mütter, Väter oder auch ältere Geschwister, die eine gute Beziehung zum Kind haben, fördern Säuglinge und Kleinkinder, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Sie ändern den Tonfall, damit sie besser verstanden werden, verwenden eine vereinfachte, dem Kind verständliche Sprache und geben dadurch gerade die Anregung, die es auf dem Stand seiner Entwicklung benötigt, aber auch verarbeiten kann - und das gilt nicht nur für den Erwerb des Kommunizierens und der Sprache.

Erzieher/innen sind gegenüber ihren Kindern in einer anderen Situation: Sie haben eine ganze Gruppe zu betreuen und können nicht die intensive Beziehung zu ihnen unterhalten, die das mütterliche Verhalten ermöglicht. Auch sie sollen jedoch jedem Kind optimale Lernchancen bieten. Was Mütter intuitiv bewirken, muss die Erzieherin durch Beobachtung, Überlegung und Übung ersetzen, indem sie:

  • sich klar macht, auf welchem Stand sich jedes Kind befindet.
  • überlegt, welche Anregung, welches Verhalten ihm weiterhilft.
  • die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kindern registriert und sich darauf einzustellen sucht.

Spiel und Gestik

Es ist die unvergleichliche Leistung der menschlichen Sprache, dass sie Handlungen, Gegenstände und Zusammenhänge über Laute benennen kann, die diese Dinge meinen. Aber Kinder kommunizieren nicht nur, ehe sie sprechen, sie verstehen auch schon Handlungen stellvertretend darzustellen, bevor sie das erste Wort benutzen. Sehr früh werden sie durch ihre Betreuer/innen in die ersten Spielaktivitäten verwickelt. Und Spielen heißt, gemeinte Handlungen darzustellen, indem man sie stellvertretend an anderen Handlungen ausführt. Spielhandlungen haben dabei noch einen sichtbaren Bezug zu dem, was sie meinen. Wörter verlieren diesen direkten Bezug.

  • Was das Kind tut, das ein unsichtbares Steuerrad in den Händen hält und dazu Brumm, Brumm hören lässt, wird jeder Beobachter verstehen.
  • Den Satz: "Ich fahre über die Autobahn" kann nur noch verstehen, wer auch Deutsch spricht.

Sehr früh lernen Kinder auch konventionelle Gesten: auf etwas zeigen, die Hand aufhalten, um etwas zu bekommen usw. Über solche nonverbalen "Formate" lernen Kinder, Handlungen und Situationen mit Bedeutung zu versehen, und können diese Bedeutung später auf die Lautfolgen übertragen, die dazu geäußert werden. Spiel ist unmittelbarer als die Sprache, aber es bereitet sie vor. Spielfreudige Kinder sprechen meist früher und gewandter.

Um sich die schwere Arbeit zu ersparen, Sätze zu bilden, neigen allerdings auch Kinder im Kindergarten noch dazu, kurzerhand zu zeigen, was sie meinen, im Umgang mit andern Kindern noch mehr als mit den Erwachsenen.

Erste Worte

Bald ist das Kind so weit, die ersten Worte zu benutzen. Es wird jetzt nach der Tasse greifen und zusätzlich vielleicht "tinke" oder "asse" äußern. Damit erweitert sich seine Fähigkeit, sich mitzuteilen, denn anders als bei der Geste, die gesehen werden muss, wird Lautsprache auch verstanden, wenn der Sichtkontakt abbricht.

Zunächst ist die Äußerung aber noch ganz abhängig von der Situation, in der gesprochen wird. Das einzelne Wort transportiert je nach Situation unterschiedliche Aussagen (Man spricht deshalb von "Einwortsätzen"). Die Situation, in der es spricht, und die (in diesem Alter meist sehr geschickte) Handhabung des nonverbalen Ausdrucks, verleihen dem isolierten Wort eine eindeutige Aussage:

  • Wenn das Kind "Papa" sagt, kann es den Vater gehört haben, der durch die Tür kommt.
  • Es kann ein Auto auf der Straße bemerkt haben, das aussieht wie Papas Auto.
  • Oder es kann den Wunsch ausdrücken, den Vater im Büro zu besuchen.

Worte meinen also zunächst Handlungen und benennen die Situation, in der diese Handlungen stattfinden: Das Abendessen, bei dem Papa immer Bier trinkt, heißt dann für das Kind vielleicht zunächst "Bier". Erst nach und nach schränken sich Worte auf die Bezeichnung präziser Handlungen oder Gegenstände im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs ein.

  • Der Wortschatz teilt sich dann in Wörter, die sich auf Handlungen beziehen (Tätigkeitswörter, Verben), und solche, die Personen und Gegenstände meinen (Namen und Hauptwörter).
  • Dazu kommen die "Ersatzwörter", die auf Bezeichnungen verweisen wie Pronomina (ich, mein, du, dein etc.), oder "Ergänzungswörter" wie Eigenschaftswörter, die das Hauptwort näher charakterisieren.
  • Kinder sind zunächst auf die inhaltliche Aussage (semantische Bedeutung) einer Äußerung gerichtet. "Inhaltswörter" werden deshalb früher verstanden und gebraucht als "Funktionswörter", d.h. Wörter, die nur die Beziehung innerhalb des Satzes zum Ausdruck bringen (Artikel, Präpositionen oder Hilfsverben).

Grammatik

Wenn sie etwa 50 Bezeichnungen kennen, beginnen Kinder, mehrere Wörter zu Aussagen zu verbinden. Mit diesen "Mehrwortsätzen", der Kombination mehrerer Wörter, taucht dann das Problem der Verknüpfung auf, das heißt die Frage nach den grammatischen Regeln der Sprache.

Zwar weichen Sprachen in ihren Grundstrukturen sehr voneinander ab, dennoch sind prinzipiell drei Bereiche von Strukturregeln zu unterscheiden:

  • Einmal können aus verschiedenen Wörtern neue Wortbildungen geschaffen werden. Im Deutschen sind das vor allem die zusammengesetzten Wörter wie Einkaufstasche oder vorbeischauen.
  • Die einzelnen Grundwörter werden, jeweils nach ihrer Stellung und Bedeutung im Satz, abgeändert ("flektiert" oder "konjugiert"): z.B. bei der Bildung der Mehrzahl (Haus zu Häuser), indem sie in einem bestimmten Fall gesetzt werden (neben den Häusern), oder zur Bildung der Vergangenheitsformen (ich sah, ich habe gesehen).
  • Schließlich richtet sich der Aufbau ganzer Sätze nach "Satzbildungsregeln" (Syntax), die im Deutschen zwar recht beweglich, aber auch kompliziert ausfallen. Normalerweise steht zuerst derjenige, der etwas tut (Subjekt), danach folgt in Zweitstellung, was er tut (das Prädikat), schließlich der Gegenstand der Handlung (das Objekt): Der Mann steht im Fenster. Diese Zweitstellung des Verbs wird aber bei Fragen vertauscht: Steht der Mann im Fenster? Wird ein Satzteil vorgezogen, wird die Wortfolge ebenfalls umgestellt: Im Fenster steht der Mann.

Die Bildungsregeln der Grammatik stellen in allen menschlichen Sprachen mehr oder weniger komplizierte Systeme dar, und es grenzt an ein Wunder, wie rasch sich Kinder diese Systeme anzueignen und relativ fehlerfrei zu gebrauchen verstehen. Man mag sich dazu vor Augen halten, wie mühsam wir im Fremdsprachenunterricht die grammatischen Strukturen einer fremden Sprache lernen müssen und wie fehlerhaft wir sie noch lange benutzen.

Die Grundkategorien der Grammatik bilden Handlungen ab, und das hilft Kindern zwischen Wörtern zu unterscheiden, die Tätigkeiten, und solchen, die handelnde Personen bezeichnen. Kinder unterscheiden diese Bestandteile, indem sie genau beobachten, was die Personen ihrer Umgebung tun und was sie dazu sagen. Diese Beobachtungen suchen sie dann in eigenen Aussagen umzusetzen: "Jule haben Saft." Aus der Antwort der Betreuer/innen, die darauf vielleicht äußern: "Jawohl. Du hast heute einen leckeren Saft" entnehmen sie die korrekte Form und passen sich so stufenweise und allmählich an die Normen und Regeln der eigenen Muttersprache an.

Das heißt: Kinder konstruieren aus dem gehörten Sprachmaterial im Vergleich mit den begleitenden Handlungen jeweils ihre eigenen Sprachregeln, die dann wieder mit der Reaktion der Gesprächspartner abgeglichen und verändert werden. Auf diese "kreative" und selbsttätige Weise erschließen sie sich nach und nach die regelgerechte Beherrschung ihrer Muttersprache (oder auch einer zweiten oder gar dritten Sprache). Diese Anpassung an regelgerechtes Sprechen zieht sich für die meisten Kinder vom ersten Spracherwerb im zweiten Lebensjahr über mehrere Jahre bis zum Schulanfang hin. Das heißt: "Fehler" im Sinne der Sprachnorm werden erst dann problematisch, wenn sie sich hartnäckig über lange Zeit festsetzen und über die Selbstkorrektur nicht mehr verändert werden (sogenannte "fossilierte" Sprache).

Ein Beispiel: Wie "Fehler" korrigiert werden

Kind: "Teddy hat weinen".
Erwachsene: "Dein Teddy hat geweint? Hast du ihn getröstet?"
Kind: "Teddy trösten, nicht nehmen."
Erwachsene: "Ach so, da hast den Teddy gar nicht auf den Arm genommen?"
Kind: "Nein, nicht genommen".

Textverstehen

Die Muttersprache wird über das Sprechen mit den ersten Bezugspersonen erworben, ihr Gebrauch über vielfältige Gespräche mit andern Kindern, Personen der weiteren Umgebung, Erzieher/innen etc. immer genauer und souveräner gehandhabt.

In den Jahren, in denen Kinder die Einrichtungen des Elementarbereichs besuchen, kommt dann eine weitere und folgenträchtige Sprachverwendung hinzu: Das Sprechen längerer sprachlicher Äußerungen außerhalb der engen Regelhaftigkeit der Gesprächsführung. Die Sprachäußerung beschränkt sich nun nicht mehr auf einzelne Sätze, die auf vorher Geäußertes antworten. Die Sätze beziehen sich aufeinander, bilden eine in sich geschlossene und zusammenhängende Mitteilung, die einem festen übergeordneten Bauplan folgt: Aus einer Folge von Sätzen wird ein Text.

Texte lernen Kinder also nicht erst kennen, wenn sie in die Schule kommen. Sehr frühe Formen von Sprachäußerungen, die aus dem Zusammenhang mit dem zwischenmenschlichen Sprechen fallen, stellen etwa Reime, Sprechverse oder Lieder dar. Sie sind meist knappe Äußerungen.

Länger und deutlicher hebt sich die (mündliche) Erzählung von der alltäglichen Sprachverwendung ab. Sie folgt einem festen Bauplan: Sie handelt von einem außergewöhnlichen Ereignis, das einem Helden zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort widerfährt. Der Held muss sich damit auseinandersetzen und die Erzählung zu einem Ergebnis führen.

Der strukturierte Ablauf wird beim mündlichen Erzählen noch in offener, gesprächsnaher Kommunikation realisiert: Der Erzähler beobachtet seine Zuhörer, reagiert auf ihre Reaktionen und richtet seinen Wortlaut nach ihrem Verständnis aus. Der lange und vergleichsweise komplexe Text kann auf diese Weise gut aufgenommen werden, das Textverständnis kann sich entwickeln. Sofern Kinder sprachlich geübt genug sind und ihnen regelmäßig vorgelesen wird, kann sich das Textverständnis auch über das Vorlesen ausbilden. Das passive Textverstehen ist in jedem Fall eine entscheidende Voraussetzung für das Ausdenken und später das Schreiben von Texten, das in der Schule gefordert wird.

Zeichen und Schrift

Mit dem Schulbesuch steht dann der Erwerb des Schriftsprache an. Allerdings machen Kinder längst vor dem Schulbesuch vielfältige Erfahrungen mit Zeichen und Schrift, und die meisten Kinder können im Kindergarten zumindest den eigenen Namen erkennen oder schon schreiben.

Die Schrift stellt ein eigenes, von gesprochener Sprache abweichendes System der Mitteilung zur Verfügung:

  • Statt einer flüchtigen Lautfolge, die im Moment des Hörens entschlüsselt werden muss, tritt eine Folge graphischer Zeichen, die mit den Augen gelesen werden, beständig bleiben und nachgeprüft werden können.
  • Die sprachbegleitenden nonverbalen Mitteilungen werden gegenstandslos und nur durch wenige Satzzeichen ersetzt. Der Schreibende ist ganz auf die genaue sprachliche Formulierung angewiesen.
  • Die Mitteilung wird ohne Rückmeldung eines Kommunikationspartners verfasst. Der Verfasser kann die Wirkung seiner Aussagen, wenn überhaupt, erst im Nachhinein wahrnehmen.
  • Dafür kann sein Text vervielfältigt werden und nicht mehr die Menschen seiner Umgebung, sondern gleichzeitig und fast unbegrenzt viele Menschen erreichen und beeinflussen.

Medien

Die technischen Massenmedien eröffnen darüber hinaus die Möglichkeit, auch mündliche Kommunikationen grenzenlos zu wiederholen und zu verbreiten, indem der Ton aufgenommen und verbreitet wird wie beim Radio oder auch die Sprechsituation wiedergegeben werden kann wie bei audiovisuellen Medien (Film, Fernsehen) oder indem alle bisherigen Speicherformen (Schrift, Foto, Ton, Film) gleichzeitig genutzt werden wie bei der Computertechnologie.

Die Sendungen in den Medien entwickeln und nutzen Formate, die aus der zwischenmenschlichen Kommunikation abgeleitet sind:

  • Telefon und E-Mail setzen das zwischenmenschliche Gespräch über Distanz fort.
  • Die erzählenden Beiträge (Spielfilme, Seifenopern etc.) knüpfen an das personale Erzählen an.
  • Die dokumentierenden Sendungen (Nachrichten, Magazinsendungen) stilisieren das Berichten.
  • Die Talkshows imitieren soziale Gesprächsrunden usw.

Kinder haben jedoch mit diesen Medien, auch dort wo sie auf ihre Interessen und Wahrnehmungen abgestimmt sind (Kindersendungen), zunächst große Schwierigkeiten. Um sie sich aktiv anzueignen, müssen die kommunikativen Verhaltensweisen im personalen Zusammenhang erfahren werden (Darum würde kein Kind sprechen lernen, selbst wenn man es Jahre vor dem Fernseher sitzen ließe). Wenn sie dagegen in personalen Beziehungen übernommen wurden, können sie als strukturierende Muster auch auf mediale Produktionen übertragen werden. Vorher kleben Kinder zwar am Fernseher, weil sie die ständige visuelle Reizung fasziniert, sie tun sich aber schwer, Zusammenhänge in der Bildfolge erkennen. Denn diese Zusammenhänge werden nur durch sprachliches Zuordnen geleistet. Sprachliche Förderung schafft deshalb zugleich auch die Voraussetzung für jede Medienerziehung.

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